Montag, 30. September 2024

Superlative Sprache: Vokabeln für den Wumms

Luther diente den Nazis als Vorbild
Das Böse ist überall und es ist immer so groß, dass nur ein Superlativ es beschreiben kann.


Sie schreiben von "Schergen", von "Tyrannen", "Kriegstreibern" und "Krisengewinnlern", von "Diktatoren", "Rattenfängern" und "Unmenschen", also Menschen, die Dinge tun, die sie außerhalb der menschlichen Gemeinschaft stellen. Das erste Opfer im Krieg, heißt es immer, sei die Wahrheit. Tatsächlich aber ist das erste Opfer im Krieg immer der gesunde Menschenverstand, die Fähigkeit, beim Beschreiben des Grauen auf dem Boden der Menschlichkeit zu bleiben.  

Wehen die Fahnen, ist der Verstand in der Trompete, nicht nur auf dem Schlachtfeld und in den militärischen Führungsstäben, sondern auch in den Redaktionen, die über Kriege längst nicht mehr aus den Schützengräben berichten. Sondern anhand von dürren Verlautbarungen der Heeresführungen und Verteidigungsministerien. Sprache wird so in einem Maße zur Waffe, dass sie nur noch als Karikatur erkennbar ist. 

Verbogen und zugespitzt

Sie wird verbogen und zugespitzt. Nur der Superlativ ist noch brauchbar. Massaker, Völkermord, Völkerrecht, Angriffskrieg. Jede Seite will die Öffentlichkeit von ihrer Sicht der Dinge überzeugen, selbst im zivilen Krieg um Mandate, Machterhalt und Machtgewinn. Täglich fliegen dem Publikum Begriffe wie "Despot", "Nazi", "Faschist" oder "Postfaschistin" um die Ohren. 

Die Öffentlichkeit, unentwegt bombardiert mit Parolen am Rande der Unübertreibbarkeit, fühlt sich über kurz oder lang in ein absurdes Theaterstück versetzt, in dem durch die Steigerung von Steigerungen versucht wird, die gewünschte Botschaft zu gestellt wird. Meiste wie zu "allermeiste", "plump" zu "plumpste", "perfide", vom Lateinischen perfidus, also treulos und niederträchtig, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. 

Je ernster die Sprecher klingen und je häufiger die Kommentatoren von "Schlächtern" und "Massakern" und "Völkermord" und einem "faschistischen System" aus "purem Faschismus" berichten, desto unwirklicher wird die Szenerie. Begriffe werden inflationär verwendet, ohne ihren Sinn zu hinterfragen. Was genau "perfide" bedeutet, was mit "krude" beschrieben wird, und ob oder wie sich "Besessenheit" von "Wahnsinn" unterscheidet, spielt keine Rolle. Hauptsache ein Superlativ, Hauptsache das größte Kaliber. Bumm!

Kriegstüchtig gemacht

Es fing schon an, ehe Wladimir Putin seinen heute durchweg als "völkerrechtswidriger Angriffskrieg" bezeichneten Feldzug gegen die Ukraine begann. Der Mann, der eben noch Partner war, Kreml-Herr oder Präsident seines Landes, wurde nach und nach zum Autokraten, Despoten und Diktator. Seine Soldaten verwandelten sich wie zuvor die des syrischen "Machthabers" Assad in "Schergen", seine Mitarbeiter in "Helfershelfer" und seine Unterstützer in "Trollen", "Spione" und Handlanger.

Auch das Wort "entmenscht", das den so Bezeichneten ihre Menschlichkeit abspricht, taucht zuverlässig auf, als "entmenschte Soldateska" (Bild) und entmenschte Feindlichkeit in einer "grausamen Realität" (Die Zeit), in der Gegner unter "wahnhaftem Wirklichkeitsverlust" (Spiegel) leidet, weil er "hörig" ist, sehr schlecht beraten oder aus grausamsten Beweggründen unwillig, eine "humanitäre Katastrophe abzuwenden".

Verbale Mobilmachung

Wer der verbalen Mobilmachung zuhört oder sie mitliest, fühlt sich wie in einem Kinderbuch gefangen. „Grausame Kämpfer“ (Zeit) gibt es hier, "mörderische Angriffe" und "gewissenlose Söldner" tauchen dort auf. Immer werden Kinder auf Spielplätzen ermordet, aber immer nur von einer Seite, immer ist irgendwer "blutrünstig" und unterwegs, "sinnlose Gewalt" auszuüben.

Die Kriegsberichterstattung als Holzschnitt. War es im Kinderbuch die böse Hexe, ist es hier "das böse Wort Krieg" (Zeit), das die sprachlichen Mittel zum Äußersten anspannt. Die vokabulare Eskalation allerdings verzehrt sich schneller selbst als die besten Worthülsendreher und Sprachbombenbauer für frischen Nachschub sorgen können. Wenn erst "Milizen" zu "Aufständischen", dann zu "islamischen Stammeskriegern" und anschließend postwendend zu Radikalislamisten oder Rebellen zu "Separatisten", zu "Prorussen" und dann zu blutgierigen Invasoren geworden sind, bleibt keine Steigerungsmöglichkeit mehr.

Bauarbeiter über Klimaalarm: "Tut mir leid, bei mir wirkt es nicht mehr“

Thilo Andreas bei der Arbeit: Der 52-Jährige sagt, er fühle sich dabei wie ein Ewiggestriger.


Thilo Andreas ist Bauarbeiter von ganzem Herzen, er hat schon Tiefbau gemacht und Brückenbau, bei einer Firma gearbeitet, die Einfamilienhäuser auf die grüne Wiese stellte, und bei einer Stadt im tiefen Westen geholfen, ein uraltes Fußballstadion fit für die Zukunft zu machen. Erstmals wirft Andreas jetzt bei PPQ einen Blick auf Schwächen und Lösungen der Klimapolitik. Und er zeigt, warum eine steter Strom von alarmierenden Meldungen, angekündigten Maßnahmen und eine pausenlos beschworene Angst vor dem Klimawandel bei ihm nichts bewirken.

PPQ: Herr Andreas, wenn Sie sich die Klimapolitik der Länder ansehen, welchen Eindruck macht das auf Sie?

Andreas: Die Klimapolitik ist gewissermaßen auf den Rücksitz gerutscht. Vorn spielt die Musik einer Propagandamaschine, die seit ein paar Jahren keine Pause mehr kennt. Ich glaube, das hat etwa im Jahr 2021 angefangen, vielleicht auch lange davor, aber damals habe ich es bemerkt. Als das Bundesverfassungsgericht Klima zum Menschenrecht erklärte und anschließend das Klimagesetz hektisch angepasst wurde, als könne man damit irgendetwas am Weltklima ändern, da dachte ich noch, das geht auch wieder vorbei. 

Man durfte damals wirklich noch etwas Hoffnung haben, dass die Sache sich wie alles andere verläuft, dass es langweilig wird und dann andere Dinge dringlicher erscheinen. Aber das ist leider nicht eingetroffen. Vielmehr macht die Entwicklung der letzten Jahre auf mich den Eindruck, als dass jede Ernsthaftigkeit in dieser Frage verloren gegangen ist. Man alarmiert und warnt und alles ist nur noch schrill und zu warm und zu heißt und Höllensommer und was weiß ich. Mich nervt das.


PPQ: Sie haben in unsreem Vorgespräch das Wort Skandal verwendet.

Andreas: Angesichts der Tatsache, dass es um die Lebensqualität aller Menschen geht, scheint mir der Begriff nur zu milde. Niemand von uns wird ein zweites Leben bekommen, wir haben alle nur diese paar Jahre. Die sind vollgepackt mit Arbeit, für Menschen wie mich mit harter, körperlicher Arbeit. Wir machen das, damit hier irgendwas vorangeht, damit sich was dreht, damit unsere Kinder - ich habe zwei und zwei Enkel - es mal besser haben. 

Aber dann wird man unentwegt belästigt mit diesen Parolen. Tu dies nicht, aber tu das, iss nicht so, reise nicht dahin, fahre nicht so, wohne nicht dort, dies machst du falsch und das auch. Politik ist aus meiner Sicht als einfacher Mann verpflichtet, Schaden von dem Volk abzuwenden, von dem es gewählt wurde. Wenn danasch noch Zeit bleibt, sich um andere Sachen zu kümmern, meinetwegen. Aber bei dem Trommelfeuer, das seit Jahren auf uns niedergeht, bitte ich erst einmal darum, dass für das Wohlergehen der Bevölkerung Sorge getragen und dafür gesorgt wird, dass dieses ewige Geschrei aufhört. 

PPQ: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, das wäre dann welcher?
 

Andreas: Ich würde diesen Panikmodus abstellen, sofort. Bei all diesen Mahnungen, was niemand mehr tun soll, wo jeder ein schlechtes Gewissen haben müsste, Radio an, Fernseher an, Zeitung auf, Internet, überall dasselbe, ich meine, da gelingt es doch niemandem mehr, Panik zu empfinden, so, wie sie  jeden Tag geschürt wird. Das ist doch alles absurd. Ich meine, schauen Sie mich an. Ich arbeite jeden Tag acht Stunden, auf dem Bagger, mit der Schippe in der Hand. Wir bauen Sachen, wir machen uns krumm. Wenn ich dann abends nach Hause komme, bin ich platt. Und in dem Moment geht dasselbe Gebet weiter, das schon den ganzen Tag aus dem Baustellenradio quäckt. Tut mir leid, ganz ehrlich, bei mir wirkt es nicht mehr.

PPQ: Aber zweifeln Sie denn daran, dass uns dramatische Veränderungen bevorstehen? Man hört doch überall von einer Zunahme der Extremwetter und dem Anstieg des Meeresspiegels und Hitzesommer und zu warmen Wintern?

