Der klassische deutsche Talkshowaufbau: Ein halbes Dutzend oder mehr Funktionsträger beraten über das Schicksal der einfachen Leute. |
Sie sitzen da, wechseln gelegentlich das Studio, sind aber verlässlich vertreten, wenn es gilt, über das Schicksal der Nation zu entscheiden. Deutsche Talkshows gelten als Fernsehgerichte der Nation, was in den streng abgeschirmten Runden gesagt wird, bestimmt nicht nur die Schlagzeilen und die Diskussionen in den sozialen Netzwerken, es hat auch direkte Auswirkungen auf die Entscheidungen der jeweiligen Regierung.
Was im Ersten oder dem ehemaligen Zweiten gut ankommt, hat ausgezeichnete Chancen, Richtschnur des nächsten kurzfristigen Kurswechsels zu werden. Und wer gut aussieht auf der Fernseh-Couch, in der Tischrunde klug wirkt und seine kruden Thesen raffiniert verteidigt, darf auch wiederkommen.
Nicht mehr als 232 Personen
Immer wieder sogar. Nach Berechnungen des Medienforschers Hans Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung an Phänomenen wie dem Themensterben in den deutschen Medien, automatisierten Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität forscht, umfasst der Personalbestand des deutschen Talkshowwesens alles in allem nicht mehr als rund 232 Personen. "Das ist, was wir den harten TV-Kern nennen", sagt Achtelbuscher, der mit seiner vielbeachteten Definition der Aufregungseinheit "Emp" vor 13 Jahren Mediengeschichte schrieb.
Seitdem sei viel passiert, erklärt der Wissenschaftler, nicht aber im Talkshowbereich. Zwar hätten hier Gastgeber und Sendeplätze gewechselt, auch sei es zu einer relativen Erneuerung des talkenden Personenbestandes gekommen. "Geblieben aber ist der Grundsatz, dass im Fernsehen ausschließlich Menschen reden dürfen, die im Fernsehen reden dürfen."
In insgesamt von Achtelbuschers Forschungsgruppe untersuchten 723 politischen TV-Runden, in denen es um die Rettung der Demokratie, der Wirtschaft, der Menschheit vor der Pandemie und vor Krieg und Klima ging, seien insgesamt 2.631 Talkende vertreten gewesen, fasst der Forscher die Ergebnisse seiner Studie "Why normal people don't appear on television" zusammen. Unter ihnen waren 1.365 Politiker, 487 politikberatende Wissenschaftler*innen, 402 Vertreter*nnenden von sogenannten NGOs, 234 Wirtschaftskapitäne und 211 Gewerkschafter.
Menschen nur als Stichwortgeber
Natürlich seien hin und wieder auch ganz gewöhnliche Leute zu sehen gewesen, räumt Achtelbuscher ein. Allerdings nur in 21 Fällen als Diskussionsteilnehmer, in den übrigen 102 hingegen als Stichwortgeber, deren kurze Einwürfe - meist Berichte aus der umgebenden Realität - anschließend von den Fachleuten in den Sesseln zerredet worden seien. Diese Datenbasis habe ihn "schon erschreckt", erklärt Hans Achtelbuscher, dessen Anliegen es eigentlich gewesen war, nachzuweisen, dass die repräsentative Demokratie es jedem ermögliche, seine Meinung nicht nur zu sagen, sondern auch in prominenten Fernsehrunden.
"Im Nachgang müssen wir uns aber eingestehen, dass dem offenbar nicht so ist", räumt der Wissenschaftler ein. Auf Befragen hätten alle Sende deutlich gemacht, dass profunde Gründe gegen die Präsenz sogenannter normaler Bürgerinnen und Bürger in Livesendungen spreche: Viele hätten keine Bildschirmerfahrung, seien deshalb aufgeregt, bei anderen sei vorab kaum zu erahnen, was sie sagen werden.
Vorgeführte Bürger*innen
Als Achtelbuschers Team nachhakte und darauf verwies, dass in zahlreichen Rateshows Tausende einfacher Menschen vorgeführt würden, deren Bildschirmpräsenz teilweise kaum peinlicher sei als die mancher Profis, verwiesen Quellen im politischen Berlin darauf, dass gerade der Gemeinsinnfunk auch eine Schutzfunktion für Bürger habe, die sich selbst als mündig betrachten, womöglich aber gar nicht wüssten, worauf sie sich ein lassen. "Ein falsches Wort, ein missverständlicher Satz und es drohen Ächtung, Hass und Entlassung."
Von "Hart, aber fair" über "Miosga" bis "Lanz" sind deshalb nahezu durchweg Politiker zu Gast, angereichert mit Funktionsträgern aus den bunten Umgebungsbereichen der Politik. Schon das Auftauchen einer einzelnen werktätigen Person in einer Sendung - zumeist in dem Teil, in dem ein Gehilfe der Regie einer Hausfrau, einem Handwerker oder einem Armutsbedrohten ein Mikrophon vor die Nase hält - macht aus der gewohnten Schwatzrunde schon Sendung mit einer ungewöhnlichen Mischung.
