In Fichtenbusch am Bache (Sachsen) stehen Rinder immer noch ungeschützt im Freien. |
Ulf Gerlemann-Samasat, der zweite Assistent der Referatsleiters IV in der Umweltabteilung des Climate Watch Institutes (CWI) im sächsischen Grimma, fuhr auf Urlaub in sein Heimatdorf Fichtenbusch am Bache.
"Nun, was ist, Uwe," sagten die Kollegen beim Abschied, "da Du schon ins Outback fährst, könntest Du vielleicht ein bisschen agitieren dort im Dorf, wie? Sagt den Bäuerlein so und so, das Tierwohl immer wichtiger wird bei uns, auch wegen des Klimas und der Umwelt? Vielleicht sammeln sie etwas Geld, zeigen Solidarität und unterschreiben die eine oder andere Petition für höhere Steuern auf Fleisch und Fossile?"
"Da könnt ihr versichert sein", antwortete Gerlemann-Samasat, "ich werd' schon tüchtig Propaganda machen, wär' was anderes, wenn es nicht um unsere Zukunft und die unserer Kinder ginge, aber darüber, seid unbesorgt, werd' ich schon was Richtiges sagen!"
Gerlemann-Samasat kam nach Haus, dorthin, wo er als Kind aufgewachsen und von wo er schon als junger Mann geflüchtet war, und begab sich gleich am Tag seiner Ankunft zum ehrenamtlichen Bürgermeister, der die Gemeinde vom alten Konsum aus führt. "Also," sagte er, "ich will hier ein bisschen agitieren! Kannst Du nicht eine Versammlung einberufen? Ich bin doch der Uwe, Du kennst doch meinen Vater und jetzt bin ich beim Climate Watch Institut, wo wir an der Zukunft forschen und für den Fortschritt".
"Nun, warum nicht," sagte der alte Rolf Wachmann, "agitiere nur, agitiere nur! Es ist doch für die gute Sache! Für die Zukunft und den Fortschritt!"
Am anderen Tag rief ein Aushang am Schwarzen Brett die Bauern und die Zugezogenen und auch die Alten und Zurückgelassenen im neuen Feuerwehrgeräteschuppen zusammen, dessen Garage groß genug gewesen war für den alten W50-Löschzug. Aber dann hatte die Gemeinde aus dem Partnerdorf im Hessischen ein modernes Mercedes-Leiterfahrzeug geschenkt bekommen, glücklicherweise genau in der Woche, als der Landkreis dem W50 die Betriebsgenehmigung entzogen hatte. Der passte nun nicht in die Garage.
Dadurch war Platz gewesen für den neuen Dorfklub, samt Theke mit Zapfanlage, die Freiwillige eigenhändig aus der "Schwarzen Raben" herausgeschraubt hatten, der Dorfschenke, die kurz nach der Wende geschlossen worden war.
Ulf Gerlemann-Samasat trat nun also vor die Bürgerinnen und Bürger hin, verbeugte sich und begann: "Also, so ist das, das Tierwohl, liebe Nachbarn! Da ihr ein, naja, na Gott naja, ungebildetes Volk seid, werde ich Euch etwas von der Politik erzählen. Hier, sagen wir mal, ist Deutschland und dort vielleicht Frankreich. Hier Russland, wisst ihr sicherlich, wenn ihr doch mal Nachrichten guckt, Krieg, Ukraine, Waffen, richtig? Und wir wollen deshalb nun wegen des Tierwohls..."
"Worüber redest Du eigentlich, Uwe?", fragte die alte Frau Bäcker, die Gerlemann-Samasat noch aus der Grundschule kannte, wo sie bis zur dritten Klasse seine Klassenlehrerin gewesen war, ehe die kleine Dorfschule wegen zu weniger Schüler*innen hatte geschlossen werden müssen. "Worüber?", erwiderte Ulf Gerlemann-Samasat, der etwas aufgeregt war, weil er zum ersten Mal vor so vielen Menschen sprach. Er rede natürlich über das Tierwohl! Gesunder Ernährung! Höhere Steuern auf Fleisch und Wurst, "damit es auch den Tieren gut, geht, den Hähnchen und Hühnchen und Kaninchen!"
