Samstag, 29. Juni 2024
Zitate zur Zeit: Sehnsucht nach Bestätigung
Der Mensch ist am besten darin, alle neuen Informationen so zu interpretieren, dass seine früheren Schlussfolgerungen intakt bleiben.
Beschwörungsvokabel Wirtschaftswende: Ende gut, alles gut
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Ein Archivfund aus dem Jahr 2019 macht Furore: Die damals in der BWHF gedrechselte Worthülse "Wirtschaftswende" ist fünf Jahre später in aller Munde. |
Die Öffentlichkeit hatte sie schon beinahe vergessen, jene Worthülse aus dem Jahr 2019, die sich die damals erstarkenden Freie Demokraten von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) im politischen Berlin hatte liefern lassen. Auferstanden aus den traurigen Resten von Kohls "geistig-moralischer Wende" der 80er Jahre, sollte der neue Kampfbegriff den ehemaligen Liberalen einen Hauch der mystischen "Wirtschaftskompetenz" zurückgeben, der der FDP in den dunklen Tagen der Wirtschaftswundernation Deutschland angeheftet worden war.
Seit dem Start des Rückbaus der Industrie hatte dieser sagenhafte Nimbus deutliche Kratzer bekommen. Selbst den Grünen messen inzwischen Teile der Bevölkerung bessere Fähigkeiten zum Management von Energieausstieg und grüner Transformation zu als der FDP. Ein Alarmsignal für Parteichef Christian Lindner, der mit eben jener "Wirtschaftswende" (®© BWHF) prompt einen Begriff aus den Parteiarchiven graben ließ, den die FDP schon einmal als Waffe im Bedeutungskampf genutzt hatte: Noch in den bleiernen Zeiten Angela Merkels war die Oppositionspartei FDP mit der wirkungsmächtigen Parole in den Kampf gegen Bürokratisierung, Schuldenmacherei und EU-Überregulierung gezogen.
Ende eines Akutprogrammes
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Die kurze Konjunktur der Wirtschaftswende. |
Schließlich war es geschafft. Die Rezession war nun da, aber nicht mehr der Rede wert. Das mächtige Versprechen des "Akutprogrammes" bekam von "Wumms" und "Doppelwumms" des wirtschaftskundigen SPD-Kanzlers Glanzlichter aufgesetzt. "Sondervermögen" und Transformationspläne ersetzten die Wirtschaft eilig und fast vollständig, nachdem der fachlich zuständige grüne Minister "grüne Leitmärkte" ins Spiel gebracht hatte, auf denen die öffentliche Hand in Bälde überteuert hergestellte Grundstoffe ohne ökologischen Fußabdruck für Geld einkaufen würde, das sie nicht hat.
Statt die Wirtschaft zu wenden, ging es aber längst nur noch darum, das mit dem Klima zu tun. Als kleinster drei Koalitionspartner blieb der FDP die Rolle als Bremser bei Heizungs-, Energie- und Verkehrswende. Keine Funktion, der der Wähler mit Liebe belohnt. In dieser bedrohlichen Situation nicht nur für seine schrumpfende Partei, sondern auch für sich selbst und seine politische Zukunft schickte FDP-Chef Lindner eine Expedition aus Mutigen in die Archive des Hans-Dietrich-Genscher-Haus (HDGH) im Berliner Ortsteil Mitte, um die nach möglicherweise weiter verwendbaren Überbleibseln der "Wirtschaftswende" graben zu lassen.
Zwischenzeitlich von der Linkspartei okkupiert und von der Union als eigene Idee ausgegeben, soll die magische Worthülse als letzte Patrone im Kampf um eine Rückkehr zu politischer Relevanz noch einmal ihren Zauber entfalten: Er halte "eine Wirtschaftswende für nötig" betont Lindner, "aber nicht mittels Subventionen auf Pump, sondern durch ein Dynamisierungspaket, mit dem wir private Investitionen, Gründergeist und Wettbewerbsfähigkeit entfesseln".
Der Fesselungskünstler
Kein Akutprogramm sollte es diesmal sein, sondern gleich ein großes "Dynamisierungspaket", ebenfalls eine Schöpfung der BWHF, mit dem all die Lähmung, der Mehltau, der Staub von 1.000 Jahren, die Stagnation und der "Unfall in Zeitlupe", als den die Financial Times den Verfall Deutschland beschrieben hat, in ein hübsches Blümchenkleid aus neuen Verheißungen gehüllt werden würde. Mehrere Tage tanzten die Medien nach der Melodie aus der Wirtschaftswende-Pfeife. Was für eine schöne Vorstellung, dass es anders werden könnte, als es ist!
Mehr Wende war nie, seit Egon Krenz den Aufstand der DDR-Bevölkerung gegen das SED-Regime vor 35 Jahren zu einer von der Parteispitze bewirkten "Wende" erklärt hatte. Von der CDU-Frau Julia Klöckner ("Das kostet den Steuerzahler keinen Cent") über die radikale Rosa-Luxemburg-Stiftung der Ex-PDS bis zum "Konzeptwerk Neue Ökonomie", dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und der AfD ist Politik-Deutschland bereit für eine "radikale Wirtschaftswende".
Je radikaler die Ankündigungen
Wie das aber so ist: Je radikaler die Ankündigungen, je mächtiger die Worthülsen und je entschlossener die Kurswechsel, desto weniger bleibt von ihnen übrig, wenn der Tag anbricht. Christian Lindner, im politischen Gelegenheitsgeschäft mit Leerbegriffen und Beschwörungsvokabeln ein Meister, hatte die "Wirtschaftswende" kaum fertig ausgesprochen, als sie schon jenem großen, gnädigen Vergessen anheimfiel, das Wissenschaftler als 3. Gesetz der Mediendynamik oder populärwissenschaftlich als die Tradition des Themensterbens in den deutschen Medien beschreiben.
Zack, und weg, so ging es auch der Wirtschaftswende, die in der 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts so viel bewegt hatte, ihre Wunderwirkung diesmal aber nur als Pflästerchen auf der klaffende Wunde tun sollte, die ein zusehends beunruhigte Bevölkerung angesichts all der aktuellen Entwicklungen schmerzlich spürt. Behandelt wird nicht mit Medizin, nicht mit Kuren oder Rehabilitation, sondern allein mit Trost und Zuspruch am offenen Sarg.
Freitag, 28. Juni 2024
Klimanotstand und die Folgen: Das Fanal vom Bodensee
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So hat sich der Klimanotstandsbeschluss von 2019 ausgezahlt: Konstanz ist als einzige Stadt in Deutschland kühler geworden. |
Der Sommer 2019 stand erst bevor, aber jeder wusste, er würde mörderisch werden. Der Bodensee drohte auszutrocknen, die Region würde leiden, ein Tempolimit aber war nicht einmal in Planung. In Konstanz, einer 85.000-Einwohner-Stadt, die mittelalterlich ist, aber gleichzeitig sehr modern, wollten sie nicht länger warten und hoffen müssen. Im Mai 2019 zollte die Stadt den besonders katastrophalen klimatischen Bedingungen Tribut. Mitten in Deutschland, einem der am schlimmsten betroffenen Gebiete, wagte eine Stadtgesellschaft in Randlage das Unerhörte, nie probierte: Konstanz rief den Klimanotstand aus.
