Donnerstag, 15. Februar 2024

Frau Seltsam oder: Wie sie lernte, die Bombe zu lieben

Die Form des Stern im Kampagnenlogo von Barley ist ganz sicher kein Zufall
In ihrer noch jungen EU-Wahlkampfkampagne mit dem Sowjetstern hat die frühere Familienministerin Katarina Barley mit ihrem Atombombenvorschlag einen ersten Wahrnehmbarkeitserfolg gelandet.

Kaum jemand weiß besser als sie, wie es ist, auf vollkommen verlorenem Posten zu kämpfen. Einerseits ist es traurig, zu wissen, dass nichts mehr zu gewinnen ist. Andererseits gibt es auch Gelegenheit, nicht mehr drumherum zu reden, keine nutzlosen Kompromisse mehr zu machen oder seine wahren Vorlieben und Absichten hinter Worthülsen zu verstecken. Als Katarina Barley Ende vergangenen Jahres zustimmte, noch einmal in die beklagenswert mitleiderregende Rolle der SPD-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl zu schlüpfen, ließ sie sich für ihre vergebliche Kampagne ein Branding schneidern, das keine Zweifel mehr zuließ an den Träumen, die die 55-jährige frühere Ministerin gern noch umgesetzt hätte.

Honeckereske 98 Prozent

Die Mitteilung, dass sie antritt, war eine Nachricht, ihre Bestätigung durch eine Delegiertenkonferenz der SPD mit honeckeresken 98,66 Prozent der Stimmen eine weitere, dreizeilig immerhin. seitdem aber hatte es "die Angezählte" (Wirtschaftswoche" schwer. Nach fast fünf Jahren im EU-Parlament hat Barley weder etwas vorzuweisen noch irgendeine Idee, was sie nach noch einmal fünf Jahren vorzuweisen haben könnte. Die Frau aus Köln ist schließlich nur in Straßburg gelandet, weil die damalige SPD-Parteichefin Andrea Nahles sie aus dem Weg haben wollte und Barley kein Argument einfiel, mit dem sie eine Entsendung im Dienst der Partei hätte abwenden können. 

Sie hat es trotzdem versucht. Wacker wetterte sie gegen Kryptowährungen und zum Kampf gegen die AfD rief sie auch. Das Echo aber blieb dünn, zu langweilig die Thesen, zu öde die Warnungen vor dem Erstarken rechtsextremer Kräfte, zu oft gehört die Schuldzuweisungen an die Mitgliedsstaaten, die Verbeugungen vor Olaf Scholz als "sehr starker Führungsfigur für Europa" und die Schuldzuweisungen an die FDP, ohnehin schon eine Partei mit noch weniger Wählern als die SPD, was in diesen Tagen erst einmal jemand schaffen muss.

Mit der Strategie des großen Steuermanns Schulz

Wie sie im Hauptquartier geknobelt und getüftelt haben müssen, was nun genau die Spitzenkandidatin mal sagen könnte, damit auch jemand zuhört, ist aus den Tagen des unvergessenen großen "Steuermanns" (SPD) Martin Schulz bekannt. Der hatte in seinen fabulösen Tagen als chancenloser Anwärter auf den Thron Europas und späterer Beinahe-Bundeskanzler beinahe im Stundentakt Ideen versprüht: Die Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 wollte er herbeiregieren, und wer nicht mitmacht, fliegt raus und wird remigriert. 

Ein "Sozialgeld Q" (Schulz) sollte es geben, ein großes, schönes Ostprogramm, "eine höhere CO2-Bepreisung in Deutschland" samt "sozialen Ausgleich für diejenigen, die sich nicht jedes Jahr eine neue Heizung kaufen können", einen Stopp des Vormarschs der Nationalisten in Europa und Gerechtigkeit für alle überall. Dazu aber natürlich auch immer wieder diese berühmte "Europäische Armee", die Winston Churchill bereits 1950 gefordert hatte. 

Der erste große PR-Erfolg

Seitdem ist dieses Heer, in dem Luxemburger Grenadiere neben holländischen Panzerfahrern fechten, geschützt von spanischen Raketentruppen und der schwedischen U-Boot-Flotte, ein Traum aller Politiker, die das deutsche Prinzip der Parlamentsarmee rundheraus ablehnen. Doch Schulz' Idee musste, das wussten sie in Barleys PR-Zentrale, angepasst und aufgeschönt werden, sollte sie die Kandidatin wenigstens ein wenig ins Licht rücken. Warum also nicht eine Atombombe? Wenn sie, die früher immerhin Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, für Arbeit und Soziales und auch noch für Justiz und für Verbraucherschutz gewesen war, nach Kernwaffen rufen würde, das knallt doch, medientechnisch.

