Hohe Mehrwertsteuer: Forscher loben eine kräftig erhöhte Umsatzssteuer als Zukunftsmodell. |
Sie klagen, sie jammern, maulen und selbst der Umstand, dass ihnen die Regierung über Monate das großzügige Geschenk einer mehr als halbierten Umsatzssteuer machte, hielt so manchen Kneiper, Cafébesitzer und Restaurantbetreiber nicht davon ab, seinen Laden zu schließen. Die übriggebliebenen Gaststätten ächzen demonstrativ unter den Folgen von Pandemie, staatlich organisierter Energiekrise und Fachkräftemangel.
Rückkehr zur Normalität
Neu im Katastrophenregal ist nun auch noch die von der Bundesregierung beschlossene Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent - Normalität über Jahre, nun aber Anlass für zahllose Profiteure der vorübergehenden Senkung, sich erneut in ihrer Existenz bedroht zu sehen. Eine ganze Branche schreit getroffen auf, weil ihr ein Privileg weggenommen wird. Wirte drohen mit Schließung, sie versuchen, die Bundesregierung mit der Aussicht zu erpressen, dass die Innenstädte noch mehr veröden, noch mehr gesellschaftliche Gemeinsamkeit und dazu auch zahlreiche Jobs für Mindestlöhner wegfallen.
Eine Behauptung, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält. Das von der Gastronomie prognostizierte Massensterben von Betrieben und der angebliche Preisschock für die Gäste werde nicht eintreten, sagt der Sozialökonom Herbert Haase, der am Climate Watch Institut (CWI) im sächsischen Grimma zu den Folgen der großen Transformation für die Anzahl und Häufigkeit staatlicher Nothilfepakete forscht. Wenn die ermäßigte Mehrwertsteuer in der Branche wie nun mehr beschlossen mit dem Jahreswechsel ende, sagt Haase, werde das eher positive Folgen für die Wirtschaft und das globale Klima haben. "Wenn ein Kaffee bisher fünf Euro kostet und darin ein Umsatzsteueranteil 35 Cent enthalten ist, dann kostet er künftig zwar 5,50 Euro, weil wieder 19 Prozent Steuer abgeführt werden müssen."
Win-Win-Situation für alle
Doch Haase sieht das durchweg positiv: So mancher werde künftig überlegen, ob er sich noch einen Kaffee in Gaststätte oder Cafékette leiste. "Das bedeutet, das weniger verkauft werden wird, so dass insgesamt weniger Waren transportiert werden müssen, was das Klima deutlich belastet." Dennoch habe der Schritt zurück zum hohen Umsatzsteuersatz zugleich positive fiskalische Wirkungen. "So lange der Umsatz nicht im deutlich zweistelligen Prozentbereich einbricht, werden sich die Einnahmen für die Staatskasse dennoch erhöhen."
Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, sparen doch gerade die, die sich das Ausgehen in Kneipen und Cafès künftig sparen, nicht nur den bisherigen Staatsanteil von sieben Prozent oder den künftigen von 19, sondern die komplette Rechnung zu 100 Prozent. "Das mehrt den Wohlstand und schafft Spielräume für Ausgaben in anderen Bereichen", lobt Studienleiter Herbert Hasse. Dass SPD-Politiker*innen wie Mecklenburgs Ministerpräsidentin Manuela Schwesig die Rückkehr zur Steuernormalität mit Verweis auf die hohen Energie- und Lebensmittelpreise trotzdem noch verhindern will, stößt auf sein Unverständnis. "Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das prophezeite Schreckensszenario nicht, vielmehr zeigen uns unsere Berechnungen, dass es höchste Zeit wäre, die Gelegenheit zu nutzen und sich ganz vom verminderten Mehrwertsteuersatz zu verabschieden."
Neue große Steuerreform
Eine solche große Steuerreform würde nicht nur die Rekordeinnahmen des Staates deutlich erhöhen, so dass die momentane Geldbeschaffungskrise im Handumdrehen gelöst wäre, sondern auch Wachstumskräfte entfesseln. Zuletzt erzielten Bund, Länder und Gemeinden über die Steuer
Einnahmen in Höhe von mehr als 175 Milliarden Euro, dieser Betrag würde schlagartig auf weit über 250 Milliarden steigen, legte die Ampel-Koalition ihre Scham vor Steuerhöhungen ab. "Die durch die Union und die Karlsruher Verfassungsrichter gerissenen Haushaltslöcher gerissenen Finanzierungslöcher ließen sich auf diese Weise elegant und im Handumdrehen schließen."
Niemandem würde etwas weggenommen, jeder müsste nur freiwillig geben. Ökonomen zufolge geht es zumindest Teilen der Wirtschaft bereits wieder besser als behauptet, die Fortsetzung von Subventionen auf Zwiebeln und Knollen, Schnittblumen, Kaffee, den gesundheitsgefährdenden Zucker,, Kunstwerke, Briefmarken. Maultiere, Tauben und atemwegsgefährdendes Brennholz halten sie für ungerecht.