Überraschungen vermeiden
Doch um Überraschungen inhaltlicher Art zu vermeiden, setzten die Sender auch in diesen spontan inszenierten Momenten auf strikte Vorauswahl, so Achtelbuscher. "Da wird akribisch geschaut, dass nicht irgendwer von der Straße vor die Kamera gerät." Gern wird beim Parteinachwuchs nach sogenannten Stimmen gegrast, auch Vorfeldorganisationen seien beliebt, dazu kämen auch bei den Öffentlich-Rechtlichen B-Prominente aus den Farmen der privatkapitalistischen Medienheuschrecken. "Am Eindruck, die Sender seien grundsätzlich rot-grün unterwandert und würden konservativen Kräften keine Stimme geben, lasse sich ja doch nichts ändern", habe man ihm im Vertrauen gesagt, so Achtelbuscher. "Also komme es auch nicht mehr darauf an, so zu tun."
In den Runden der Experten, zu denen auffallend viele Studienabbrecher, Schauspieler und Influencer zählen, sei so immer gewährleistet, dass Sympathien für Demonstrationen und andere Meinungsbekundungen des normalen Volkes nur gezeigt werden, wenn Aufmärsche, Proteste und Menschenketten sich für die richtigen Zwecke stark machten.
Gefürchtete Stimme des Volkes
"Die Stimme des Volkes kommt immer dann ganz kurz zu Wort, wenn sichergestellt werden kann, dass ihre Aussagen nicht Wasser auf die Mühlen der Falschen spülen", schildert Hans Achtelbuscher ein Grundprinzip des traditionellen deutschen Talkshowaufbaus. Für so total wichtig es gehalten werden, "dass alle laut sind und auf die Straße gehen", wie die Anfang des Jahres als "normaler Mensch" in einer ZDF-Talkshow besetzte Collien Ulmen-Fernandes gesagt hat, so wichtig sei es dass mögliche Demonstrationen den korrekten Zusammenhalt der Gesellschaft stärken und nicht an der falschen Stelle spalten.
Da bis heute niemand genau zu sagen wisse, wo Rechtsextremismus anfange und inwieweit auch ehemals als "konservativ" bezeichnete Glaubenssätze schon so "rechts" (Nancy Faeser) einzuordnen sind, dass ihnen keine Plattform gegeben werden darf, ist Vorsicht geboten. In Talkshows gehe es auch deswegen weniger um Inhalte als vielmehr darum, Botschaften zu vermeiden, die Zweifel verstärken oder wecken könnten . "Eine gut deutsche Talkshow soll wie auf Schienen ablaufen", beschreibt Hans Achtelbuscher, "bekannte Gäste, die bekannte Positionen vertreten und nicht über Grundsätzlichkeiten streiten". Das lasse sich nach Überzeugung aller TV-Sender am einfachsten erreichen, indem Talkshowrunden ähnlich eng divers besetzt werden wie die Primetime-Krimis aus der Degeto-Fabrik.
Konjunkturprogramme für den Frust
Um damit allerdings nicht ein zusätzliches Konjunkturprogramm für den Frust der Bürger zu befeuern, die eines Tages der Ansicht sein könnten, dass ihre Sichtweisen, Probleme und Auffassungen im Fernsehen genauso wenig vorkämen wie in den Verhandlungsrunden in den Hinterzimmern der Politik, gebe es das Bemühen, die Dramaturgie der sich endlos wiederholenden Sendungen so durchzutakten, dass die Gäste dem Drehbuch folgen, ohne dass es danach aussieht.
Die in homöopathischen Dosen auftauchenden echten Menschen ohne Partei- und Klassenauftrag könnten hier künftig deutlich demonstrativer eingebaut werden, empfiehlt Medienforscher Achtelbuscher. "Nur so werden die Sendenden dem Eindruck entgegentreten können, dass sie Angst davor haben, aus dieser Ecke einen vernünftigen Punkt zu hören."
OT
AntwortenLöschenBei Michael Klein gefunden:
Heimreisender on Juli 14, 2024 at 5:31 pm Antworten
Frage an den Inselbewohner: Hat sich denn schon David Aaronowitsch zu Wort gemeldet. Dieser Journalist (BBC, The Times) twitterte am 01.07.24, er würde sich an Stelle von Biden beeilen, Trump ermorden zu lassen, weil Trump eine Sicherheitsrisiko für die USA sei. (Nach massiver Kritik, versuchte Aaronowitsch diese Aussage als Satire zu vermarkten).
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Nach massiver Kritik - Na, er hätte auch noch etwas anderes versuchen können ...
Noch 'n OT
AntwortenLöschenBei EIKE:
Christian Loosli am 12. Juli 2024 um 21:14
Da gibts nur Eins, in andere Staaten umsiedeln, die das nicht mitmachen. Das könnte auch der heimliche Zweck sein. Die Staaten endtvölkern sich und dabei ereichen sie eine gute Carbonbillanz.
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Könnte am Jodmangel liegen. Wiederlich, einfach wiederlich (James Blond).