Ein Zeichen gegen das Klima
Es war ein Zeichen, ein Statement, nicht nur gerichtet an das weltweite Klima, sondern insbesondere an die vielen Millionen Kleingläubiger im eigenen Land. Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt? Und wo, wenn nicht hier? Den Klagen, dass Deutschland allein sowieso nichts machen könne, setzten die Konstanzer ihre feste Überzeugung entgegen: Wir aber können. 85.000 Menschen, eine gemeinschaftliche Anstrengung, die heute als beispielgebend gelten kann, obwohl sie seinerzeit verlacht, verulkt und - damals war das noch erlaubt - verhöhnt worden war.
Doch die Maßnahmen, die aus dem Notstandsbeschluss ergaben, waren hart. Neubauten in Konstanz müssen seitdem klimaneutral mit Energie versorgt werden, ein "Masterplan Mobilität Konstanz 2020+" setzt konsequent auf die Strategie des "Push and Pull" mit einem positiven Modal Split des Binnenverkehrs. In Bälde sollen auch Push-Maßnahmen zur Reduzierung der Kfz-Nutzung eingeführt werden, "um den Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV)" (konstanz.de) zu verringern.
Maßnahmen für Maßnahmen
Dazu kommt ein Energiemanagement für städtische Gebäude, es gibt "Maßnahmen zur Erhöhung der Sanierungsrate im Stadtgebiet", einen "Zielkatalog" der Stadtwerke Konstanz, der bald zu führende "verbindliche Gespräche über Einzelkooperationen und Joint Ventures" vorsieht und bestimmte "Ziele im European Energy Award", der der "größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte" durch die Begleitung der Kommunen auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität begegnet.
Viel Papier, das engagiert beschrieben wurde. Viele Sitzungen, auf denen die Köpfe rauchten. Viele Ziele, Absichten und sogar ein Preis für Konstanz, das für seine Anstrengungen tatsächlich einen European Energy Award in Gold verliehen bekam. Die größere und wichtigere Auszeichnung für die kleine Stadt, der der Bodensee im vergangenen Jahr beinahe wieder ausgetrocknet wäre, ist allerdings eine kleine Zahl auf einer Deutschlandkarte, die das Ausmaß an Klimaerwärmung anzeigt, dem die Nation ausgesetzt ist, die der Welt bei der letzten Klimakonferenz in Dubai den Weg zum 100 Millionen Dollar schweren Klimafonds geebnet hatte.
Überraschungscoup in Dubai
Für das ganze Land hat der von Olaf Scholz organisierte "Überraschungscoup" (Der Spiegel) nicht viel gebracht. Jeder Monat seitdem war zu warm, derzeit droht ein Höllensommer, den die Hitzekarte schon anzeigt. Überall sind die Temperaturen gestiegen, überall? Nein, neben Konstanz, der Notstandsstadt, steht -0,1, in Blau, denn hier ist es kälter geworden.
Während ringsum Menschen trotz des Hitzeplanes der Bundesregierung unter Hitze leiden zudem, zeigt Konstanz, dass die Ausrufung eines Klimanotstandes wirklich etwas bewegen, wirklich etwas ändern kann, auch wenn in der kurzen Zeit seit der feierlichen Ausrufung erstmal nur eine Klimaschutzstrategie, einige wichtige Planungsdokumente und ein grober Zeitplan entstehen konnten, "wann Wärmenetze gebaut werden müssen".
Der Effekt aber ist schon sichtbar. Der "echte Vorreiter" (Tagesschau) zieht heute Klimatouristen aus der ganzen Republik an, die im Ibis Style abkühlen, hier hat "Fridays for Future" noch im Februar zu Demonstrationen aufgerufen und auch im verlorenen EU-Wahlkampf war die frühere Bewegung noch aktiv. Die Wahlergebnisse aus der Stadt konnten - womöglich wegen des befürchteten zusätzlichen CO2-Eintrages - noch nicht auf die städtische Internetseite gestellt werden.
Ein sichtbarer Effekt
Doch auch politisch ist der Ertrag der verstärkten Anstrengungen um eine bessere Klimabilanz nicht zu leugnen. Hinter der CDU, die mit weitem Abstand führt, sind die Grünen hier eine Macht wie früher überall. Sie liegen dreieinhalb Prozent vor der AfD und sogar 5,8 vor der SPD. Und das, obwohl der Weg zum Ziel, "durch klimaneutrale Energieversorgung und Sanierung bestehender Gebäude den CO2-Ausstoß pro Person bis 2050 um 75 Prozent zu reduzieren" (SWR) erst mit dem kleinen Zeh betreten wurde.
In Kürze wird die Stadt ohnehin nachschärfen müssen. Nach den aktuellen Vorgaben der EU reicht eine Reduktion um 75 Prozent, die sich zudem nur auf bestehende Gebäude bezieht, nicht aus. Es müssen 100 Prozent auf alles sein.
Messergewalt: Stark gegen Stichwaffen
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Aufklärung tut Not, auch wenn die Datenbasis für den Nachweis einer Bedrohung noch nicht ausreicht. |
Noch immer wirkt der Schock von Mannheim nach, nicht zuletzt, weil der Angriff mitten in einer amtlichen Messerverbotszone unter Verdacht steht, den Rechtsruck in Deutschland befeuert zu haben. Das vom Ergebnis der EU-Wahl schwer erschütterte politische Berlin hadert mit der Sehnsucht der Bürgerinnen und Bürger nach Recht, Gesetz, Ordnung und Sicherheit.
Gegen Stich- und Schneidwaffen
Nach mehr als zwei Jahrzehnten, in denen Anti-Messerinitiativen sich bundesweit engagiert gegen Übergriffe mit Stich- und Schneidwaffen eingesetzt haben, reiche es nicht mehr, über Rechtsextremismus und Demokratie aufzuklären, empfehlen die die Gubener Sozialwissenschaftler Pistos Säger und Hans-Heinz Tellmer, die Finanzierung entsprechender Projekte zu verstetigen. "Eine dauerhafte Förderung, damit sich Initiatoren nicht mehr von Projekt zu Projekt hangeln müssen, ist essentiell", sagt Säger, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung unter Hans Achtelbuscher zu Fragen der dauerhaften Demokratieförderung forscht.
Länger schon fordern zivilgesellschaftliche Gruppen gegen Messergewalt dafür 500 Millionen Euro jährlich, ein Angebot, das die Bundesinnenministerin Nancy Faeser wie auch Bundesfinanzminister Christian Lindner bisher abgelehnt haben. Säger und Tellmer fordern hier eine Kursänderung hin zu einem Bundesaktionsplan gegen Messergewalt.
"Wir müssen Tempo machen und noch vor den bedrohlich näherrückenden Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern klar und entschlossen eine Zeichen setzen." Tellmer, studierter Gewaltsoziologe, sieht ein Demokratiefördergesetz als Königsweg, die Vorsorge hochzufahren, besser und breiter aufklären zu können und die gesellschaft insgesamt resilienter gegen sogenannte "Nesserattacken" zu machen.
