Mittwoch, 6. September 2023

Demokratie der Dürre: Sieg der Verdrossenen

 
Feld Weizen Ernte Acker
Die Dürre hat auch die Demokratie erfasst: Die Alternativlosigkeit macht die Wahl überflüssig.

Als  Herfried Münkler in einer schon längst vergessenen Zeit über die "Verdrossenen und die Empörten" schrieb, wohnte der Berliner Politikwissenschaftler noch in einer Welt, die von innen betrachtet vorzüglich aussah. Die große Finanzkrise war überstanden, der Staat hatte alle und alles gerettet, wieder einmal. Dass Jakob Augsteins "Freitag" sofort argwöhnisch feststellte, "wie wenig Kapitalismus und Demokratie noch zueinander passen", gehörte zur frühen Phase der Aufmerksamkeitsbewirtschaftung, Münklers Feststellung einer "Demokratie im Anerkennungsloch" in den Bereich der Prophezeiungen.

Wahre Prophezeiungen

Bei Wahlen machte immer noch eine Mehrheit mit. Und das Ergebnis fiel zwar mal so und mal so aus. Aber abgesehen von den paar Stimmen für die Linkspartei, die seinerzeit noch unter Verdacht stand, Demokratie und Marktwirtschaft abschaffen zu wollen, hielt die gesamte Mehrheit es den staatstragenden Parteien.
 
Es gab ja auch keine anderen, so dass Münklers Diagnose, dass Demokratie und wirtschaftliche Prosperität "nicht mehr so eng miteinander verbunden" zu sein schienen, "wie dies in den letzten Jahrzehnten als selbstverständlich galt", eher nach Denksport im Elfenbeinturm als nach Erkenntnis klang.

Z
ehn Jahre danach sieht das ganz anders aus. Dass die Demokratie Fortschritt durch dauernde Bedenkenträgerei blockiert, dass alternativlose Entscheidungen wegen all der Mitrederei nicht schnell genug "gegen die Bevölkerung" (Mark Schieritz) durchgezogen werden können, gilt heute als bedauerliche Binsenweisheit. Die Sehnsucht nach einem postdemokratischen System, in dem alle einfach tun, was ihnen gesagt wird, sie ist groß und sie wächst mit jedem Ampelstreit.

Enttäuschte Versprechungen

Münkler war sich in seinem Moment der Erkenntnis nicht sicher, ob die Zweifel an der Demokratie daher rühren, dass Politik stets viel versprechen muss, um Menschen "mitzunehmen" (Angela Merkel), infolgedessen aber am Ende jeder Legislaturperiode die Enttäuschung darüber steht, dass wieder nichts aus allem geworden ist. Es sei "nicht in Abrede zu stellen, dass sich die Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Demokratie in letzter Zeit verschlechtert haben – was mit der schwindenden Handlungsmacht des Staates und den Folgen einer wachsenden Einkommens- und Vermögensspreizung in den europäischen Gesellschaften zu tun hat", mutmaßte er. Beim klassischen Territorialstaat seien die politischen Grenzen immer auch wirtschaftliche Grenzen gewesen. Staaten kontrollierten ihre Währungen, stimulierten ihre Wirtschaften und konnten "als der erste Adressat für die Wünsche und Forderungen der Bevölkerung auftreten".

Das war damals aber schon anders. "In Zeiten der Globalisierung, da sämtliche Grenzen an Bedeutung verloren haben, ist der Staat zwar nach wie vor der Adressat von Erwartungen, aber er hat viel von seiner früheren Handlungsmacht verloren." Da ist die EU, die gern genommen wird, wenn Dinge getan werden müssen, die man selbst nicht verantworten will. Da ist der Billardtisch der internationalen Beziehungen, auf dem sich bewegen muss, wer irgendwo hinkommen will. Aber auch das gelingt nicht immer. Zwar schafft es der Staat, sich in immer mehr Lebensbereiche immer tiefer vorzuwühlen - keine Investition, kein Hausbau, keine Wärmepumpe und keine Geburt findet heute noch statt, ohne dass allerlei Fördermittel und Maßnahmen Teil der Gesamtrechnung sind.

Größer und immer machtloser

Doch andererseits wird der Staat, der heute fünf Millionen Beschäftigte zählt, immer machtloser. Jeder Zehnte arbeitet direkt bei ihm, aber man hört nicht auf ihn. Man pariert nicht. Man schimpft über ihn. Und erklärt öffentlich, das Vertrauen in seine Fähigkeiten verloren zu haben. Dass er die gar nicht hat, gibt der Staat nicht zu, um nicht das letzte bisschen Respekt und Zustimmung zu verlieren: "Anstatt auf die Verlagerung der Entscheidungszentren hinzuweisen, tun die Politiker nämlich so, als seien sie nach wie vor Herren der Lage." Da sie es aber immer weniger seien, sprächen sie von der "Alternativlosigkeit" ihrer Entscheidungen, hat Münkler ein Muster entdeckt in Angelas Merkels Erfindung des "Verdrusswortes" (FAZ), das Demokratie zu einer Veranstaltung für schönes Wetter macht. Sobald es hässlich wird, müssen alle mal beiseitetreten. Mutti macht das. Oder, nun, der Vati.

