Oft ist das Wetter auch einfach zu normal. |
Es war immer schon zu warm, zu kalt, zu heiß, zu nass und zu trocken in Deutschland, selbst als noch nirgendwo der Klimanotstand ausgerufen war, Greta Thunberg im Körbchen lag und Luisa Neubauer noch brav zur Schule ging. Der Mensch und das Wetter, sie waren nie kompatibel, immer fehlte etwas, sie es ein bisschen Sonne oder ein paar Grad Wärme, ein kühlender Regen oder ein wenig Wind, der endlich Abkühlung bringt. Ehe man sich schon wieder nach dem Sommer sehnt, der freilich entweder zu früh kommt oder viel zu spät, zwischendrin aber niemals so ist wie früher, als er auf fast dieselben Monate fiel, aber niemals aus oder zu heiß oder zu kalt aus.
Vom Hinnehmen zur Gestaltung
Über Generationen nahmen Menschen selbst in Deutschland das Wetter als unveränderlich hin. Es gab Jacken und es gab Schirme, es gab Frotteeschweißbänder und Flüche, Socken und Sandalen, aber keine Glaubensrichtung, die ihren followern predigte, sie müssten nur dies oder jenes tun oder lassen, dann werde das Wetter so oder anders. Dass der Einzelne die Macht und die Fähigkeit habe, sein eigenes Wetter zu bestimmen, es im Grunde je nach Belieben zu programmieren, behaupteten allein fürsorglichen Mütter, zumindest bis in die 70er Jahre hinein. Der Junge müsse nur aufessen, dann werde das Wetter nicht schön, behaupteten sie einen Zusammenhang zwischen individueller Handlung und Großwetterlage, der wissenschaftlich nie nachgewiesen werden konnte.
Weshalb Fernsehmeteorologen sich früh darauf konzentrierten, wenigstens drei Viertel ihrer Sendezeit mit einem Rückblick auf den vergangenen Tag zu füllen: Hier warm, dort kälter, dazwischen Regen und daneben keiner. Der kurze Rest folgt traditionell den Regeln der Wahrsagekunst: Es könnte warm werden, wenn es nicht kalt bleibt, streifenweise aber sind Niederschläge nicht auszuschließen, vorausgesetzt, das Regenband zieht nicht nördlich vorbei, ohne sich zu ergießen.
Die Kunst des Knochenwurfs
Generationen sind durch diese Mischung an Wissenschaftsverleugnung, nachholender Vorausschau und der Kunst des Knochenwurfs unter Berücksichtigung der Beobachtung des Vogelfluges geprägt worden. Die alte Binse, dass Wetter immer irgendwie ist, niemals aber irgendwie sein muss, geriet darüber ganz in Vergessenheit. Wie die Führung der Sowjetunion auf dem Höhepunkt ihrer Macht fest davon ausging, dass auch das Wetter nur ein Ding ist, das sich dem Fortschritt und dem von Marx und Lenin vorhergesagten Gang der Geschichte unterwerfen muss, so ist der Jetztmensch davon überzeugt, dass es einen Zustand gibt, in dem das Wetter richtig ist.
Für jede Jahreszeit, jeden Monat, ja, für jeden Tag gibt in dieser Vorstellungswelt ein Wetter, das im Rahmen geringer Abweichungen der Norm entspricht. Alles andere ist verkehrtes Wetter, geprägt von einem außer Rand und Band geratenen Klima, das nicht von einzelnen Wettern gebildet wird, sondern selbst Wetter macht. Falsches vor allem, denn geht es nach den Suchanfragen, die die Deutschen stellen, gibt es neuerdings nicht mehr nur zu kaltes und zu warmes, zu heißes, zu trockenes und zu nasses Wetter. Sondern sogar zu normales.
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