Schutz der Öffentlichkeit
"Die Bundesregierung muss im Grunde jetzt alles
daran setzen, den Einsatz von Messern und anderen Schneid- und Stichwaffen in der Öffentlichkeit einzuschränken", sagt Pistos Säger. Es bleibe nicht mehr viel Zeit, die Zivilgesellschaft aufzuklären über Abwehrmaßnahmen und Erstversorgungskonzepte. Grundlage dafür sei natürlich um eine dauerhaft sichere Finanzierung von vielen wichtigen Initiativen und Projekten, die sich überall in Deutschland stark machen gegen bewaffneten Straßenterror. "Das demokratische Deutschland braucht ein breites demokratisches Engagement für die Demokratie sowie überzeugte Demokratinnen und Demokraten", bekräftigt Tellmer.
Im Rahmen des Demokratiefördergesetzes, für das schon die später ausgeschiedene Familienministerin Anne Spiegel gekämpft hatte, könne jetzt zügig
ein Vorschlag erarbeitet werden, um etwa Resilienzlehrgänge anzubieten. Eingebettet werden könne auch eine Ausweitung bestehender Messerverbote, sowohl örtlich als auch je nach Waffenart. "Auch die Union spricht sich ja mittlerweile für eine solche Verbreiterung der Schutzmaßnahmen aus." Vorbild könnte Österreich sein, das die Regularien für den Messerbesitz schon länger verschärfte habe. "Oberflächliche Symbolverbote bringen doch sichtlich nicht."
Für wichtig erachten es die beiden Forscher, die nächste Novellierung der Waffenrechtsnovelle zu nutzen, um Klingenlänger zu stutzen. "Flankiert von einer Kampagnen zu Erstversorgungsmaßnahmen und Aufklärungsstunden in Schulen und Kindergärten, um diese Verschärfung der Regelungen für das Führen von Messern in der Öffentlichkeit zu popularisieren, versprechen wir uns eine nachhaltige Wirkung." Die Basis der Umsetzung einer solchen Art der Bekämpfung jeder Form der Messeranwendung in der Öffentlichkeit sollten zivilgesellschaftliche Initiativen sein, weil die Polizei allein nicht die Kapazitäten habe. "Die aber brauchen eine dauerhafte und verlässliche Finanzierung."
Dauerhafte bedeutende Aufgabe
Dabei handele es sich um eine "gesamtgesellschaftliche und dauerhafte Aufgabe von zentraler politischer Bedeutung", auch wenn Polizisten zum Glück deutlich seltener im Dienst stürben als Bauarbeiter. Eine Zunahme von Messerangriffe lasse sich aufgrund der Daten zwar noch nicht abschließend feststellen. "Was wir sehen, ist eine auffällige mediale Verzerrung bei der Herkunft von mutmaßliche Tatverdächtigen und die Pflege eines Klischeebildes, nach dem je nach Nationalität der Täter ein Klingeneinsatz betont wird." Verantwortlich sei auch eine vor drei Jahren vorgenommene Weichenstellung. Seitdem werden Messerattacken von Polizei und Staatsanwaltschaften gesondert statistisch erfasst. "Wer wollte sich da wundern, dass wir einen Anstieg beobachtent und immer wieder betonen müssen, dass der Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen höher ist als der Ausländeranteil in der Bevölkerung, aber bei weitem die meisten Nochnichtsolangehierlebenden vollkommen friedlich sind."
Gegensteuern heiße, beim Berichten über Gewaltkriminalität nicht zu überrteiben, aber eben auch, der Gefahr tödlicher Übergriffe mit Aufklärungsangeboten zu begegnen. "Einen hundertprozentigen Schutz vor Messerattacken etwa auf Partymeilen, vor Festzelten, auf Schulhöfen oder in Bussen und Bahnen kann es nicht geben", betont Pistos Säger. Doch wer trainiert sei, ein Klappmesser in den wenigen Sekunden zu entdecken, in denen es gezückt werde, könne ausweichen, ehe damit zugestochen werde. "Flink sei, wendig und Meidbewegungen kennen, das kann in Seminaren sehr gut geübt werden. Selbst wenn psychisch gestörte Menschen plötzlich ein Messer zückten, sei der Schaden dann absehbar geringer, wenn Angegriffene defensives Verhalten trainiert hätten, wie es in den Lehrgängen des Ritzneuendorfer Präventionsprojekts "Messer ohne Mörder" durchgespielt werde.
Nicht entgegenstellen
"Schülerinnen und Schüler lernen dort, dass das Mitführen eines Messers für etwaige Gegenangriffe die eigene Sicherheit nicht erhöht, sondern das nur durch instinktive Reaktionen auf Gefahrensituationen gewährleistet wird." Wer Gewaltkonflikte geübt habe, vermeide Provokationen und körperliche Konfrontationen, lasse sich durch Messerangreifer nicht in Gewaltkonflikte hineinziehen und sei in der Lage, ansatzlos einen weiten Bogen um Menschen zu machen, die sich beispielsweise aufgrund einer psychischen Störung auffällig verhalten. "Auch Gruppen, die aggressiv johlend Messerattacken ankündigen, werden ausgebildete Zivilpersonen, aus dem Weg gehen statt sich ihnen entgegenzustellen."
Donnerstag, 27. Juni 2024
Plan für Deutschland: Remigration, wo immer möglich
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Nancy Faesers Hauptaugenmerk gilt derzeit einer ganz bestimmten Art politisch motivierter Kriminalität. |
Kein Geheimplan, ganz im Gegenteil. Von diesen Plänen sollte jeder erfahren, je schneller, desto besser. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat noch vor einer Zusammenkunft des Bundeskabinetts im politischen Berlin deutlich gemacht, dass nun auch die Bundesregierung nichts Geringeres als plant die Vertreibung von womöglich Millionen von Menschen aus Deutschland. Mit einer Änderung des Ausweisungsrechts sollen künftig auch Menschen aus Deutschland abgeschoben werden können, die ein Aufenthalts- oder Duldungsrecht haben, wenn sie keinen deutschen Pass besitzen. Nötig sei dazu nur, dass jemand "terroristische Taten verherrlicht", kündige Nancy Faeser an.
Strenge Regeln
Was genau unter "Verherrlichung" oder auch "Huldigung" zu verstehen ist, steht vorerst noch nicht fest. Beide Begriffe finden sich derzeit noch nicht im Strafgesetzbuch. Allerdings soll schon ein einzelner Kommentar, der eine terroristische Straftat gutheißt, zu einer Ausweisung
führen. Dazu muss an keiner Demonstration teilgenommen werden. Es reicht nach Faesers Angaben, eine entsprechende Aussage in sozialen Medien zu tätigen. Bisher erforderte eine solche Abschiebungsanordnung nach § 58a Abs. 1
AufenthG eine "auf Tatsachen gestützte Prognose zur Abwehr einer besonderen
Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristi-
schen Gefahr", die vor Gericht zu beweisen war.
Was die Bundesregierung genau mit "sozialen Medien" meint, ist noch offen. Das neu zu schaffende "besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse" könnte den Worten der Bundesinnenministerin zufolge alle Menschen treffen, die sich der Billigung von Straftaten schuldig gemacht haben, auch wenn das nicht öffentlich, sondern in geschlossenen Benutzergruppen erfolgt ist. Die Bundesregierung löst damit ein Versprechen ein, das Bundeskanzler Olaf Scholz bereits im vergangenen Herbst gegeben hatte, als er "Abschiebungen im großen Stil" ankündigte.