Des Pudels Kern liegt hier begraben. Wo die Alternativen fehlen, fehlt es an jeder Notwendigkeit, zwischen Alternativen zu wählen. In der Corona-Zeit wurde das Gemeinwesen nach dieser Methode aus Hinterzimmerkreisen gelenkt, in denen Experten und Wissenschaftler saßen, die nie auf einem Wahlzettel gestanden hatten. Widerspruch galt als feindlich, abweichende Meinungen waren fake news, Kritik bekam den neuen Namen "verfassungsfeindliche Delegitimierung". Selbst Herfried Münkler hatte das nicht vorausgesehen.

Lästige Demokratie

Das Lästige an der Demokratie ist nun aber gerade immer gewesen, dass sie eine Gesellschaftsform ist, in der der öffentlich ausgetragene Dissens am Ende zu den besten Ergebnissen führt – nicht das Kungeln hinter verschlossenen Türen, nicht die einheitliche Meinungsführung im Sinne der Regierung und nicht eine symbolische Mitwirkung des Volkes am politischen Prozess, die auf Lappalien beschränkt bleibt. Von oben gesehen ist das bequemer, denn die demokratische Mitwirkung des Volkes verwandelt sich in eine nachträgliche Beurteilung der Folgen von Entscheidungen, auf die mittlerweile auch nicht mehr mit Ablehnung reagiert werden darf: Wer die wählt, die nicht zum demokratischen Block der Mitregierenden gehört, wählt die, die zurückwollen ins Dritte Reich.

Wirklichkeit zu Besuch

Auf einmal ist die Wirklichkeit zu Besuch. Und zum ersten Mal seit langer Zeit ist es die Wirklichkeit der Gegenwart, die sich wenig beeindrucken lässt von den routinierten Versuchen, Konferenzen zu veranstalten, um Verträge zu schließen, die auf Erfüllungstermine in einer möglichst fernen Zukunft gelegt sind, wenn niemand mehr, der heute ihren Abschluss beklatscht, fragen wird, warum aus all den tollen Absichten so gar nichts geworden ist. Im Augenblick wird taggenau abgerechnet. Und da steht unterm Strich in der Regel eine Null.

Wie schon vor der Finanzkrise, der Staatsschuldenkrise, der Pandemie und der Lieferkettenkrise hat es an Vorbereitung gefehlt. Niemand hat nichts geahnt, keiner hat einen Plan gemacht, schon gar keinen Plan B. Und nun im Krieg sind die Planungszeiten naturgemäß kürzer, die Ausrede, man stimme sich erst mal noch mit den Verbündeten ab, hält nicht mehr ein halbes Jahr, sondern allenfalls ein paar Tage. Dann wird selbst die konsternierte Öffentlichkeit zappelig, dann muss etwas passieren, das über den routinierten Solidaritätsbeleuchtungswechsel hinausgeht.

Demokratie in der Krise

Die Demokratie ist in der Krise. Die Menschen sind unzufrieden. Das Murren wird lauter und die AfD wächst. Plötzlich kann man sich vorstellen, dass die widerlichen Rechtspopulisten mit ihrem Tiefkühllächeln eines Tages in unserer herrlichen Bundesregierung sitzen. Zwischen Wahlvolk und Politik macht sich eine große Entfremdung breit. Es herrscht ein Notstand der politischen Legitimation. Wie behebt man den? Durch genaueres Hinhören, was die Menschen wollen? Sollen die Menschen wieder mehr an den politischen Entscheidungen beteiligt werden? Bloß nicht.

Volkes Stimme und Fortschritt - das geht nicht gut zusammen. Immer entscheiden sich manche an der Urne falsch, andere gehen gar nicht hin. Heraus kommen Entscheidungen, die so nicht geplant und nicht gewünscht sind. Vernünftig ist das alles nicht - und fortschrittlich erst recht nicht. Eine Staatengemeinschaft, die sich seit so vielen Jahren anschickt, der wachstumsstärkste Kontinent im ganzen Weltall zu werden, braucht Planungssicherheit, die nicht durch kleinliche Wählerwünsche beeinträchtigt wird. 

Kein geeignetes Instrument?

Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat zwar vor vielen ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet uns heute nichts mehr. Alle sind jetzt Demokraten, so wie gerade noch alle Diktatoren waren. Wenn aber Recep Tayyip Erdogan, Angela Merkel und Wladimir Putin gleichermaßen Demokraten und sich ein Typ wie Donald Trump anschickt, einer zu werden, nur weil ihn die Leute vielleicht wählen - ist es dann nicht Zeit, die Demokratie grundsätzlich infrage zu stellen?

