Die Zeiten sind schlecht, die Krisen groß. Von der Pandemie, der "größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" (Angela Merkel) ging es direkt in die Zeitenwende durch den Angriff Russlands auf die Ukraine. Der Nahe Osten brennt, die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft stockt, die rechte Gefahr ist so groß wie nie seit 1933. Doch wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch, und so ist es ein Glücksfall, dass Deutschland ausgerechneten in diesen Tagen der Bewährung mit einem Führungspersonal aufwarten kann, das jeder Herausforderung gewachsen scheint. Der alte Satz von Joseph Stalin, er bewahrheitet sich einmal mehr.
Das beste Personal
Kader entscheiden alles, nicht die Lage ist schlecht, sondern allenfalls das Krisenmanagement. Gerade zeigte sich das, als Bundesklimawirtschaftsminister Robert Habeck in China weilte, mitten in einer angespannten Situation rund um den Streit wegen der überbordenden chinesischen Elektro-Subventionen.
Doch was niemand für möglich gehalten hatte, der die Absage eines Treffens des deutschen Vizekanzlers mit dem chinesischen Ministerpräsidenten falsch deutete, wurde wahr. Die Chinesen hatten sich offensichtlich nur nicht getraut, Habeck zu empfangen, weil sie die konsequenten Ansagen des Deutschen fürchteten. Habeck wendete einen Handelskrieg ab, er setzte Verhandlungen zwischen der scheidenden EU-Kommission und Peking durch.
Ein meisterhaftes Manöver
Ein meisterhaftes Manöver, aber nicht das einzige. Auch Habecks grüne Ministerinnenkollegin Annalena Baerbock wartet immer wieder mit diplomatischen Finessen auf, die Freund wie Feind überraschen. Immer wieder warnt sie Israel, immer wieder befriedet sie die Situation im umkämpften Gaza-Streifen. Als "Königin der Kurzstreckenflüge" genießt sie weltweit einen Ruf wie Donnerhall, nur noch übertroffen vom Kabinettkollegen Karl Lauterbach, dem "Kaiser der Selfies", und dem Rest der einer Regierungsmannschaft, aus der selbst der Kanzler kaum mehr herausragt.
Olaf Scholz, ein ruhig amtierender Sozialdemokrat, der so gar nicht seinem SPD-Vorgänger Gerhard Schröder nachkommt, kann dies tun und das lassen, gleichzeitig aber auch das ganze Gegenteil wollen und bewirken. Die Menge der Chefsachen, die er persönlich auf den richtigen Weg bringt, könnte ein gewöhnlicher Mensch sich schon merken. Er arbeitet sie beflissen ab, ohne nach der Verkündung, dies und das sei nun Chefsache, jemals wieder darüber zu reden.
Richtige Zeit, richtiger Ort
Alle sind sie genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ein geschichtlicher Zufall, der sich auszahlt. Allein die Vorstellung, Vertreter früherer Generationen von Spitzenpolitikern wären heute noch in Amt und Würden und damit gezwungen, die aktuellen Brandherde zu löschen, ist erschreckend. Hans-Dietrich Genscher etwa, der ewige Außenminister. Er hatte es sich angewöhnt, bei seinen zahllosen Flügen um die Welt kaum je herumzupoltern. Still und leise bearbeitete er sein Gesprächspartner, selbst mit dem Teufel am Tisch war seine Kelle lang, seine Langmut aber noch länger.
Dieser Genscher, ein geborener Ostdeutscher, hätte den Feinden der Freiheit zweifellos Dinge durchgehen lassen, die nicht zu dulden sind, nur um Schlimmeres zu verhüten. Kaum jemals fuhr er klare Kante. Eine nur verbalen Distanzierung von der rassistischen Politik Südafrikas etwa musste lange reichen, anderenorts verbarg er die Hilflosigkeit der Bonner Politik hinter "wolkigen Formeln" (Der Spiegel), um nur ja niemandem wehzutun.
Windelweiche Diplomaten
Für Helmut Kohl, zeitweise sein Kanzler und Koalitionspartner, gilt Ähnliches. Der Ludwigshafener handelte die Deutsche Einheit bei Waldspaziergängen mit einem Kommunisten aus, der eben noch einen völkerrechtswidrigen Krieg in einem Nachbarland geführt hatte, seiner Bevölkerung die elementarsten Bürger- und Freiheitsrechte vorenthielt und sich weigerte, von der Sowjetarmee geraubte Kunstwerke an die rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.
Windelweich gab sich der Christdemokrat, und dem Diktator noch Millionen als Zugabe für die völkerrechtlich völlig unnötige Einwilligung des Sowjet-Diktators, dass sich die Deutschen in Ost und West zu einem einzigen Land wiedervereinigen dürfen.
Blick in den Rückspiegel
Erst der Blick in den Rückspiegel zeigt, wie wichtig es ist, dass heute ganz andere Kaliber im Bundeskabinett sitzen. Wie wohl hätte sich Deutschland angesichts der russischen Bedrohung gewappnet, wenn Manfred Wörner, Hans Apel oder Gerhard Stoltenberg auf der Hardthöhe befehligten? Wie wäre es um den Staatshaushalt bestellt, würden Hans Eichel, Wolfgang Schäuble oder Theo Waigel die öffentlichen Kassen hüten?
