Bis gestern noch fürchteten gerade viele Jüngere eine neue Finanzkrise. Jetzt aber hat die EU ihre strengen Schuldenregeln reformiert, nun ist wieder genug Geld für alle da. |
Das war knapp, sehr knapp sogar. Nur ein paar Minuten nach der Nachricht aus dem europäischen Statistikamt Eurostat, dass auch im vergangenen Jahr wieder nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten gegen die strengen regeln des Maastricht-Vertrages verstoßen haben, schob das EU-Parlament neuerlichen Hiobsbotschaften dieser Art für die Zukunft einen Riegel vor.
Neue, großzügige Regeln, die jede Regierung für sich auslegen kann, wie es gerade passt, gestatten es, die eigentlich eisernen Maastrichter Grenzwerte für die Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung bei einer Schuldenquote von höchstens 60 Prozent des BIP zu interpretieren, wie es gebraucht wird.
Finanzkrise verhindert
Auch wenn der Schuldenstand zu hoch ist, müssen Schulden nicht mehr abgebaut werden - die EU nennt das „flexibler abfedern“. Gibt es gute Argumente wie etwa anstehende Schicksalswahlen, vor denen es sich verbietet, notwendige Sparmaßnahmen im Haushalt durchzusetzen, kann das mit dem Argument der „sozialen Dimension“ nun auch offiziell unterbleiben. Ziel sei es, der gefürchteten „Austeritätspolitik“, die nur den Falschen in die Hände spielt, vorzubeugen, dadurch entstehende neue finanzielle Lasten aber ohne große Diskussion auf den Schultern kommender Generationen abzuladen.
Den Kuchen essen und ihn zugleich aufheben, dieser alte und ewig junge Brüsseler Wunschtraum, er ist auch dieses Mal schließlich doch noch in Erfüllung gegangen. Wie bei der gemeinsamen europäischen Flüchtlingslösung, der gemeinsamen Außenpolitik und der vielen verschiedenen gemeinsamen Haltungen zum Nahost-Konflikt öffnet die Abschaffung der zwingenden Grenzwerte für Haushaltsdefizite und Schuldenquote einen Raum der Möglichkeiten.
Zukunft ist wieder greifbar. Nur der Ehrliche, der wie Zypern, Dänemark, Irland und Portugal zuletzt nur ausgab, was er eingenommen hatte, ist der Dumme. Die anderen 23 Mitgliedsstaaten können aus der Schmuddelecke kommen. Wer es nun nicht macht wie sie, der ist selber schuld.
Musterknabe Deutschland
Die lauernde Gefahr, die in zu hohen Schulden immer steckt, sie ist durch das grüne Licht der Europa-Parlamentarier zu mehr und höheren Verbindlichkeiten gebannt. Eben noch fürchteten gerade viele Jüngere eine neue Finanzkrise, denn nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern selbst Deutschland liegt ja seit vielen Jahren stabil über der knallharten Obergrenze für die erlaubte Schuldenlast. Zwar verzichtet die EU mit Rücksicht auf die allgemeine Stimmung beinahe ebenso lange schon darauf, ihre vor 20 Jahren noch so gefürchteten "Blauen Briefe" zu versenden.
Doch so lange die Regeln starr und die von Müttern und Vätern des Euro ausgedachten Vorschriften allgemeinverbindlich sind, lebte selbst die Ampel-Koalition in Berlin mit der Angst, ihr von der Vorgängerregierung übernommenes vertragswidriges Finanzgebahren könne eines Tages öffentlich thematisiert werden.
Diese Gefahr ist nun gebannt. Schlagartig ist wieder Geld da, sind Spielräume offen. Statt kleinlich auf die Einhaltung gemeinsam vereinbarter Vorschriften zu pochen, kann es die EU in Zukunft bei interessierter Beobachtung belassen. Vorbild ist hier der Umgang mit den innereuropäischen Grenzschließungen, gegen die EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos noch wacker, wenn auch vollkommen vergeblich angekämpft hatte, weil sie den Schengen-Verträgen widersprachen. Seine Nachfolgerin Ylva Johansson ließ es dagegen laufen, stellte ihre Empörungsbemühungen ebenso ein wie zuvor schon die SPD und ersparte sich so eine schmachvolle Niederlage.
Griechisches Wirtschaftswunder
Daran orientiert sich das neue Schuldenregelwerk, mit dem sich die EU-Finanzminister nach vier Jahren Verhandlungen um Sprachregelungen, Branding und Marketing auf einen Neustart ohne konkrete Vorgaben zum Schuldenabbau geeinigt haben. Je höher Staaten verschuldet sind, desto mehr Zeit sollen sie für die "Schuldenrückführung" bekommen, wie die EU-Kommission die drastischen Schritte zur Beendigung des brutalen Maastricht-Regimes nennt.
Das Beispiel Griechenland habe gezeigt, dass es keine Obergrenze für tragbare Schulden gebe: Seit den Tagen der Finanzkrise hat sich die Schuldenlast der Griechen nicht etwa verringert, sondern deutlich erhöht. Doch trotz einer Schuldenquote, die mit 150 Prozent deutlich über den erlaubten 60 Prozent liegt, ist Griechenland weiterhin bewohnbar und, so berichten Abgesandte des RND, die sich nach Athen gewagt haben, es erlebt sogar ein "Wirtschaftswunder".
Der Schuldenhimmel offen
So soll es bald überall sein. Der Schuldenhimmel nach oben offen, die Zeitleiste zur Rückzahlung in "Schuldenabbauplänen" (EU) felsenfestgeschrieben, die "je nach Länge einer Legislaturperiode auf vier oder fünf Jahre ausgelegt" sind, aber auch um "bis zu drei Jahre verlängert werden" können, wobei jeder Regierungswechsel zwischendurch dazu berechtigt, neue Wünsche zu äußern. Vermerkt wird jede Bemühung in einem Muttiheft, das die EU nach einem Vorschlag des Europäischen Amtes für einheitliche Ansagen (AEA) auf den Namen "Kontrollkonto" getauft hat.
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