Freitag, 16. Februar 2024

Kaltblütig: Wie die FDP ihrem eigenen Untergang zuschaut

Der freie Fall ist die ultimative Freiheit. Die FDP kostet sie derzeit aus.

Es ist die letzte, die ultimative Form von Freiheit. Losgelöst von der Erde alles hinter sich lassen, nicht mehr nachdenken über die Konsequenzen, über die Zukunft, über das, was war. Einfach fallen lassen, ungebremst stürzen, hinein ins Nirgendwo, und die Erregung spüren, die mit der Spannung kommt. Wie wird es wohl sein, das Ende? Wie wird er sich anfühlen, der Aufprall dort, wo die Erde wieder beginnt und mit ihr die brutale Wirklichkeit einer Welt, in der kein Aufstieg ewig dauert, in der aber auch jeder Sturz sein Ende findet?

Den Kelch bis zur Neige

Die Freidemokraten Deutschlands, sie haben sich entschlossen, den Kelch bis zur Neige auszutrinken. Aufrecht steht die Partei des Christian Lindner in den Stürmen der Zeit, ein Bollwerk der Beharrlichkeit, dessen Mauern längst nicht mehr nur der Anstrich und der Putz, sondern auch Steine und Balken fehlen. Umfragen zufolge hat die FDP in den zurückliegenden zwei Jahren ihrer Beteiligung an der Ampel-Koalition zwei Drittel bis drei Viertel ihrer Wählerschaft verloren. Das ist weit mehr als die bei ihrem Anhang nun wirklich nicht beliebte SPD an Zuspruch verlor. Und es ist auch mehr als die Linkspartei auf den letzten Metern ihres tragischen Todeskampfes an Abweichlern, knieweichen Genossen und enttäuschten Rechtslinken abschüttelte.

Die FDP ist eine Band, die den Saal leerspielt. Doch sie tut es mit der Selbstverständlichkeit, mit der Samurai einst ihren Seppuku begingen. Weniger noch als seine beiden Fortschrittspartner Scholz und Habeck hat Parteichef Christian Lindner irgendeinen Grund zur Annahme, dass ein stures Weiterso Wählerinnen und Wähler schon in ein paar Monaten überzeugt haben wird, dass der große Plan der Liberalen, Schlimmeres zu verhindern, doch das Beste war, was dem Land passieren konnte. Kategorischer aber als die beiden Kollegen, die offiziell nicht auch noch Parteichef sind, hält der 45-Jährige seine Truppen auf Kurs.

Abgewehrter Angriff der Basis

Der Parteichef wurde wiedergewählt, wenn auch mit 88 Prozent. Der Angriff der Basis auf die Funktionäre wurde abgewehrt. Seitdem tritt Vize Wolfgang Kubicki regelmäßig in seiner Rolle als mahnendes Klageweib auf, das von "bitteren Ergebnissen" und schlimmen Umfragewerten barmt und "entschlossene Kurskorrekturen" hin zu einer "mutigeren und fortschrittlicheren Wirtschafts-, Energie- und Migrationspolitik" verlangt. Christian Lindner, vor 15 Jahren als politisches Talent vom entschiedenen Liberalen Guido Westerwelle entdeckt und in die Bundespolitik eingeführt, steht über solch kleinen Dingen wie Wahlergebnissen oder Wahlprognosen.

Ebenso wie seine Parteikollegen im Kabinett dreht der Finanzminister ausschließlich größere Räder: Es geht um "Ambitionen", "Reformen", "Strukturen" und "Wettbewerbsfähigkeit" der ganzen Nation. Nicht um die kleine FDP, der Lindner als "Gewächs der liberalen Kaderschmieden" (Die Zeit) ebenso viel verdankt wie die Riege der neuen SPD-Nomenklatura mit all den bunten Figuren, die noch nie in ihrem Leben außerhalb eines Dreiecks gearbeitet haben, dessen Ecken Staat, Partei und Stiftungen bilden. Für Christian Lindner kommt das Land ganz offensichtlich vor der Partei. So wie der Mann aus Wuppertal einst dekreditiert hatte, dass es besser sei, nicht zu regieren als schlecht zu regieren, steht er nun für ein Prinzip, dass es es besser ist, so lange zu regieren wie man kann, ehe man womöglich nie mehr darf.

Kaltblütig in den Untergang

Kaltblütig sieht es von außen aus, wie der Parteichef und seine Führungsriege dem eigenen Absturz zuschauen. Interessiert, aber keineswegs beunruhigt von den Aussichten, schon in Kürze kaum mehr in irgendeinem Parlament vertreten zu sein. Nun, wo es ohnehin schlecht aussieht, können lange behauptete, aber lästige Positionen geräumt werden, Fronten begradigt und Linien verkürzt.  Schlimmeres kann nicht passieren und kommt es so, dann war es sowieso zu spät: Klappt es nicht mit dem Stimmungsumschwung durch konsequentes Weiterregieren, dann wird die FDP nicht die einzige Partei sein, die ganz neu anfangen muss, falls sie es denn überlebt. 

Wo Guido Westerwelle einst über eine Partei gebot, die bereit war, ihrem Star auch auf die Gefahr hin, ihn zu verlieren, nicht zu folgen, ist die FDP heute ganz Lindner-Wahlverein. Hämisch lacht es von links, davon abgesehen aber ist Schweigen im Blätterwald. So regungslos wie die liberale Parteibasis den grotesken Absturz der früheren Bürgerrechts- und Wirtschaftspartei hinnimmt, so wortlos haben die Medien akzeptiert, dass ihr liebster Verantwortlicher für Hader, Streit, Blockaden und Pannen demnächst nicht mehr zur Verfügung stehen wird. 

3 Kommentare:

  1. Die FDP-Führung seehofert sich halt ein paar Jahre Pensionsanspruch zusammen. Dann geht's vielleicht mal unter 5%, bis die Wählerinnen und Wähler die Flops vergessen haben und dann wieder rein in den Reichstag. Hat ja immer einigermaßen funktioniert.

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  2. Man kann schon in "Kein Krampf" von Alfons Güttler nachlesen, wie die Strolche dem Wahlpöbel vorher Honig ums Maul schmieren, um nachher, falls gewählt, das Gegenteil zu tun, es schadet ihnen aber durchaus nicht.

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  3. Fei nach Daodersching: Wer von Freiheit blôdelt, will nichts von Freiheit wissen.
    (Kleiner daoistischer Scherz. Wer keine Freiheit haben will, der blôdelt von Freiheit.)

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