Je einfacher, desto schwerer, je schneller, desto gründlicher. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat monatelang über seinen Bewerbungsschreiben für die SPD-Kanzlerkandidatur gebrütet, dann aber - pünktlich zum dritten Jahrestag des Afghanistan-Abzuges - ein dickes Ei vorgelegt: Die "Neue Wehrpflicht" (NWP) setzt auf hybrides Modell aus Überraschung und Überwältigung, greift aber nur sehr zurückhaltend in Grundrechte ein. Als einen "Plan für junge Menschen" lobte es die "Tagesschau" in ihrer Ausgabe in "einfacher Sprache", die in dem Land Deutschland jetzt regelmäßig ausgestrahlt wird, um im Zuge des allgemeinen Rückbaus des Bildungsniveaus niemanden unnötig mit Inhalten zu belasten.
Benachteiligte Frauen
Dass jeder 18-jährige Junge männlichen Geschlechts eine Vorstufe der Musterungsaufforderung per Brief zugeschickt bekommt, die er auch ausfüllen muss, gleichaltrige Mädchen womöglich eintrudelnde Formulare aber nur zurückschicken können, sei dem Grundgesetz geschuldet, das keine Wehrpflicht für Frauen vorsehe, wie der Niedersachse betonte. Wiedereinmal werden Frauen zurückgesetzt, für geringer erachtet und ihrer Würde beraubt.
Es ist 2024, die Zahl der Geschlechter ist unüberschaubar geworden. Doch immer noch können nur "Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden", heißt es dort, ausgenommen ist der Fall, dass sie vom neuen Geschlechtswechselgesetz Gebrauch machen, und sich durch einen Sprechakt zur Frau erklären. Rein rechtlich gesehen muss das rechtzeitig geschehen, ist die Uniform erst geschneidert, ist es zu spät.
Generation Z ausgetrickst
Die Generation Z, der ein gewisser Hang zur Prokrastination nachgesagt wird, soll damit auf dem falschen Fuß erwischt werden. Erst kommt nur ein Brief mit der Bitte um eine entspannte Selbstauskunft. Dann folgt eine kleine medizinische Untersuchung und die Aufforderung, ein Bekenntnis zum Dienst an der Waffe abzugeben. Wer nicht, der nicht.
Um die Stimmung vor dem Demokratiefest nicht zu trüben, hatte wohlweislich keine der Parteien im EU-Wahlkampf für die Wehrpflicht getrommelt oder sie auch nur erwähnt. Am dichtesten dran waren Grünen, die zwei halbwüchsige Mädchen als Verteidiger des Westens auf ihre Werbeschilder hoben. Nur Kennern verriet der verwendete Bundeswehr-Slogan "Machen, was zählt", wo der Friedenspanzer hinfährt.
Boris Pistorius zeigt sich auf seiner bisher schwierigsten Mission als Diplomat. Das neue Wehrdienstmodell spielt mit den Erwartungen des Kanzlers, des Heeres, der Gesellschaft und er Medien, gibt allen etwas und der betroffenen Bevölkerung das Gefühl, das alles sei noch lange nicht beschlossen. Der Sozialdemokrat, auf dem die letzten Hoffnungen seiner Partei ruhen, zeigt sich als gelehriger Schüler des "pfiffigen" (Spiegel) Ex-EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.
Strategie der dicken Bretter
Der hatte die mähliche Strategie des Bohrens dicker Bretter in Anwesenheit einer skeptischen Öffentlichkeit einmal mit einem offenherzigen Satz beschrieben. "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert", sagte der Mann, der als erster EU-Spitzenkandidat, der nicht selbst zur Wahl antrat, an die Spitze der EU gerückt war. Wenn es dann kein großes Geschrei gebe "und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." (Die Brüsseler Republik, 27. Dezember 1999).
Das funktioniert immer und immer wieder. Möglichst lange soll erstmal unentdeckt bleiben, dass von den theoretisch infrage kommenden 390.000 Jungen des Jahrgangs 1996 wegen des häufig diskutierten und beklagten Gesundheitszustandes dieser Alterskohorte allenfalls 160.000 wehrdiensttauglich sein werden. Von denen abzuziehen sind noch die 18-Jährige, die als Windtechniker, Wärmepumpenmonteur, Dämmarbeiter, Jungparlamentarier, Abgeordnetenmitarbeiter, Zukunftsforscher, Genderaktivist oder Chipdesigner bei der Energie- und Autarkiewende für den Fachkräftemangel unabkömmlich sind.
Fit machen für die Untauglichkeit
Zwar gehört zu neuen Wehrpflichtmodell auch eine Rückkehr zum DDR-Modell einer Belohnung williger Rekruten durch die Vergabe begehrter Studienplätze und Bonuspunkte, die später mit höheren Einstiegsgehältern bei Behörden ausgezahlt werden. Doch es wird eng werden, das Ziel zu erreichen, die schrumpfenden Streitkräfte auf den Sollstand von zunächst 200.000 Soldaten zu bringen und von da aus konzentriert werden aufzustocken.
Junge Menschen, die sich weiterhin männlich lesen lassen wollen, können einer Dienstverpflichtung, wie sie das SPD-eigene Meinungsportal RND bereits ins Spiel bringt, am sichersten entgehen, indem sie frühestmöglich beginnen, sich für eine Dienstuntauglichkeit fit zu machen. Dazu müssen junge Deutsche nicht wie ihre ukrainischen Altersgenossen vor den Häschern der Truppe ins Ausland desertieren, wo dieselben Behörden ihre schützende Hand über sie halten, die die an der Front verbliebenen Kämpfer mit Geld, guten Worten und Altbeständen an Waffen unterstützen. Nein, es reicht hierzulande, ein Leben voller Genuss zu führen, unter Vermeidung von Sport und Bewegung überhaupt, getreu dem Rat von Winston Churchill: "Sport ist Mord".
Herzprobleme sind gesund
Denn für seine Truppe will Boris Pistorius will nur die "fittesten, geeignetsten und motiviertesten" Männer, knackige, kernige Kerle, die endlos marschieren, in Gräben leben und die im Kriegsfall mutmaßlich wie immer etwa 4.000 Kilometer lange Ostfront aufopferungsvoll verteidigen. Der sicherste Schutz vor dem Tod auf dem Feld der Ehre besteht also darin, bei Eignung, aber fehlender Motivation keinesfalls fit zu sein: Erfahrungsgemäß sind die beiden anderen Kriterien eher die, die schon in der ersten Mangellage nicht mehr berücksichtigt werden. Fehlende Fitness hingegen hat schon vielen Männern den Heldentod erspart: 60, 70 Kilo Speck auf den Hüften, Herzprobleme und Muskelschwund durch Bewegungsmangel sind deutlich gesünder als das Leben beim Kommiss, selbst mit der richtigen Schutzweste.
Dr. Welfer, der Bataillonsarzt des braven Soldaten Schwejk: Er bekam einen dicken Fragebogen zugesandt, dessen Fragen er alle einzeln und sorgfältig ausfüllte mit: "Lecken Sie mich am Arsch!"
AntwortenLöschenOT
AntwortenLöschen"Wer hat keine historischen Verdienste? Auch in der NSDAP war nicht alles schlecht."
@ Anmerkung: Worauf du einen lassen kannst.
(Durch und durch und in jeder Hinsicht gut und erstrebenswert natürlich mitnichten.)
Sich dumm stellen ist auch eine gute Strategie. Selbstverständlich verteidige ich die Freiheit und Demokratie. Aber nur in einer Kompanie mit engen Verwandten, Söhnen, Töchtern und Enkeln von Spitzenpolitikern.
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