Die Debatte darüber komme gerade in Fahrt! "Mehr Platz für unsere Mitgeschöpfe und wir als Vorbild für Frankreich, China und Brasilien." Die Bauern, Rentner und Ruheständler hörten finster zu. "Halt' Dich nicht auf!", rief jemand von hinten. "Red' weiter!"
"Ich halt' mich ja gar nicht auf", sagte Ulf Gerlemann-Samasat eingeschüchtert. "Ich red' ja über das Tierwohl. Es entwickelt sich bei uns, Nachbarn, nichts dagegen zu sagen, was wahr ist, ist wahr!"
"Hm, etwas unverständlich," rief der alte Rolf Wachmann. "Du musst etwas volkstümlicher sprechen, Uwe, bitte, dass die Masse der einfachen Leute Dich auch versteht!"
Ulf Gerlemann-Samasat, den die meisten im Dorfgemeinschaftsraum noch als "Ulf" kannten, trat näher an den Haufen der Ureinwohner heran, er nahm einen Schluck Wasser, setzte verlegen das eine Bein etwas vor und begann von neuem: "Also, liebe Freunde - man kümmert sich um das Tierwohl und macht sich Sorgen, dass es dem Vieh auch gut geht, bis es dann geschlachtet wird, in ganz großen, hygienischen Fabriken, von Fachleuten, die meistens aus Rumänien kommen." Nun, manchmal kommt es da auch Unfällen, zack, ist die Hand unter der Wurstpresse."
Das sei neulich erst passiert, "die Hand war weg, rein ins Mett, hat man nie mehr wiedergefunden".
"Kein Wunder", sagten weise die Bauern, die selbst alle schon Wurst gekocht hatten. "Eben, das sag' ich auch!", sagte Ulf Gerlemann-Samasat, erfreut über die Anteilnahme. "Natürlich ist so ein bisschen Fleischanteil zusätzlich kein Problem in so einer großen Fabrik! Das vermengt sich im Hack, das fällt im Lyoner gar nicht auf." Die Wurstmaschine laufe da weiter, auch wenn mal "ein Vogel reinfällt oder ein paar Fliegen, das kommt im Sommer dauernd vor". Hauptsache sei ja die Einstellung zum Tierwohl, die Beinfreiheit im Stall und so weiter, ja?
Verständnisvoll nickten die Anwesenden. Wer arbeitet, macht Fehler. Wer Tiere hält, hat manchmal Pech. "Jeder von uns kennt das, oder?", schaute sich Ulf Gerlemann-Samasat beifallheischend im Klubraum um, in dem einige nun schon vom Kaffee zum Bier aus alten Tulpen übergegangen waren. Fast schien es Gerlemann-Samasat, als hörten nicht mehr alle ganz gespannt zu. Er hob die Arme und schilderte kurz das unendliche Leiden eines jungen Schweins. "Ganz eng eingesperrt, kein Auslauf, das arme Tier", rief er. "Ferkel", grummelte es von einem Tisch links hinten. "Wie bitte?", frug Gerlemann-Samasat. "Ferkel!", kam es erneut von hinten. Gerlemann-Samasat schluckte schwer. "Bitte keine Beleidigungen", sagte er, "es reicht doch, wenn der ganze Hass das Internet verpestet!"
Es wurde für einen Moment ganz still im Raum. "Wegen dem Tierwohl", höhnte einer der Bauern, offenbar noch immer nicht restlos überzeugt. "Ja, wegen dem Tierwohl", schnauzte der erfahrene Öko-Bürokrat zurück, den es nach Jahren im politischen Berlin erst im Zuge der Gründung des CWI zurück nach Sachsen verschlagen hatte. Einmal sei selbst im Institut eine ganze Kühltruhe voller Hühnchenfilets verdorben, weil der Strom ausgefallen war. Ulf Gerlemann-Samasat schilderte die Folgen: "Das hat man spät bemerkt, erst nach dem Wochenende! Das hat vielleicht gestunken! Wie in der Abdeckerei in Tannebach drüben früher!"
