Mittwoch, 22. Mai 2024

1.000 Euro Mindestlohn: Weg mit der Angst vor dem großen Wurf!

So könnte die ehemalige Arbeiterpartei SPD in den Wahlkampf ziehen, wenn sie den Mut für einen großen Wurf findet.


Geht es nach dem Weg mit dem führendsten deutschen Ökonomen, wird es wieder am Ende wieder alles in ganz kleines Karo gekleidet. Es wird keine Lösung geben, nicht für den Fachkräftemangel, die Attraktivität des Standorts und auch nicht für die offene Rentenfrage. Das Wohlstandsniveau wird weiter sinken, die Staatskasse kränkeln und es drohen immer härter werdende Verteilungskämpfe um die Brosamen, die in Zukunft nicht mehr so reichlich vom Tisch des Staates fallen werden.  

Kleinliche Diskussion um Cents

Doch auch wenn diese Entwicklung absehbar ist: Marcel Fratzscher schaffte es in einem Diskussionsbeitrag im "Tagesspiegel", sein Bemühen um den Erhalt des Status Quo als Aufruf "gegen die ideologischen Scheuklappen!" zu verkaufen. 

Svenja Pranlt will mehr.
Svenja Prantl will mehr.

PPQ-Kommunistin Svenja Prantl entgegnet dem Forscher ganz entschieden: 15 Euro sind ein Hohn, mit einem solchen Almosen darf sich die hart arbeitende Mitte nicht abspeisen lassen.

Es wird wie immer als Streit inszeniert. Hier die neue Linke mit dem Wunsch nach einem Mindestlohn von 14 Euro, dort Forderung von Bundeskanzler Scholz und anderen nach einem Mindestlohn von 15 Euro, daneben die widerstrebende Opposition im Kabinett. Den einen springt dieser Wissenschaftlernde bei, den anderen jener. Mit Marcel Fratzscher hat sich nun der bedeutendste Vordenker einer Ökonomie des Gebens und Nehmens auf die Seite derer gestellt, die sagen, dass es nicht reicht, wenig zu geben, weil mehr immer besser ist.

Fratzscher bedient sich dabei einer perfiden Methode: Indem er "gute Argumente" gegen einen politisch von oben verordneten Mindestlohn von 15 Euro anführt, dann aber "noch bessere Argumente" für eine Lohngestaltung durch das Bundeskabinett nennt, schließt er geschickt alle Alternativen zu einer Erhöhung des Mindestlohnes über die insgeheim bereits beschlossene Grenze von 15 Euro aus.

Armutszeugnis nach drei Jahren

Ein Armutszeugnis. Drei lange Jahre schon ist es her, dass Bundeskanzlerkandidat Olaf Scholz im Wahlkampf das Versprechen plakatieren ließ, den Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen. Das ist mittlerweile geschehen, doch selbst wenn die Erhöhung auf 15 Euro schnell käme, entspräche sie doch nur einem Zuwachs um gerade mal ein Viertel in drei Jahren. Kaum mehr als acht Prozent Zuwachs im Jahr.

Schäbig! Die Lebensmittelpreise sind gestiegen, die Strompreise noch nicht gefallen. Höchste Zeit, etwas zu wagen, um die Lebensverhältnisse von Millionen wirklich zu verbessern und - ganz nebenbei, die Attraktivität des Standorts auf ein neues Level zu heben, die Rentenkassen zukunftsfest zu machen und dem Finanzminister die Sorgen um die Finanzierbarkeit der großen Transformation zu nehmen. Fakt ist, dass die Preise in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich um 20 Prozent gestiegen sind, die Löhne jedoch nur um 15 Prozent: Das liegt natürlich am Mindestlohn, der als Lokomotive der Gehaltsgesellschaft gilt, weil jede Erhöhung hier alle anderen Einkommen hochzieht.

