Donnerstag, 6. Juni 2024

Umfragen wie festgefroren: Kriechende Gletscher

Seit einem Jahr schon tut sich so gut wie nichts an der Umfragefront. Ersatzhalber behaupten Medien und Parteizentralen Trends und Bewegungen.

Die AfD rutscht wiedermal ab in der Wählergunst, die SPD schiebt sich auf Platz 2, andere Parteien bleiben stabil auf ihren Positionen: Ganz vorn die CDU, eine recht schwache stärkste Kraft, die von einer unbeliebten Regierungskoalition so wenig profitieren kann wie von deren ungeliebten Kanzler. Nichts bewegt sich wirklich, schon seit mehr als einem Jahr zeigen Umfragen dasselbe Bild.  

Immer dieselben Bilder

Die CDU bei 30, dahinter gleich die in Teilen gesichert Rechtsextremen und dann die in Teilen gesichert Kremltreuen. Gefolgt von den Grünen, deren Anhang in Treue fest steht. Dann die FDP an der Fünfprozentschwelle, aber immer knapp drüber, die Linke dafür drunter und die Wagenknecht-Partei sicher drin. Seit die ehemalige DDR-SED eine weitere Häutung durchgeführt und sich in guter linker Tradition gespalten hat, konnte sie wirklich zulegen. 

Während die alte "Linke"sich anschickt, endgültig und für immer in den Balken der sonstigen Parteien zu wechseln, jenen Friedhof begrabener Machthoffnungen, zieht die Partei Sahra Wagenknechts Romantiker an: Mit dem guten alten Kommunismus im Kleingedruckten holt sie in den Telefonumfragen 7,5 Prozent. Die gesamte SED/PDS/WASG/Linke/Wagenknechtpartei kommt damit auf zweistellige Werte. Das hatte die Linkspartei allein zuletzt 2020 geschafft.

Davon abgesehen aber geht seit Monaten schon nichts mehr in den Umfragen. Während die wichtigste Schicksalswahl aller Zeiten ansteht, mit Richtungsentscheidungen über die Terminierung des Weltuntergangs, den Wohlstand, Privateigentum und Krieg wie Frieden sowieso, zeigen die Daten der Demoskopen die Lager der Parteien als kriechende Gletscher. Die eingebaute Fehlertoleranz in den Ergebnissen ersetzt den Rest an Bewegung in der Sonntagsfrage. 

Interpretation von Bewegungsunschärfen

Die Ergebnisse des Instituts Insa bestehen medial aus reiner Interpretation der Beobachtungsunschärfen, die des Konkurrenten Forsa erfahren das gleiche Schicksal. Die AfD verliert ein halbes Prozent, ein Wert, der so klein ist, dass kein demoskopisches Wichten und Werten ihn vom Zucken der Zahlen innerhalb der Schwankungsbreite der ganz gewöhnlichen Fehlertoleranz unterscheiden kann. Die liegt in diesem Zahlenbereich bei plus zwei bis minus zwei Prozent um den angegebenen Wert: Die AfD könnte derzeit also wirklich auf 15,5 Prozent der Wählerstimmen kommen. Oder auf 17,5. Oder nur auch 13,5. Ebenso wie die SPD, die bei Forsa auf 17 Prozent taxiert wird, die jedoch auch 15 sein könnten. Oder 19.

Wer solchen Zahlenzauber glaubt, muss in einem großen parteieigenen Medienhaus arbeiten, in einer Parteizentrale oder bei einer der Agenturen, die für die Parteien Wahlkampf machen. Wer aus solchem Schamanentee Zeichen und Wunder liest, macht seine eigene Wahlentscheidung sicherlich von den vielversprechenden Sprüchen auf den Wahlplakaten oder den Kanzlervideos auf der chinesischen Spionageplattform TikTok abhängig. 

Das "Abrutschen" der AfD, der Aufschwung der SPD, die Verschiebungen in der "Wählergunst" (DPA) und das Gerangel um Platz 2, sie sind überwiegend Imagination und Annahme. Ebenso wie die FDP, die ähnlich wie die Grünen machen kann, was sie will, aber trotz einer Fehlertoleranz von mehr als einem Prozent nach oben und unten immer bei 5 Prozent landet.  Das muss, weil Umfragen sich selbst zuschreiben, Trends zu verstärken: Wer sieht, dass keiner mehr die Liberalen wählt, tut es auch nicht mehr. Wer feststellt, dass die in Teilen gesichert Rechtsextremen nun aber gar nicht beliebt sind, entzieht ihnen seinen Zuspruch. Wie der mit einem Mal beliebte Kanzler gehört das Spiel mit der Interpretation der immergleichen angeblichen Umfragezahlen selbst zum Wahlkampf.

Selbstgemalte Stimmungsbilder

Demoskopen zeigen nicht, wie das Stimmungsbild ist. Sie zeigen, wie es wäre, ginge es nach ihnen. Mag ein Trend auch nicht zu sehen sein, so wird er doch behauptet. Nur die Institute selbst wissen, wie viel von ihren "Ergebnissen" sich erfragten Fakten verdankt und wie viel durch Mixen, Gewichten und Panaschieren aus Umfragedifferenzwertanalysen, Wettervorhersage und historischen Mindestschwankungsbreiten hinzugefügt wurde. Hauptsache Nachrichtenwert, und liegt er auch bei Null. Noch ein Tässchen Schamanentee, noch ein gewichteter Fantasiewert. Wenn schon kein Wahlkampf wie früher stattfindet, dann lassen es die Umfrageinstitute wenigstens so aussehen, als würden bei der EU-Wahl Alternativen zur Abstimmung stehen.

3 Kommentare:

  1. Gesichert AntigrünJuni 06, 2024

    Wahlumfragen gehören nun mal zum Wahlkampf dazu. Der Wähler muß ja schließlich wissen, wen er zu wählen hat.

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  2. "Alles ist eitel, nur nicht ein voller Bauch" - Primo Levi - "Der Freund des Menschen"

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  3. Es gibt einfach zu wenig Plakate.

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