Ja, ja, ja, verschiedenes passiert so, wenn es um solche wichtigen Dinge wie das Tierwohl gehe! "Manche Kommissionen haben wir schon dazu gehört, manchen Bürgerrat und viele Minister", beschrieb er. "Alle hätten sie ganz schnell die Steuern erhöhen müssen wollen, um durch die Bauern mehr fürs Tierwohl tun lassen zu können.
"Aber nie hat es geklappt, deshalb müsste ihr uns nun mal helfen, mit Geld oder auch einer Unterschrift unter eine Online-Petition, für die, die wenig haben." Überall werde ja nun mehr Tierwohl gebrauch, das werde teuer werden, sei aber unumgänglich. "Jeder sieht das ein", sagte Ulf Gerlemann-Samasa, "und jeder erkennt, dass ein Traktor nicht im Rückwärtsgang vorwärtskommt!
"Und Mähdrescher?" fragten ängstlich die Bauern. "Auch Mähdrescher, Uwe?"
"Auch Mähdrescher!" sagte stolz im Brustton der Überzeugung der Redner. "Das geht gar nicht!" Zwar seien Mähdrescher theoretisch vegan, aber Studien am CWI hätten ergeben, welchen Blutzoll die brutalen Maschinen in Wirklichkeit fordern. "Da werden Mäuse geschreddert, Hamster, Brutvögel und sogar Hasen."
"Sogar Hasen!", sagte jemand. "Was sie jetzt alles wissenschaftlich nachweisen können: Hasen zu Tode quälen - für das Tierwohl!" Köpfe wurden verwundert geschüttelt. "Und das entwickelt sich jetzt, dieses Tierwohl, ja?"
"Eben, das sag' ich ja! Es entwickelt sich, liebe Nachbarn, liebe Freunde, liebe Demokraten! Und darum meine ich, sammelt vielleicht das ganze Dorf etwas Geld oder ihr unterschriebt alle eine Petition oder, ich meine, es reicht vielleicht auch, wenn ihr alle einen offenen Brief an den Landkreis schreibt und fordert, dass in der Kita in Tannebach ein-, zweimal die Woche nur vegan gekocht wird."
"Wofür denn das, Uwe?", fragten neugierig die Bauern und ein paar Ältere tuschelten mit gefurchten Strirnen. "Für die Tierwohlforschung natürlich!", sagte der Redner. Die große Runde der Fichtenbuscher lächelte nun sehr finster und alle gingen langsam auseinander. Geld für mehr Tierwohl brachte Ulf Gerlemann-Samasat nicht mit, als er von seinem Urlaub ans Climate Watch Institut in Grimma zurückkehrte. Die alten Nachbarn in Fichtenbusch am Bache waren eben noch ein zu ungebildetes Volk.
Nach Motiven von Michail Sostschenko, "Der Agitator aus Teterkin bestellt einen Aeroplan", 1950
" Der Potsdamer Agrarökonom Hermann Lotze-Campen", aus der Taz. Solche blöden Doppelnamen kenne ich sonst nur von Frauen.
AntwortenLöschenSonst war der Text sehr schön, nur ein wenig lang. Nichts zu tun am Sonntag?
Sonst war der Text sehr schön, nur ein wenig lang.
AntwortenLöschenWestgote? Rein wertneutral, nichts für ungut. Kennt nicht Fix und Fax, Mäxchen und Tüte, Ritter Runkel und Bogumil.
Friseur Kleinekorte und seinen "Jehülfen" Kafforke auch nicht.
Die Moral beider Versionen der Geschichte hat sich mir nicht erschlossen. Bin halt nur vom Dorf.
AntwortenLöschenIch war nie ein Krug-Fan, obwohl er seine Momente hatte. Dass er nicht nur ein intonationsunfähiger Sänger sondern auch ein talentloser Humorvorleser war, wusste ich aber noch nicht.