Die Lokomotive der Lohnentwicklung

Die Zahlen der jüngsten Vergangenheit zeigen allerdings, dass offenbar viel zu zaghaft erhöht wurde - und, das sagen die Statistiken, - auch ein erneutes Anziehen der Mindestlohnhöhe auf 15 Euro daran nichts ändern würde. Der Sprung ist zu klein, als dass er wirklich breit in die Gesellschaft und die Wirtschaft hineinwirken könnte. Richtig wäre eine kräftige Erhöhung, nicht um Cents oder ein paar Euro, sondern ein großer Wurf, ein Schluck nicht aus dem Becher, sondern aus der Kanne: Stiege der Mindestlohn beispielsweise ab 1. Juli auf 1.000 Euro, würden die erhofften Wirkungen beim Wohlstandsgewinn noch vor Beginn der großen Ferien eintreten. Und spätestens Mitte Herbst hätte sich Deutschland komplett entlang eines neuen Wohlstandsgefühls geordnet.

Die Wirtschaft und der Sozialstaat wären zwei große Gewinner einer solchen Erhöhung des Mindestlohns, neben den Menschen draußen im Lande. Nicht nur, dass der seit Einführung des Euro aufgetretene reale Verlust der Kaufkraft der Löhne um 45 Prozent sofort komplett ausgeglichen würde. Nein, hinzu kommt, dass die Inflation für Menschen mit geringen Löhnen und Einkommen plötzlich vollkommen bedeutungslos würde. Energie, Lebensmittel und Mieten ließen sich aus einem Monatslohn von 140.000 Euro für eine 34-Stunden-Woche brutto komplikationslos zahlen.

Lohnbeben durch alle Branchen

Niemand müsste mehr den Gürtel enger schnallen, denn das Lohnbeben würde sich quer durch alle Branchen fortsetzen. Tarifautonomie? Gern doch, aber erst nach der Setzung eines staatlichen Mindestlohnes, an dem sich alle orientieren können. Beschäftigte, die in den vergangenen fünf Jahren durchgehend den Mindestlohn erhalten haben, stünden nicht mehr am Ende der Lohnpyramide, sondern sehr viel weiter oben, sobald die politisch erzwungene Erhöhung des Mindestlohns von 8,50 Euro im Jahr 2015 auf 1.000 Euro ab Mitte 2024 wirksam würde. Eilig würden alle Branchen nachziehen, Experten prognostizieren, dass die Durchschnittslöhne und -gehälter im Land binnen weniger Monate auf Beträge steigen, die sich bei 2.000 bis 3.000 Euro Stundenlohn im Durchschnitt einpendeln. 

Der Wohlstandsgewinn wäre immens, ausländische Fachkräfte würden Schlange an den grenzen stehen und der Ärger mit dem Lohnabstand zum Bürgergeld, er würde sich schlagartig in Luft auflösen, weil die Attraktivität von Arbeit verglichen mit dem Müßiggang auf Steuerzahlerkosten förmlich explodieren würde. Es wäre die wichtigste sozialpolitische Maßnahme in Deutschland seit der Einführung der Sozialversicherungen im Kaiserreich. 

Glutkern eines Wohlstandssprungs

Zwar profitierten nur knapp zehn Millionen Beschäftigte direkt oder indirekt vom Mindestlohn. Doch weil der Niedriglohnsektor nach wie vor 16 Prozent aller Arbeitskräfte bindet, kann er mit einer zielgerichteten Politisierung der Höhe des Mindestlohns und einer als "Vorschläge" verbrämten Einmischung in die Tarifautonomie zum Glutkern eines neuen gesellschaftlichen Gleichgewichts auf höherem Lohnniveau werden.

