Es knallten die Korken und die alten weißen Männer klatschten sich triumphierend ab als die Nachricht aus Karlsruhe kam. Erdrutschsieg der Union gegen die Ampel, "Vollklatsche" vom höchsten Gericht gegen deren Versuch, mit einem vor aller Augen und öffentlich durchgeführten Betrugsmanöver mehrere hundert Milliarden Euro von künftigen Generationen zu rauben. Der Trick, der zu anderen Zeiten zweifellos mit derselben Dreistigkeit von einer anderen Koalition genutzt worden wäre, war aufgeflogen.
Erschwindelte Geschäftsgrundlage
Einen Moment lang kam die Hoffnung auf, ohne die erschwindelte Geschäftsgrundlage werde das Wolkenkuckucksheim der Ampel zusammenbrechen und nach Neuwahlen ein neuer Kanzler die Gelegenheit bekommen, nach einem Blick in die Buchhaltung der Vorgänger und die Übergabeprotokolle mit einen entsetzten Gesichtsausdruck die Erklärung einer Notlage als letzten Ausweg aus der Staatspleite zu erklären.
Der Ampel-Kanzler aber blieb stabil. Wie im Kabinett Merkel gelernt, ignorierte er nicht nur alle Anwürfe, er ignoriert die Lage. Die Menschen müssten ihm nur vertrauen, scherzt er, dann werde alles gut, er verspreche das. Markus Söders Versuch, mit einem verbalen Marsch auf die Kanzlerwaschmaschine in Berlin einen Putsch auszulösen, scheiterte an Olaf Scholz' Desinteresse, sich zu verteidigen. Die Schuldenbremse wurde wieder ausgesetzt. Aber wieder nur ausnahmsweise. Bisher konnte sie zwar noch nie eingehalten werden. Aber der Wille war manchmal sogar da.
Nun nicht mehr. Für die SPD hat die Vorsitzende, eine staatlich geprüfte Informatikerin aus der Zeit der Lochbandcomputer, schon einen Ausweg gefunden: Aus der Notlage führt nur die Erklärung der Notlage, noch einmal und wie immer muss der Staat, um wirklich gut wirtschaften zu können, einen großen Schluck Schulden aus den Kännchen, Tassen und Flaschen der kommenden Generationen nehmen, Schuldenbremse hin, Rekordeinnahmen her.
Verführerische Vorschläge
Ein Vorschlag, der nur allzu verführerisch scheint in Kreisen, die es gewohnt sind, das Geld immer dann entsteht, wenn es gerade gebraucht wird. In der leistungslosen Welt der Politik ist immer Jetzt, und immer muss für ein fernes Morgen vorgesorgt werden, sei es auch dadurch, dass das Saatgetreide gebacken wird. So ist es am einfachsten, denn so werden alle satt. Schuldenbremse, Grundgesetz, EU-Grundsatzverträge? Lästige Rechtsfolklore.
Auch in der Union, die etliche Ministerpräsidenten stellt, denen die eigenen Haushaltstricks gerade um die Ohren fliegen, bröckelte die Brandmauer zu denen, die eine umfassende Rechtsbremse für die Einhaltung von Verfassungsrecht und völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen wie dem Maastricht-Vertrag fordern.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) will die Schuldenbremse abschaffen, Sachsen-Anhalt Ministerpräsident Reiner Haseloff und sein sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer wünschen sich ein Land, das die Maastricht-Kriterien nicht mehr nur still ignoriert, sondern offensiv ankündigt, sie für obsolet zu halten. Kevin Kühnert von der SPD will die Abkehr von geltendem Recht "ein Moratorium" nennen. Der Inflationsökonom Marcel Fratzscher schlägt vor, Schulden in "gute" und "schlechte" einzuteilen und sich dann auch ohne jede Rechtsgrundlage die Genehmigung zu erteilen, grenzenlos neue Kredite für als gut bezeichnete Zwecke aufzunehmen.
