Sein beinahe 23 Jahre alter Satz wird Mojib Latif heute Jahr für Jahr vorgehalten. Dabei hatte der gelernte Meeresbiologe nie ein konkretes Datum genannt, von dem an seine Prognose gelten wird. |
Fünfzig Zentimeter Neuschnee in München, vierzig im Allgäu! Züge fallen aus, Busse, Bayernspiele, Flüge und die Kriegsberichterstatter rutschen im Programm hinter die Reporter an der Winterfront. Alles steht still, nur in Dubai kämpfen die Passagiere der größte jemals an einem Ort zusammengekommenen Flotte von Privatjets noch unverdrossen gegen den wärmsten herbstlichen Kälteeinbruch, den Deutschland seit der letzten Nordatlantischen Oszillation erlebt hat.
Lage im Griff außer Kontrolle
Die Lage ist im Griff, aber teilweise außer Kontrolle. Schneefall, Verwehungen, Glatteis und Frost erfordern anhaltende Warnungen, damit Deutschland besser durch die Winterkrise kommt als andere Staaten. Aber natürlich sind auch die Verächter und Wintervorhersageleugner sofort wieder da. Zynisch zitieren sie in diesen späten Herbsttagen eine Prognose des ehemals führenden deutschen Klimawissenschaftler Mojib Latif.
Dessen Satz aus dem Jahr 2000, dass es "Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren in unseren Breiten nicht mehr geben" werde, dient den Winterverfechtern als Vorlage, um sich hämisch lustig zu machen. Von wegen nie wieder Schnee! Von wegen "in Deutschland gehören klirrend kalte Winter der Vergangenheit an".
Latif, damals noch am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, wird als vermeintlicher Klimaclown am Nasenring durch den Kakao seiner Weissagungen gezogen. Die Sonnenbäder im Münchner Englischen Garten, vom "Spiegel" am 1. Februar 2000 entdeckt und als Blaupause der Winter der Zukunft ausgemalt, wie alle Jahre wieder werden die Klimafolgen wegen ein paar Schneeflocken verhöhne und seine energischsten Warner dem Gespött preisgegeben.
Parallelen zu bizarren Schräglagen
Angeblich sehe man nun, wie sehr sich Mojib Latif geirrt habe. Parallelen werden gezogen zu anderen bizarren Schräglagen in bester Absicht. Zuweilen wird sogar auf eine erstaunliche Kongruenz verwiesen: "Immer wenn Klimakonferenz ist kriegen wir einen Kälteeinbruch", schwurbelt es in den verschwiegenen Dreckecken des Internets.
Die Strategie ist dabei leicht durchschaubar, sie entstammt dem Instrumentenkasten der besten deutschen Wahrheitswerkstätten: Latif wird angedichtet, was er nie gesagt hat. Seine umfangreiche und tiefgündige Analyse des viel zu warmen Winters 2000, nach der es wegen des "Treibhauseffekts in Mittel- und Nordeuropa künftig mehr Westwindlagen geben" werde und daraus zwingend "regenreiche und noch mildere Winter" resultieren müssen, wird zusammengekocht auf den berühmten Schnee-Satz.
Prinzip Wettervorhersage
Der, heißt es dann, das sehe nun jeder, sei ja so dermaßen falsch. Eine böse Unterstellung, denn Mojib Latif hat sich bei seiner Vorhersage überhaupt nicht auf einen Zeitrahmen festgelegt. Seine Prognose, dass es "Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren in unseren Breiten nicht mehr geben" werde, folgt vielmehr dem Prinzip jeder guten Wettervorhersage. Es wird viel und sehr konkret darüber gesprochen, wie warm und nass oder trocken und kalt es wo überall gewesen ist. Dann folgt ein meist absichtlich verschwommen gehaltener Überblick darüber, wie es wird: Immer trocken mit regnerischen Abschnitten, bewölkt, aber sonnig, auf jeden Fall allerdings auch windstill mit Böen.
Latif ist ein Spezialist in diesem speziellen meteorologischen Metier. Er spricht zwar wirklich von "Wintern mit starkem Frost und viel Schnee", wie es sie "vor 20 Jahren" gegeben habe. Die Älteren erinnern sich: 1980 lagen bis zu drei Zentimeter Schnee, es war mit minus zwei bis minus acht Grad bitterkalt. Doch der heute meist als Weissagung missverstandene Satz des Wissenschaftlers besteht ohne Schneebrille betrachtet allein darin, anzukündigen, dass das "in unseren Breiten nicht mehr geben" wird. Einen Termin aber, ab wann es soweit sein wird, nannte Latif nicht.
Angedichtete Vorhersage
Es war das ehemalige Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", das die Datierung freihändig vornahm. "In Deutschland gehören klirrend kalte Winter der Vergangenheit an", leitete es den inzwischen legendären "Winter ade: Nie wieder Schnee"-Beitrag ein. Mojib Latif hatte dazu nicht mehr Vorlage geliefert als ein dünnes "künftig". Es beschreibt das nach hinten halboffene Datum, von dem er vermutet, dass danach "die Temperaturen bei uns mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent noch weiter steigen" und "mehr Westwindlagen regenreiche und noch mildere Winter zur Folge" haben werden.
Die mittlerweile zum deutschen Festtagskalender gehörende Verhöhnung des verdienstvollen Erwärmungswarners enttarnt sich so als übles, aber zum Glück durchsichtiges Manöver. Die Verbreiter der verkürzten und verfälschten Latif-Prognose wollen den vorausschauenden Verzicht Deutschlands auf umfassende Schneevorsorge, einen Bundeskälteplan und die regelmäßige Kabinettsbefassung mit der Winterfrage delegitimieren, um die deutsche Schneefallgrenze nach hinten zu schieben.
Der Klimaforscher Hans von Storch fordert Anpassung statt Alarmismus – es gelte zu differenzieren, statt die schlechtesten Szenarien als Prognosen auszugeben.
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An den Darm des Pfaffen / hängt den Edelmann / lasst ihn dran erschlaffen / bis er nicht mehr kann ...