Andreas: Das ist es doch gerade! Diese enorme Dringlichkeit, ausgerechnet jetzt etwas zu tun, mag doch gegeben sein. Aber als jemand, der in Ostdeutschland aufgewachsen ist, kann ich Ihnen versichern, dass Propaganda erstens nicht besser wird, wenn sie meint, einem guten und richtigen Ziel zu dienen. Und zweitens wird sie nicht wirksamer, wenn sie ihre Frequenz und Lautstärke hochfährt, weil sie merkt, dass sie ihre Adressaten nicht erreicht.

PPQ: Wenn die Menschen doch aber nicht hören wollen? Und die Wichtigkeit der Aufgabe es erfordert, dass sie überzeugt werden?

Andreas: Mir fehlt der Glaube daran, dass wir die Pariser Klimaziele erreichen, weil wir von nichts anderem sprechen. Wer sich die tatsächliche Politik anschaut, kann ja nicht übersehen, dass von dort außer Ankündigungen, immer neuen Plänen und symbolischen Maßnahmen nichts kommt. Dass das am liebsten mit möglichst viel Klamauk überspielt wird, leuchtet mir ein. 

Wie gesagt, das war in der DDR nicht anders. Aber letztlich haben wir einfachen Leute, die wir nicht nur das Klima schützen, sondern auch noch arbeiten müssen, diese Behandlung nicht verdient. Das führt ja auch zu nichts. Bei mir erzeugt es jedenfalls nur inneren Widerwillen.

PPQ: Was bedeutet diese innere Abwehrhaltung für die Gesellschaften? Und damit für die globale Erwärmung?

Andreas: Nach meiner Erfahrung werden unter Propaganda leidende Gesellschaften immer schwerer ansprechbar und schließlich sind die Menschen einfach nicht mehr erreichbar. Das ist natürlich nicht gleichmäßig verteilt; Jüngere sind immer empfänglicher, Ältere weniger, wer arbeitet, reagiert schneller ablehnend, wer nichts anderes zu tun hat, hört eher geduldiger zu. Die meisten Schäden an der Verfasstheit entstehen dadurch bei denen, die den Laden am Laufen halten. Daraus wiederum entspringen extreme soziale Konflikte.

PPQ: Was meinen Sie damit?

Andreas: Nun, es werden Ressourcen aufgewendet, um für die Klimaanpassung zu trommeln, für die Transformation, für höhere Preise für alles und freiwilligen Wohlstandsverzicht. Aber mal ehrlich: Wer schon mal ein Haus gebaut hat, Frühschicht in einer Bäckerei hatte oder in einem Lager gearbeitet, der fühlt sich da nicht mitgenommen. Der hält das alles für rausgeschmissenes Geld, das für andere wichtige Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen. 

PPQ: Von den Menschen wird eine erhebliche Umstellung ihrer Lebensweise verlangt. Braucht es da nicht ein gewisses Maß an guter Propaganda, um die Menschen mitzunehmen?

Andreas: Wenn sie doch aber gar nichts bringt? Dagegen spreche ich mich aus. Und wenn wir in den Osten schauen, erkennen wir bereits deutlich massive Auswirkungen, etwa wenn die Medien beschimpft werden oder Politiker verhöhnt. Man muss aber sehen: Die Menschen dort, also hier bei uns, die  haben kaum Möglichkeiten, sie zu äußern, um ihr Gefühl auszudrücken, dass es reicht, dass sie die Nase voll haben und es einfach nicht mehr hören können.

PPQ: Sind Demokratien vielleicht nicht in der Lage, angemessen auf die Herausforderung zu reagieren? Eine Diktatur greift einfach durch, jeder muss folgen, fertig?

Andreas: An der Demokratie allein liegt es sicherlich nicht. Eher daran, dass die Politik die Möglichkeit hat, die Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen, der Bürger aber nicht? Ich weiß es nicht. Ich sehe aber, dass die Politik keine Alternativen mehr zur Wahl steht, sondern übergreifende Ideale propagiert, gegen die nicht mehr gestimmt werden kann, weil es unmoralisch wäre. So erzählt es zumindest die Propagandamaschine.

PPQ: Also brauche wir einen Klimadiktator, damit wir auf die Propaganda verzichten können?.

Andreas: Das halte ich für vollkommen abwegig. Autoritäre Systeme haben einen extremen Hang zur Propaganda, weil sie sich selbst vormachen wollen, mehrheitsfähig zu sein. Man sieht das bei den zaghaften Versuchen der Grünen, diese hektische Klimamaßnahmenpolitik mit Worten wie Wohlstand und Fortschritt zu verbinden. 

Da geht es darum, einen Konsens in der Gesellschaft einzukaufen, der da lautet, dass jede Generation das Recht hat, glücklich sein zu dürfen, und keine verpflichtet ist, ihr eigenes Wohlergehen zu opfern, um nachkommende Generationen glücklich zu machen. Das ist ja Mehrheitsüberzeugung seit der Hitlerdiktatur und den kommunistischen Regimes. Man wird Klimapolitik nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen können. Aber ich halte es auch für unmoralisch, der Mehrheit einreden zu wollen, sie liege mit dieser Auffassung falsch.

PPQ: Dennoch bleibt die Politik bei ihrer Strategie, ihre exekutive Gewalt zu nutzen, um freiheitseinschränkende Entscheidungen im Namen des Klima so intensiv propagieren zu lassen, dass es Menschen wie ihnen schwerfällt, das noch mit Gleichmut zu ertragen?

Andreas: Bei der Klimakrise handelt es sich um ein Problem, bei der Proaganda, die dagegen helfen soll, aber aus meiner Sicht auch. Das eine mag die eigentliche Bedrohung sein, aber sie wird erst in der weiteren Zukunft akut. Das andere ist die tägliche Belästigung von Millionen Menschen, die nur ihre Arbeit tun, ihrem bisschen Lebensglück nachjagen, Steuern zahlen, Kinder aufziehen. Und dafür beständig mit dem Versuch der Überzeugungsarbeit konfrontiert werden. Mit dem Ziel, sie zu etwas zu veranlassen, was sie schon allein deshalb oft nicht tun werden, weil sie sich bedrängt und überfürsorgt fühlen.

PPQ: Das ist womöglich ein großer Kommunikationsfehler der Politik. Aber wenn der Kampf gegen den Klimawandel unabdingbar ist, dann ist es vielleicht dieses unaufhörliche Trommeln für die Klimaschutzmaßnahmen auch?

Andreas: Dann gehört auch die daraus resultierende stärkere Ablehnung dazu. Ohne Propaganda wird politische Zustimmung nicht zu haben sein. Aber mit vermutlich auch nicht! Es gibt eindeutige Befunde, die besagen, dass der Medienkonsum mit sinkendem Einkommen steigt. Je höher der Medienkonsum, desto häufiger werden Menschen mit der Werbung für den Klimakampf konfrontiert. Sie bekommen zu hören, was sie gar nicht hören wollen. Daraus resultiert, das sage ich aus eigener Erfahrung, zumeist eine tiefempfundene Kontrahaltung.

PPQ: Will man dem Klimawandel begegnen, müssen aber auch die weniger Wohlhabenden ihren Lebensstil grundlegend verändern, weil selbst sie, zumindest im globalen Norden, Mitschuldige sind. Wenn zwingen nicht geht und umerziehen nicht gelingt, dann wird man niemanden in der Gesellschaft zum Verzicht motivieren.

Andreas: Vermutlich ist das so. Wir haben  es doch zuletzt in der Krise gesehen. So lange es allen gut geht, ist jeder für Maßnahmen, Transformation und all diese Dinge. Aber trotz aller Propaganda: Wie viele Leute haben wirklich ihre großzügige Wohnung aufgegeben, das Auto oder ferne Urlaubsziele? 

 
Nicht einmal außerhalb Deutschlands funktioniert das. Die ganze Welt strebt danach, konsumorientiert zu leben wie wir, zu arbeiten, und etwas Wohlstand dafür zu bekommen, statt mit Verzichtsreklame bombaridert zu werden.

PPQ: Sollten wir also auf das Wirtschaftssystem verzichten, dass das alles möglich macht? Den Kapitalismus abschaffen?

Andreas: Die kapitalistische Wirtschaftsform ist zutiefst problematisch in Bezug auf die Ausbeutung der Natur, beinahe so sehr wie die sozialistische. Mehr haben wir ja noch nicht ausprobiert. Das müssen wir also abwarten. Es gibt keine einflussreichen Bewegungen in unserer Gesellschaft, die ein völlig anderes Gesellschaftssystem fordern.

Zur Person

Thilo Andreas, geboren 1972, ist seit seiner Lehre zum Baufacharbeietr bei verschiedenen Firmen tätig gewesen, unter anderem als Baggerfahrer und Polier, aber auch als Eisenflechter und Trockenbauer. In seiner Freizeit fährt er Motorrad, er besucht Fußballspiele seines Lieblingsvereines Meuselwitz und sammelt Falter.



Sonntag, 29. September 2024

Rekordjagd trotz Warnungen: Woher weiß Gold, wie viel Geld sie drucken?

Es klettert und steigt seit Monaten, ja, im Grunde genommen seit Jahren. Trotz aller Warnungen vor schon lange viel zu hohen Preisen (RND) klettert der Goldpreis seit Jahren beharrlich. Immer wieder verweisen Experten auf die großen Gefahren, die eine Investition in Gold mit sich bringt, setzten nicht nur Terroristen, Putschisten, Rechtspopulisten und die weit nach rechts gerutschte gutbürgerliche Mitte auf ein Investment in Barren und Münzen, die keine Zinsen abwerfen.  

Böhmermann warnte früh

Selbst als der preisgekrönte Journalistendarsteller Jan Böhmermann mutig hinter die Fassade der Goldindustrie schaute, änderte das am langfristigen Trend nichts: Der Goldpreis steht heute beim Zehnfachen des Tages, an dem der stabile Euro die D-Mark ablöste. Für Böhmermann war das ein klarer Beleg, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. "Gold bringt nicht mal 'ne Dividende, keine Zinsen", klärte der ZDF-Mann auf, warum der Glaube vor allem rechtsgerichteter Deutscher, Gold sei eine gute Anlagemöglichkeit in unruhigen Zeiten, ins Reich der Märchen und Sagen gehört.

