Mittwoch, 5. Juni 2024

EU-Wahlkampf: Plattitüdenbomber im Tiefflug

Ein Wirbelwind aus Wortgeklingel fegt durch die Straßen.

Eins steht auf jedem Plakat, auf jedem einzelnen von allen Parteien. "Inhalte überwinden" buchstabiert sich nur jeweils nach Farbe anders. Die einen versprechen "Gemeinschaft ist Freizeit", die anderen "Wirtschaft liebt Freiheit", die dritte Partei hat sich "Einigkeit gegen rechts für Freiheit" auf die Fahne geschrieben, die vierte reagierte schon vor den ekligen Vorfällen von Sylt und Mannheim mit "In Freiheit. In Sicherheit. In Europa"auf die aktuelle Lage. Und die Kandidatin des Kanzlers tritt als "Katarina die Starke" an, um "Bedrohungen in Schach zu halten".

Für mehr Eis

Es sind dies nicht die einzigen "stärksten Stimmen für Europa", die die Plattitüdenbomber bestiegen haben, um im Tiefflug zum Wahltag zu stürzen. Was an den Laternen hängt, ist allumfassend ohne Botschaft. Die junge Partei "Volt", ein Versuch, mit Hilfe von linken und liberalen Schlagworten eine pro-europäische Partei für die gesamte EU zu bauen, obwohl EU-Regeln das nicht zulassen, fällt keineswegs auf, wenn sie "Für mehr Eis", "Schön wärs hier" und "Power to the People" plakatiert - Leerformeln auf lila Papier, die auch nicht nichtssagender sind als die von den Routinewahlkämpfern von links bis rechts abgeworfenen Propaganda-Bomben "In Love with EU", "Radfahrer aller Länder, einigt Euch", "Ein Wahlplakat ist zerstörbar. Unser Einsatz für die Demokratie ist es nicht" oder "Besonnen handeln" und "Frieden sichern".

Parolen vom Bingobrett der politischen Belanglosigkeiten, aus denen der Zeitgeist spricht. Nur ja keine Festlegung, nur ja kein Thema direkt ansprechen. Mögen die Wählerinnen und Wähler auch noch so deutlich erkennen lassen, was sie bewegt, die Parteien bleiben beinhart in ihrer Verweigerung, auch nur leise Stellung zu nehmen und durch die Blume erkennen zu lassen, welche Lösung sie bevorzugen würden. Stattdessen fragt die eine Truppe "Aufbruch oder Abstieg?", ohne eine Antwort zu geben. Die andere versichert "Sicherheit" (SPD), die nächste will "Europas Freiheit verteidigen" und die dritte, sie sei "für die Freiheit, die wir schützen".

Plakate für Bückware

Ohne "Freiheit", seit Jahren Bückware durch eine scharfe politische Angebotsverknappung, und "Sicherheit" geht keiner in den Wahlkampf um die Kreuze derjenigen, die vielleicht doch schon wieder vergessen haben, wer den Salat serviert. Freiheit und Sicherheit aber sind nur Worthülsen, Platzpatronen der Propagandaabteilungen, die schon auf den Großplakaten nach Rohrkrepierer riechen: Welche Freiheit denn? Für wen? Und was für Sicherheit? Um welchen Preis?

Vermieden werden soll, irgendjemanden zu verschrecken. Der Kanzler ist seit seiner Ankündigung, "im großen Stil abschieben" zu wollen, auf dem Hosenboden der bürokratischen Lähmung gelandet. Einerseits kritisierten ihn die Genossen, die eher das Gegenteil wollen. Andererseits flogen ihm auch die Herzen derer nicht zu, die er überzeugen wollte, vielleicht doch der Richtige zu sein. Und drittens wurde schon gar nicht abgeschoben, nicht im großen Stil und nicht im kleinen, so dass wie immer der Eindruck blieb, da rede einer wenig, sage aber im Zweifel selbst dann noch zu viel.

