Angetrieben von "Wumms" und "Doppelwumms" fährt die Bundesregierung die Nation inzwischen mit "Deutschland-Tempo". Der Maler Kümram hat das Motiv in seiner Radierung "Bundesschnecke" künstlerisch umgesetzt. |
Sie schaut neugierig zum Betrachter, blind für ihre Umwelt, aber umgeben von Wirklichkeit. Zwei weit ausgefahrene Augen blinzeln in ein fahles Licht, der Boden wirkt rutschig, zugleich aber auch verschwommen. Licht und Schatten wechseln sich ab auf der Kaltnadelradierung, die der Künstler Kümram im Rahmen seiner Serie "Bilder des Jahres" geschaffen hat, um das Thema "Deutschland-Tempo" umzusetzen. Zu sehen ist eine Schnecke mit fein ziselierter Maserung, ein Tier wie aus altem Holz geschnitzt, bewegungslos festgefroren im Augenblick, durchsichtig wie Eis, leblos.
Liebeserklärung an ein Land
Als Liebeserklärung sei sein Werk gemeint, als Liebeserklärung an ein Land, das sich im Innersten immer treu bleibe, so formuliert Kümram selbst. Sei es, dass Kriege kommen, Weltkriege sogar, dass Kaiser stürzen oder gar Systeme, Mauern fallen oder die friedensbringenden Verbindungen zu früheren Feinden. "Als Olaf Scholz seine Zeitenwende ausrief", sagt Kümram, "mögen mache gedacht haben, jetzt kommt er doch noch, der Ruck, den Roman Herzog vor einem Vierteljahrhundert gefordert hat." Er aber, als Künstler eine Art Sensibilitätsbeamter im Dienste der Gesellschaft, habe ihn sofort gerochen, den Brodem von Vertröstung. "Je größer die Worte, desto weniger bewirken sie."
Deshalb ist es nun nicht wie ursprünglich gedacht eine Musk-Rakete, ein Usain-Bolt-Gesicht oder ein Elektro-Porsche, die versuchen sollen, den Blick des Künstlers auf die Zeiten von "Wumms" und "Doppelwumms" als Antriebsenergie für die "Deutschland-Geschwindigkeit" zu zeigen. Kümram arbeitet stattdessen mit der Schnecke, einem viel unterschätzten Tier, das aus dem Stamm der Weichtiere (Mollusca) kommt und Kopf und Fuß in einem hat. "Für den Außenstehenden bewegen sich Schnecken quälend langsam fort", beschreibt Kümram, "aber aus ihrer eigenen Sicht sind sie flott unterwegs."
Schleim unter der Sohne
Hierfür sondern Schnecken mit Drüsen am vorderen Kopfende Schleim ab, über den sie mit raupenartigen Bewegungen der Sohle kriechen. Sie sind also auf ihrer eigenen Schleimspur unterwegs, ein im ersten Moment bizarr anmutendes Konzept, das dem zumindest gelegentlich in Berlin weilenden Maler-Star aus dem Erzgebirge bekannt vorkommt. "Politisch gesehen entspricht es der Methode, Ziele auszurufen und sich dann mit quälender Langsamkeit von ihnen wegzubewegen."
Umgesetzt hat der eigentlich auf große Ölgemälde und zarte Zeichnungen spezialisierte Künstler das einprägsame Motiv als Kaltnadelradierung, im gedenken an den ersten Winterohnegas, wie er sagt. Dabei wird die Zeichnung unter hohem Kraftaufwand mit einer in Holz gefassten Stahlnadel in die Druckplatte aus Metall eingeritzt. Wegen des Metallwiderstandes braucht es bei diesem traditionellen Verfahren der Auseinandersetzung mit fossilem Werkstoff große Hartnäckigkeit, erst recht, wenn ein großformatiges Bild wie dieses geschaffen werden soll. Kümrams Bild "Deutschlands rasende Langsamkeit", vom Künstler selbst auch als "Bundesschnecke" bezeichnet, misst drei mal dreieinhalb Meter, die Druckplatte wiegt 320 Kilogramm.
Ein Licht glüht von innen
Doch der Einsatz hat sich gelohnt. Durch die Nadelarbeit treten Kontraste zwischen Schwarz und weiß, Rechts und Links, Wort und Tat einprägsam hervor. "Mir kam es auf die Wirkung der Dreidimensionalität und eine naturalistische Optik an", sagt Kümram. Für den Betrachter scheint eine unbekannte Lichtquelle das als Model genutzte Tier der Unterart Napfschnecke wie mit Röntgenstrahlen von innen zu beleuchten. Scharfe Konturen unterstützen den Eindruck, ein fotografisch genaues Abbild einer nicht existierenden Realität zu betrachten, künstlerisch verfremdet, aber als Porträt der Ampel-Koalition mit dem Kanzler als eingezogene Mitte eines Doppelkopfes mit zwei hervorragenden Spitzen sofort erkennbar.
Ein ungewöhnliche Interpretation, kaum vergleichbar mit monumentalen anderen "Bild des Jahres", das als "Die tollkühnen Männer in ihren sinkenden Kisten" bekannt geworden ist. Hier aber ergäben die einzelnen Bildbestandteile, in der Wiedergabe für den Betrachter kaum zu erahnen, eine Zusammenstellung, die sich jeder Logik entzieht, in sich aber schlüssig erscheint.
Eine unwirkliche Komposition
"Es entsteht eine unwirklich scheinende Komposition, in der die übereinandergelegten Sehebenen zu einer einzigen Perspektive verschmelzen." Er habe damit beabsichtigt, die herkömmlichen Sehgewohnheiten beim Blick auf das politische Berlin zu unterlaufen und eine Überwirklichkeit herzustellen, in der die Realität der dahineilenden Schnecke keine Illusion mehr ist, sondern ein Fakt, dessen brutale Banalität paradoxen Sinnzusammenhang zwischen Parteipolitik, politischem Witz auf Kosten der Regierten und den scharf gezogenen Grenzen der Fantasie herstellt.
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