Nicht von der Hand zu weisen ist dennoch, dass der geheimnisvolle Höhenflug des Goldpreises auch von Böhmermann nicht gestoppt werden konnte. Seit der Warnung im "ZDF Magazin Royale" hat der in Euro gerechnete Goldpreis nach offizieller Lesart um weitere 30 Prozent zugelegt. 

Inoffiziell gilt der bemerkenswerte Anstieg um weit mehr als 1.000 Prozent seit Anfang des Jahrtausends als Beweis für die Stabilität der Gemeinschaftswährung: Wer zum Start der Euro-Erfolgsgeschichte für 100.000 D-Mark 200 Unzen Gold eintauschte, vermied damit nicht nur den Kaufkraftverlust von 40 Prozent, den das stolze Gemeinschaftsgeld seitdem verkraften musste. Er verfügt inzwischen vielmehr über ein Vermögen, das in Euro umgetauscht 500.000 Euro wert ist.

Wertverlust vermieden

Wertverlust nicht nur vermieden, sondern weit mehr als ausgeglichen. Böhmermanns Warnungen wie die von RND und Wirtschaftswoche in den Wind geschlagen und gewonnen. Zu verdanken ist das der klugen und weitsichtigen Politik der EZB und der anderen Zentralbanken, deren Strategie der Geldverdünnung bei Älteren schon lange Erinnerungen weckt: Seit die USA 1971 die Goldbindung des US-Dollar aufhoben, um den Vietnam-Krieg finanzieren zu können, spiegeln Papierwährungen die Ausweitung der Geldmenge detailgenau in den Kurskurven von Gold, Silber, Immobilien und der Digitalwährung Bitcoin.

Woher aber weiß Gold immer ganz genau, wie viel Geld sie gerade drucken? Wie an Fäden gezogen folgt der Goldpreis der Geldmengenausweitung von amerikanischer FED und EZB. Dabei werden die Produktionsmengen, die aus den im Vierschichtbetrieb laufenden Geldpressen strömen, von Ämtern, Behörden und Politik traditionell streng geheimgehalten.

Rätselhafte Kongruenz

Seit Jahren schon beschäftigt die rätselhafte Kongruenz zwischen Goldpreis und Geldmenge Experten weltweit. Beinahe scheine es schon, als werde Gold umso teurer, je mehr Geld auf der Welt existiert, mutmaßte erst kürzlich ein ausgewiesener Spezialist für staatlichen Eingehungsbetrug. Die mehr als 9.000 Tonnen des Edelmetalls, die private Haushalte in Deutschland "horten", wie es das SPD-nahe Informationsportal RND nennt, sind derzeit mehr als 700 Milliarden Euro wert - vor zehn Jahren waren es nicht einmal 250 Milliarden, wie Daten zeigen, die Forscher der Steinbeis-Hochschule Berlin ermittelt haben. 

Grundlage dieser Entwicklung ist das Stabilitätsverprechen des Euro, abgegeben von den Müttern und Vätern der Einheitswährung, das weiterhin uneingeschränkt gilt. Danach verkörpert weiterhin jeder einzelne Euro denselben Anteil an Waren, Gütern, Dienstleistungen und Immobilien, die im  gemeinsamen Währungsraum vorhanden sind. Weil es heute selbst nach offiziellen Zahlen dreimal mehr Eurogeld gibt als vor 25 Jahren, konnten Preise und Wohlstand im Gleichschritt steigen, während die ursprüngliche Kaufkraft des Euro sich je nach Warengruppe halbierte. 

Nur noch die Hälfte wert

Gerechnet in Lebensmitteln, ist er Euro nur noch knapp die Hälfte wert, gemessen an der Böhmermann-Gebühr für eine freie Rundfunkgrundversorgung ist etwas weniger als die Hälfte übrig, bei den Mieten kann für denselben Preis noch eine zwei Drittel so große Wohnung gemietet werden und beim Gold bekommt ein Euro-Besitzer heute noch etwa ein Zehntel der Menge für sein Geld, die er am Tag der Euro-Einführung erhalten hätte.

Der vielbeschriebene, vielbeklagte und bejubelte "Höhenflug des Goldpreises" ist eigentlich der Tiefflug des Euro, ein Phänomen, von dem jeder profitiert, der seine EZB-Währung irgendwann in den zurückliegenden Jahren gegen Gold eingetauscht hat. Denn Warenpreise sind zwar in Euro gerechnet in einem beängstigenden Maß gestiegen - längst haben die 2001 halbierten Preise sich mehr als verdoppelt. Doch in Gold gerechnet geht das Spiel zugunsten der Käufer aus: 500 D-Mark wurden zu 250 Euro, 250 Euro zu einer Unze Gold. Die heute mehr als 2.100 Euro wert ist - weit mehr als 4.000 D-Mark. 

Beeindruckende EZB-Bilanz

Kleinlich, wer da noch fragt, ob der Brotpreis, der Bierpreis oder der Pries von Gas und Strom sich verdoppelt oder verdreifacht haben. Eine Bilanz der EZB, die sich sehen lassen kann. Häufig wird zwar immer noch spekuliert, ob dahinter geheime Pläne Chinas stecken, was Kriege und Krisen für einen Einfluss haben und inwiefern rechtspopulistische Angstmache und der indische Heiratsmarkt die globale Goldnachfrage bestimmen. Doch letztliche zeigen alle Statistiken, dass langfristig nur ein Maß bestimmt, was für Gold zu zahlen ist: Die Menge an Geld, die zur Verfügung steht, um es zu kaufen.

Teure Klimazweifel: Je schlimmer, desto besser

Die Dekarbonisierung der Industrie in Deutschland ist keine Einbahnstraße.

Für Herbert Haase sind steigende Preise der wichtigste Knebel, um den Klimaschutz in allen Bereichen durchzusetzen. Zwar stöhnten die Bürgerinnen und Bürger oft und laut über zusätzliche Belastungen, nicht zuletzt die Energiekrise habe aber gezeigt, dass die Mehrheit bereit sei, jeden Preis zu bezahlen, der für Energie in Rechnung gestellt werde. Der Chef des Climate Watch Institutes (CWI) im sächsischen Grimma ist sich sicher, dass diese Bereitschaft steige, je nachdrücklicher die Einsicht hergestellt werde, dass jede Investition in Energiewende- und Energieausstieg sich spätestens in der nächsten oder übernächsten Generation rentiert.  

 
Deutschland war einmal Klimaweltmeister, ein leuchtendes Beispiel für den Rest der Welt, das mit EEG-Umlage, Atomausstieg und den höchsten Strompreisen aller Industriestaaten dafür sorgte, dass in nah und fern nachgedacht wurde, wie der Klimavorsprung der Deutschen eingeholt wereden könnte. Als Gründungschef des CWI ist Herbert Haase einer der visionären Vordenker der Transformation auf allen Ebenen, für dessen Erfolg er vor allem den verlässlich steigenden CO₂-Preis verantwortlich macht. 

"Je höher das Angebot, desto reizvoller die Ersparnis", sagt Haase über den nötigen Anreiz zur Bereitschaft, finanzielle Reserven zu mobilisieren, damit auch kommende Generationen noch eine lebenswerte Erde vorfinden. Der Staat als potentester Investor müsse dabei mit klarer Haltung voranschreiten und sein Kapital in Wasserstoffwirtschaft, kollektive Mobilität und eine Wirtschaft stekcen, die gute Jobs auch ohne Wachstum sichere. "ich glaube fest daran, dass Bürgerinnen und Bürgern dann mitziehen, ohne immer gleich danach zu fragen, was für sie herausspringt."

Herr Haase, die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit ist ein Ziel, das uns alle umtreibt, umtreiben muss. Zugleich herrschen wegen der Zumutungen, die das für viele mitz sich bringt, aber auch Ängste: Werde ich den CO₂-Ausstoß meines Hauses senken können? Werde ich das Geld haben, obwohl das eine der wichtigsten Aufgaben im Klimaschutz ist? Was wird, wenn mein gutbezahlter Job im Stahlwerk wegfällt, wenn ich kein Auto mehr, habe um zur Schicht zu kommen? Wieso sehen viele Menschen die anstehenden Aufgaben so negativ?

Haase: Unser CWI-Energiewendebarometer zeigt, dass noch nicht alle Blütenträume reifen, das ist richtig. Aber der Wunsch der Bürger, zur Energiewende beitragen zu dürfen, der ist nach wie vor riesig.  Rund 90 Prozent sagen uns, dass sie mitmachen wollen, auch wenn es etwas mehr kostet. Steigende Preise sind allerdings eine Voraussetzung dafür. 

Nur wer sich Dinge, die er nicht  braucht, nicht leisten kann, verzichtet verlässlich auf unnütze Anschaffungen. Wir haben das 2022 gesehen, als die Energiepreise richtig hoch waren. Das hat Millionen Haushalte motiviert, in neue Heizungen, Dämmung und niedrigere Raumtemperaturen zu investieren. Dafür wurde an anderer Stelle gespart, dort, wo Konsum ohnehin überwiegend Schaden anrichtet.

Aber ein Drittel der Haushalte sagt, sie hätten Probleme, sich die Energiewende leisten zu können. Was müssen wir tun, damit mehr Menschen richtig mitziehen?

Haase: Wenn wir das wüssten. Aber so einfach ist es nicht. Sehen Sie, sogenannte Balkonkraftwerke haben sich viele zugelegt, weil die billig sind und nach bestimmten Berechnungen etws einbringen. das ist aber eben wenig, gebündelt würde das Geld in Großanlagen viel mehr bringen. Aber das kommt der deutsche Knauser durch. Man orientiert sich an Freunden und Nachbarn, obwohl die wirtschaftlichen Aspekte zu vernachlässigen sind. 

