Donnerstag, 25. Juli 2024

Schuldenbremse: Initiative will Verbot wegen Verfassungsfeindlichkeit

Eine Petition soll die Bundespolitik zwingen, die Schuldenbremse vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig aburteilen zu lassen.

Sie waren alle dabei, lauter Figuren, denen heute häufig nachgesagt wird, sie hätten so ziemlich alles falschgemacht. Angela Merkel, die Kanzlerin, die Deutschland dem Kreml in die Arme geworfen hat. Sigmar Gabriel, der Kanzler werden wollte und zum Schluss ein Gnadenbrot als Außenminister serviert bekam.  

Andrea Nahles, auch eine SPD-Vorsitzende, die heute endversorgt Deutschlands Arbeitslose verwaltet. Dazu Wolfgang Schäuble, selbstverständlich, denn Schäuble war immer dabei. Wie Wolfgang Thierse (SPD), Dagmar Wöhrl (CDU) und Petra Weis (SPD), wie Frank-Walter Steinmeier, Brigitte Zypries, Peter Struck und Walter Riester.

Wankende Gestalten

Nachdem eine sogenannte Föderalismuskommission vorgeschlagen hatte, die Staatsverschuldung Deutschlands dauerhaft durch eine Schuldenbremse zu begrenzen, ging es schnell. Am 29. Mai 2009 hob eine Mehrheit im Deutschen Bundestag die Hände. Die Medienlandschaft jubelte über das neue, wichtige Instrument, das Staatsdefizit einzudämmen und irgendwann abzubauen.  Norbert Lammert, damals Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Volker Kauder, Ruprecht Polenz, der sein Glück später als Politfluencer fand, aber auch weitgehend unbekannt gebliebene Parlamentarier wie Kerstin Griese, Hans-Michael Goldmann und Kai Gehring hatten einen Pflock eingeschlagen: Künftigen Parlamenten war es nun versagt, eines der zentralen und edelsten Rechte auszuüben, das eine demokratisch gewählte Volksvertretung hat.

"Seit 2011, der Bundestag von 2009 hatte ja wohlweislich nicht sich, sondern erst nachfolgende Parlamente ab dem Jahr 2020 fesseln wollen, üben gewählte Abgeordnete das sogenannte Haushaltsrecht nur noch eingeschränkt aus", schimpft Ronald C. Gerber, einer der Mitinitatioren einer Petition, die auf eine Verfassungsklage gegen die Schuldenbremse zielt. 

Dass sich die "Klasse von 2009", wie Gerber sie abschätzig nennt, angemaßt habe, sämtlichen folgenden Parlamenten das Recht abzusprechen, nach bestem Wissen und Gewissen selbst über die staatliche Neuverschuldung zu entscheiden, ist für das aktive Mitglied in der AG Sozialdemokraten in der SPD (AGS)  schon damals ein Ärgernis gewesen. "Und heute sehen wir, wo uns das hingeführt hat."

Das aktuelle deutsche Finanzdesaster 

Die Verantwortlichen für das aktuelle deutsche Finanzdesaster säßen nahezu alle daheim im warmen Stüblein, händereibend angesichts der Tricks und Klimmzüge, die ihre Nachfolger vollführen müssen, um wenigstens so zu tun, als hätten sich die Verschuldung auf maximal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschränkt. 

"Der Rest steckt doch aber", sagt Gerber, "in diesen Schattenhaushalten, die sie jetzt Sondervermögen nennen." Nur mit Hilfe dieses Kunstbegriffes aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin gelinge es der Bundesregierung überhaupt noch, ganz normale Alltagsaufgaben des Staates wie den Unterhalt eines stehenden Heeres, Rentenzahlungen oder Investitionen privater Großkonzerne zu finanzieren.

Gemeinsam mit anderen Kritikern der Lage, darunter einige Kenner der Verfassung und Experten, die das Grundgesetz "beinahe auswendig kennen", wie Gerber lobt, hat der 52-Jährige eine Petition ins Internet gestellt, mit der er den "abscheulichen Plan" (Campact) der Schuldenbremser von 2009 durchkreuzen will. 

