Freitag, 14. Juni 2024

Gefährliche Fahnen: Schwarz-rot-goldener Regenbogen

Die Zeiten, in denen Aktivisten engagiert versuchten, die Zivilgesellschaft von einem Rückfall in atavistischen Nationalismus abzuhalten, sind vorüber.

Es wird nicht bei der großen Binde am Arm der mutigen Bundesinnenministerin bleiben, nein. Gegen viele Widerstände hat das nationale Organisationskomitee der Fußball-Europameisterschaft auch durchgesetzt, dass das Münchner Stadion wenigstens während der großen nationalen Feiern zum Christopher-Street-Day in den traditionellen Regenbogenfarben beleuchtet werden darf.  

Abkehr von Menschenrechtsarbeit

Eigentlich verbietet das die Uefa, jener Altherrenklub aus der Schweiz, der nicht weniger eifersüchtig als der Fußballweltverband Fifa darüber wacht, sein edles Produkt nicht mit Botschaften aufzuladen, die in den noch weniger aufgeklärten Ländern des globalen Südens, in den Reichen der Blutprinzen und auch in traditionsverhafteten Südamerika für Unsicherheit sorgen könnten. Doch uneigentlich vermeiden Medien und Politik, Zivilgesellschaft und Fanorganisationen im Moment der Entscheidung darüber, was Fußball sein soll, tunlichst jeden Versuch, Zeichen zu setzen, das große Heimturnier symbolisch aufzuladen und für Menschenrechte, Klimaschutz und die Schaffung weltweiter Gerechtigkeit zu instrumentalisieren. 

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl ordnet das nationalistische Getöse rund um die heute beginnende Fußball-Europameisterschaft ein.

Svenja Prantl ist enttäuscht.
So viel wäre möglich gewesen auf heimischem Boden. Statt zahmer Beleuchtung eines EM-Stadions mit den Farben des Fortschritts hätte Deutschland als Veranstalter sehr wohl Zeit, Geld und Ressourcen gehabt, alle Spielstätten entsprechend anzustreichen. Es hätten Millionen Regenbogenfähnchen in China bestellt werden können, um sie an die Zuschauer auszugeben, die dann aus jeder Arena ein deutliches Zeichen in die Welt gesendet hätten: Wir hier in Deutschland, wir sind divers, fortschrittlich und bunt! Nicht zuletzt hätte eine solche Benutzung des drittgrößten Sportereignisses der Welt beweisen können, dass Sport keineswegs unpolitisch ist - niemand hätte Deutschland zwingen können, undemokratische Staaten auszuschließen. Keine Macht der Welt könnte Europas stärkste moralische Instanz zwingen, Orban-Ungarn, das von einer Postfaschistin geführte Italien, die Türkei, die einen Teil des EU-Staatsgebietes völkerrechtswidrig besetzt hält, oder auch die von der EU nicht ohne Grund seit Jahren mit Sanktionen belegte Schweiz und das erst kürzlich von Russland eroberte Georgien mitspielen zu lassen.

Stillgelegte Signalfabrik

Statt klare Kante zu zeigen, kommt: Nichts. Bei ihrem Heimspiel bescheidet sich die Signalfabrik der Weltgemeinschaft mit einem winzigen, kaum sichtbaren Zeichen aus München. Zwar finden in der bayrischen Hauptstadt sechs EM-Spiele statt, zwei mehr als im gesamten Fußballosten, der damit für sein ständiges Jammern über sein Abgehängtsein entschädigt wird. Kann aber ein wenig buntes Licht den Schaden wiedergutmachen, den der Eindruck anrichtet, Deutschland habe sich verabschiedet von seiner Mission, der Menschheit ein leuchtendes Beispiel zu geben? Verabschiedet von Regenbogenbinde, One Love, Moralexport, dem Kampf um eine Vielzahl an Geschlechtern und weitreichenden Erziehungsangeboten für wilde, ihren alten, überlebten traditionellen Lebensweisen verhaftete Völker.

Es ist falsch verstandene Toleranz, die da gelebt wird. Aus Angst vor den rüden Sitten und archaischen Fangebräuchen, die sich vor allem in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg erhalten haben, scheinen Organisationskomitee und Bundespolitik bereit, den problematischen turn zu totzuschweigen, der überall zu sehen ist. Der DFB hat aus seiner "Mannschaft" wieder eine "Nationalmannschaft" gemacht. Die SPD verzierte ihre Plakate mit den sogenannten "Deutschlandfarben". Die Union lobte ihre "Spitzenkandidatin" zur EU-Wahl, weil sie die Gewähr biete, dass es weiterhin eine "deutsche" Kommissionspräsidentin gebe.