Wichtig wäre dazu allerdings, die kleinlichen Vorschläge des Bundeskanzlers ebenso wie die Knauserei eines Marcel Fratzscher vom Tisch zu fegen. Soll der Mindestlohn dazu beitragen, dass Arbeit sich wieder lohnt, dann hilft es wenig, Armutslöhne hinter den galoppierenden Preisen hinterherzujagen. Nein, wichtig wäre, dass die Politik mit ihrer Einmischung in die Empfehlungen der unabhängigen Mindestlohnkommission wirklich einen großen Wurf bewirkt, der Wohlstand neu denkt und Basis wird für eine dynamische Wirtschaft für eine gerechte Gesellschaft.

Die wohlfeilen Ratschläge eines Marcel Fratzscher helfen dabei wenig, weil sie festkleben am Gedanken einer Austerität, die noch niemals jemandem geholfen hat, reich zu werden.

7 Kommentare:

  1. SpaziergängerMai 22, 2024

    Ich hoffe aber, pro Tag und nicht 1000 € pro Woche!

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  2. Sogar für eine gut gebildete Fachkraft wie Svenja wären €1000 das absolute Oberlimit, und ich glaube nicht, dass ich mir die volle Stunde leisten wollte.
    Der scheuklappenbefreite Regierungsökonom Fratzscher wäre allerdings mit fuffzig Cent weit überbezahlt. Der soll mal die Kirche im Dorf lassen.

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  3. das ist typisch für kartoffeln, wie sie der schweizer wetterfrosch nennt. immer knausrig

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  4. OT
    Bei Jew ... äh, Jouwatch:
    >> „Was die Ratten in der Zeit der Pest waren, sind Kinder zurzeit für Covid-19: Wirtstiere“, so nur eine von Böhmermanns Abartigkeiten. Til Schweiger bezeichnete Jan Böhmermann – unter breitem Applaus – als “Brechmittel”. <<

    Ein Arschloch schimpft das andere Analöffnung.
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    Zum Thema zurück: Spottet nur. Die absurdesten Versprechungen verfangen bei einem gar nicht so kleinen Teil des profanum vulgus. Die nehmen es buchstäblich, wie etwa Achtjährige, die gerade Lesen gelernt haben. --- Die wollen, nein, werden die Mieten senken / Löhne verdoppeln / spottbilligen und dennoch prachtvollen Wohnraum schaffen - die wähle ich! Klappt immer und immer und immer wieder - das wusste schon Alfons Güttler in "Kein Krampf".

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  5. „Im Nürnberger Prozess war die Waffen-SS als Verbrecherorganisation eingestuft worden, was sie ZWEIFELLOS* auch war. Doch jene, die in ihr dienten, waren eben nicht immer automatisch auch Verbrecher, sondern mitunter selbst Opfer – wie diese jugendlichen Zwangsrekrutierten.“
    (Der Sudel)

    *Dubium sapientiae initium ...
    Statt "zweifellos" könnte auch "ofenkundig stehen ...

    Sehr frei nach Sefton Delmer: Bis sie sich wollüstig grunzend in ihrer vermeintlichen Schuld suhlen ...

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  6. irgendwerMai 23, 2024

    Tja, wenn die "Zeitenwende" finanziert werden will, darf am Mindestlohn nicht gespart werden.

    Da die Kanzlerpartei beste Verbindungen zu den Agenten für Arbeit hat, wird sie schon wissen, wie viele Mindestlohnempfänger schon nindestens eine Mindestlohnerhöhung miterlebt und endlich den Zusammenhang zwischen einer Bruttolohnerhöhung und einer Nettolohnsenkung ("steuerliche Progression") verstanden haben.

    So geht volkswirtschaftliche Bildung für das einfache Volk.
    Zum Wahlkampf taugt das zwar nicht, aber jetzt sind die einfachen Menschen halt einfacher erreichbar.

    Solange die Mindestlohnversprechen im Wahlkampf aber anschließend nicht sicher zum Unterschreiten der 5%-Hürde führen, bleibt dann doch noch viel Aufklärungsarbeit im Prekariat zu leisten.

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