Niemand will es haben, jedenfalls soll es nicht vor der eigenen Haustür gefördert werden. Alle brauchen es, Energiewende hin oder her. Selbst das Kanzleramt in Berlin und der Brüsseler Berlaymont-Palast, in dem Ursula von der Leyen die Klimawende plant, werden mit Erdgas angetrieben, auch der Bundestag, zahllose Abgeordnetenbüros im politischen Berlin, die grüne Parteizentrale und die abhängten Ostgebiete in Thüringen und Sachsen hängen vor allem im Winter von dem flüchtigen fossilen Energieträger ab.
Elektrifizierung der Gesellschaft
Es geht nicht anders, denn die Umstellung auf Elektroenergie scheitert momentan noch an der Mathematik: 80 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie ist kein Strom, sondern Ergebnis der Verbrennung von Erdgas, Erdöl, Kohle und Biomasse. Dass mehr als die Hälfte der im Lande genutzten Energie elektrisch ist, zeigt vor allem, wie weit der Weg zur vollständigen Elektrifizierung noch wird. Einmal verdoppeln, dann sind 20 Prozent geschafft. Dann nur noch fünfmal so viel, und die große Transformation ist beendet.
Ohne Gas geht es nicht, aber irgendwann auch nicht mehr mit. Der später wegen einer Korruptionsaffäre aus dem Amt geschiedene grüne Staatssekretär Patrick Graichen wusste das schon sehr früh. Mitten auf dem Höhepunkt der Energiekrise forderte der visionäre Vordenker des Energieausstieges die deutschen Gasnetzbetreiber zum ersten Mal auf, mit dem Rückbau der Netze zu beginnen. Die seien demnächst überflüssig, 380.000 oder 511.000 Kilometer störende Rohre quer durchs Land, genau weiß niemand, sicher aber ist, dass der Anriss dieser Infrastruktur unumgänglich sein wird. Wenn erst alle wie geplant mit Strom und Fernwärme heizen, braucht kein Mensch mehr Gasleitungen bis ins Haus. Also weg damit, forderte Graichen.
Schlag gegen Russland
Um die Umwelt zu schützen, erhöhte die Bundesregierung nach dem Ende der Energiekrise umgehend die Preise. Die Drehung an der Steuerschraube sollte den Verbrauch senken, wirkte aber aufgrund der "steigenden Reallöhne" (Olaf Scholz) nicht wie gedacht. Trotz des Erfolges der von der EU verhängten härtesten Sanktionen aller Zeiten importiert die europäische Gemeinschaft inzwischen wieder mehr Erdgas aus Russland als aus den befreundeten USA. Ganz Norwegen hat sich dank der fossilen Verkäufe an Deutschland inzwischen ein Elektroauto zugelegt und fungiert nun als globales Vorbild: Wer jahrzehntelang mehr Öl und Gas pro Kopf der Bevölkerung fördert als Saudi-Arabien, kann sich selbst eine grüne Energiewende locker leisten.
Deutschland zieht hier allerdings nicht nach. Die wenigen Lagerstätten liegen unter wertvollen Naturflächen oder - anders als in Norwegen - mitten im Meer. Ein Argument mehr für den Erdgas-Ausstieg und den Netzrückbau, der allmählich auch Form annimmt: Die Bundesnetzagentur (BNetzA), eine Behörde, die unter dem direkten Einfluss der Politik schon lukrative und rechtswidrige Entscheidungen getroffen hat, hat im Projekt "Kanu 2.0" die Kosten hochgerechnet, die anfallen werden, um nach dem Start mit den Nord-Stream-Pipelines auch den Rest der kritischen Infrastruktur zur Versorgung der Bevölkerung mit Erdgas loszuwerden.
Ein teurer Spaß
Es sind Summen, über die derzeit noch nicht gesprochen werden soll. Derzeit importiert Deutschland Erdgas im Gegenwert von 24,8 Milliarden Euro, das für rund 80 Milliarden Euro an die Endverbraucher verkauft wird. Nach den Berechnungen der Bundesnetzagentur versprechen die Rückbaukosten in Höhe von etwa 20 bis 35 Milliarden Euro, den Preis für Erdgas um etwa 20 bis 40 Prozent zu erhöhen.
Das träfe am Ende allerdings nur die Kunden, die den Umstieg auf Wärmepumpe und Fernwärmeversorgung verpasst haben, weil sie zur Miete wohnen, sich fahrlässigerweise kein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung zugelegt haben oder ein Eigenheim in der falschen Gegend besitzen, abseits von Fernwärmetrassen oder in wirtschaftliche so weit zurückliegenden Regionen, dass die thermische Ertüchtigung ihres Altbaus an finanziellen Beschränkungen scheitert.
Die Bundesregierung hat das Problem zum Glück rechtzeitig erkannt. So viel höhere Kosten für Gas, weil die Gasnetzentgelte aus immer weniger Kassen gezogen werden - da droht eine neue Neid- und Mangeldebatte um die Frage, weshalb die ärmeren Bürgerinnen und Bürger mit ihren Steuern Fördermittel spendieren, um Wohlhabenderen und Überreichen den Umstieg auf Wärmepumpe und Elektroauto zu erleichtern. Während sie mit den teuren Erdgasrestnetzen zurückbleiben, weil sie sich weder das eine noch das andere leisten können.
Höhere Kosten vorziehen
Um das zu verhindern, will die Ampel-Koalition die absehbaren kräftigen Kostensteigerungen vorziehen. Nach dem von der BNetzA vorgelegten Schutzplan zahlen alle jetzt gleich mehr, damit die Letzten nicht die Hunde beißen, zumindest nicht so sehr. Durch die solidarische Finanzierung der Vernichtung der Erdgasnetz-Infrastruktur könnten spätere Erhöhungen abgemildert werden, heißt es im "Kanu 2.0"-Plan der Bundesnetzagentur.
Da "erhebliche Teile" der früheren Gasnetz-Investitionen durch die Klimaschutzbemühungen der Bundesrepublik bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts "verpuffen" würden, weil Deutschland sich bis 2045 zu einer "Netto-Treibhausgasneutralität" verpflichtet habe, sei es erforderlich, bereits jetzt mit höheren Netzentgelten in die Finanzierung des Endes der Gasnetze hin einzukassieren. Anderenfalls drohten im Transformationsprozess "zu hohe Entgeltsprünge", die wiederum die politische und gesellschaftliche Stabilität bedrohen.
Anschub zum Ausstieg
Lieber langsam nach dem Froschprinzip, dafür aber für alle und zugleich ausstiegsmotivierend. Die BNetzA schlägt mit dem Kanu-Plan zwei Fliegen mit einer Klappe: Früher stark steigende Gaspreise durch die "regulatorische Flankierung des Transformationsprozesses" sorgt für den schnelleren Gas-Ausstieg aller, die es sich leisten können. Zurückbleiben die Ewiggestrigen mit ihrer einkommensbedingten Vorliebe für Gasheizungen in schlecht gedämmten Altbauten. Ein warnendes Beispiel dafür, dass sich mit dem Klima nicht schachern lässt.
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