Dienstag, 7. November 2023

Höhere Steuern, mehr Abgaben: Frische Worthülsen gegen den Untergang

Keiner in der SPD-Führung legt die Hände in den Schoß: Die neuen Pläne der deutschen Sozialdemokratie sehen harte Maßnahmen gegen Reiche vor.

Kurz vor dem Beginn des neuen Wirtschaftswunders, das Bundeskanzler Olaf Scholz im Mai ausgerufen hatte, will die Kanzlerpartei SPD die Waffen schärfen, um die anstehende grüne Transformation gegen die allenthalben Herrschende Skepsis angesichts einer schwächelnden Wirtschaft, der weiterhin stabil hohen Inflation und der in nahezu allen Belangen uneinigen Ratlosigkeit der Regierungsmannschaft  durchsetzen zu können. Weil die Einnahmen des Staates zwar höher sind als jemals zuvor, angesichts eine Ausgabenrausches für die Gründung neuer Behörden, die Anschaffung neuer Verteidigungstechnik und großzügig verteilter Geschenke an verschiedene Bevölkerungsgruppen aber dennoch nicht ausreichen, ist an Steuererhöhungen gedacht.  

Mitten im Überbietungswettbewerb

Da ist noch Luft, gerade verglichen mit den Angeboten der konkurrierenden Parteien, die schon Monate vor den nächsten Wahlen in einem Überbietungswettbewerb um die besten Präsente eingestiegen sind. Die SPD versucht mitzuhalten, zuletzt wurde der Vorschlag des "Ostbeauftragten", 20.000 Euro Begrüßungsgeld an jeden Neuwähler zu verschenken, von den Jusos verdreifacht. Die Linke konterte mit dem Angebot, Geringerverdienenden mit Einkommen unter 4.000 Euro künftig lebenslang 200 Euro "Klimazuschlag" zu zahlen - das würde sich etwa auf das Dreifache der SPD-Einmalzahlung summieren. Die Offerten von Grünen, FDP, Union und AfD stehen im Moment noch aus, dürften aber kaum Chancen haben, wenn sie darunter bleiben.

Die deutsche Sozialdemokratie ist nun allerdings die erste große Partei aus dem demokratischen Block, die sich Gedanken darum macht, wie sich die notwendigen Steuererhöhungen am besten verkaufen lassen. Vorbild ist hier wie immer die Idee des früheren Parteivorsitzenden Franz Müntefering, der das Prinzip des Teilens und Herrschens in der Finanzkrise beispielhaft durchgesetzt hatte: Nicht mehr die auch von SPD-Politikern beaufsichtigen Landesbanken, sondern "gierige Manager" und "Spekulanten" ernannte der damalige Notvorsitzende der ältesten deutschen Partei zu Schuldigen an der "amerikanischen Krise" (Peer Steinbrück), die Deutschland wegen des weltweiten Engagement seiner Staatsbanken - etwa in Irland, Luxemburg und dem US-Bundesstaat Delaware - zum am schlimmsten betroffenen Gebiet machte.

Ein Körbchen ernster und akuter Kampfbegriffe

Von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin hat der Parteivorstand vor dem anstehenden Parteitag ein ganzes Körbchen neuer ernster und akuter Begriffe bestellt. Neben "Krisenabgabe" ist auch die Zukunftsabgabe  im Rennen das griffigste neue Wort für Steuererhöhung, dazu bietet die Parteiführung des alte "Umverteilung" auf, das wie immer "mehr Geld in Bildung und Infrastruktur fließen" (SPD-Regierungsprogramm 2013-2017) lassen soll. 

Parteichef Lars Klingbeil, der früher so "unbequeme General" (Badische Zeitung), hat sich eigens noch das zusammenfassende Wort "Modernisierungsagenda" auf den Schreibtisch legen lassen, das ein BWHF-Bergungskommando aus einer sechs Jahre alten Zufallsbildung des Portals für Politikwissenschaft zusammenschrauben konnte.

Zehn Jahre nach dem Wahlkampf von 2013, in den die SPD mit dem Versprechen zog, Besserverdiener nicht länger zu schonen,ist die Steuer-und Abgabenquote von 39,5 Prozent auf 42,2 Prozent für alle gestiegen, nur Belgien bietet seinen Bürgern noch mehr. Mit der Entscheidung, in den Europawahlkampf unter dem Zeichen nicht irgendeines, sondern dem des Sowjetsterns zu ziehen, hat die SPD aber schon klar gemacht, dass der Kampf um den Sozialismus die Phase der versteckten und verschwiemelten  Bemühungen verlässt. 

Selbstbewusst wie nie spaltet die Sozialdemokratie Land und Leute in die vielen, die glauben dürfen, etwas abzubekommen aus den bald sprudelnden neuen Geldquellen. Und den wenigen, die gar nichts dagegen werden machen können, mit ihrer "Krisenabgabe" noch mehr Zukunft zu finanzieren, für eine begrenzte Zeit zumindest.

Alles nur für zehn oder 15 Jahre

Die schätzt Klingbeil selbst auf "eine Phase von zehn bis 15 Jahren", so lange werde die "Transformation" und so lange müssten Sozialdemokraten "sicherstellen, dass der Staat seine Aufgaben finanzieren kann". Zu den Reiche, deren Gürtel enger gezogen werden muss, zählt der SPD-Chef eigentlich auch die 35 Millionen verheirateten Paare im Land, denen er das Ehegattensplitting schon viel länger wegnehmen möchte.  

Im gerade gestarteten Wahlkampf aber ist keine Luft für solche Offenbarungen, die das Teile und herrsche nur gefährden würden. Stattdessen setzt die "Modernisierungsagenda" auf die Macht der großen Zahl - hier "eine Million neuer Arbeitsplätze bis 2030" und das trotz Fachkräftemangel. Und auf die neue Munition auf der BWHF: "Reform der Schuldenbremse", temporäre Krisenabgabe, Zukunftsabgabe für Superreiche, noch höherer Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust.

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