Sollte man die Bevölkerung nicht zu ihrem Glück zwingen müssen? |
Die Stimmung ist schlecht. Der Kanzler kämpft noch, aber der Wirtschaftsminister lässt schon den Kopf hängen. Die Medien kippen reihenweise ins Lager von Skeptiker, Leugner und Querzweiflern, die üblichen Verdächtigen nörgeln, aber selbst parteinahe Blätter fordern eine neue "Agenda gegen die lahmende Konjunktur. Noch hält die Brandmauer zur Wirtschaftskrise und nur kleine, verschrobene Häuser scheinen verzückt von den finsteren Aussichten. Doch auch nach der abrupten Frontverkürzung durch die Verschiebung des Großen Austauschs bei den Heizungen und der Aufgabe vieler anderer zentraler Heilsversprechen der Ampel will die Laune nicht besser werden: Der alte kranke Mann Europas ist zurück, ein Land, das sich nur noch leistungslos in Ziel schleppen will.
Zeit für ein Machtwort
Es war höchste Zeit für ein Machtwort, für klare Kante gegen die, die sich den Notwendigkeiten verweigern. Wegen der bevorstehenden Wahlen in Bayern und Hessen traut sich im politischen Berlin gare niemand so recht, mutig aus dem Unterholz zu treten und deutliche Ansagen zu machen. Sonneberg und die Umfragewerte für die AfD, aber auch für die virtuelle Wagenknecht-Partei nähren die Besorgnis, dass alles nur noch schlimmer werden könnte, wenn der Streit um Detail im Kabinett beendet und endlich entschlossener regiert würde.
So war es dann einmal mehr an Mark Schieritz von der Hamburger "Zeit", deutlich zu werden. "Einfach mal durchziehen, Deutschland", empfiehlt der Regierungsratgeber ehrenhalber dem angesichts der prekären Lage an so ziemlich allen Fronten sichtlich ratlosen Berlin, das Gefahr läuft, den falschen Einflüsterern zu lauschen. Diese "neue Kategorie von Experten" beschwöre den Untergang, rede von einem "Land am Ende". Eine Seuche aus "Ex-Topmanagern, die sich über die Wirtschaft äußern", ohne dafür ausreichend qualifiziert zu sein.
Meckernde Rentnergang
Da ist Wolfgang Reitzle, "früher einmal Chef von Linde, der das Land im Niedergang sieht, weil aus seiner Sicht die Steuern zu hoch sind", gehört dazu. Auch Ulrich Schumacher von Infineon, für den es mit dem Standort "seit mehr als 25 Jahren" kontinuierlich bergab geht. Dazu Eckhard Cordes von Daimler, der der Regierung vorhält, sie verhalte sich "wie ein Falschfahrer". Oder Kurt Lauk (Audi), der das "Verbrennerverbot" für "wahnsinnig" hält.
Eine Rentnergang aus alten weißen Männern, die Schieritz' wegweisende Kolumnen "Inflation: Fürchtet euch nicht!" und auch "Benzin ist nicht teuer" nicht gelesen oder aber das Gelesene vollkommen vergessen haben. Denn sonst wüssten sie, dass steigende Preise kein Grund sind, Angst vor Kaufkrafteinbußen zu haben, weil "der Anstieg der Teuerung ein Zeichen der wirtschaftlichen Gesundung nach der Krise" (Schieritz) ist.
100.000 Euro für alle
Hätte die Bundesregierung 2014 schon auf die Vorschläge des Kolumnisten gehört und einfach mal "10.000 Euro für alle!" verteilt, gäbe es das Problem gar nicht. Nun aber "schwächelt" (SZ) die Wirtschaft, "die AfD feiert Erfolge und Deutschland ist in der EU angekommen". Doch was "problematisch" klingt, hat "nicht nur Nachteile", wie die Süddeutsche Zeitung herausbekommen hat. Es braucht eben jetzt "vor allem ein paar Veränderungen", findet Mark Schieritz. Und "die müssen auch mal gegen den Willen der Bevölkerung umgesetzt werden." Wäre das denn wirklich so schlimm? Die Leute zu ihrem Glück zu zwingen? Sie sozusagen in Handschellen ins gelobte Land zu führen? In Ketten notfalls, wie es in der Geschichte immer wieder gelungen ist?