Im nationalen Rausch

Ein nationaler Rausch, der nun nur noch schlimmer zu werden droht. Es werden Flaggen geschwenkt werden und Rufe skandiert, es werden Farben zu sehen sein, die an unselige Zeiten erinnern, an deutsches Großmannstum und die Weltmachtsfantasien von alten, weißen Männern, die ihre dunklen Hinterzimmergeschäfte mit sportlichen Glanztaten zu tarnen pflegten. "Alles für D-Wort", jener strafbare Nazi-Spruch, droht in die Alltagssprache einzusickern.

Polizei, Geheimdienste und Ordnungsbehörden sind alarmiert, aber auch sensibilisiert.

Schockierende Bilder, wie sie nach der Weltmeisterschaft 2006, die in Deutschland als "Sommermärchen" in die Geschichtsbücher geschrieben wurde, trotz Absprachen zwischen Regierung und freien Medien durch ein Leak bei der britischen BBC an die Öffentlichkeit gelangten, soll es nicht wieder geben. Dabei liegt die Toleranzschwelle für Empörung, Entsetzen und helle Aufregungheute  auch rund um die Stadien  sehr viel niedriger: Knapp zehn Jahre nach dem Entsetzensschrei der N24-Reporterin Nadine Mierdorf, die die grässlichen Bilder einer Demonstration in Leipzig mit dem empörten und schockierten Satz "Sie schwenken auch Deutschlandfahnen" umschrieb, droht die Gefahr wieder überall. 

Das Böse ist immer und überall

Ein Fahnenmeer in den Farben der Fahne, die immer schon "Ärger" (Stern) bedeutet hat. Ein nationaler Taumel, wie er den später in Ungnade gefallenen Bundeskanzler Helmut Kohl empfing, als Nationalisten ihn in Dresden mit hochgereckten Flaggen als Kanzler der Einheit feierten. Brutale Zeichen dafür, dass Deutschland andere nach wie vor ausschließt, Regeln aufstellt, um Doppelstaatsbürgern das Leben schwer zu machen, und stolz darauf ist, sich in den vier Wochen inszenierter Weltoffenheit demonstrativ abzuschotten. Sämtliche Besucher*innen aus dem Ausland hat die Bundesinnenministerin unter Generalverdacht gestellt. Seit Tagen schon lässt sie wieder oder verschärft Grenzkontrollen durchführen, obwohl bekannt ist, dass sie "nichts nützen" (Faeser).

Das große Sportereignis droht, zu einem nationalistischen Spektakel zu werden, das die Bundesregierung inszeniert, um von ihrem maladen Zustand abzulenken. Nicht nur die Innenministerin, sondern auch der im scharfen Gegenwind stehende Klimawirtschaftsminister hat die Europameisterschaft als Vehikel entdeckt, einen Monat lang aus der Schusslinie zu treten. "Wir haben es uns als Land verdient, jetzt mal vier großartige Wochen zu haben", gab Robert Habeck allen rückwärtsgewandten Sehnsüchten nach nationalem Zusammenhalt und emotionaler Erholung von den sich zuspitzenden Krisen seinen Segen. 

Ausschließende Wortwahl selbst beim RND

Deutschland tut Unerhörtes, um die nationale Besoffenheit zu befördern und das alte Prinzip von "Brot und Spielen" für eine Atempause vom Alltag der großen Transformation zu nutzen. Die Lärmschutzgesetze, die hierzulande vulnerable Gruppen schützen, wurden kurzerhand ausgesetzt. Demonstrativ ließen sich die angezählten Kabinettsmitglieder bei unbeholfenen Bemühungen am Ball und Trikot fotografieren, Kanzler und Bundespräsident werden beim Eröffnungsspiel schamlos mit der "deutschen Elf" (Spiegel) bangen und selbst die sozialdemokratische Nachrichtenplattform RND übernimmt kritiklos den Terminus von "unserer Mannschaft", der einen Großteil der Menschheit ausschließt.

Geradezu hilflos wirken da die Bemühungen der Organisatoren etwa in Leipzig, angesichts der zu befürchtenden nationalistischen Wallungen Vorsorge vor sogenannten "Vorfällen" (Spiegel) zu treffen. "Wenn eine Person ein für dich unerwartetes Geschlecht angibt, verwende bitte dieses Geschlecht (sie/er/they etc.)", mahnt das Awareness-Team des einzigen ostdeutschen EM-Ortes davor, auch im euphorischen Torjubel nicht aus der vorbildlichen Rolle zu fallen. Man möge zudem "sensibel" sein "bezüglich kultureller Aneignung, wenn du Elemente einer anderen Kultur übernimmst, die in Deutschland Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt ist". Keine Schottenröcke für Sachsen. Keine Holzpantoffeln, Paprikawürste und Polenwitze.

1 Kommentar:

  1. Vor ein paar Tagen habe ich gelesen, ich glaube es war im Merkur, Deutschlandfahnen sind nach verlassen des Stadions sofort zu entsorgen, sonst droht schlimme Strafe. Das gibt wieder schöne große Müllberge fürs Klima.

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.