Aber so lange für viele Nutzer Kosten­einsparungen der wichtigste Grund für Investitionen in den Energieausstieg sind und nicht der Klimawandel, hat der Staat als Treiber der Entwicklung kaum Möglichkeiten, Druck auf die Umsetzung zu machen. Und dann sind da noch die Kräfte, die Zweifel an der Rentabilität von Maßnahmen schüren. Gegen die müssenw ir klare Kante zeigen, ihre Berechnungen als subjektive Wahrnehmung enttarnen und dafür sorgen, dass Energiepreise weiter steigen. Das ist der sicherste Weg, Menschen zum Umstieg zu motivieren.

Aber wenn der Strompreis im Gleichschritt mit dem Gaspreis steigt, oder noch stärken, ist es dann nicht vergebene Liebesmüh, auf einen Umstiegseffekt zu hoffen?

Haase: Unsere Daten zeigen in der Tat, dass bei einer Mehryahl der Haushalte eine hohe Handlungsbereitschaft existiert, wenn die Preise drastisch steigen. Denken Sie nur an die yeit, als Hunderttausende auf Teelichöfen vertraut haben!  Ökonomisch ein einziger Unsinn, aber als die Haushalte einen hohen Kostendruck spürten, rechnete niemand mehr nach. Man nahm alles, was sich als Alternative anbot: Winzige Solaranlagen am Balkon, oft in unmöglichem Winkel aufgestellt. Windstromanlagen, Batterien aus dem Campingbereich.

Insbesondere auf dem Land, wo die Menschen in eigenen Häusern leben und mehr individuelle Möglichkeiten haben, etwas zu tun, wurde gehandelt. meist ohne Sinn und Verstand, aber man holte sich das Gefühl zurück, selbstbestimmt reagieren zu können. Wer erst einmal so weit ist, der schaut nicht mehr so genau, welche Anlagen oder Maßnahmen sich lohnen und welche nicht.

Die Politik, Medien, die Wissenschaft, alle werben nun schon seit vielen Jahren dafür, dass alles schneller gehen und wirksamer sein muss. Doch macht man einen Strich darunter, sehen wir, dass mit viel Aufwand wenig wirklicher Effekt erzielt wird. Was muss geschehen, damit sich der Wille, die Klimaziele zu erreichen, in gezieltes gesamtgesellschaftlcihes Handeln übersetzt?

Haase: Am Ende ist es eine Frage der Preise. Je höher, desto stärker entfaltet sich der Handlungsdruck. Aus wissenschaftlicher Sicht sind wir dann schnell beim CO₂-Preis, der nun zwar wieder schneller steigt und ungedämpft, weil die Einnahmen zum Glück nicht für ein kontraproduktives Klimageld ausgegeben werden. Aber das reicht eben noch nicht. 

Psychologisch gesehen ist ein allmählicher Ansteig kontraproduktiv. Er schockiert nicht, sondern lädt zur Gewöhnung ein. So lässt sich natürlich ekine Umgewöhnung oder Umerziehung ereeichen. Dieser kontinuierliche Anstieg ist schädlich für die Sache, denn die nötigen Anreize zur Beteiligung an der Energiewende gehen vollkommen verloren. Der effizienteste Weg, jeden Einzelnen zum Mitmachen  zu bewegen, ist ein schnell und deutlich steigender CO₂-Preis, der auf allen Ebenen eingezogen werden muss, damit nicht jeder für sich entscheiden muss, ob er mitmachen will.

Wenn Deutschland dabei aber allein voranschreitet, provoziert das sicherlich Ausweichbewegungen. Wie bekommen wir also die Welt dazu, dass überall ein global harmonisierter CO₂-Preis gezahlt werden muss?

Haase: Eine durchaus berechtigte Frage. Aus der sich ja aufgrund des unterschiedlichen Preisniveaus selbst schon hier bei uns in der EU die Frage ergibt, wie der Preis so harmonisiert werden kann, dass überall gleich hoch ist, aber zugleich unterschiedlich hoch, angepasst an das jeweilige Preisniveau. Da bedarf es noch zahlreicher Verhandlungen und Berechnungen und eines globalen Ausgleichsmechanismusses, fürchte ich.

Nach Prognosen des CWI werden in Zukunft Jahr für Jahr allein in Deutschland Investitionen in Höhe von hunderten von Milliarden Euro in Verkehr, Wohnungswirtschaft, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft erfolgen müssen, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Woher soll das Geld kommen?

Haase: Ja, diese Zahlen sind korrekt. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, auf die Zahlen zu schauen wie das Kaninchen auf die Schlange. Das wäre ein Fehler. Wir dürfen nicht in Angst vor diesen im ersten Moment sehr großen Summen erstarren. Bisher hat alles immer irgendwie geklappt und mit diesem grundvertrauen sollten wir an diese Dinge herangehen. Es nützt nichts, Ausreden zu suchen und Meidbewegungen zu trainieren. Das Ziel steht über allem, daran sollten wir glauben.

Sie tun das?

Haase: Auch nicht an jedem Tag. Am Ende des Tages bin ich Deutscher, gefangen in einem Grundskeptizismus, den ich auch nicht immer ablegen kann. In Deutschland neigen wir aber immer wieder und sehr gerne dazu zu sagen, dass das Glas allerhöchstens halb voll ist. Ich finde aber, wir brauchen ein Grundvertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten. Dieses Land hat zwei Weltkriege überstanden, wir haben es immer wieder aufgebaut. Jetzt ist viel weniger kaputt, wir haben noch viele Unternehmen, die weiterhin gut arbeiten, wir exportieren nach wie vor, mittlerweile sogar ganze Firmen. Nach allem, was wir abschätzen können, benötigen wir 5.000 Milliarden Euro, um das land klimaneutral umzubauen, aber aufgeteilt auf die kommenden 25 Jahres. Das ist dann gar nicht mehr so viel auch wenn man natürlich zugeben muss, dass die Preise bis dahin empfindlich steigen werden, wenn man nur die bisherige Entwicklung seit Einführung des Euro fortschreibt. Dann  sind wir bei 10.000 Milliarden, auch kein Pappenstiel, wie mna bei mir zu Hause in Sachsen sagen würde. Aber herunter­gebrochen auf die Jahresscheibe doch nur 250 Milliarden, also 3.000 Eur pro Einwohnender und Einwohnendem.Das hört sich doch schaffbar an. Bedenken Sie bitte: Das ist die Summe, die ein Durchschnittsraucher im Jahr für Zigaretten ausgibt.

Sie wollen den großen Zahlen den Schrecken nehmen, indem Sie sie kleinrechnen?

Haase: Richtig. Ich versuche, zu relativieren, um die Menschen mitzunehmen auf diesem Weg. Sehen Sie, der erwähnte Raucher bekommt das gesamte Paket kostenlos, wenn er von seinem Laster lässt! Der Autofahrer, der künftig auf einen privaten Pkw verzichtet, bekommt je nach Fahrleistung sogar noch Geld heraus. Wir müssen uns gegen eine Stimmung wehren, die alles schlecht redet, alles für unmöglich erklärt und der heutigen Generation nicht zutraut, den Gürtel auch mal so eng schnallen zu können wie das Urgroßeltern und Großeltern klaglos taten. 

Das hier ist doch nicht das Ende der Welt! Nur weil die Stimmung schlecht ist, leben wir doch nicht in schlechten Zeiten. Selbstverständlich sind der Niedergang der Industrie, die schwache Konjunktur und die Probleme mit dem Vertrauen in die Demokratie Faktoren, die uns Sorgen bereiten müssen. Aber Sorgen sind immer eine Triebfeder für die Entwicklung. Nur wer sie hat, erkennt, wo die Probleme liegen. Dann kann er, dann können wir dagegen angehen und auch das positive sehen.

Was wäre das denn?

Haase: Da gibt es viele kleine Details. So führt die Klimaerwärmung eben auch dazu, dass wir weniger heizen müssen, also weniger Kohlendioxid ausstoßen also weniger zur Klimaerwärmung beitragen. Die Abwanderung mancher Industriebetriebe vermindert den Fachkräftenagel, die Alterung der Gesellschaft vermindert die Jugendarbeitslosigkeit. Man muss nur sehen wollen, was es an positiven Auswirkungen der negativen Lage gibt. Zudem: Der Großteil der Investitionen für den Klimaschutz, rund 90 Prozent, muss ja nicht vom Einzelnen geleistet werden, sondern von der Industrie, den Immobilienbesitzern, dem Staat, den Kommunen, der Bundeswehr. Da muss der private Bürger gar keine Angst haben.

Was müssen die Bürgerinnen und Bürger tun?

Haase: Dem Land zutrauen, dass wir das schaffen. Wenn wir uns alle einschränken, etwas weniger tun, etwas weniger verbrauchen, dann können wir zur Jahrhundertmitte klimaneutral leben. Vielleicht nicht alle und vielleicht nicht immer, aber mit zusätzlichen Investitionen ist es dann nicht mehr weit bis dahin. Voraussetzung wäre aber eben, dass wir es schaffen, die Preise über den erwähnten CO₂-Preis hochzuziehen, so hoch, dass die Unsicherheit weicht, die Klimaschutz­investitionen jetzt noch hemmt, weil viel glauben, ganz so werde es ja dann wohl doch nicht kommen. Doch, wird es! Muss es!  Fehlende finanzielle Ressourcen sind keine Ausrede, sondern ein Ansporn.

Ist das auch ein Appell an die EU, nicht nachzulassen mit der Vorgabe von regeln und Zielen, wie das im Frühjahr beim Einknicken vor den Bauern geschah?

Haase: Mein Rat ist immer, hart zu bleiben, nicht nachzugeben und Kurs zu halten. Wir brauchen Handlungsdruck, der nicht allein aus dem Beschwören beständig steigender Temperaturen kommt. Da sind demokratische Regierungs- und Oppositionsparteien gleichermaßen gefordert. Sie haben die Aufgabe, den Druck hochzuhalten und die Gewissheit auszustraheln, dass wir die Lage in den Griff bekommen.