Geschwätz von gestern
Die Reformer, denen ihr Geschwätz von gestern so egal ist wie der "Tagesschau" die Frontberichterstattung vom Krieg in der Ukraine schon immer war, bilden seit dem Spruch der Verfassungsschützer in Karlsruhe eine bundesweite Allianz, die sich medial höchster Anerkennung erfreut.
Wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich mitten im Deutschen Bundestag eine Abkehr vom Grundgesetz fordert, verbunden mit dem Wunsch, Deutschland möge auch weiterhin EU-Recht missachten, prasselt nicht etwa Kritik auf den im 30. Jahr im Parteiapparat tätigen Rheinländer ein. Nein, das ARD-Magazin "Frontal" macht sich die Forderung zu eigen: Andere Länder hätten doch viel mehr Schulden. Maastricht hin, Überschreitung der vorgeschriebenen Schuldengrenze seit vielen Jahren her - da geht noch mehr!
Esken, Haseloff, Mützenich, Kretschmer, Wegner, Katharina Dröge von den Grünen - eine große Koalition der Rechtsverächter steht selbstbewusst auf der Bühne, seit die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin den alten Kampfbegriff "Reform" aus dem Archiv gegraben und als Bezeichnung für die Abschaffung der Schuldenbremse ins Spiel gebracht hat. Sich nicht mehr an Recht und Gesetz halten zu müssen, bei jeder Gelegenheit "Geld in die Hand" (DPA) nehmen zu können, auch wenn es nicht da ist, damit es dorthin "fließen" (Frontal) kann, wo sonst Unruhe entstehen würde: Die selbsternannten Reformer sind dabei, sich den Wunsch zu erfüllen. Der Kanzler hat nun mit einem stillen Machtwort alle befriedet: Es bleibt bei der Bremse und das Grundgesetz prinzipiell in Kraft. Bei Bedarf aber, also wenn was ist, wird ausgesetzt.
Der Wunsch nach grenzenlosen Zugriffsrechten
Dass sie selbst vielleicht das Grundgesetz ändern und die Schuldenvorschriften auf den Stand der Kohl-Jahre zurücksetzen können, aber keine Chance besteht, die Maastricht-Verträge zu ändern, stört niemanden mehr, nicht einmal in Brüssel, schon gar nicht in deutschen Medienhäusern. Galt denen der "Blaue Brief" der Kommission an die Regierung Schröder vor 21 Jahren noch als nationale Tragödie, von der sich wochenlang leben ließ, werden die seitdem glatt verdoppelten Schuldenberge als eine Art Basislager für den weiteren Aufstieg betrachtet. Der Finanzminister wäre absolute bereit, einen weiteren Blauen Brief zu empfangen. Ehrensache!
1998, nach einem halben Jahrhundert der Existenz der Bundesrepublik, hatte Deutschland zwei Billionen Schulden. Heute sind es auch nur 2,4 Billionen, also beinahe kein Euro mehr, den kleinen Währungswechsel zwischendurch mal beiseite gelassen. Da geht doch noch was, da lässt sich doch mit dem schlagenden Argument, dass es anderswo viel schlimmer steht, noch viel mehr herausholen aus den Brieftaschen künftiger Generationen. Die Kinder, die das alles werden ausbaden müssen, sind doch selbst auch dafür, auf ihren Deckel anschreiben zu lassen: Schuldengrenze hin, Maastricht-Verträger her. 100 Milliarden zusätzlich zu allen zusätzlichen Ausgaben mit "fehlendem Geld" (Fridays for Future) sind immer drin.
Je mehr, desto besser: 1998 hätten neue Schulden in Höhe von 200 Milliarden Mark die Verschuldung des Staates noch um zehn Prozent nach oben springen lassen. Heute dagegen entspricht ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro (200 Mrd. Mark) nur noch einem Anstieg der Schulden um vier Prozent.
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