Das Tempo war atemberaubend, der Umschwung historisch beinahe ohne Beispiel. Hätte es nicht schon nach dem 11. September 2001 die erdrutschartige Ersetzung des Wortes "Moslems" durch das englische "Muslime" gegeben, müsste von einem Novum gesprochen werden. Auch so aber bleibt die jetzt vom Sprachökonomen Hans Achtelbuscher aufgedeckte Begriffserneuerung bemerkenswert: Binnen von nicht einmal acht Wochen, rechnet der Experte vor, hat der im deutschen Sprachraum seit 2015 gleichberechtigt neben dem "Schleuser" bestimmende "Flüchtlingshelfer" das Sprachfeld nahezu vollständig geräumt.
"Der zuvor subdominante ,Schleuser' übernahm vollständig", berichtet Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung Phänomene wie das Themensterben in den deutschen Medien und Strategien der modernen Sprachregelung erforscht.
Wechsel der Dominante
Für den Wissenschaftler, auf dessen Arbeiten die Entdeckung und Erstbeschreibung der Einheit "Emp" zurückgeht, mit der in der Medienwissenschaft schon seit 2011 Phasen einheitlicher gesellschaftlicher Empörung beschrieben werden, ist der Wechsel der Dominante allerdings keine Überraschung. "Wer in den letzten Monaten Augen hatte, um Zeitungen und Wahlumfragen zu lesen und die entsprechenden instruktiven Fernsehsendungen zu verfolgen, ahnte bereits, dass es zu grundstürzenden Veränderungen im Sprachgebrauch kommen musste."
Die in den vergangenen Jahren eingeschlafene Willkommenskultur habe zuletzt kaum mehr Raum in der öffentlichen Debatte greifen können. "Wir haben vielmehr gesehen, dass sich andere Begriffe auf eine Weise davorgeschoben haben, dass diese schöne Tugend in den Daten kaum mehr zu entdecken war."
Mit den Fingerzeigen der Landtagswahlen in Hessen und Bayern habe sich dann die gesellschaftliche Gesamttemperatur verändert. "Das Erreichen erträumter Ziele etwa bei Fachkräftezuzug, Klimarettung und Umbau der Heizungslandschaft rückte spürbar in den Hintergrund", fasst Hans Achtelbuscher zusammen, "und nachdem Friedrich Merz seine Partei auf strammen Rechtskurs gebracht hatte, radikalisierte sich auch die SPD in Richtung Grenzkontrollen, Grenzschließung und Abschottung."
Selbst Walter Steinmeier, dem als Bundespräsident die Macht des Wortes zur Verfügung steht, habe es nicht mehr gewagt, die Thesen seiner Vorgänger zu wiederholen, nach denen Muslime ein Teil von Deutschland waren, eine tolerante Sicht auf den Islam angebracht sei und nur ein offener Diskurs über Integration Schonlänger- und Nochnichtsolangehierlebende enger aneinander binden werde.
Die Verwandlung der Helfer
Die Verwandlung der Menschen, die anderen Menschen beim Suchen von Schutz in Deutschland halfen, von "Flüchtlingshelfern" in "Schleuser" markiere zweifellos eine Wasserscheide im Bedeutungsmanagement. "Ältere kennen den neuen Begriff noch aus Berichten der ,Aktuellen Kamera' in der DDR, Jüngeren ist er sicher häufig gar nicht geläufig." Zwar sei das Einschleusen von Ausländern auch im freien Teil Deutschlands bereits 1952 im Passgesetz und danach 1965 im Ausländergesetz als Straftat im Nebenstrafrecht normiert worden.
Doch im Gegensatz zur DDR. für die Organisatoren illegaler Ausreisen stets Schwerkriminelle waren, galten sie im Westen lange Zeit nicht als Kriminelle, sondern als "Fluchthelfer", die gute Werke taten. Tatverdächtige gab es Tausende, Anklage viel weniger, Urteile meist nur in Fällen, in denen es die seinerzeit noch "vermeintliche Schleuser" (Bordermonitoring.eu) genannten Aktivisten zu Personenschäden kam.
Die Neubewertung der Tätigkeit von Fluchthelfern, die nun nicht mehr als ehren- und unterstützenswerte Bemühung zur Mindesrung menschlichen Leids, sondern als Unterminierung der staatlichen Bemühungen zur "Eindämmung" (Olaf Scholz) der "irregulären Migration" (BMI) gilt, zeige beispielhaft, dass der jüngste Rechtsrutsch in Hessen kein Einzelfall sei, sagt Hans Achtelbuscher. Scheiterten Versuche der Kriminalisierung im vergangenen Jahr noch am Widerstand der Zivilgesellschaft, die sich auf breite Unterstützung in den Medien berufen konnte, versuchen inzwischen relevante Teile der Bundesregierung, das mutige Hilfsleisten etwa unmittelbar vor der libyschen Küste zu gewerbsmäßiger Schleusertätigkeit zu erklären und unter Strafe zu stellen.
Ein Hauch Hetze aus der DDR
"Das ist dann wie früher in der DDR von Schleppern die Rede und uneigennützige Helfer finden sich auf der Anklagebank wieder", fasst Achtelbuscher seine Forschungsergebnisse zusammen. Schleusern schlage inzwischen selbst von Seiten der Innenministerin nur noch Verachtung entgegen. So habe Nancy Faeser eben erst behauptet, "dass jeder vierte Geflüchtete, der nach Deutschland kommt, über Schleuser kommt" und damit natürlich insistiert, dass diese Flüchtenden Schutzsuchende zweiter Klasse seien.
"Dabei kann man Fluchthelfern durchaus edle Motive unterstellen", betont der Sprachforschende unter Verweis auf eine neue zumindest sprachliche Härte: "Da wird dann von ,bekämpfen' geredet und davon, das ,Geschäft der Schleuserbanden zerschlagen' zu wollen, als seien die damit befassten Frauen und Männer nicht bemüht, Win-Win-Situationen für alle Beteiligten zu schaffen."
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