Aber dort scheint man ja seit dem Klimafondsurteil des Verfassungsgerichtes auch nicht mehr zu wissen, wie es gehen könnte?

Haase: Gegen dieses Bild anzugehen, so zutreffend es sein mag, muss vordringlichste Aufgabe unserer Medien sein. Sie müssen Zuversicht vermitteln, die Aussicht auf Steuer­erleich­terungen für klimatische Sanierung, nachhaltigen Wohnungsbau und umfassenden ÖPNV bis zur letzten Gießkanne nähren. Es kann sein, dass mit dem Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft die Erkenntnis kommt, dass das alles noch viel teurer wird als gedacht. Aber das muss man nicht zweifelnd breittreten, da kann man auch mal ein Auge zudrücken und auf staatliche Unterstützung, großzügige Förderprogramme und Erfolge wie die Windradindustrie verweisen, die dank der hohen Strompreise heute schon hochprofitabel für die Anlegerinnen ist. Mehr als 50 prozent des Strom sind heute schon erneuerbar!

Um den Energiebedarf kompett zu decken, müsste sich die erneuerbare Kapazität aber bis 2030 noch mal verzehnfachen, oder?

Haase: Das ist genau so eine Frage, auf der man nicht herumreiten sollte. Wir können doch auch mal das Positive sehen. Zehn Prozent des Gesamtenergiebedarfes aus Sonne und Wind zu decken, ist doch ein schöner Anfang, auch wenn wegen der Notwendigkeit des Baus der neuen Netze alles sehr, sehr teuer ist. Aller Anfang ist schwer und schwer wird es auch, unter diesen Bedingungen Deutschlands  Wohlstand zu sichern. Aber was spricht dagegen, dass in anderen Weltgegenden bestimmte Arbeiten erledigt werden, die hier nicht  mehr durchführbar sind? Studien zeigen, dass am Ende nichts fehlt, wenn es woanders hergestellt wird.

Sie glauben, dass Verzicht zum Klimakampf dazugehört?

Haase: Teilen, ich nenne es teilen. Die Dekarbonisierung der Industrie in Deutschland ist keine Einbahnstraße. Was hier an hohem Industrieanteil war, findet ein neues Zuhause anderswo, dafür bleibt unser Gewissen sauber. Der Umdenkungsprozes ist sicherlich eine Heraus­forderung. Aber es stellt sich die Frage: Welche Alternative haben wir denn? Das brauchen  wir schnellstmöglich eine Antwort und die muss aus meiner wissenschaftlichen Sicht nein lauten.

Was bliebt den Bürgerinnen und Bürgern hierzulande nach dem Ausstieg?

Haase: Vielledicht eine neue Leichtigkeit? Ein entspannteres Lebensgefühl? Produktionsstätten, die Besucher bestaunen werden, um sich davon zu überzeugen, dass es nicht nur den Weg der Entwicklung vom Agrarstaat zur Industriegesellschaft gibt, sondern auch einen Rückweg.


Samstag, 28. September 2024

Zitate zur Zeit: Schnee in der Luft

In Annapolis hielt er an einer Imbißstube an, um zu frühstücken. Er hörte zu, wie einige Stammgäste in einer Sitznische lautstark die Wetteraussichten kommentierten, und überflog gedankenlos die Washington Post. 

Weder in den Schlagzeilen noch in den letzten Meldungen der Zeitung fand er etwas, das ihn auch nur im geringsten interessiert hätte. Es ging immer um dasselbe: Unruhen im Nahen Osten, Unruhen in Nordirland; Skandale im Kongreß; die Aktienkurse stiegen und fielen; ein Ölteppich bedrohte das Leben im Meer; ein neues Heilmittel gegen Aids; Guerillakrieger brachten Bauern in Lateinamerika um; Chaos in Rußland. 

Seine Hose war ihm zu weit geworden, also aß er drei Eier mit Speck und Toast. In der Sitznische herrschte vage Übereinstimmung, daß noch mehr Schnee in der Luft lag. 

John Grisham, Das Testament, 1999

Wunderschöne Spargel: Die Ästhetik der Energielandschaften

Vögel sind begeistert vom Ausblick, Menschen aber erregen sich oft noch über Windkraftanlagen.

Puristen und Rechtspopulisten erregen sich, Autofahrer staunen, Fliegen und Mücken, aber auch Vögel und Fledermäuse zieht es wie magisch in ihre riesigen Rotoren. Windkraftanlagen sind für viele Ewiggestrige ein fürchterlicher Anblick, sie schimpfen über die "Verspargelung der Landschaft" und empören sich künstlich über Bauwerke, die nichts anderes sind als die Windmühlen der Moderne, Motoren des Fortschritts und eine metallgewordene Unabhängigkeitserklkärung des Menschen gegenüber der Natur.


Eine kultursensible Betrachtung von PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl
 

Prantl schaut Windrädern gern zu.
Nachts auf der Autobahn sind ihre tröstenden Leuchtzeichen überall. Rot, tot, rot, so blinkt es durch die Dunkelheit, wo immer sie stehen. Gewaltige Metallröhren mit Windmühlenflügeln am oberen Ende, die per Lampenlicht allen Fledermäusen, Vögeln, Bienen, Mücken und tieffliegenden Privatpersonen Bescheid geben darüber, dass der Mensch sich für unabhängig erklärt hat von den Ölvorräten, die ein gnädiger Gott einst für ihn vergraben hat. Und dass er stattdessen auf Erneuerbare setzt, Windmühlen, die für Fortschritt und Wohlstand und die höchsten Strompreise der Welt stehen.

Fortschrittsfeinde der Verspargelung

Dennoch regen sich viele über die "Verspargelung" der Landschaft auf. Nicht schön oder gar hässlich werden die kleinen Kraftwerke genannt, deren Nebenwirkung - neben einem gewissen Flirren in der Luft und dem berühmten Diskoeffekt - nur ihr Anblick ist, abgesehen von den Leitungen im Boden und den Wartungswegen in die Felder und den Trafos am Wegesrand. 
 
Sie werden bekämpft, obwohl sie nützlich sind. Sie werden gehasst, obwohl sie die Energieversorgung regionalisieren. Und sie werden behindert, obwohl sie sogar meditative Wirkungen zeitigen: Wer sich vor einen Windpark setzt und sich die Zeit nimmt, im Summen und Brummen der Rotoren fest auf den ewigen Kreislauf zu lauschen, der entspannt und entschleunigt innerlich.

Trotzdem sollen und müssen noch viele weitere Windkraftwerke entstehen, bis Deutschland gänzlich aus der Energie ausgestiegen ist, wie es die Bundesregierung beschlossen hat. In den nächsten Jahren sollen jährlich mindestens 10 GW Leistung zugebaut werden, bis zwei Prozent der Fläche des Landes mit Windkraftanlagenbedeckt sind. Die Anlagen werden zudem immer größer und gewaltiger, um den Wind auch dort einfangen zu können, wo des Menschen Kinderdrache nicht hinfliegt.

Musterschüler des Ökoumbaus

Deutschland galt sich selbst lange schon als der Musterschüler des Weltökoumbaus. Aber das hat nicht ausgereicht, um bis zum Jahr 2030 alle Treibhausgasemissionen wie geplant um 65 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Derzeit liegen die Werte bei unter 28 Prozent, und das auch nur, weil nach wie vor die riesigen Reduktionsmengen durch die Stilllegung der DDR-Industrie angerechnet werden, die Helmut Kohl damals dankenswerterweise in die Klimaabkommen hineinverhandelt hat. Ohne die sähe es ganz, ganz bitter aus. Und bis 2030 wird die Republik, wenn nichts Wunderbares passiert, wohl nur 32 Prozent schaffen.

Das ist ein trauriges Ergebnis, weil der Flächenverbrauch der Windenergie weit unter dem  Flächenverbrauch der beiden konkurrierenden nachhaltigen Technologien liegt. Ein 770 Quadratkilometer großes Areal voller Windkraftanalgen könne ein 1000-Megawatt-Atomkraftwerk problemlos ersetzen! 
 
Um den Stromverbrauch der USA komplett mit Windrotoren zu decken, ist damit gerademal eine Fläche von der Größe des Bundesstaates Texas notwendig. 780.000 Quadratkilometer voller Windkraftanlagen, denn die sind so effektiv, dass bereits 100 Quadratmeter einer mit Windkrafterzeugungsanlagen bebauten Fläche ausreichen, ein oder zwei Glühbirnen brennen zu lassen. Der Metropole New York City würde die Fläche des relativ kleinen US-Bundesstaates Connecticut vollkommen ausreichen, um ihren Energiebedarf komplett aus Windkraft zu bestreiten, zumindest, so lange der Wind weht.

Im Visier der Aufseher

Dennoch verweigern sich viele große Energiekonzerne dem Umstieg noch immer kategorisch. Die Ökoboykotteure rücken aber nun endlich ins Visier der Brüsseler Aufseher. Im Zuge der Vollendung des Friedenswerkes der europäischen Einigung laufen bei den EU-Behörden gegen alle EU-Länder außer Deutschland und Österreich, die wegen der Weitsicht und Weisheit ihrer Führer bereits eine EEG-Umlage von Bürgern und Wirtschaft kassieren, Verfahren wegen des Verdachts auf unzulässige Beihilfen. 
 
Die EU-Kommission, die ihre Energie nach wie vor aus den sieben belgischen Atommeilern  bezieht,  beanstandet, dass sämtliche Unternehmen, aber auch alle Bürger in 25 von 27 Mitgliedsstaaten der Union, von der Finanzierung des zukunftsträchtigen Ausbaus von Solar-, Wind- und Biomasse-Anlagen befreit sind. Die EU-Kommission hat dagegen ernste Bedenken. Es könne sein, dass der Wettbewerb dadurch verzerrt wird, heißt es in Brüssel, denn die Erde sei nur von späteren EU-Kommissionen geborgt, es verbiete sich, sie mit traditionellen Energien zu beheizen.

