Die Personaldecke ist dünn, das Angebot an Alternativen überschaubar. Die SPD hat gar nichts im Schrank, die Grünen haben kein Interesse. Also muss die Union wieder, soll Deutschland im kommenden Europa nicht ohne Spitzenposten bleiben und die EU nicht ohne Kommissionspräsidenten. Die Nato mahnt, denn die findet schon seit drei Jahren keinen Nachfolger für ihren amtierenden Chef Jens Stoltenberg, der eigentlich schon mal zum Chef der norwegischen Zentralbank gewählt worden war. Ursula von der Leyen hatte ihren Namen auch als mögliche Nachfolgerin des Norwegers streuen lassen. Und zugleich lotete sie aus, ob sie in Brüssel noch mal dürfen wird.
Erster Anlauf Hinterzimmer
Wobei "noch mal" im Fall der 67-Jährigen nicht richtig ist: Im ersten Anlauf war die Frau aus altem niedersächsischen Demokratenadel aus Versehen in den Job gerutscht. Sie hatte damals dringend fort gemusst aus Berlin. Zu viele Fragen wegen verschwundener SMS und wegen des erbarmungswürdigen Zustandes der Bundeswehr. Ihre Partei hatte händeringend jemanden als Ersatz für den EU-Wahlsieger Manfred Weber gesucht, der allen Vorwahlversprechen zufolge zwar der natürliche nächste EU-Kommissionspräsident hätte werden müssen. Aber nicht werden können, weil der französische Wertepartner Emmanuel Macron im Hinterzimmer bekundete, ihn niemals zu akzeptieren.
Ursula von der Leyen dagegen mochte er, nicht zuletzt, weil sie Teil eines schrägen Tauschgeschäfts war, durch das seine Favoritin Christine Lagarde an die Spitze der Europäischen Zentralbank rückte und nicht der als Falke bekannte deutsche Bundesbankchef Jens Weidmann. Für den unerwarteten Karrieresprung musste Ursula von der Leyen weder kandidieren noch eine Wahl gewinnen. Kaum war ihr Name erstmals öffentlich gefallen, in jenem schicksalhaften Sommer 2019, kam es auch schon zur großen Rochade: von der Leyen, die in Deutschland zuvor schon in neun verschiedenen Bereichen Fachministerin gewesen war, hatte nun Europa unter sich, ohne dass dessen Wählerinnen und Wähler außerhalb Deutschlands den Namen zuvor schon jemals gehört hatten.
Auch wird von der Leyen deshalb auch nicht auf dem Wahlzettel stehen. Es geht ja auch so. Viel leichter sogar.
Lieben lernen
Sie haben sie lieben gelernt. Wie eine Mutter hat Ursula von der Leyen den Kontinent in den zurückliegenden fünf Jahren betreut, ihm in seinen unartigen Augenblicken die Grenzen gezeigt, seine Zukunft durchgeplant und seinen Wiederaufbau finanziert. So unterhaltsam ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker gewesen sein mag, wenn er mit verschiedenfarbigen Schuhen ins Fettnäpfchen oder aus dem Nähkästchen der Machtmechanik plauderte, von der Leyen ist ein anderes Kaliber, wenn es darum geht, Missachtung wegzulächeln oder stilvoll zum Hintereingang hereinzukommen. Dass das Volk nicht nach ihr gerufen hat, spielt so gesehen keine Rolle, denn sie "will es noch mal wissen" (Stern).
Als Argument für eine Kandidatur allemal ausreichend, zumal Ursula von der Leyen einen Beutel voller Buntstifte mitbringt, mit dem sie all die vielen Pläne vom oliv-grünen Deal, der Klimanachhaltigkeit und der Umbau- und Aufbauziele in den kommenden fünf Jahren weiter auszumalen gedenkt. Diesmal geht es nicht nur "gegen Trump" (Stern), sondern auch "gegen Putin" (Der Spiegel), zwei böse Schwergewichte, gegen die anzutreten manch anderer zögern würde. Nicht so die siebenfache Mutter und promovierte Medizinerin, der ihre Partei denn den informellen Spitzenkandidatentitel denn auch einem goldenen Tablett überreichte.
"Es kann nur eine geben", hatte die Süddeutsche Zeitung nach einem Blick auf die nur 300 Millionen Wahlberechtigten in der EU schon vor Wochen herausgefunden. Das Personaltableau ist knapp, die Not groß, die nächsten Jahre in Brüssel werden absehbar auch keine schönen werden, denn auch wenn "ein ernst zu nehmender Gegenkandidat nicht in Sicht" (Spiegel) ist, so versprechen die doch Mehrheitsverhältnisse im größten nach teildemokratischen Regeln gewählten Parlament der Welt ein beschwerlicheres Durchregieren mit Richtlinien, Verordnungen und den von der Leyen so herzlich geliebten "strengeren Regeln".
Erfolgsbilanz ausbauen
Da die Zustimmung der europäischen Parteienfamilie EVP (SZ) zum Vorschlag aus Deutschland als sicher gilt und keine andere Parteienfamilie Aussicht auf mehr Stimmen als die EVP hat, wird Ursula von der Leyen vom Sommer an versuchen können, ihre Erfolgsbilanz weiter auszubauen. In ihrer ersten Amtszeit gelang es ihr immerhin, weit über 5.000 neue und geänderte Vorschriften auf das Gebirge der gemeinsamen Werte zu schichten. Zugleich glückte es, das bis dahin geltende EU-Grundgesetz, dass für ein abgeschafftes Gesetz jeweils etwa anderthalb neue beschlossen werden, auf eins zu fünf zu steigern.
3 Kommentare:
Es ist völlig irrelevant, was vdL und die EVP planen. Am Ende des Tages wird Paris entscheiden, wer Kommissionspräsident wird. Diesmal ist kein EZB-Posten zu besetzen, den die Franzosen mit der Zustimmung zu Ulla bezahlen müssen.
Mit den Worten von Tevje, dem Milchmann:
Gott erhalte sie!
Gott erhalte sie!
Gott er halte sie
uns vom Leib!
Am Ende des Tages wird Paris entscheiden
Wenn dem so sein sollte, dann ist die Entscheidung ziemlich wurscht.
Die eigentlichen Entscheidungen werden woanders getroffen.
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