Da es sich  beim Haushaltsrecht um ein Grundrecht des Parlaments handele, das von niemandem eingeschränkt werden dürfe, sei eine Verfassungsänderung, die das anstrebe, von vornherein ungültig gewesen, so argumentieren sie. "Diese Regelung greift in die Autonomie der gewählten Volksvertreter ein und nimmt ihnen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden."

Fesseln für den Bund

Da Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet seien, nicht aber Haushaltsregeln, die von früheren Generationen von Abgeordneten aufgestellt worden sind, mangele es der Schuldenbremse an verfassungsgemäßer Eingriffstiefe. 

"Der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck und der baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger von der CDU haben sehenden Auges ein absolutes Neuverschuldungsverbot für die Länder angeregt und dem Bund Fesseln angelegt, die heute zu immer mehr zu einer ernsthaften Gefahr für unsere Demokratie werden", sagt er. 

Mit Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen gelten bereits drei Bundesländer als gesichert rechtsextrem, weil wegen ausbleibender Nachschulden Wohlstandsängste geschürt werden können. 

Die Schuldenbremse darf Deutschlands Zukunft nicht ausbremsen, sagt Gerber. Es brauche eine Reform, die einzuleiten die streitenden Parteien in Berlin offensichtlich nicht in der Lage seien. "Deshalb ist das Verfassungsgericht gefragt, überparteilich und durch die Besetzung der Richterstellen durch verschwiegene Verhandlungen im Hinterzimmer gesellschaftlich breit getragen", betont er.

 Es gehe nicht um Parteien, es gehe um unser Land. "Uns bricht wegen der Schuldenbremse eine langjährige und gut eingespielte Demokratie weg", fürchten Ronald C. Gerber und die anderen Mitglieder der AG Sozialdemokraten in der SPD.
 
Kaum mehr abzuwenden seien jetzt schon Regierungsbeteiligungen von Populisten. "Dem müssen wir zuvorkommen. Eine Möglichkeit sei es, den riesigen Investitionsstau in der deutschen Infrastruktur zu beseitigen. Das sei in den 30er Jahren schon einmal gelungen, auch damals habe man neue Schulden gemacht, etwa um Autobahnen zu bauen. 

Viele Ökonomen halten das auch jetzt für angebracht, darunter führende Köpfe wie der Spitzenökonom Marcel Fratzscher. Bei einem Geheimtreffen der AGS habe man deshalb Anfang des Jahres begonnen, ein Verbotsverfahren für die Schuldenbremse zu planen. "Sie ist ein Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und darf deshalb nicht unbeantwortet bleiben." 
 
Noch stehe die breite Öffentlichkeit den Feinden der Demokratie und ihren perfiden Spielen mit dem Grundgesetz nicht wehrlos gegenüber. "Das Grundgesetz sieht ausdrücklich vor, dass solche Regelungen geprüft werden können." 

Gerber sieht gute Chancen auf Erfolg – "und deswegen fordern wir: Schützen Sie unsere Demokratie, streichen Sie die engen Vorgaben für Schuldenausnahmen nur für Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen!" Die die Schuldenbremse sei eine Zukunftsbremse, die die  Aufrechterhaltung der Stabilität deutscher und europäischer Finanzen bedrohe."Es ist nun Zeit, mit diesem Spuk aufzuräumen."

4 Kommentare:

  1. Wenn wir die Schulden nicht machen, dann werden unsere Kinder und Kindeskinder sie machen. Also besser jetzt weg mit der Kohle.

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    1. Genau. Die Rotzlöffel würden das doch ohnehin nur für irgendwelchen Work-Life-Balance-Unfug verplempern, statt für die soziale Sicherheit von Großaktionären und abgehalfterten Politikern zu sorgen.

      Kleben sich auf die Straße, als ob sie nicht sowieso ihr Alter genau dort verbringen würden.

      Wer die junge Generation ernst nimmt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

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  2. Immer an Fratzschers Erkenntnisse denken:
    Die Schulden von heute sind der Wohlstand von morgen.

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  3. Das ist mal wieder ein Artikel, wo ich nicht weiß, Real oder Satiere. Bitte um Hilfe.

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