Mittwoch, 28. Februar 2024

Mutmacher Macron: Marsch auf Moskau

Der letzte Rückzug der Franzosen aus Russland, gemalt von Adolf Northern (1828-1876).

Am frühen Morgen des 23. Juni 1812 schaut sich Napoleon selbst das Ufergelände an der Memel an, das die Grenze zum Zarenreich bildet. Die Armeen des Kaisers sollen den Fluss am nächsten Tag überqueren, um Russland niederzuwerfen. Napoleon ist frohen Mutes. Niemand kann ihm widerstehen. Als der Kaiser der Franzosen die Erkundung beendet hat und zurückgaloppiert, springt ein Hase in seinen Weg. Das erschreckte Pferd bäumt sich auf und wirft seinen Reiter aus dem Sattel. Napoleon stürzt schwer.  

Mutmacher Mali

Doch erst ein halbes Jahr später fällt er. Der Russlandfeldzug des Herrschers über ein beinahe ganz vereintes Europa scheitert wie 211 Jahre später der seines Nachfolgers im afrikanischen Mali. Napoleon verliert allerdings fast eine halbe Million Soldaten, ungleich mehr als Emmanuel Macron bei seiner Opération Serval in Afrika zu beklagen hat.

Für den französischen Präsidenten offenbar ein Mutmacher. Während die USA sich zurückhalten und die Deutschen zögern, hat der 46-Jährige nun als erster westlicher Führer den Einsatz von Bodentruppen der Wertegemeinschaft in der Ukraine ins Gespräch gebracht. Macron schlug einen harten Keil in Putins harten Klotz. Und kündigte an, dass auch die Entsendung westlicher Bodentruppen auf die Schlachtfelder weit im Osten nicht mehr ausgeschlossen sei.

Die Verbündeten reagierten irritiert. Die deutschen Medien fuhren die besten Beschwichtiger auf, um die überraschende Kriegserklärung des Verbündeten in die Tube zurückzudrücken. Das sei alles ganz und gar ausgeschlossen. Der Kanzler habe längst abgelehnt. Boris Pistorius hat auch etwas gesagt.  Allenfalls ohne Schuhe! Selbst Polen, das auch nach dem Regierungswechsel beständig mit den Hufen zu scharren vorgibt, sei gar nicht begeistert.

Erste Reaktionen ohne Washington

Dass Macron ausdrücklich von einer "eigenständigen und souveränen" Entscheidung jedes Landes gesprochen hatte, fiel in jeder Kurzfassung unter den Tisch. Dass Washington nicht allzu begeistert reagierte, meldeten die Blätter in Übersee erst einen Tag nach dem Versuch des "entzauberten Hoffnungsträgers" (Der Spiegel). Vorsichtshalber hatten die deutschen Korrespondenten es vermieden, nachzufragen. Auch bei Joe Biden weiß ja niemand, was als Antwort kommen könnte.

Dass der Franzose an der "roten Linie kratzt" (Merkur), obwohl es für Scholz schon seit mehr als zwei Jahren keine roten Linien mehr gibt, diese aber dann doch, wirkt so schon unabgesprochen, gerade nach "einer Hilfskonferenz für die Ukraine". An der hatten "über 20 Länder" (Tagesschau) oder auch "rund 25 Länder" (ZDF) teilgenommen - genauer weiß man es offenbar nicht. Sicher aber ist, dass zumindest Macron zufolge "auch über den Einsatz von Bodentruppen geredet" wurde. Nur einig war man nicht geworden, nicht einmal über die Frage, ob man die Diskussion zu dieser Frage öffentlich machen sollte oder ob die entsprechenden Gespräche überhaupt stattfanden. 