Selbst bei der Liste der deutschen Umwelt-, Innen- und Wirtschaftsminister, die - hätte es das Schicksal gewollt - heute amtieren könnten, wird sofort klar, wie viel fürchterlicher die Lage wäre, hätten nicht ein gütiger Gott und die harten Ausleseprozesse in den demokratischen Parteien dafür gesorgt, dass heute bei Klima, Wirtschaft, Verteidigung und innerer Sicherheit Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Deutsche Tradition
Dass so viele so herausragende Frauen und Männer in einem einzigen Bundeskabinett beisammen sitzen, ist selbst nach der Ära Merkel überaus erstaunlich. Auch die Altkanzlerin wurde stets für ihren sicheren Instinkt in Personalfragen gerühmt. Alle ihre vielen, vielen Regierungsmannschaften zeichneten sich dadurch aus, dass an jedem Platz der beste verfügbare Mann oder die beste verfügbare Frau saß.
Dadurch konnte Deutschland nicht nur besser als alle anderen Länder durch die Pandemie steuern. Sondern es verfügt heute auch über mehr Wohlstand, eine moderne Infrastruktur, sicherereste Renten, ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem, eine vielfältige und kritische Medienlandschaft, die sich nichts vormachen lässt, und eine Armee, in der Tradition aller deutschen Heere jeden Gegner ohne einen Schuss abzuschrecken weiß.
Ein Kollektiv mit Wirkung
Die Frauen und Männer, die Olaf Scholz um sich versammelt hat, bewirken sogar noch ungleich mehr. Zuletzt befreite Annalena Baerbock den von den USA seit 15 Jahren verfolgten Aktivisten Julian Assange aus der Haft.
Robert Habeck machte in Peking reinen Tisch und stutzte die globalen Ambitionen der kommunistischen Diktatur auf ein paar traurige Stummel zurecht. Deutschlands erster Sturm ist heute problemlos in der Lage, Israel gute Tipps wie "Isolation ist der Tod der Freiheit" zu geben, sich zugleich aber für neue, umfassende und harte eigene Abschottungsmaßnahmen zu losen.
Diese einzigartige Truppe aus Denkern und Lenkern kann den Beschluss über einen Haushalt verschieben und trotzdem am Termin festhalten, sie kann zu Julian Assange in ein tiefes Schweigen verfallen sein und ihn dann doch selbst befreit haben, und die zahl der endgültigen gemeinsamen europäischen Flüchtlingslösungen, die sie verhandelt hat, ist weitaus größer als die Zahl der Sterne am Himmel.
Immer nur bockbeiniger
Was fehlt, ist der wertschätzende Zuspruch einer Bevölkerung, die sich nur umso bockbeiniger gibt, je größer die Erfolge einer Regierung sind, der nicht nur bei jeder Wahl in letzter Zeit die Mehrheiten abhandengekommen sind, sondern mittlerweile offenbar sogar 1,4 Millionen betreuungsbedüftige Mitbürger. Medien weigern sich inzwischen, die Fortschritte der Fortschrittskoalition anzuerkennen. Katatonisch fast nimmt die Zivilgesellschaft Remigrationspläne, den Rückbau der Kliniklandschaft, irrlichternde Schönheitsoperationen an kaum beschlossenen Gesetzen und die Reform gerade erst beschlossener Reformen hin.
Der Respekt, den sich die Spitzen der aktuellen Koalition erarbeitet haben, trägt alles wie auf einer leichten Schulter. Wo frühere Politikergenerationen aus alten, weißen Anzugmännern wie Kohl, Genscher, Fischer oder Scharping gedrückt von der Last ihres Amtes gingen, wo Schäuble, Lafontaine, Adenauer, Schmidt, Brandt oder Strauß manchmal wirkten, als seien sie sich der Größe der übernommenen Aufgabe gewiss, tanzen ihre Nachfolger wie schwebend durch die sie umgebende Wirklichkeit. Die Hemdkragen offen und immer einen professionellen Licht- nebst Maskenbildner an der Seite, ist ihnen die Weltbühne gerade gut genug, die eigene historische Bedeutung aufzuführen.
Großer Glücksfall
Für Deutschland und die Deutschen, in welcher Zahl auch immer sie nun wirklich noch vorhanden sind, ist das ein außerordentlicher historischer Glücksfall. Regiert zu werden von Menschen, die man persönlich nicht kennt und denen man allenfalls so weit über den Weg traut, wie Klara Geywitz ihren Kabinettskollegen Hubertus Heil werfen könnte, ist nie einfach. Doch zu wissen, dass da Leute sind, die glauben, ihr Handwerk zu verstehen, ist beruhigend.
Stoltenberg führt ja noch die Nato. Es scheint da ein Nest zu geben, im Norden. Wahrscheinlich
AntwortenLöschenist es eine alte Wikingersippe.
"Windelweich gab sich der Christdemokrat, und dem Diktator noch Millionen als Zugabe für die völkerrechtlich völlig unnötige Einwilligung..."
AntwortenLöschenEs ging sicher nicht um die Wiedervereinigung an sich, auch wenn da die sowjetische Besatzungsmacht ein verzögernder Faktor gewesen wäre.
Es ging vorrangig um Geschwindigkeit: die Wiedervereinigung musste vor der nächsten Bundestagswahl stattfinden, die für Kohl im Westen demoskopisch bereits als verloren betrachtet worden war.