Härtere Saiten
Damals hieß es noch, es gehe um ohnehin ausreisepflichtige Ausländer, jetzt zieht die Ampel noch härtere Saiten auf und droht allen Bürgerinnen und Bürgern ohne deutschen Pass mit Konsequenzen für den Fall der "Verherrlichung" von "terroristischen Straftaten im Internet", die bisher nur im Zuge von Paragraph 140 Strafgesetzbuch als "Belohnung oder Billigung" in Fällen von Kindesmissbrauch, der Störung des öffentlichen Friedens, bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder bei Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt wurden.
Eine unmissverständliche Ansage, mit der die Bundesregierung auf die enttäuschenden Wahlergebnisse bei der EU-Wahl Anfang des Monats reagiert. Vor allem der mutmaßlich islamistisch Messerangriff auf Islamkritiker in Mannheim und die Ermordung eines Polizisten, der versucht hatte, den Angreifer zu stoppen, setzt die Koalitionsparteien mit Blick auf die in zwei Monaten anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg unter Handlungsdruck, die von vielen Bürgerinnen und Bürgern trotz der genau vor einem Jahr verabschiedeten neuen Nationalen Sicherheitsstrategie als immer bedrohlicher empfundene Sicherheitslage mit weitergehenden Ankündigungen zu begegnen.
Einschränkungen beim Dazugehören
Anfang des Jahres noch hatte Olaf Scholz allen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund und ohne Einschränkung eventuell vertretener verherrlichender Ansichten versichert: "Sie gehören zu uns! Unser Land braucht Sie!". Erst die veränderte Lage mit den unverändert schlechter werdenden Umfrageergebnissen erfordert nun umfassende Einschränkungen der Willkommenskultur. Aus dem geplanten "besseren Ordnen der Migration – ganz pragmatisch und vor allem: ohne Hass und ohne Vorurteile", wird nun eine deutliche Ansage an alle, die ihre Füße weiter unter den deutschen Tisch stellen wollen: Menschen, die nicht ausreichend assimiliert sind, sollen Deutschland verlassen.
Die Änderung mit der Einführung von Huldigungsverbot und dem Prinzip Ausschaffung statt Strafverfahren soll nach Angaben von Nancy Faeser "schnellstmöglich" in die Praxis umgesetzt werden.
Millionenverlust: Plötzlicher Menschenmangel
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Zuwanderungskurven, amtlich gemalt aus Fantasiezahlen. Den neue Zensus hat ergeben, dass fast 1,5 Millionen Menschen gar nicht vorhanden sind. |
Ab und zu ist noch jemand auf der Straße, nicht mehr in den Massen wie vor Jahren, als es gegen die Westbindung und die Nato ging, aber doch medial präsent. Hunderttausende, ja, Millionen marschierten erst Anfang des Jahres gegen Remigration und österreichische Machtansprüche. Die Städte waren voll wie an einkaufsoffenen Sonntagen vor Pandemie, Krieg und Energiekrise.
Vielfalt überall, Vielfalt im Glauben, in der Mode, bei den Plänen für den nächsten Sommerurlaub und den Ansichten über die nun nötigen Maßnahmen. Das neue Normal, das Bundeskanzler Olaf Scholz den Deutschen noch vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf den EU-Aufnahmekandidaten Ukraine versprochen hatte, es lächelte modern, moralisch und ohne wahrnehmbare Lücken in den Demonstrationsblöcken.
Geschenkte Menschen
Auch Vollbeschäftigung trotz anhaltender Wirtschaftsschwäche und der Fachkräfte- und Wohnungsmangel signalisierten seit Jahren, dass es eng wird in Europas größter Wirtschaftsnation. Seit dem "Zustrom" von 2015 bekam Deutschland alles in allem 3,3 Millionen Menschen "geschenkt", wie die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt in einer Kosten-Nutzen-Rechnung früh ermittelt hatte. Dass der Mangel an Arbeitskräften zugleich von rund 80.000 auf knapp 600.000 anstieg, galt Volkswirtschaftlern, Politikern und selbst den federführenden Statistikern lange als Rätsel.
Selbst wenn nach knapp zehn Jahren noch längst nicht alle Nochnichtlängerhierlebenden die Renten der Eingeborenen bezahlen, hätte ein solcher Schwapp an überwiegend jungen Männern zu einem Überangebot auf dem Arbeitsmarkt führen müssen. Ebenso unabdingbar wäre allen volkswirtschaftlichen Theorien zufolge ein spürbarer Umsatzanstieg im Einzelhandel gewesen. Wenn die Bevölkerungszahl beinahe schlagartig um vier Prozent zunimmt, bleibt faktisch kein Erklärungsmuster übrig, mit dem sich ein über Jahre anhaltender Umsatzrückgang begründen lässt.
Gelüftetes Geheimnis
Erst die neue Volkszählung ist dem Geheimnis nun auf die Spur gekommen. Danach leben Deutschland, das bislang als zwar nicht allen Belangen perfekt funktionierendes, aber statistisch umfassend kontrolliertes Land galt, 1,4 Millionen weniger Menschen als zuvor angenommen. Niemand weiß, wohin all die Menschen verschwunden sind, die eben noch dagewesen sein müssen. Doch Fakt ist: Statt der 83,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger, von denen die Behörden bisher sicher waren, dass sie in Deutschland leben, halten sich tatsächlich nur 82,7 Millionen im Land auf. Auch die aktuell amtliche Bevölkerungszahl von 84,7 Millionen Menschen, die Statistische Bundesamt errechnet hat, dürfte damit hinfällig sein, da sie rein rechnerisch ermittelt wird.
Damit ist die Bevölkerung seit dem vorherigen Zensus im Jahr 2011 zwar um 2,5 Millionen Einwohner gewachsen. Doch beim Sprung von den damals angegebenen 80,27 Millionen auf die derzeit geltenden 84,7 Millionen sind offenbar beinahe 1,5 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger verlorengegangen. Wohin sie verschwunden sind, ist unbekannt. Verzogen? Verstorben? Vermisst? Nicht einmal, ob es sie jemals gegeben hat, weiß jemand zu sagen.
Wohltuende Wirkungen
Die Folgen des plötzlichen Schrumpfens aber dürften wohltuend wirken in einem Land, das bisher schwer zerstritten war, weil mancher meinte, es leide unter dem raschen Zuwachs und schaffe das nicht. Die Zustände auf dem Wohnungsmarkt, bei den Staatsausgaben, den Kassenbeiträgen und bei der inneren Sicherheit, sie waren von bestimmten Kreisen stets und ständig den Neuankömmlingen in die Schuhe geschoben worden. Zu viele und zu schnell angesichts einer Verwaltungs- und Planungsbürokratie, die in Deutschland traditionell mit der Geschwindigkeit eines Alpengletschers bewegt, das war der Vorwurf, der nun ins Leere läuft.
Denn es sind überwiegend genau diese "Ausländer" (DPA), von denen Ruth Brand, die Präsidentin des Statistischen Bundesamts, jetzt weiß, dass es gar nicht gibt. Statt mehr beinahe zwölf Millionen, deren Aufenthalt im Inland bislang aktenkundig war, konnten die Bundesstatistiker zum Stichtag 15. Mai 2022 nur rund 10,9 Millionen zählen. Entsprechend viele Wohnungen sind auf einmal doch frei, entsprechend viele Sozialausgaben fallen für die nicht an, die aus verschiedenen Gründen nicht nur noch nicht sozialversicherungspflichtig arbeiten, sondern gar nicht da sind. Eine Großstadt wie München, eben noch da, auf einmal weg.