Peak Kümmererpartei

Mit der Forderung nach "mehr Geld" wagt sich die Linke bei ihrem letzten großen Auftritt vor dem Abschied in den Balken "Sonstige" noch am weitesten vor. Sie sagt nicht, woher, aber immerhin wofür: "Vereine, Kultur, Schwimmbäder, Bibliotheken, Nahverkehr". Peak Kümmererpartei: Das letzte Aufgebot im Karl-Liebknecht-Haus weiß nicht nur genau, wo die Menschen draußen im Lande der Schuh am meisten drückt. Sie tut auch alles, um den Eindruck zu verwischen, sie wolle darüber reden.

Bloß nicht! Ein Slogan wie "Würdevoll helfen", wie ihm Volt benutzt, ist deutlich effizienter als die Ankündigung, sofort nach eroberter Mehrheit an der Urne schneller oder viel langsamer abschieben zu wollen, die Steuern flugs kräftig zu erhöhen oder senken, mit Moskau in Friedensverhandlungen einzutreten oder mobilzumachen. 

Nicht egal, sondern Europa

Das beste Plakat ist das, das weder Versprechen macht noch den Eindruck erweckt, nicht auch in vier oder zehn Jahren noch etwas Nichtssagendes zu sagen zu haben. "Rechtsruck stoppen", das ist für immer haltbar. "Klarer Kurs für Deutschland und Europa", das hat Überzeugungskraft, selbst wenn die Himmelsrichtung unbestimmt bleibt, in die es gehen soll. "Es ist nicht egal. Es ist Europa" hätten alle nehmen können. "Ein starkes Europa bedeutet ein sicheres Deutschland"  hat mehr als nur einen Hauch von "Unser Land zuerst", ist nur deutlich länger.

Ein Wirbelwind aus Wortgeklingel fegt durch die Straßen. "Wählen rettet Leben", "Nur Demokratie schafft Freiheit", "Für Maß, Mitte und Frieden", "Gegen Hass und rechte Hetze" bis "Machen, was zählt" und "Zukunft auf dem Plan" wird alles geboten, was jede Interpretation zulässt. Die vor mehr als zehn Jahren eingeführte Sinnbremse für Wahlplakate zeigt anlässlich der gern als "Europawahl" bezeichneten Wahl in den 27 EU-Staaten, dass sich jedes Bremspedal durch jede Bodenplatte treten lässt, wenn alle mitmachen. 

Gemeinsam machen, was zählt

Das "Gemeinsam machen" der CDU von 2021 teilen sich nun die Linke ("Gemeinschaft") und die Grünen ("machen"), Letztere kombinieren das schwache Verb, das SPD-Kanzler Gerhard Schröder einst aufwerten ließ, als er sich zum "Macher" ausrief, mit den Resten einer Bundeswehr-Kampagne ("Was zählt..."). Die Union kontert mit "Hochhalteschildern" (CDU), auf denen vorsichtshalber nicht "Viele Grüße, Eure Zahnfee", sondern "Sicherheit", "Wohlstand" und das unerlässliche "Freiheit" steht, die Linke setzte "Gemeinschaft in Freizeit" dagegen und die FDP macht Bildung zur "ersten Verteidigungslinie der Demokratie". Das alles gilt "Für Stadt, Land und Wir-Gefühl" und "Für Jung, Alt und gutes Klima".

2 Kommentare:

  1. "für die Freiheit, die wir schützen".

    Das passt genau und ist noch nicht einmal gelogen. Vergleichbar mit Sara Sauer: "Wir werden den Leuten sagen, dass ihre Sparkonten sicher sind."
    Die meisten können einen Satz dem Sinn nach nicht erfassen - erst recht nicht zwischen den Zeilen lesen.

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  2. >Gerechtigkeit den Gerechten! - Das besagte zwar nichts, war aber ausgezeichnet komponiert.<
    Aus: Jerzy Jurandot "Operation Sodom" (1959).

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