Und wie. Überall lieben sie die Bombe, die "Thema werden kann", wie Katarina Barley mit aller Souveränität einer Führungskraft festgelegt hat, deren Partei stabile 16 Prozent der Wähler hinter sich weiß, denen offenbar vollkommen egal, wer in ihrem Namen was tut oder lässt. Das Gespenst des Donald Trump, dessen Wahlsieg neun Monate vor dem Wahltag für Berlin und Brüssel beschlossene Sache ist, erfordert den Abschied von Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme. 

Atomangriff gegen Trump

Deutschland hat keine Kernkraftwerke mehr, weil sie viel zu gefährlich wären. Deutschland hat seine Uranminen geschlossen, weil sie Natur und Umwelt bedrohen. Deutschland weiß bis heute nicht, ob es Atomwaffen besitzt und wenn ja wo und wie viele. Doch es würde im Kampf gegen Trump, der sich nicht "aufopfern will für seine Partner" (DPA), Uran anreichern, Zentrifugen wirbeln lassen und eigene Raketentruppen gründen, wenn sich "auf dem Weg zu einer europäischen Armee" herausstellt, dass die Amerikaner fahnenflüchtig werden. 

Die hatten zwischen 1940 und 1996 rund 5,5 Billionen Dollar für ihr Atomprogramm ausgegeben, nach heutigen Preisen etwa 55 Billionen. Dazu kommen alljährlich etwa 60 bis 80 Milliarden laufende Kosten für Pflege und Erneuerung der Sprengköpfe und Träger. Umgerechnet entspricht das etwa dem Hundertfachen der aktuellen Militärausgaben Europas oder aber rund 550 Bundeswehr-Sondervermögen.  Entsprechend ernsthaft wird die "Debatte" (Tagesschau) geführt: Der ums Überleben kämpfende FDP-Chef Christian Lindner fordert, die strategischen Nuklearstreitkräfte Frankreichs und Großbritanniens als "Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der NATO weiter zu denken", obwohl er natürlich weiß, dass sowohl Großbritannien als auch Frankreich ihre Atomstreitkräfte aus vielen guten Gründen niemals der Nato unterstellt hatten. 

Andere sind auch dafür, andere dagegen, alle wollen mitreden, des Kaiser Bart oder der große Knall, ein Manhattan-Projekt im Schwarzwald oder auf Usedom, warum denn nicht? In einem Land, das seit 65 Jahren nach einem Endlager für seine radioaktiven Anfälle sucht und inzwischen beschlossen hat, damit jedenfalls nicht vor den "2040er Jahren" (BPB) fertig zu werden, besteht keine Gefahr, das irgendein heute lebender Mensch noch irgendeine winzig kleine EU-Atombombe zu Gesicht bekommt. Wie die mystische "EU-Armee" (Jean-Claude Juncker) sind sie ein PR-Phantom, eine politische Entsprechung zum "Schrei nach Liebe", von dem die Popgruppe Die Ärzte einst sang.

6 Kommentare:

  1. Zur Abschreckung braucht man nicht unbedingt eine Atombombe, siehe Nordkorea. Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass die dort ein paar hundert Tonnen ANC unterirdisch zünden und dann behaupten, das wäre 'die Bombe'.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Ryongch%C5%8Fn


    Man muss ansonsten nichtmal das Kleingedruckte lesen, es steht ganz groß auf tagesschau.de:

    Der ehemalige US-Präsident Trump hatte am Wochenende bei einem Wahlkampfauftritt angedeutet, dass er NATO-Partner, die nicht genug in Verteidigung investierten, im Ernstfall nicht vor Russland beschützen werde.

    Also Frau Dr Seltsam und die Kommentatoren der Zentralorgane wollen lieber ein Atomwaffenprogramm aufziehen als den Verteidigungshaushalt bündniskonform aufstocken. Eine Kosten- Nutzenrechnung kann man sich sparen, da hat keiner eine Sekunde an was anderes gedacht als an Schlagzeilen.

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  2. Statt Bikini-Atoll machen wir die Tests dann auf Rügen.

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  3. Einen Test auf Rügen gab es schon mal, 1944.

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  4. >Einen Test auf Rügen gab es schon mal

    Dachte, der war im Jonastal. Vielleicht sollte Barley das Zeug dort mal ausgraben.

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  5. Im Jonastal war im April 1945.

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  6. Frei nach Denis Diderot: Berichte über Atombomben sind nicht Atombomben.

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