Verschärfter Fachkräftemangel
Nur den Fachkräftemangel, den verschärft das Fehlen dieser mehr als eine Million Menschen, die aus dem Ausland gekommen waren, zumal auch fast 400.000 Schonlängerhierlebende offenbar spurlos verschwunden sind. Weder bei den Meldebehörden noch bei den Finanzämtern, nicht bei den Schulaufsichtsämtern, den Kfz-Zulassungsstellen oder den Krankenkassen weiß jemand etwas über diese gewaltige Menge Mensch, die problemlos ausreichen würde, die Gesamtbevölkerung von Bochum, Wuppertal oder Bielefeld zu ersetzen.
Trotzdem machen sie nun Hunderttausende Wohnungen frei, sie entlasten durch ihr Verschwinden die Sozial- und Pflegekassen, verstopfen keine Nah- und Fernverkehrszüge mehr und rangeln nicht mit um die raren Zahnarzt- und Facharzttermine. Wo genau die Frauen und Männer, Kinder und Greise abgeblieben sind, die eine größere Lücke in die fragile deutsche Demografie gerissen haben als alle Fake News, die Familienministerinnen wie die heute EU-Chefin Ursula von der Leyen jemals über steigende Geburtenraten und höhere Fruchtbarkeitsbereitschaft verbreiteten, spielt letztlich keine Rolle. Hauptsache weg, Hauptsache, sie liegen Vater Staat nicht mehr auf der Tasche.
Mittwoch, 26. Juni 2024
Volkes Wille: Nein zu Bart und Brille
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Will auch nach dem Eintritt ins gesetzliche Rentenalter noch einmal Verantwortung schultern: Ursula von der Leyen. Abb.: Kümram, Buntstift auf Buntpapier |
Sie haben es ja so gewollt. Mit ihrem beinahe geschlossenen Votum für ein "Weiterso", wie es die Europäische Volkspartei im Wahlkampf versprochen hatte, setzten die Wählerinnen und Wähler der 27 Mitgliedsstaaten der EU Anfang des Monats ein deutliches Zeichen: Ja, auch wenn Ursula von der Leyen nicht kandidiert hatte. Und ja, auch wenn die Bilanz der EU in den letzten 25 Jahren längst noch nicht alle Skeptiker und Kritiker überzeugt. Und ja, obwohl die 66-Jährige so unbeliebt ist, dass sie im Wahlkampf alle Marktplätze mied und sich nicht plakatieren ließ. Sie steht bereit. Und die Menschen wollen sie.
Die Eiserne Lady
Es bleibt dabei: Ursula von der Leyen, die vor neun Monaten das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, soll auch weiterhin an der Spitze der Brüsseler Kommission stehen und dort für die Durchsetzung von Green Deal, Chips Act, Fit for 55, Renew EU, KI-Act und all den anderen hochfliegenden Plänen sorgen, die bisher nicht schneller vorankommen als die legendäre "Lissabon-Strategie", mit der ihr Vorvorvorgänger Manuel Barolo einst am Vorhaben scheiterte, Europa zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen.
Die Wahlen haben gezeigt: Das Volk steht hinter der Frau aus Niedersachsen, deren Parteienfamilie erneut besser abschnitt als jede andere. Die Personaldecke in EU-Europa ist überdies denkbar dünn: Schon die Besetzung des Chefpostens bei der Nato, der stets einem Europäer zufällt, weil die Amerikaner das Militärbündnis bereits befehligen müssen, ließ sich nur stemmen, weil der niederländische Langzeit-Premierminister Mark Rutte von seinen Wählerinnen und Wählern un- und glücklicherweise gerade den Suhl vor die Tür gestellt bekommen hatte.
Alternativlos als ihre eigene Nachfolgerin
Ähnlich wie der Niederländer ist von der Leyen alternativlos als ihre eigene Nachfolgerin. Noch lange ist die Frau aus Niedersachsen mit Europa nicht fertig, zu viel ist in ihrer ersten Amtszeit unvollendet liegengeblieben. Vom Projekt Hera, mit dem sie die EU pandemieresilient machen wollte, war lange nichts mehr zu hören. Der mittlerweile schon um anderthalb Jahre verspätete Bau der Intel-Fabriken beim Magdeburg wartet weiterhin auf grünes Licht der Kommission für die benötigten zehn Subventionsmilliarden. Aus Angst vor den Landwirten räumte die EU im Wahlkampf die geplanten ehrgeizigen Umweltziele ab. Die Einführung einer gemeinsamen EU-Zeit, noch vom greisen Vorgänger Jean Claude Juncker versprochen, wurde ganz aufgegeben.
Eine Bilanz, die den Staats- und Regierungschefs bei ihrem Hinterzimmertreffen vor dem entscheidenden EU-Gipfel gar keine andere Wahl ließ, als auf den Ruf der Menschen draußen in den Mitgliedstaaten zu hören und der ehemaligen deutschen Familienministerin, die bis heute den Weltrekord für die meisten Ministerposten in den meisten Ressorts hält, den Weg zur zweiten Amtszeit zu ebnen. Ein "Machtpoker" (Spiegel), der auch als "wahre EU-Wahl" bezeichnet wird.
Keine Chance für den Mann mit der Brille
Wahlberechtigt sind 27 Staats- und Regierungschefs, sie haben die freie Auswahl aus genau einer Kandidatin. Sie müssen keine Rücksicht auf den"Spitzenkandidaten" der Sozialdemokraten und Sozialisten nehmen. Der Brillenträger Nicolas Schmit ist seit dem Wahltag ebenso komplett abgetaucht wie nach der letzten Wahl der aussortierte bärtige Wahlsieger Manfred Weber. Es fällt nicht auf, denn wieder sind Bart und Brille nicht Volkes Wille.
Die Bürgerinnen wie die Bürger wollen Ursula von der Leyen, streng, aber gerecht, eine Politikerin, die Europa per SMS regiert. Verglichen mit dem männlichen Mitbewerber aus Luxemburg ist wenigstens halbwegs bekannt. Verglichen mit den Anführern anderer Weltreiche blutjung. Und verglichen mit ihrem Vorgänger immer noch gut zu Fuß.
Doch obwohl jeder der Partner aus den zur Mehrheit notwendigen drei Blocks ein Stück vom Kuchen bekommt, ist der Ausgang der Abstimmung Ende Juli offen. 400 der inzwischen wieder auf 720 angewachsenen Zahl der Abgeordneten im größten teildemokratisch gewählten Parlament der Welt gehören zur Leyen-Allianz aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen. Mehr als 39 von ihnen dürfen sich nicht entscheiden, den Ruf der Völker zu ignorieren.
Gesprochene Verbrechen: Nazi-Enttäuschung in Sonneberg
Was hatte er nicht alles versprochen vor seiner Machtergreifung in Sonneberg. Der erste AfD-Landrat der Republik lockte Wählerinnen und Wähler mit weitreichenden Zusagen. Grenzen dicht, Gesundheitswesen wie in der DDR, brutales Vorgehen gegen Andersdenkende, Abriss der Brandmauer rund um das Rathaus, Rückabwicklung der Demokratie. Bundesweit herrschte Entsetzen in jenem Sommer vor einem Jahr, der bisher der letzte Sommer in Deutschland war und im abgelegenen Thüringer Zipfel Schalkau, Mittwitz und Pressig zudem der letzte Sommer der Freiheit.