Im Zeichen der Zeit

Deutschland hat die Zeichen der Zeit erkannt. Europas Kernstaat produziert derzeit im Jahr noch rund 700 Millionen Tonnen Treibhausgase, trotz Rückbau in der Industrie und eingeschläfertem Wachstum. Das ist nicht einmal ein Siebtel dessen, was Indien in Kürze erreichen wird, aber viel zu viel zu wenig. Wenn die Welt gerettet werden will, dann müssen Politik und Gesellschaft hierzulande schneller als bislang geplant und kompletter als gedacht aus dem Energieverbrauch aussteigen. 
 
Alternativ könnte natürlich auch ein noch mal unterentwickeltes Land wie die DDR angegliedert werden. Anschließend könnte man dessen Industrie stilllegen und die Menschen dort mit den Produkten aus deutschen Fabriken versorgen, die sie heute schon gern kaufen.

Der vor Jahren im politischen Berlin unter der Hand einmal diskutiert Vorschlag, Tunesien als 17. Bundesland beitreten zu lassen und die dortigen Braunkohlekraftwerke dichtzumachen, böte einen schnellen und sauberen Ausweg. 

Das ginge, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, denn die derzeit dort noch produzierten 38 Milliarden Kilowatt würden die viel moderneren deutschen Braunkohlekraftwerken zusätzlich anbieten können, ohne dass deren  Kohlendioxidemissionen merklich steigen würden. Die sogenannte tunesische Senke sparte ungleich mehr als die deutschen Werke zusätzlich ausstoßen müssten.

Class-1-Target für Klimaschützer

Dieser Plan ist robust gerechnet, aber die Bundesregierung wie die EU rechnen mit Widerstand. Will Tunesien beitreten? Wer übernimmt die Stillegung dort, denn die Männer aus dem Westen, die das damals in der DDR erledigt haben, sind inzwischen vielleicht zu alt dazu? 

Wie wird die Lieferung nach Afrika erfolgen? Und kann der deutsche Steuerzahler genügend Geld aufbringen, um die Kassen der Jobcenter ausreichend aufzurüsten? Tunesien setzt derzeit zu 95 Prozent auf Kohle zur Energieversorgung, es ist ein Class-1-Target für jeden Klimaschützer. Doch mit dem Braunkohleausstieg dort müssten zusätzliche Arbeitslose versorgt werden.

Die Entwicklung ist allerdings auf längere Sicht alternativlos, denn grüne Energie ist der einzige Weg, aus Atom und Kohle auszusteigen, ohne weiter von den Fossilen abhängig zu bleiben. Nötig ist es deshalb, den Blick zu ändern, den der Mensch auf die Anlagen wirft: Von wegen "hässlich", von wegen "unschön", von wegen "verschandelnd". 
 
Windkraftanlagen sind nicht nur ein Beitrag zur regionalen Identität - Kinder im von der Entwicklung der Weltwirtschaft grausam zurückgelassenen dunkeldeutschen Ostdeutschland etwa erkennen ihre Heimat heute schon an den roten Blinklichtern, den surrenden Rädern und endlosen Landschaften aus Mühlen. Für sie, die die Welt nicht anders kennen,  verkörpern diese nimmermüden Mühlen auch eine neue Art von Schönheit.

Neue Art von Schönheit

Diese Botschaft zu verbreiten und diese neue Art des Sehens zu lernen, daran arbeitet der Arbeitskreis "Ästhetische Energielandschaften" im Netzwerk Baukultur Niedersachsen.

Das Hochaufragende, die wilde Streuselung entlang der Windeinfallsfluchten, all das müsse künftig als Chance gesehen werden, fordert AK-Sprecherin Gudrun Maler, die auf die kaum bekannte Funktion der vermeintlichen Energieerzeuger als Landschaftslüfter hinweist, die in Zeiten der Klimakatastrophe unerlässlich sind und immer mehr werden.

Schönheit liege im Auge des Betrachters, der Mensch sei in der Lage, seine Wahrnehmung der Anlagen zu ändern, schließlich sei es ihm auch gelungen, seine Sichtweise auf ein Phänomen wie das Auto mehrfach neu zu justieren.

 "Anfangs fand man das schrecklich, laut und hässlich, später wurde es zum Schönheitsideal und derzeit arbeiten alle daran, es wieder in ein Unheilssymbol zu verwandeln."

Gegen die Verspargelung

Ähnliches plant der Arbeitskreis für zwei Windparks, nur umgekehrt. Umweltschützern, denen der schnelle Ausbau der Windkraft nicht schnell genug geht, die aber gleichzeitig gegen neue Stromautobahnen und die fortschreitende Verspargelung wettern, soll der Wind aus den Segeln genommen werden. In Landschaften mit sanften Hügeln und vielen, teils kilometerlangen Bodenwellen wollen die Fachleute neue Windräder stellen, die himmelblau angemalt werden.

In Berglandschaften ist geplant, die nach einem Vorschlag aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) im politsichen Berlin nur noch als "Klimaschutzanlagen" bezeichneten Energieerzeuger in zwei Reihen parallel zu errichten und so den Eindruck von Ruhe und Ordnung und gezieltem Regierungshandeln zu erzeugen. 

Betonte Reliefs der Landschaft, Rettung für das Klima, weiträumige Absperrungen und Pfeifen an den Rotoren, die bei entsprechender Drehungen Goethes 5. Sinfonie spielen - auch das wären Maler zufolge Akzente, die gesetzt werden können, um mehr Menschen vom Wind zu begeistern.

Warum nicht unsichtbar

Einen anderen Ansatz verfolgt der Designer Hans Meyer aus dem ostdeutschen Eisenhüttenstadt Thierstein: Er wirbt für durchsichtige Windräder. In waldreichen Gegenden könnten aus Plastikverbundstoffen errichtete durchsichtige Räder in der Landschaft verschwimmen, bei offenem Himmel und weiten Flächen ließen sie den Blick frei auf die Weite der Region.

"Durchsichtigkeit verbindet Windrad und Landschaft auf harmonische Weise", sagt Meyer. Noch gibt es jedoch keine technologische Lösung, wie sich ein kompletter Windpark aus durchsichtigem Plastik errichten lasse, weil eine Verordnung des Bundes vorschreibt, dass alle Anlagen von mehr als hundert Metern Höhe in vierzig Metern Höhe einen roten Ring tragen müssen, der sichtbar sein muss, um Bienen, Vögel und Fledermäuse zu warnen.

Das schwere Erbe der Romantik

Warum werden Windräder überhaupt als störend empfunden? "Unser Verständnis von Landschaft ist durch die Romantik geprägt, unser Ideal sind vorindustrielle Bilder. Technik passt dort nicht hinein", erklärt Heinz-Max Angermann, Professor am Institut für Freiraumentwicklung der Uni in Saalfeld. Dabei werde ausgeblendet, dass sich das Landschaftsbild seit Jahrtausenden stetig geändert habe.  
 
Früher seien Burgen gebaut worden, später Straßen, schließlich Fabriken mit hohen Schloten und Neubaustädte aus Beton. "Landschaft ist immer ein Ausdruck ihrer Zeit. Deshalb müssen wir Veränderungen akzeptieren", sagt Angermann. Ob schön oder nicht - an den Anblick von Windparks werde man sich sowieso gewöhnen müssen. Die ranken, schlanken Türme, aus denen der Lebenssaft der Stromgesellschaft kommt, sie werden verweilen, denn, wie Goethe schon sang: Sie sind so schön.

Freitag, 27. September 2024

Aktivistin Alma: Tütchen spritzen, Klima schützen

Nur keine Kinder: Aktivistin Alma hat sich entschieden.

Sie ist Aktivistin von ganzem Herzen, unerschrocken und ohne Furcht, sich mit den Falschen anzulegen. Alma, die ihren Nachnamen wegen der Nachstellungen von Rechten, Behörden und der Polizei lieber nicht nennen will, hat in der Vergangenheit schon bei den Lützerath-Protesten mitgemacht, sie war bei G20-Gipfel dabei, hat sich an ÖPNV-Streiks beteiligt und einmal sogar an einem zweitägigen Hungerstreik.  

Mit inzwischen 28 Jahren zählt die gebürtige Offenbacherin, die seit fünf Jahren im ostdeutschen Dresden Klimamanagement studiert, zu den Veteranen der Bewegung. "Ich war bei Fridays for Future dabei, als noch niemand wusste, was das ist", sagt sie hörbar stolz. Auch bei Extinction Rebellion und Attac hat sie seinerzeit ihr Scherflein zum Widerstand beigetragen. 

"Wobei man ehrlich sein muss und zugeben sollte, dass das alles am Ende gar nichts gebracht hat." Immer noch sterbe die Natur unter den fossilen Reifen der Traktoren der industriell betriebenen Landwirtschaft, immer noch spucke die gigantische Tesla-Fabrik in Brandenburg Elektrofahrzeuge aus, die dann mit Kohlestrom angetrieben würden. "Eine Besserung sehe ich nicht", sagt Alma, "und das macht mich müde".

Über den Rechtsruck, die wohlstandsverliebte Mitte und die persönlichen Konsequenzen, die sie daraus gezogen hat, sprach PPQ-Mitarbeiterin Svenja Prantl bei einer Bionade mit Alma.

PPQ: Alma, wenn Sie sich an den Protest Hunderttausender Menschen gegen Rechtsextremismus erinnern, der Anfang des Jahres so viele Menschen begeistert hat, denken Sie da manchmal, wie viel hätten wir erreichen können, hätten unsere Ziele solche Menschenmassen mobilisiert?

Alma (verdeckt) bei einer Demo.

Alma: Genau. Sie haben recht, man müsste neidisch werden. Eine solche Breitenwirkung hat Fridays for Future nie erzielt. Selbst bei den Medien, die wirklich immer versucht haben, uns gut zu featuren und zu supporten, war das nie der Fall. Tatsächlich haben die, die jetzt noch weitermachen, ja auch deshalb entschieden, sich an diese Proteste gegen rechts dranzuhängen, auch an die Propalästinenserdemos. 