Alleingang einer Atommacht

Alle fanden nein, Macron fand ja. Europäische Einigkeit, wie eigentlich üblich ist: Engagiert wird so lange an einem Kompromiss verhandelt, bis jeder alles, was er von Anfang an wollte, irgendwo im Kleingedruckten untergebracht hat. Macrons Ansage, dass "nichts ausgeschlossen" sei, "um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern", weshalb bei einem weiterhin ungünstigen - Macron sagt einfach "künftigen" - Kriegsverlauf auch Bodentruppen des Westens in die Schlacht geworfen werden müssten, schreckt das vom letzten Auslandsabenteuer in Afghanistan noch wunde Pazifisten-Deutschland auf. 

In Frankreich, das seine Verbündeten am Hindukusch rechtzeitig im Regen stehen lassen hatte, hat die deutsch-amerikanische Abzugstragödie vom Sommer 2021 keine Spuren hinterlassen. Und als Präsident einer Atommacht, der in Kürze eine Wahl zu gewinnen hat, sucht Macron sein Heil in der Offensive.

Schlecht genug steht es um die Grande Nation. Das Wachstum ist mau, die Staatsschulden haben längst alle eisernen Maastricht-Schuldenregeln zu Staub zerbombt, Marine Le Pens Rassemblement national hat im Vergleich zur letzten Wahl elf Prozent gewonnen und führt nun mit 28 Prozent in den Umfragen. Macrons Renaissance kommt nach einem Verlust von 21,6 Prozent ihrer Wählerstimmen nur noch 17 Prozent. Ein kleiner Ritt Richtung Osten kann da nicht schaden, auch wenn die heldenhaften Forces armées françaises ein erneutes Überqueren des Wasserhindernisses Memel aufgrund der aktuellen Kräfteverhältnisse vermutlich in ähnlichem Zustand wie Napoleons  La Grande Armée beenden würde.

Emmanuels Eskalationsbereitschaft

Der drohende Aufmarsch aber bleibt Macron. Im stahlblauen Mantel, der Blick streng und mit durchgestrecktem Rücken signalisierend, dass Putin trotz der allenfalls tröpfelnden Hilfe aus Paris nicht den Eindruck bekommen soll, dass die Ukraine von ihren westlichen Alliierten im Stich gelassen wird. Zumindest verbal will Macron Eskalationsbereitschaft zeigen, das spart Geld. Nun reden alle über das gebrochene Tabu. Nun sitzen sie im Kreml und fragen sich, wie ratlos die Führer des Westens wohl wirklich sind, zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, historisch also etwa zu einem Zeitpunkt des Kriegsverlaufs kurz nach der alliierten Landung auf Sizilien Ende Juli 1943.

Aus den USA kommt nichts mehr. Aus Deutschland wenig mehr als die berühmten Helme. Frankreich ist raus. Die Polen und die Slowaken ziehen mit der Sammelbüchse um die Welt. "Von einer Million Bomben, die uns die EU versprochen hatte, haben wir nicht die Hälfte, sondern leider nur 30 Prozent bekommen", hat Wolodymyr Selenskyj zuletzt beklagt. 

Deutschlands Militärstratege Anton Hofreiter bedauert das auch. Bis 2025 müsse die Ukraine noch durchhalten, hat das Gründungsmitglied der parlamentarischen Gruppe "Frei fließende Flüsse" gerade erst um mehr Mut gebeten und Resilienz gefordert. "Alles deutet darauf hin, dass der Krieg noch sehr, sehr lange dauern wird."

3 Kommentare:

  1. Der Hofreiter sollte mit seinem großen Maul an die Front fahren, seine Ölmähne wild schütteln und den ukrainischen Drückebergern 'Durchhalten!' zubrüllen.

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  2. Wo Napoleon auftaucht, sind Alfons Güttler und Mike Godwin nicht weit.

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  3. OT, obwohl ...

    >> Vielleicht ist das mit dem TAURUS nur ein „Trick“,
    der zwischen den Franzosen und Deutschland ausgeheckt wurde,
    um dem unbeliebtem Olaf Popularität zu verschaffen, wobei er als Retter der Menschheit
    gefeiert werden kann. <<

    Zuweilen ist die Schreckschraube Schanette auf PIPI richtig gut!

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