Kurzer Empörungsblitz
Nach den heftigen Schockwellen aus Sonneberg entpuppte sich die kleine Bundestagswahl im winzigen Landkreis am Rande der Zivilisation als Empörungsblitz, der kaum länger leuchtete als der ein knappes Jahr später folgende Theaterdonner nach der EU-Abstimmung. Den ersten mutigen Reportertrupps, die sich ins Krisengebiet wagten, folgten später keine weiteren Expeditionen mehr. Sonneberg verschwand wieder dorthin, wo es immer gewesen war. Ein Stück Niemandsland, zugleich Staatsgebiet und exotische Fremde. Bewohnt von einem Menschenschlag, der geheimnisvoll und stur genug ist, wider besseren Wissen zu tun, wovon ihm alle abraten.
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Kein Dexit, kein Euro-Ausstieg. |
In der national-befreiten Zone
Sesselmann, geh Du voran, so klang es, als die früher vom Verfassungsschutz als in Teilen gesichert linksextrem beobachtete Landesregierung in Erfurt ihr Okay gab: Ja, der erste Landrat der AfD steht auf dem Boden der Verfassung, er darf im kleinen Sonneberg, einst weltweit für seine Spielzeugfabriken bekannt, damit beginnen, die Träume der AfD vom Ausstieg aus dem Euro, dem Dexit, dem Friedensschluss mit Putin, der Remigration krimineller und abgelehnter Asylbewerber und dem Kampf gegen Sprachfortschritt, Inflation, Verbrenneraus und bürokratischen EU-Maßnahmen zum Wiederaufbau Europas nach der Corona-Pandemie beginnen.
52,8 Prozent der Sonnebergerinnen und Sonneberger hatten sich gewünscht, Teil dieses Großexperiments im Kleinen zu sein, das aus den Redaktionsstuben der Republik noch weitaus skeptischer betrachtet wurde als der grüne Jahrhundertschritt zum Komplettumbau der Heizungsnation. Und das mit gutem Grund, wie sich jetzt zeigt: Denn der AfD-Mann hat offenbar auf ganzer Linie versagt. Weder ist es Robert Sesselmann gelungen, einen Waffenstillstand zwischen Russland und der völkerrechtswidrig angegriffenen Ukraine herbeizuführen, noch ist der Zustrom an Ansiedlungswilligen abgerissen oder Schluss gemacht worden mit Inflation, zuvielgesellschaftlichen Initiativen oder der Möglichkeit, im privaten Umgang zu Gendern.
Versagen auf ganzer Linie
Ein Versagen auf ganzer Linie, wie der genaue Blick zeigt. In Sesselmanns kurzer Amtszeit hat Sonneberg weitergemacht wie bisher: Wie in allen Landkreisen fehlt es an Geld, die Kreisstraßen zu unterhalten, noch vor dem geplanten Zurückstutzen der Krankenhauslandschaft auf das Notwendigste ist der lokale Klinikverbund in die Insolvenz geschlittert. Bis heute gelten auch in Sonneberg sämtliche überbürokratischen EU-Regeln, ebenso die von Bundeskanzler Olaf Scholz eben erst im ARD-Sommerinterview bestätigten Erhöhungen von Mindestlohn, Bürgergeld und Dokumentationspflichten.
Nichts hat die Wahl des demonstrativ mit einem ehemaligen NPD-Mitglied liierten rechten Rechtsanwaltes für die Sonneberger gebracht, aber auch Deutschland ging leer aus. Hunderte Industriearbeitsplätze, die in den vergangenen Jahren in und um Sonneberg verloren gingen, konnte Sesselmann nicht zurückholen. Sonneberg steckt seit sieben Jahren in der Rezession - auch der neue Mann im Landratsamt zeigte sich unfähig, die Wirtschaft in Schwung zu bringen.
Offene Türen der Weltsozialamtsfiliale
Fehlanzeige auch bei allen anderen Punkten: Bis heute gibt es Kriminalität in und um Sonneberg, in der Ukraine tobt weiterhin der Krieg, kurz vor der Sommerpause steht Deutschland ohne Haushaltsentwurf da. Trotzdem hat die Sonneberger Filiale des Weltsozialamtes, das Sesselmann hatte umgehend schließen wollen, fast mit 134 Schutzsuchenden doppelt so viele Asylbewerber und Ukrainer aufgenommen wie im letzten Jahr für der Machtergreifung. Dass "keine
qualifizierte Fachkraft freiwillig in ein kaltes
Land mit einer schwierigen Sprache geht, in dem sie auch noch Angst um ihre
Sicherheit haben muss" (Taz), gilt weiterhin. Mittlerweile aber wirkt sich das so drastisch auf das Alltagsleben aus, dass Bürgerinnen und Bürger bei EU-Wahl krasse Denkzettel ausstellten: Eine Abstimmung in der Wahlkabine, bei der Sesselmanns Partei nur zwölf Prozent zulegen konnte, obwohl die Ampelparteien 16,6 Prozent abgaben und die CDU 4,8 Prozent verlor.
Dienstag, 25. Juni 2024
Auf glühenden Kohlen: Warum es nicht lohnt, die Bahn zu sanieren
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Bahnschienen werden weich, der Müggelsee kocht: Bis zum Ende des Jahrhunderts droht Deutschland ein Hitzeschock. |
Es lohnt sich nun gar nicht mehr, die Bundesbahn zu sanieren. Neuen Berechnungen zufolge, die das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" verbreitet, wird es künftig in Deutschland so warm werden wie heute in Teilen Südeuropas. Nach Recherchen des ZDF sind die Folgen für den öffentlichen Nahverkehr fürchterlich: Ab 39 Grad Hitze schon verbiegen sich Bahn- und Straßenbahnschienen. Zugverkehr wird unmöglich, weil die stählernen Trassen dann weich werden. Aus diesem Grund verkehren bereits in vielen heißen Weltregionen keine Züge, auch Straßenbahnen sind in Afrika und im südlichen Asien kaum gebräuchlich.
Rückschlag für Umstieg
Für Deutschlands geplanten Umstieg von der individuellen Mobilität auf kollektive Bewegungsformen sind das keine guten Nachrichten. Eine Karte, auf die "Spiegel" verweist, zeigt, dass Berlin schon im Jahr 2080 heiß und weitgehend unbewohnbar sein könnte wie die norditalienische Region Emilia Romagna. Rostock droht das Schicksal Barcelonas, München säße auf ähnlich glühenden Kohlen wie heute Rom.
Detailliert hat der Umweltforscher Matthew Fitzpatrick von der US-amerikanischen Universität Maryland auf seiner "Future Urban Climates"-Map herausgearbeitet, wie stark die Temperaturen sich ändern werden - trotz der im vergangenen Jahr bereits verabschiedeten Hitzeschutzstrategie der Bundesregierung und der weltweiten Anstrengungen, die Klimakrise in den Griff zu bekommen.