Bei allem Bessererklären, trotz Zweifelverbot und Einsicht in die Notwendigkeit von Wohlstandsrückbau, Energieentsagung und Naturbekämpfung fehlt es aber vielerorts immer noch an Einsicht, dass der freie Wille am Ende sein muss, wo seine renitente Ausübung anderen Schaden zufügt. Obwohl seit Sonneberg klar ist, dass ausländische Investoren und dringend benötigte Fachkräfte Regionen meiden, an denen ihnen Hetze, Hass und Vorurteile entgegenschlagen, beharren vor allem im Osten Bürgerinnen und Bürger darauf, angesichts eines demokratischen Blocks aus ehemaligen und aktuellen Regierungsparteien, der über Ziele und Maßnahmen weitgehend einig ist, jemanden wählen zu wollen, der ein Weiterso ablehnt. 


Die Brandmauer, sie hat lange gehalten, weil jeder Machtverlust in einem solchen System vorübergehender Natur ist. Doch einerseits werden einmal getroffene Entscheidungen nie mehr rückgängig gemacht, andererseits laden sie stets zu sogenannten "Reformen" ein, die nach der jeweils aktuellen Stimmungslage unter Beweis stellen sollen, dass nun aber wirklich verstanden wurde, was das Volk wirklich will. Oder wollen soll. 

Sieg der Verdrossenen

Die letzte Entscheidung darüber, ob die Methode weiter trägt, fällten letztlich aber die "Verdrossenen", denen es gegen den Strich gehe, nicht vorher mitentscheiden zu dürfen. Und unterstützt werden sei von den "Empörten", die die Entscheidungen anders getroffen hätten - in die eine Richtung oder die andere. Beider Problem ist, dass sie nicht wirklich wissen, was und wie etwas anders gemacht werden kann. Die aber verlangen, auch unter den neuen Bedingungen müssten die alten Regeln gelten: Der Wohlfahrtsstaat muss überbrücken, was das freie Wirtschaften an Gräben schlägt. Und die Schuldenbremse muss dafür sorgen, dass die Brücken nicht in den Himmel wachsen. Die Regierung muss ans Klima denken. Aber sie darf nicht vergessen, dass auch heute Menschen im Land leben.

Münkler sah in den Auslaufwellen der Staatsschuldenkrise keinen "besseren Mechanismus zur Aushandlung unterschiedlicher Erwartungen und  Interessen als die Demokratie". Zweifelte aber, ob er nicht längst Schaden genommen hat: Eine "Erwartungsüberfrachtung" habe sich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut, die regelmäßig zu Enttäuschung und Wut führe. Von "Wumms" und Doppel-Wumms" ahnte er noch nicht einmal, den "Wutbürger" aber gab es schon. Münkler beschrieb ihn noch als "Produkt seiner eigenen überzogenen Erwartungen", mittlerweile aber geht er eher als Ergebnis multipler Enttäuschungen um. Durchregieren zu können, ist die Sehnsucht aller Kabinette. Verdrossen zu sein ist die letzte Waffe der Regierten.

4 Kommentare:

  1. waldsterben 5. September 2023 at 12:29
    2 weitere Ampeljahre sind 2 weitere Chancen, dass an einem eiskalten, dunklen windstillen Dezembermorgen hier für ein paar Wochen die Lichter ausgehen.

    Dann hat es auch der letzte Wähleridiot begriffen.

    Bedauerlicherweise: NUR dann!
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    Was für ein Trottel. Dann wird erstens der böse Putin schuld gewesen sein, der uns aus nackter Bosheit das Gas abgedreht hat, zweitens wir ALle selber, weil wir die Energiewende aus Geiz und Kleinmütigkeit viel zu lasch betrieben hätten.
    (((Den Teufel))) spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte.

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  2. Nur Besengte unterwegs: Rasender Reporter bei Jouwatch singt Hallelujah und dankt der Saudetschen Zeitverschwendung (SZ), weil die Schwarzen und Grünen Khmer je ein Prozent, die Noskehunde zwei Prozent verloren hätten, zugunsten der "Freien Wähler" (Wat se all maken ...),
    die den Morgenthauplan befürworten. Ogottogott.
    Der Vernünftigste ist noch der Kommentator Matt Wurst - Natürliche Intelligenz.

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  3. dass sie eine Gesellschaftsform ist, in der der öffentlich ausgetragene Dissens am Ende zu den besten Ergebnissen führt –

    Wüsste ich nicht, dass dieses ironisch gemeint ist, würde ich, frei nach Ehm Welk sagen: Sie sind, ehrwürdiger Blogwart, ein Freund des Witzes und der Ironie.

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  4. OT Ach weil's so schön ist: Phasenverschiebung auf dem Klo bei Danisch

    Seit man auf „trans“ macht, braucht man wieder klassischen Herren- und Damenklos, damit die „Trans-Frauen“ aufs Damenklo können.

    Zeller kriegte es nicht besser hin, bloß mit Bild.

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