Ich bin nicht mehr involviert, ich höre nur von Freund*innen, dass schon ein bisschen Neid, aber auch ein wenig Verzweiflung herrscht. Es war ja aus Sicht unserer kurzlebigen Bewegung immer ganz, ganz wichtig, dass so viele Menschen auf die Straße gehen wie möglich, um den Eindruck zu erwecken, wir seien die Mehrheit. So lange die Medien dieses Wunschbild verbreiteten, haben wir es selbst nur zu gern geglaubt.

PPQ: Fünf Jahre ging das so, grob gesagt waren es zwei, drei Jahre, da schien Fridays for Future die Welt zu verändern, dann kam eine Phase, die würde ich jetzt mal als Elitisierung bezeichnen. Schließlich blieben die übrig, die jetzt noch aktiv sind, weil sie sich einen Posten, eine Karriere, irgendetwas in der Art versprechen. Sie waren seit 2017 an den Aktionen beteiligt. Wo sehen Sie sich da?

Alma: Mit dem Herzen bange ich nach wie vor bei. Sehen Sie, ich hatte schon eine Geschichte im Widerstand, seit ich bei Attac als Wandzeitungsredakteurin angefangen habe. Mit dem Wechsel in die neue Bewegung haben wir Ältere dann gesagt, lasst die Kleinen vorn laufen, die haben noch echte Angst um ihre Zukunft, das macht sich besser. Viele Kinder, die immer so schon gerufen haben ,wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut", sind dann erschreckend schnell älter geworden. 

Die hatten Freundinnen und Freunde, haben sich für andere Sachen interessiert und keine Zeit und keine Lust mehr gehabt. Auch Corona hat da viel zerstört. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren eine abflauende  Dynamiken der Proteste erlebt, selbst als die Letzte Generation dann eskaliert hat. 

Das war nicht mehr meine Geschichte, das ging mir auch oft zu schnell hin und her zwischen Essenretten und Kampagnen für den Kohleausstieg, für klimagerechte Konjunkturpakete und aktuell für gute Arbeitsbedingungen im ÖPNV gegen rechts. Man ist nicht alt, aber man fühlt sich irgendwann so. Ich bin weit älter als Greta (Thunberg, PPQ). Das sinkt das Energielevel.

PPQ: Nochmal: Wo stehen Sie heute?

Alma: Ich entwickele mich stetig weiter. Mein Ding ist inzwischen der individuelle Widerstand gegen die Verhältnisse, also das Private als politisch definieren, mit spontanen Aktionen und inhaltlicher Arbeit, indem ich zum Beispiel analysiere, warum wir diese anfängliche Wucht trotz der breiten Unterstützung der Medien nicht gegen eine Mehrheit durchsetzen konnten, die ja doch eher freundlich lächelnd zugeschaut hat und nie gegen das auf die Straße gegangen ist, was wir durchsetzen wollten. Das hat uns vielleicht zu siegesgewiss gemacht. Wir dachten, jetzt haben wir die Grünen in die Regierung protestiert, die machen den Rest.

PPQ: Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Was meinen Sie, wo der Kipppunkt war?

Alma: Bestimmt bei Heizungsgesetz, von dem Robert (Habeck, PPQ) ja schon gesagt hat, dass es zwar als Experiment angelegt war, aber dann leider schiefgegangen ist. Da haben wir die Wohnzimmer verloren. Von da an hat unsere Protestarbeit keine Wirkung gegen die Beharrungskräfte der Wohlstandsgesellschaft mehr gehabt. 

In Umfragen beteuerten immer noch vier von fünf Befragten, dass Klimaschutz ein zentrales Thema für sie sei. Aber zugleich hatten viele auch gerechnet, was es sie persönlich kosten würde und was sie alles nicht bezahlten können. Dagegen kommt man mit Forderungen, was die Leute alles tun und lassen müssen, einfach nicht an.

PPQ: Ich weiß, dass sie selbst dabei sind, andere Formen des Protests zu entwickeln. Können Sie erklären, worum es dabei geht?

Alma: Für mich ist klar, Ökologie und Verzicht gehören zusammen. Aber sozialer Protest auf der Straße kann nicht die Überzeugungsarbeit leisten, die das persönliche Beispiel liefert. Bei Fridays for Future wurde ja immer die Bigotterie bemängelt: Dass die bekannten Köpf*innen ein Leben in der Blase führen, hin- und herreisend zwischen Fernsehstudios, globalen Konferenzen und Preisverleihungen. Es stimmt natürlich, dass die sozialen Auswirkungen unserer Forderungen auf die Lebensbedingungen der Menschen uns sehr viel weniger bekümmert haben als Rechnungen dazu, wie viel CO2 welche harte Maßnahme spart und welcher Ausstieg woraus uns näher an die Erfüllung internationaler Klimaverträge bringt.

Meine Strategie ist nun nicht mehr, dass wir den Menschen das Auto wegnehmen, dass wir Fernreisen verbieten und Überkonsum unter Strafe stellen. Ich möchte als einzelne Aktivist*in wirken, indem ich Vorbild bin: Karg leben, regional essen, sich klimaneutral kleiden und beim Sex verhüten, damit wir als Gesellschaft nicht in eine Situation torkeln, in der noch mehr Menschen noch mehr Ressourcen verzehren.

PPQ: Auf einem Foto von einer Demo, die Sie am Rande der ansonsten wenig beachteten Bilderberg-Konferenz im Frühjahr veranstaltet haben, halten Sie ein Schild hoch, auf dem ,Ins Tütchen spritzen = Klima schützen' steht. Ist das nach allem, was Sie hatten erreichen wollen, nicht sehr klein gedacht?

Alma: Es ist das, was ich im Augenblick umsetzen kann, ohne Chemie, ohne Big Pharma, ohne eine große Bewegung hinter mir. Das ist mir wichtig, dieser selbstbestimmte Protest, der ganz konkret auf Sachen hinweist, die jeder umsetzen kann. 

Schamlose Tierliebe: Kuscheln mit den Klimakillern

15,7 Millionen Katzen leben in Deutschland, trotz harter Zeiten unter zumeist luxuriösen Umständen.

Sie halten sich alle Arten, in allen Größen. Hunde, Katzen, Mäuse, Hamster, sogar Enten und Kaninchen, dazu Gänse, Esel, Pferde, sogar Schlangen, Vögel, Spinnen und alles, was sich sonst noch in Käfige und Ställe sperren, in Aquarien pferchen oder auf eng abgezäunten Weiden halten lässt. Geht es um Haustiere, kennen die Deutschen von jeher keine Gnade. Was immer lebt und atmet, was immer ein Herz und eine Seele hat und sich nicht wehren kann - die Deutschen legen es sich zu, millionenfach.

Tierfreunde gegen das Klima

Nicht einmal die allgemeine Konsumflaute ändert etwas an der Vorliebe der Schonlängerhierlebenden für Lebewesen, als deren Besitzer sie sich fühlen dürfen. Obwohl Experten wie der  Migrationssoziologe und Klimabewegungsforscher Heiko Hassknecht, Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Hochschule Vividrina bereits seit Jahren vor den verheerenden Auswirkungen der privaten Haustierhaltung auf das globale Klima warnen, lassen Millionen nicht ab von ihrer verhängnisvollen Leidenschaft. Ganz im Gegenteil: Die selbsternannten "Tierfreunde" scheuen keine Kosten, wenn es um ihre kleinen Lieblinge mit dem großen CO₂-Fußabdruck geht.

Allein die in Deutschland privat gehaltenen Hunde erzeugen heute mehr CO2 als sämtliche Kraftwerke, die die deutsche Energiebranche bis heute stillgelegt hat. Dazu kommen Katzen, Mäuse, Pferde und unzählige andere Haustiere. Der Gesamtumsatz der deutschen Heimtierbranche stieg trotz der gedämpften Konsumstimmung und der offiziell als "Stagnation" bezeichneten Rezession zuletzt um mehr als neun Prozent. Erstmals ließen sich die deutschen Tierhalter den privaten Besitz anderer Lebewesen damit mehr als sieben Milliarden Euro kosten. Geld, das den Krankenkassen, dem Finanzminister, aber auch in der Bildung und für Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur fehlt.

Staat stellt die Weichen

Kritik an dieser falschen Weichenstellung, die der Staat durch teure Steuersubventionen fördert - so werden für Katzenfutter nur sieben Prozent Mehrwertsteuer fällig, für Babynahrung hingegen volle  Prozent - gibt es kaum. Stolz präsentieren der Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) und der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) die Deutschen als treue Kunden, die trotz Inflation "im Fachhandel nach Premiumprodukten fragen, um ihre Tiere zu ernähren und zu pflegen". Pfiffi und Hasso, Mimmi und Molly sollen es auch in Zeiten gut haben, in denen es immer mehr Menschen schlecht geht und jeder Fünfte arm oder von Armut oder von sozialer Ausgrenzung bedroht ist.

Vor allem die Nachfrage nach Katzenfutter legte im vergangenen Jahr mit plus 14,4 Prozent ganz außerordentlich zu. Aber auch sogenanntes Feuchtfutter und spezielle leckere Snacks für Hunde und Katzen verzeichneten zweistellige Zuwächse. 

Für die laut IVH und ZZF mittlerweile mehr als 34 Millionen Heimtiere, die in Deutschland ein Zuhause gefunden haben, gelten gewöhnlich Sparbeschlüsse in vielen Familien nicht. Nach dem Vorbild prominenter Halter wird inzwischen in etwa jedem zweiten Haushalt mindestens ein Tier als Statussymbol gehalten, mit dem nach außen sowohl "Tierliebe" als auch finanzielle Potenz demonstriert wird.