Landstriche unbewohnbar
Vergebens. Die Karte mit Daten von mehr als 40.000 Städten, zur Zeit weitgehend nicht erreichbar, zeigt, wie ganze Landstriche unbewohnbar werden, sogar weit über das am heftigsten betroffene Deutschland hinaus. Auch skandinavischen Städten wie Stockholm und Oslo droht nach "Spiegel"-Recherchen der Hitzeschock, sie würden sich "künftig anfühlen wie Kroatien derzeit". Auch die Einwohnerinnen und Einwohner, die dann noch in London ausharren, einer Metropole, aus der nach dem Brexit viele Firmen abgewandert waren, müssten sich 2080 mit einem mörderischen Klima arrangieren, "wie es sich derzeit in der Gemeinde Labarde bei Bordeaux findet".
Weinberge an der Themse statt Londoner Schmuddelniesel, Strandbäder im isländischen Frühling und die Lofoten als neues Mallorca? Der Rückbau der Deutschen Bahn, der Umstieg zahlloser Städte von Straßenbahn auf Elektrobus? Zumindest wird es so kommen, wenn die Menschheit ihren Selbstvernichtungskurs mit anhaltend hohen fossilen Emissionen nicht ändert. Dann wird nicht nur das ursprünglich angestrebte 1,5-Grad-Ziel verfehlt, sondern auch die letzte Rückfalllinie bei zwei Grad. Matthew Fitzpatrick prognostiziert mit Hilfe der offiziellen Vorhersagen des Klimarates IPCC eine weltweite Erwärmung um rund neun Grad, bleibt es beim fossilen Volldampf.
Dreimal mehr als der IPCC
Der Forscher liegt damit beim Dreifachen des Wertes, den der Klimarat zuletzt bei 3,2 °C im Jahr 2100 festgeschrieben hatte, jedoch um mehr als drei Grad unter der wissenschaftlichen Prognose, die das Brandenburgische Landesamt für Umweltschutz vor fünf Jahren veröffentlicht hatte. Möglich sei jedoch auch eine weniger steile Hitzekurve: Bei strikt reduzierten Emissionen erwärme sich der Planet bis Ende des Jahrhunderts womöglich auch nur um drei Grad. Dann werde sich, hat der "Spiegel" ein Horrorszenario der besonderen Art ermittelt, "Berlin anfühlen wie derzeit die Gemeinde Böhl-Iggelheim in Rheinland-Pfalz."
Klimageldverweigerung: Rückenwind von der Wissenschaft
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Robert Habeck weiß schon, wofür er das Klimageld ausgeben will, wenn es die Bürgerinnen und Bürger endgültig nicht bekommen. Die Wissenschaft stützt den Minister. |
Kommt es bald nicht oder später nie? Wird es am fehlenden Geld gelegen haben oder an der Uneinigkeit der Ampel-Koalition? Stehen technische Probleme einer Auszahlung der als "Klimaprämie" im Koalitionsvertrag ausdrücklich versprochenen Ausgleichsgelder für die der großen Transformation meist schutzlos ausgelieferten Wählerinnen und Wähler im Wege? Oder werden es strukturelle Probleme sein, eventuell mit der notwendigen Zustimmung der EU?
Streit in der Koalition
Lange war nicht abschließend ausgemacht, mit welcher Begründung es die Bundesregierung schaffen würde, ihr Klimageld-Versprechen bis zum allerletzten Tag ihrer Amtszeit zu brechen. Die FDP machte Abwicklungsprobleme geltend. Die Grünen verwiesen auf wichtigere Projekte. Der Kanzler schwieg und sagte damit alles.
Dabei bleibt es auch. Allerdings haben sich jetzt Forscherinnen und Forscher zu Wort gemeldet, die die bedeutenden Vorteile des bisher vielleicht radikalsten Vertrauensbruches von Rot-Grün-Gelb in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Statt soziale Spannungen durch den Klimaschutz durch die Rückzahlung von Mehrbelastungen an die Bürger abzufedern, solle der Staat in Zeiten hoher Zinsen lieber Kredite aufnehmen, um Umstieg auf teure, klimaneutrale Technologien zu beschleunigen. Die in Zukunft schnell steigenden Preise für den Ausstoß von CO₂ hätten den Vorteil, erzieherisch auf alle zu wirken. Würde Energieverbrauch noch teurer, wären Bürgerinnen und Bürger eher bereit, auf bestimmte klimaschädliche Verhaltensweisen zu verzichten.
Lieber mehr als weniger
Bei den Wissenschaftlern, angeführt von Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), wird der Effekt freundlich umschrieben. Wenn CO₂-Ausstoß ein angemessener Preis gegeben werde, könne der Markt die günstigsten Lösungen finden, um Kohlendioxid einzusparen. Das sagenumwobene Klimageld, anfangs eines der Fortschrittsversprechen der Ampel, würde kontraproduktiv wirken: Die beabsichtige Belastung durch die beständig steigenden CO₂-Preise würde gemindert, der Erziehungseffekt nachlassen, einer Gewöhnung an die höheren Kosten der Weg bereitet. Das sei "nicht zielführend".
Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz dürften sich in ihrer Hinhaltetaktik bestätigt fühlen. Der Quertreiber Hubertus Heil, der sich als letzter Ampel-Minister öffentlich an den "sozialen Kompensationsmechanismus (Klimageld)" erinnert hatte, dürfte künftig nur noch wenig Lust haben, den Rat der Ökonomen in den Wind zu schlagen und ein Festhalten am Koalitionsvertrag zu fordern. Deren Wort wiegt zu schwer: Ohne dass es je dazu kam, haben sie herausgefunden, dass "die pauschale Rückgabe von CO₂-Einnahmen sich bei weitem nicht als Wunderwaffe erwiesen hat, um der Öffentlichkeit die Bepreisung von CO₂ schmackhaft zu machen".
Der Staat als besserer Klimaschützer
Der Staat wisse allemal deutlich besser, was mit den zuletzt um etwa 40 Prozent auf nunmehr 18,4 Milliarden Euro gestiegenen Einnahmen aus dem Emissionshandel anzufangen sei. Die rund 220 Euro pro Person, die als Rückerstattung ausgezahlt werden müssten, würden Menschen letztlich nur "an der Wirksamkeit und Fairness der CO₂-Bepreisung" zweifeln lassen, "wenn die Einnahmen als einheitlicher Zuschuss an die Verbraucher zurückgegeben werden", so die Forscher. Denn "warum, so fragen einige, sollten Bill Gates, Elon Musk oder Jeff Bezos den gleichen Scheck erhalten wie ein armer Mensch", dächten viele gleich global.
Dazu passt auch eine Umfrage, bei der Bürgerinnen und Bürger in Frankreich, Deutschland und Spanien mehrheitlich dafür plädiert hätten, der Bundesregierung das überzählige Geld zu überlassen. Den Befragten sei es wichtiger, die - ohnehin bereits mehrfach verplanten - Einnahmen aus der CO₂-Steuer nicht selbst in Empfang nehmen zu müssen, sondern sie denen zu geben, die etwas von grünen Investitionen verstünden.
Angst vor zu hohen Zahlungen
Wenn ab 2027 auch Heizen, Kühlen und Mobilität vollumfänglich CO₂-Steuer-pflichtig werden und die Steuer dann deutlich über den 45 Euro pro Tonne CO₂ steige, kämen anderenfalls vermutlich Klimageld-Erstattungen in vierstelliger Höhe auf die Haushalte zu, größere Familien müssten sogar mit fünfstelligen Summen rechnen. Im politischen Berlin sind alle Parteien überzeugt, dass gerade wirtschaftlich nicht erstklassig aufgestellte Empfänger mit so hohen Summen nicht umgehen können.