China, auch die anfänglichen Aufbauerfolge in der Sowjetunion, nicht zuletzt das vietnamesische Wirtschaftswunder und die Beharrlichkeit, mit der Kuba und Nordkorea gegen alle Widerstände den Sozialismus aufbauen, sie alle stehen beispielhaft für die weitreichenden Möglichkeiten, die ein strenges, obrigkeitsstaatliches System bei der Umsetzung des als richtig Erkannten hat. Freilich sind diese Länder schon ein Stück des Weges enteilt, niemand weiß gar mehr, was dort eigentlich der vielbeschworene "Wille der Bevölkerung" sein könnte. Anfangs wäre es hierzulande wohl lästig, gegen Umfragewerte, Verlustängste der eigenen Funktionärselite und drohende Wahltermine anzuregieren.
Einsicht in die Notwendigkeit
Aber Fakt ist: Gelingt es durch konsequentes Handeln, diesen vermaledeiten "Willen der Bevölkerung" zu brechen, dann lässt sich zum Wohle aller durchregieren. Freiheit ist dann wieder die Einsicht in die Notwendigkeit, wer auch frei sein will, der gibt das sinnlose Bemühen auf, dagegen zu sein und fügt sich frei und friedlich in sein Schicksal als vollversorgtes Objekt der Betreuung durch einen fürsorglichen Staat.
Stand jetzt gibt es 569 Kommentare auf zeit.de. So wertvollen Content gibt es freilich nicht gratis, aber sicherlich ist es tosender Applaus für Schieritz' Antwort auf die Frage nach dem Universum und dem ganzen Rest.
AntwortenLöschenEs gibt bestimmt auch nicht wenige, die gemäß Godwin auf historische Beispiele von ähnlich aufrüttelnden Reden und politischen Durchziehern verweisen. Aus Berlin kommt sicher auch Zustimmung, denn das, was er vorschlägt, versuchen sie ja, aber es gibt einfach noch zu viele Quertreiber und Defätisten.
Beiträge von Schieritz lese ich fast so gerne wie die Elaborate von Stöcker, Fricke oder Fratscher. Da weiß man schon vorher, dass das kompletter Unfug ist, der von den Regierigen bei nächster Gelegenheit aufgegriffen wird.
AntwortenLöschenDiese Physiognomie - wenn das mal kein Stammesbruder des Edelcharakters und Wirtschaftsexperten Naftali Frenkel ist.
AntwortenLöschenUnd gibt es wirklich einfach Struktuierte, die Geld dafür ausgeben, und dann empörte Kommentare absondern, in der irrigen Meinung, diese würden wahrgenommen?
es fällt einem leider zu selten auf, wie spannend diese texte sind. jedes mal fragt man sich, wie weit kann er noch vor zur kante? wann kippt er, fällt und kommt mitten im 4. reich wieder raus?
AntwortenLöschendas bemerkenswerte ist doch, dass jeder dieser texte genau so gut von einem satiriker hätten geschrieben werden können, der einfach den größten unsinn, der gerade im gespräch ist, mit voller lunge aufs absurde aufbläst und dabei nicht lacht.
aber der typ meint das alles ernst
>> Diese Physiognomie
AntwortenLöschenWeil das heute 14 Uhr auch bei mir im Blog Thema ist:
Heinrich Mann: "Seht euch alle an, die im Reich der Verkrachten den Kopf hoch tragen und die anderen zertreten dürfen."
Ob Herr Schieritz den Sermon den er verbreitet selbst glaubt? Wenn man sein Foto betrachtet, könnte man es fast meinen.
AntwortenLöschenDas ist aber nicht von Bedeutung. Herr Schieritz fühlt instinktiv, dass die Posten in den Redaktionen, auf Grund der nicht vorhandenen Krise, alle am wackeln sind.
Wenn man daher auf das rettende Ufer in der Politik übersetzen will, muss man schon auffallen und die vielen Mitbewerber mit der allergrößten Arschkriecherei gegenüber der Politik ausstechen.
Es würde mich nicht wundern, wenn Herr Schieritz demnächst, aus reinem Zufall und wegen seines Könnens natürlich, als Pressesprecher für irgendeinen Politiker angeheuert würde. Treue muss auch belohnt werden.
>auf das rettende Ufer in der Politik
AntwortenLöschenFür den Seibert hat sich das Arškriechen ausgezahlt. Muss ja nicht gleich ein Spitzenposten sein, was in der Berliner Etappe für Provinzschmierer wäre ein schönes Resutat.