Lobby erstickt Diskussion

Trotz nachgewiesener Klimaschäden durch Haustiere, die allein für Deutschland bei 18 Millionen Tonnen CO2 und damit genau in Höhe der sogenannten Klimalücke zu den Pariser Zielen liegt, sorgen prominente Unterstützer, eine bis in den Bundestag aktive mächtige Lobby und die Haustierindustrie dafür, dass jeder Versuch einer Debatte über einer Hunde- oder gar Haustierbremse im Keim erstickt wird. Am beliebtesten sind nach wie vor Katzen. Insgesamt gibt es 15,7 Millionen. Danach folgen Hunde mit 10,5 Millionen, an dritter Stelle stehen Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster und Mäuse - mit insgesamt 4,6 Millionen.

Donnerstag, 26. September 2024

Doku Deutschland: Wie ich Islamist wurde

Das Bekenntnis zu Allah ist eines fürs Leben, die Suche nach dem wahren Glauben aber eine Aufgabe, die länger dauert.
 
Ich muss gestehen, dass ich sehr gerne tanze. Meine Frau dagegen hasst das. Das war der Grund, warum ich mich vor einigen Jahren eines Tages überwunden habe und mich in einen Kurs für orientalischen Tanz einschrieb. Sie verdrehen die Augen, jaja, im Volksmund wird das "Bauchtanz" genannt, ein Begriff, den wir Bauchtänzer*innen ablehnen. da schwingt immer dieses Vorurteil mit, dass junge Frauen vor alten Männern, also irgendwelchen Sultanen oder arabischen Prinzen mit ihren Hintern wackeln und dann womöglich noch mehr.

Sport für den Propheten

So ist das nicht. Orientalischer Tanz ist Sport, Sport für den ganzen Körper. Von außen mag vieles daran albern aussehen, aber ich identifizierte mich schon nach der ersten Stunde damit. Vielleicht hätte ich vorher viel lieber mit einem schicken jungen Girl einen Salsa- oder Tango-Kurs belegt. Aber danach nicht mehr.
 
Sehen Sie, beim Bauchtanz ist ideal, dass man keinen Partner braucht und dass er sich als sehr gut für meinen Jahre vorher bei jenem Unfall etwas aus den Fugen geratenen Rücken herausstellte. Ich habe immer still gelitten, Matratzen ausprobiert und wärmende Packungen, Massagen und Bandagen. Jetzt auf einmal löste sich die Verkrampfungen. 
 
Und entgegen meiner Vorurteile erwies sich das Ganze als weder anstößig noch peinlich. Wir waren einfach ein paar Typen zwischen 15 und 75 Jahren, die durch das Tanzen eine lockere, aber sehr viel kontrollierte Einstellung zu ihren nicht perfekten Körpern und ihre verkorksten Leben kriegten. Wir hatten viel Spaß, das kann ich ihnen sagen!

Einstiegsdroge Musik

In meinem Fall kam dazu: Die wunderbar exotische arabische Musik faszinierte mich von Anfang an. Mein iPhone war bald voll davon. Ich begann, mich für orientalisches Kunsthandwerk zu interessieren. Als Nächstes verwirklichte sich ein alter Traum von mir: Ich machte eine Reise nach Ägypten. Es war wunderbar. 
 
Die Gerüchte. Die Souks. Die Freundlichkeit der Menschen, die geradezu darum bettelten, dass ich in ihren kleinen Laden kommen soll. Und wie oft stellte sich schon nach einem kurzen Gespräch heraus, dass wir quasi Nachbarn sind: Fast jeder, den ich traf, hatte einen Onkel, Cousin oder Bruder hier in meiner Heimatstadt! Ich begriff, dass das kein Zufall sein konnte. Etwas rief nach mir, etwas verlangte nach meiner Aufmerksamkeit.
 
Natürlich konzentrierte sich die Reise anfangs auf die altägyptischen Sehenswürdigkeiten, aber wir waren auch ein paar Tage mitten in Kairo. Wir besuchten die Zitadelle hoch über der Stadt, mit der Ehrfurcht erweckenden Mohammed-Ali-Moschee. 
 
Mitreisende scherzten über den Anblick der sich verbeugenden und niederwerfenden Gläubigen. Ich aber war hingerissen. Allein schnüffelte ich durch die Stadt, vor einer kleinen Moschee zog ich die Schuhe aus und begab mich hinein. Niemand hinderte mich, es gab keine bösen Blicke. Ich fühlte mich willkommen geheißen!

Arabisch als Herzenssprache

Ein knappes Jahr später fing ich an, Arabisch zu lernen. Ich erklärte mir selber und anderen, es ginge es mir vor allem darum, mein Gehirn zu trainieren, und die Sudokus und Kreuzworträtsel seien mir schon lange verleidet. Ich hatte gelesen, dass es immer gut für die grauen Zellen sei, etwas ganz Neues zu lernen. Frühere Versuche mit Chinesisch und Russisch hatte ich bald abgebrochen, irgendwie kam ich nicht richtig rein, der Gedanke an Putin und die chinesischen Menschenrechte hinderte mich wohl daran, die Sprachen wirklich zu empfinden. 
 
Arabisch packte mich aber von Anfang an. Es war, ich verstand es augenblicklich, meine Herzenssprache. Ich lernte zunächst autodidaktisch, doch das war auf Dauer unbefriedigend. Also suchte und fand ich einen Online-Lehrer und buchte eine Probestunde. Ali Hassan war der Erste, der sich meldete. Und es funkte sofort zwischen uns. Er, der aus seiner afghanischen Heimat hatte fliehen müssen. Ich, der gern wegwollte aus seinem tristen Leben zwischen Bürojob und Bauchtanzkurs.

Ganz allmählich, anfangs spürte ich es gar nicht, geriet ich in einen Strudel, der mich packte. Ich lernte Arabisch, ich las die Suren, ich beschäftigte mich mit den Paradiesvorstellungen der Umma. Langsam begriff ich, welche Schönheit sich in den kalligrafischen Geschlingen versteckt, dass der Koran anstelle von Bildern nutzt, um die Gläubigen zu begeistern.
 

Mein Glaubensbekenntnis

 
Es ist wahr: Nach ungefähr einem Jahr sprach ich das Glaubensbekenntnis „Ash-Hadu Anla Elaha Illa-Allah Wa Ash-Hadu Anna Mohammadan Rasul-Allah“ aus. Es waren diese Worte, die mein ganzes Leben für immer verändert haben. Ich wurde Salafi! Der Weg bis dahin war eine große Zeit der Verwirrung und Konfusion, doch ich danke Allah und dem Propheten, gelobt sei er, dass ich sehr viel dazu gelernt habe, vor allem über die Unterdrückung und die Missachtung, die uns Muslimen entgegengebracht wird.

Ja, ich hörte natürlich auf zu rauchen, zu trinken und fernzusehen. Ich ging auch nicht mehr zur Arbeit und wurde stattdessen Mitglied unserer kleinen Gemeinde نحن الإيمان الحقيقي ("Wir sind der Wahre Glaube"). Aufgrund einiger Streitereien und Kämpfe mit Nazis von der CDU und der AfD musste ich zwei Monate in Untersuchungshaft. Dort gab es weder Bauchtanzkurse noch Koranunterricht. Mit fehlte beides. Danach war ich bald auf Bewährung und musste für meine begangenen Straftaten, die nichts weiter waren als die Verteidigung meines Glaubens, gemeinnützige Arbeit verrichten.
 

Bedrängt und missachtet


Ich fühlte mich, das wird jeder verstehen, bedrängt, missachtet und an den Rand der Gesellschaft geschoben. Mein Leben geriet außer Kontrolle. Ich lebte wie ein Tier und hörte niemandem zu. Nach einer Zeit trat ich aus meinem Gebetskreis beim Wahren Glauben aus. Niemand dort verstand mich mehr. Ich fürchtete die Konsequenzen meines Glaubens, doch es war nur eine Prüfung, die ich bestand. Ich begriff, wohin Allah mich leitet und ich hatte wieder die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen. Ich wollte den Schmerz loswerden. Ich wollte nicht töten, mich nur etwas abreagieren. Ich weinte jeden Tag, betete fünfmal und hasste das ganze Leben.

Ich schaute mit nun online Vorträge an, darunter auch "Warum sollte ich ein Muslim sein?" und "Welchen Zweck hat unser Leben?". Mein Wunsch, nicht umsonst gelebt zu haben, wurde Wirklichkeit. Jeden Tag lernte ich etwas Neues und verstand mehr vom Sinn des Lebens. Es ist wahr: Wir sind da, um unserem Schöpfer zu dienen. Wir befolgen Seine Gesetze und reinigen uns für das Leben im Jenseits. Ich schämte mich für mein Leben und für meine Vergangenheit.

Eines Tages bekam ich einen Anruf. Ich kochte gerade, aber ich ließ es anbrennen. Der Mann am Telefon sprach ernst mit mir. Er fragte, ob ich des wahren Glaubens sei. Ich sagte, ja, das bin ich, Allah ist mein Zeuge und Mohammed ist sein Prophet, gelobt seien beide. Nach stundenlanger Unterhaltung fragte er mich dann, ob ich bereit wäre, etwas zu tun, um die Gläubigen zu verteidigen. Ich sagte ja. Ich verspürte innerlichen Frieden und wahre Liebe.

Gepriesen seien ihre Namen

 
Hier können wir den Islam nicht mehr so praktizieren, wie Allah und Mohammed, gepriesen seien ihre Namen, es vorgeschrieben haben. Der westliche Rhythmus, er hat zu viel Arbeit, zu viel Stress. Manches Gebet fällt aus. Dafür studiere ich den Islam in meinen freien Stunden noch intensiver. Ich glaube an Allah, Seinen Gesandten, an die Engel, an den Tag des jüngsten Gerichts. Ich spüre, wie er zu mir spricht. Ich habe endlich Einsicht in den wahren Islam. Der Islam, der jeden glücklich und zufrieden macht. Ich fühlte mich viel besser als früher. Und je mehr ich lerne, desto überzeugter werde ich in meinem Glauben, den nichts mehr erschüttern kann. 
 
Menschen ändern sich nicht über Nacht. Es dauert eine Weile, bis man ein richtiger Muslim wird. Aber mit Allahs Hilfe geht es einfacher. Allahu Akbar!

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