Montag, 24. Juni 2024
Ein Land auf Schneckenjagd: Killer im Fahrradsattel
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Fahrradfahrer sind in diesen feuchten Hitzetagen für Zehntausende Todesopfer verantwortlich. Eine Studie zeigt jetzt erstmals das ganze Ausmaß des oft verschwiegenen Problems. |
Die Todesfahrten im Hitzesommer
Killer auf zweirädrigen Raketen
Ein Glücksspiel, das oft tödlich ausgeht
Mordanleitungen in den Medien
Waste in Germany: Rohstoff-Nation auf halbe Ration
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Ist sehr oft noch sehr gut: Für Kondome ist in der neuen Nationalen Kreislaufstrategie eine mindestens zweimalige Verwendung vorgesehen. Eine Nationale Kreisbehörde soll streng kontrollieren. | |
Das Private ist politisch, der private Müll wird es nun auch. Stolz hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) vorgestellt, die vorsieht, dass Bürgerinnen und Bürger ihren sogenannten Pro-Kopf-Verbrauch neu abgebauter Rohstoffe halbieren. Statt wie heute alljährlich 16 Tonnen an Baustoffen, Kunststoffen und Metallen zu verschwenden, hat Lemke eine Reduzierung auf nur mehr acht Tonnen für jeden beschlossen.
Modernste Bürokratie
Die NKWS, mit der die Ministerin gegen bösartige Gerüchte um millionenteure versäumte Kontrollen bei Klimazertifikaten entgegentritt, setzt zur Durchsetzung auf ein ganzes Bündel modernster bürokratischer Maßnahmen. So soll es Gesetzesinitiativen etwa zur Einführung eines digitalen Produktpasses für jeden einzelnen Gegenstand des täglichen Bedarfs geben. Dessen Lebenszyklus könnte dann mit Hilfe von Blockchainanwendungen durch eine noch zu gründende nationale Kreisbehörde (NKB) überwacht werden. Zu frühes Aussortieren wäre strafbar oder zumindest nicht legal.
Anreizprämien hingegen soll es für nachhaltigen Konsum geben. Wer Jacken, Hosen und Schuhe länger nutzt als gesetzlich vorgeschrieben, bekäme ebenso Nachhaltigkeitspunkte gutgeschrieben wie treue Nutzer von Geschirr, elektronischen Geräten und Handwerkszeug. Die Nachhaltigkeitpunkte berechtigen zur Teilnahme an der Deutschen Nachhaltigkeitslotterie, bei der wertvolle Preise aus Recyclingmaterial verlost werden, um die Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung auf die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu popularisieren.
Keine Panik nötig
Panik, wie sie beim Heizungsumbaugesetz-Experiment wegen der Plötzlichkeit der Anweisungen zum Abschied von der gewohnten Lebensweise ausbrach, ist diesmal nicht nötig. Die Ampel-Koalition hat sichtlich aus ihrem übereilten Vorgehen gelernt. Schon die Neufassung des Heizungsgesetzes hielt zwar an Ziel und Auflagen fest, verschob aber alle Umsetzungstermine so weit in die Zukunft. Dadurch ist sichergestellt, dass erst viel später wieder blankes Entsetzen regieren wird, wenn Bürgerinnen und Bürger begreifen, dass milliardenschwerer Fernwärme und Tausende kommunale Wärmeplanungspläne das Wohnzimmer kein Grad wärmer und keinen Cent günstiger durch den Winter bringen.
Steffi Lemke, die als grüne Ostquotenfrau im Kabinett Umweltpolitik zwischen den beiden großen grünen Macho-Egos von Klimaminister Robert Habeck und dem immer noch ambitionierten Ex-Parteichef Cem Özdemir im Landwirtschaftsressort machen muss, hat die Lehre angenommen. Für die Halbierung ihres Rohstoffverbrauchs setzt sie den Deutschen eine großzügige Frist. Erst im Jahr 2045 wird bei zu hohem Verbrauch mit drastischen Bußgeldern reagiert werden. Vorher sieht die Halbierungsstrategie einen Ausstiegspfad vor, der etwas ambitionierter ist als der auf EU-Ebene.
Nachahmer willkommen
Um die internationale Nachahmung zu erleichtern, die wahrscheinlich schon in Kürze einsetzen wird, hat sich Lemke von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin den schnittigen Begriff "Circular Economy" für ihre Bundesrecyclingregeln entwerfen lassen. Aus "Made in Germany" soll "Circularity made in Germany" werden, "gut für Umwelt und Klima", wie Steffi Lemke sagt. Wie genau der Pro-Kopf-Verbrauch neu abgebauter Rohstoffe halbiert soll, gibt das Ministerium nicht vor, einen Fingerzeig aber enthält das Papier: Der Anteil wiederaufbereiteter Rohstoffe in Europa solle "verdoppelt" werden.
Daraus ergäbe sich ein Recycling-Anteil von etwa 26 Prozent, rein rechnerisch verbliebe eine Lücke von etwa 25 Prozent, die die Ministerin offenbar mit einem "Orientierungsrahmen für ihre Geschäftsmodelle für die nächsten 10 bis 15 Jahre" zu schließen beabsichtigt. Aus 14 Tonnen heutigem Neu-Rohstoffverbrauch würden zwölf, das Recyclingloch im sogenannten Rohstoff-Fußabdruck bis zu den angestrebten jährlich nur noch acht Tonnen pro Kopf würde eventuell durch "die Energiewende und mehr ressourcensparenden Leichtbau und Abfallvermeidung" geschlossen.
Neue Behörde für Müll-Überwachung
Bis zum Jahr 2030, das hat auch die EU bereits beschlossen, sollen zehn Prozent und bis zum Jahr 2045 pro Kopf 20 Prozent weniger Abfall produziert werden. Um die Prozesse zu führen, zu leiten und die Erfolge abrechenbar zu kontrollieren, wird im Rahmen der Behördenansiedlungsoffensive BAO), die bereits vom letzten Kabinett Merkel angeschoben worden war, eine Nationale Kreislaufbehörde (NKB) gegründet, die Unternehmen und Privathaushalten helfen soll, den erhöhten Dokumentationsaufwand auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft regelgerecht zu bewältigen. Die NKB könnte auch federführend dabei mitwirken, absehbar fehlende Sekundärrohstoffmengen zur Verfügung zu stellen.
Sonntag, 23. Juni 2024
Sehnsucht der Völker: Wo bleibt die EU-Nationalmannschaft?
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Die Trikot der neuen EU-Nationalmannschaft sind schon lange fertig: Eigentlich sollte schon 2020 soll eine gemeinsame EU-Elf für Europa antreten. |
Die Nation als das Trennende
So sehr sie die Gemeinsamkeiten sucht, die sie so selten findet, so sehr fürchtet die EU sich auch nach dem verheerenden Rechtsruck vom 9. Juni noch vor dem schnellen, entschiedenen Schnitt in den alten Zopf der nationalstaatlich bestimmten Fußballmannschaften. Brot und Spiele und nationalistische Gefühle, sie dienen nicht nur der Ablenkung von den Nöten des Alltags, sondern auch der emotionalen Entlastung: Individuen sind aufgefordert, sich einer Gruppe anzuschließen, in dem sich kleiden wie andere Mitglieder, dieselben Lieder grölen und dieselben Fahnen schwenken.