Montag, 1. Januar 2024

Sonneberg: Entsetzensblitz im Empörungsjahr

Ein Entsetzensblitz im Empörungsjahr: Die Eroberung des Landkreises Sonneberg durch neue Nazis war nach nur vier Wochen zu einem Teil der neuen Realität geworden.


Er trug Reißzähne, polierte Unterwanderstiefel und eine braune Höcke-Uniform, schwurbelte sich ins Amt und eroberte einen ganze Landkreis in Thüringen, bewohnt von Exil-Franken. "Es war Sommer" (Peter Maffay), und Robert Sesselmann versetzte der noch so jungen deutschen Demokratie einen empfindlichen Schlag. Der 50-Jährige, anfangs wegen seiner Parteizugehörigkeit verfassungsfeindlicher Umtriebe verdächtigt, saß nach einer misslungenen Wahl im thüringischen Landkreis Sonneberg plötzlich im Landratsamt. Die Medienrepublik sprang im Karree. Endlose Karawanen tapferer Reportern kutschierten in den Thüringer Wald, um Reportagen von der Flucht der dortigen Dönermänner und Barbiere in die Zentralen zu senden.   

Auf der offenen Empörungsskala

Mit drei Emp auf der nach hinten offenen Empörungsskala erreichte der bis dahin weitgehend unbekannte Flecken auf der ostdeutschen Landkarte Aufregungswerte, die die so manchen kleinen Krieges hinten, weit, in der Türkei, wo die Völker alleweil aufeinander schlagen. weit übertrafen. Sonneberg war Fanal und Menetekel, Anklage und Aufruf zum Handeln. Jeder anständige Deutsche musste entsetzt sein. Jeder gute Demokrat lehnte diesen Art Ausgang einer demokratischen Wahl entschieden ab.

Bis zuletzt versuchten die zuständigen Organe, das Allerschlimmste zu verhindern. Doch es kam noch schrecklicher: Sesselmann bestand den Wesenstest durch das Landesamt für saubere Westen (LAsW). Als erstem Mitglied einer Nazi-Partei bescheinigte ihm das LAsW nach einem Demokratie-Check auf Herz und Hirn, dass bei ihm derzeit leider "keine konkreten Umstände" gesehen werden könnten, "die von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, eine ernsthafte Besorgnis an dessen künftiger Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auszulösen".

Erster Nazi mit Demokratietauglichkeit

Als erster der neuen Nazis mit amtlich geprüfter Demokratietauglichkeit regiert Robert Sesselmann seitdem völlig ungeniert und unbeobachtet. Der Schock über seinen Sieg saß so tief, dass die Reporterinnen und Reporter, die Kamerateams, Kommentatorengruppen und Verfassungstreueprüfer der Gemeinsinnmedien den Dönermännern und Barbieren hinterhergeflüchtet waren. Wie mit einer Schere abgeschnitten endete die Berichterstattung aus dem Krisengebiet. Der Boykott von Unternehmen, die im Epizentrum ansässig sind, fiel aus. Der Führer im Büro in der Sonneberger Bahnhofstraße wurde Teil einer neuen Normalität, ein Stück "Wirklichkeit" (Robert Habeck), das die Ampelregierung und die Ampelmedien umgibt wie "rechter Nebel" (Taz). Nur unsichtbar.

Dabei ist das Grauen für die wenigen Besucher, die sich noch nach Düsterwald trauen, mit Händen zu greifen. "Spaziert man vom Sonneberger Bahnhof in Richtung Innenstadt, kommt es einem so vor, als habe sich nichts verändert in der 23.000-Einwohner:innenstadt", kabelt eine wagemutige Reporterin in die deutsche Demokratiehauptstadt. Hier, wo sich Stammgäste in Gaststätten mit "Heil" begrüßen und in manchen Kneipen Sticker mit der Aufschrift "Kein Bier für Linke" kleben, konnte selbst ein Soli-Konzert der Gruppe Feine Sahne Fischfilet für die Wahlverlierer das Blatt nicht wenden. 

Versuche der Diskreditierung

Es blieb beim neuen Amtsinhaber, der im Wahlkampf mit Parolen über "Klimawahnsinn", "Gender-Gaga" und "Migrationsirrsinn" versucht hatte, die alternativlose Politik der Ampel-Regierung und ihrer erfolgreichen Vorgängerkabinett zu diskreditieren und zu delegitimieren.Die allerdings schlägt auf ihre Weise zurück, langsam, beharrlich, aber ohne je nachzulassen. Längst begraben musste Sesselmann seine Pläne von einem schnellen Umsturz: Die deutsche Bürokratie, verlässlichste Brandmauer zwischen Bewahrung des Bestehenden und Umsturz, stand zwischen dem Rechtspopulisten und der Umsetzung seiner Sparpläne.

Die mussten scheitern und sie scheiterten so gründlich, dass heute keine Spur mehr von ihnen zu finden ist. Robert Sesselmann gelang die Machtergreifung, ebenso wie später seinem Gesinnungsgenossen Tim Lochner im sächsischen Pirna. Doch das "Wunder in Sonneberg", auf dass Querdenker, Hetzer, Hasser und Russen gehofft hatten, es blieb aus: Kaum eine Karawane  Entwurzelter verließ den durchgebräunten Landkreis. Die Boykottaufrufe gegen fälschlicherweise immer noch dort ansässige Unternehmen verhallten. Sesselmann unterzeichnete letztlich sogar einen neuen Förderantrag, um für seine Zivilgesellschaft Fördermittel aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben" abzuzapfen. Erst der Bundesregierung gelang es, die damit drohende Fehlallokation wenigstens vorübergehend zu verhindern.

Das geschah, als schon niemand mehr hinsah. Sonneberg, im Sommer für einen Moment von einem grellen Entsetzensblitz hell erleuchtet, war wieder hinter den sieben Bergen versunken, verschwunden inmitten all der anderen Krisengebiete, in denen sich von Russland und westdeutschen AfD-Einpeitschern indoktrinierte einfache Bürgerinnen und Bürger abwenden von den gemeinsamen Werten, für die nicht zuletzt die Ampel steht. Die Wellen der Aufregung, sie sind verebbt, die Empörung, sie ist weitergewandert, nun aber bereits schaumgebremst

So viel anderes gilt es zu verabscheuen, so viele Baustellen müssen gegen böse Vorwürfe verteidigt und so viele Sparmaßnahmen bis ins eigene Bionadeviertel hinein befürchtet werden. Die Kraft, sie reicht nicht mehr für den Kampf gegen rechts. Der "rechte Nebel", er breitet sich aus wie The Fog, jener sagenumwobene "Nebel des Grauens", er legt sich unsichtbar über das Land, bis die eben noch so stolz aufragende Brandmauer vor dem Blick verschwimmt. Sonneberg ist dann überall. Die Normalität des Bösen. Und es wird sein, wenn es sein wird, und die Medienrepublik keine Notiz mehr davon nimmt.

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