Dirk Kurbjuweit, Der Spiegel, im Essay "Wohin mit dem Hass" |
Er ist genau das, was für gewöhnlich nicht auf Applaus hoffen darf. Tim Walz ist 60 Jahre alt, seit fast 20 Jahren Politiker, er ist weiß und wohlhabend und er entspricht damit genau dem Klischeebild, das Dirk Kurbjuweit vor acht Jahren im "Spiegel" malte, als er nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten auf ein "Epochenjahr" zurückschaute und den alten, weißem Mann als Feindbild beschrieb, der zum "Schurken unserer Zeit" geworden sei und nun bald regieren werde, "freudig gewählt von alten, weißen Männern".
Holterdiepolter ins Amt
Auf die zielt nun auch der Neue an der Seite der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, die Holterdiepolter zu ihrem Amt kam, seitdem aber als Glücksfall gilt. Nur wenige Stunden brauchte die frühere Staatsanwältin, um die deutschen Medien zu überzeugen. Nach zwei, drei Tagen stand auch der Rest der Partnernation hinter ihr. Bei einer Umfrage, wem die Deutschen ihre Stimme geben würden, dürften sie denn bei Präsidentschaftswahl in den USA im November mitreden, feierte die 59-Jährige einen Erdrutschsieg. 79 Prozent würden wählen, auf nur 13 Prozent dürfte Donald Trump hoffen.
Harris, allen Beschreibungen aus den letzten Tagen eine Art Sozialdemokratin, die als Vizepräsidentin Großes geleistet hat, sei damit ähnlich beliebt wie früher Bill Clinton und Barack Obama, vor allem Frauen fliegen auf sie.
Deutsche Stimmen für Harris
Aber auch alle Geschlechter übergreifend ist die zugleich als erste afroamerikanische als auch als erste asiatisch-amerikanische Kandidatin antretende Juristin genau das, was keine der deutschen Parteien in ihren Reihen hat: Harris begeistert 99 von 100 Grünenwählern, 92 Prozent aller SPD-Getreuen, 89 Prozent der Wähler der Union, 85 Prozent der wenigen, die noch FDP wählen, und mehr als die Hälfte aller, die zugeben, demnächst dem Bündnis Sahra Wagenknecht ihre Stimme geben zu wollen.
Hierzulande wäre damit alles entschieden. Doch in den USA scheint es schwerer zu werden. Zwar lassen die ersten Umfragen keinen Zweifel daran, dass Donald Trump gegen Kamala Harris ähnlich chancenlos ist wie seinerzeit gegen Hillary Clinton. Wichtig war deshalb, dass Harris sich bei Auswahl ihre running mate nicht vergreift: Der künftige Vize-Präsident soll die locken, denen Harris' bisher vorgestelltes Regierungsprogramm ein wenig zu dünn erscheint.
Der alte weiße Mann
Hier kommt nun der alte weiße Mann ins Spiel, Tim Walz, Anzugträger, Halbglatze, "Lehrer, Football-Trainer, Vater, Veteran, Jäger" (DPA), und damit unangreifbar für Vorwürfe wie den von Trumps running mate J.D. Vance auf Harris abgeschossenen, sie sei eine "kinderlose Katzen-Lady". Ist er nicht. Walz hat zwei Kinder, Walz hat militärische Auszeichnungen. Walz hat früher mal ein normales Berufsleben gehabt. Als Gouverneur von Minnesota fiel er nie auf, aber obwohl die Nationalgarde gegen die Proteste nach der Ermordung von Floyd George einsetzte, gilt er nun als "der nette Lehrer für ein besseres Amerika"
Es gehört in Deutschland zum guten Ton, bei der Bewertung von amerikanischen Politikern strikt nach parteipolitischen Vorlieben vorzugehen. Die Republikaner hatten - vielleicht abgesehen von George Bush sen. - seit Richard Nixon keinen Vertreter mehr im Weißen Haus, der Gnade vor den Augen der der hiesigen Juroren finden konnte. Die Demokraten dagegen haben seit Bill Clinton nie etwas falsch gemacht. Kamala Harris hätte vermutlich zum Vize ernennen können, wen sie will, jeder wäre ein Volltreffer ins Herz der deutschen Medien gewesen.
Es ist Liebe
Tim Walz empfängt vom ersten Moment an Liebe. Er ist der "Mann aus dem Mittleren Westen, dessen Biografie in starkem Kontrast" zu der von Harris steht. Er war bis vor kurzem "Jenseits von Minnesota noch ein Nobody", doch seit er Donald Trump "weird" genannt habe, führt um den tapferen Teufelskerl kein Weg mehr herum. Ihr "Rezept, um Trump zu schlagen" (Spiegel), brauchte genau noch diese Zutat: Einen alten weißen Mann, der "Wechselwähler gewinnen" soll, indem er Kamala Harris durch Kontrastierung noch ein bisschen mehr wie Obama aussehen lässt.
"Endlich ein Normalo", freut sich die Süddeutsche Zeitung, als sei Harris nicht normal. Eine "Rede wie eine Kabinenansprache" habe der Mann gleich zum Einstand gehalten, den die FAZ mit einem Terminus aus der Nazi-Ideologie "Kamala Harris’ Wunderwaffe" nennt. Bei der Wahl ihres Sekundanten beim Sturm auf das weiße Haus, scherzt der "Tages-Anzeiger", sei es Harris wohl auch darum gegangen, "mit wem sie sich am besten versteht". Und mit Walz habe sie "jedenfalls viel zu lachen".
Bodenständig ist vorgeschrieben
Alles an Walz ist schön. Ein Footballtrainer, der Mountain Dew trinkt, die verpönten "Waffen" besitzt und mit Republikanern zusammenarbeiten kann, die Verwendung des Begriffs "bodenständig" scheint vorgeschrieben zu sein, denn der "neu ernannte Vizekandidat" (Deutschlandfunk) ist eben ein "bodenständiger Gegenentwurf" zu Trump, der "zu egoistisch" für Dienst an den Amerikanern
ist. Von Taz bis FAZ sorgt der Versuch "mit links" (FAZ) für spürbare Erleichterung. Auch Harris scheine "glücklich mit ihrer Wahl des Vize-Kandidaten" (Taz), und das auch noch 48 Stunden nach seiner Kür. Nun muss nach dem "langgezogenen Zielsprint" nur noch der amerikanische Wähler folgen.
Die Meinungsvielfalt der Demokratiepresse ist wie immer beeindruckend.
AntwortenLöschenMan hatte ja gemunkelt, dass es Josh Shapiro 'macht'. Weil er Jude ist. Er macht es aber nun nicht, vermutlich weil er Jude ist.