Umstieg auf dänisches Modell
Statt einer kleinen Lösung mit einer Anpassung einiger Steuersätze schlägt Herbert Haase einen großen Wurf hin zum dänischen Modell vor: Ein niedriger Prozentsatz von Null nur noch auf bestimmte Waren und Dienstleistungen von größter gesellschaftlicher Bedeutung wie Zeitungen, Krankenhausbehandlungen und Versicherungsleistungen. "Für den Rest rauf auf 25 Prozent", fordert Haase. Der Blick ins nördliche Nachbarland zeige, dass niemanden schade, sondern allen nütze. "In Dänemark liegt die Umsatzsteuer generell bei 25 Prozent, dadurch zahlen alle mehr, aber man sieht eben auch, dass sehr deutlich sehr viel mehr verdient wird - nämlich im Durchschnitt 25 Prozent mehr."
Einen Kurs, den auch Deutschland umgehend einschlagen müsse, findet der Umwelt- und Klimaökonom. Die Gelegenheit sei günstig, denn sein Versprechen, dass es nie mehr ein Zurück zum hohen Umsatzsteuerssatz in der Gastronomie geben werde, habe Bundeskanzler Olaf Scholz ohnehin gebrochen. "Gegner eines blühenden Gemeinwesens versuchen nun natürlich, ihn auf dieses Versprechen festzunageln oder ihm alternativ eine Lüge vorzuwerfen", erläutert Haase. Der Rufschaden sei folglich bereits angerichtet, das Vertrauen zerstört. "Wir finden, Scholz sollte sich ein Beispiel an der schwarz-roten Koalition von 2006 nehmen", sagt er. Damals seien sowohl SPD als auch CDU und CSU mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, die Steuern zu senken. "In den Koalitionsverhandlungen einigte man sich dann auch eine deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer, die bekanntlich immer die Ärmsten, von Armut Bedrohten und Ganzarmen am schlimmsten trifft."
Vorbild große Koalition von 2006
Ungeachtet dessen hätten alle überlebt. "Den Menschen ist es also gelungen, ihre gestiegenen Kosten irgendwie zu finanzieren", analysiert Herbert Haase in einem Vorschlagspapier zu einer großen Steuerreform, das das CWI am Montag nach Berlin geschickt hat. Da nach Angaben des Statistischen Bundesamts Essen in Gaststätten aktuell ohnehin bereits ein Fünftel teurer als im Januar 2021, komme es auf die paar Umsatzssteuerprozente nicht mehr an. "Die meisten werden das gar nicht merken", prognostizieren die Forschenden und Forscher.
Nach ihrer Einschätzung sei durch diese hohen Preissteigerungen ein Gewöhnungseffekt bei den Kunden und Gästen eingetreten. "Wenn ein Teller Nudeln heute 15 Euro kostet, sind es dann eben bald 17,75 Euro - aber wir denken nicht, dass jemand, der 15 Euro bezahlt, nicht auch 17 oder 18 hinlegt." Gleiches gelte für die Bereiche der Wirtschaft außerhalb der Gastronomie. Auch hier halten die CWI-Ökonomen eine dauerhaft niedrigere Mehrwertsteuer von nur 19 Prozent nicht für gerechtfertigt. Es handle sich um eine "Steuersubvention, mit der jährliche Steuerausfälle von derzeit gut 30 bis 60 Milliarden Euro verbunden sind", erklären die Experten. "Bei einem Wechsel zum dänischen Modell würden nicht nur die Einnahmen, sondern das Maß an Gerechtigkeit erhöht, da die niedrigen deutschen Mehrwertsteuersätze vor allem Wohlhabende bevorteilen, die mehr einkaufe und konsumieren."
Ende der Steuersubventionen
Dass hier und da im ländlichen Raum oder in Mittelmetropolen Umsätze so weit zurückgehen könnten, dass Lokale und Händler aufgeben müssen, sei Teil eines notwendigen Strukturwandels, den Dauersubventionen nur bremsen würden. die deutschen Betriebe aber nicht benachteiligt, weil sie ihre Dienstleistungen lokal anbieten. "Je früher prekär wirtschaftende Unternehmen aufgeben, die sich nur über Wasser halten, weil ihnen der Staat mit einer Steuersenkung hilft, desto schneller kommt das vielbeklagte Sterben der Dorfkneipen und wohnortnahen Einkaufsgelegenheiten zu einem Ende."
Auch der Vorwurf, die Erhöhung der Mehrwertsteuer heize die Inflation an, wie ihn CSU-Chef Markus Söder aufgemacht habe, sei nur ein durchsichtiges Argument gegen die neue Weichenstellung, sagt Herbert Haase. "Wir reden von einem Einmaleffekt, der schon ein Jahr später dafür sorgen wird, dass der Inflationsdruck deutlich sinkt."
Haase: "... so dass insgesamt weniger Waren transportiert werden müssen, was das Klima deutlich belastet."
AntwortenLöschenTypisches Klimarettersprech. Weniger ist mehr Schaden.
Essen kannst du zuhause, Wähler-in, tu es für die Klimakleber. Wenn die Gastronomie schließt, werden anderswo dringender benötigte Arbeitskräfte frei.
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