Ganz Europa ist in Angst vor dem Tag, an dem die Andromeda-Segler gefunden werden. |
Erst war es der Russe, dann fiel ein ungeheuerlicher Verdacht auf den Amerikaner. Nachdem eine Spur zu Ukrainern aus Rostock aufgeflogen war, wurde die Yacht "Andromeda" als mögliches Tatmittel berühmt. Nun aber prüfen deutsche Ermittler nach einem Bericht des "Wall Street Journal" Beweise, die darauf hindeuten, dass auch Polen involviert sein könnte.
Nach dem Schock, dass es der Nato-Partner USA war, und der Erleichterung, die im politischen Berlin eintrat, nachdem sich der anfangs für unabdingbar gehaltene "staatliche Akteur" in eine Fünf-Mann-Armee aus ukrainischen Freiwilligen verwandelt hatte, von deren Plänen auch in Kiew niemand nichts wusste, ist nun wieder dicke Luft im Ermittlerteam: Niemand kann wollen, dass ein EU- und Nato-Partner eine Aktie am größten Anschlag auf Teile der kritischen Infrastruktur Deutschland seit den Bombenangriffen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg hat.
Bloß nicht der Falsche
Lieber möge es doch keiner gewesen sein als der Falsche, beten sie im Kanzleramt seit Monaten. Und seit bekannt geworden ist, dass alle alles vorher wussten, nur nicht wann, wächst die Angst, dass sich eines Tages jemand verspricht. Der Schaden, den die Explosionen angerichtet haben, mag milliardenschwer sein. Doch der, der eintreten würde, käme eine unbequeme Wahrheit heraus, wöge noch deutlich schwerer.
Umso ärgerlicher, dass die Ermittlungen des Bundeskriminalamts, von denen wie immer zuerst in den USA berichtet wird, die Spur der mutmaßlichen Täter-Yacht in polnische Gewässer zurückverfolgen konnte. "Andere Ergebnisse", heißt es im WSJ, deuteten gar "darauf hin, dass Polen eine Drehscheibe für die Logistik und Finanzierung des Unterwasser-Sabotageangriffs" gewesen sei. Polen ist gewarnt. Seit Monaten führen die östlichen Nato-Nachbarn Ermittlungen, um herauszubekommen, was Deutschland eigentlich genau untersucht: Sollen die Täter gefunden werden? Oder geht es eher darum, die Reise der "Andromeda", einer 50 Fuß langen schneeweißen Vergnügungsyacht, so lange weiterzuverfolgen, bis sich endlich niemand mehr daran erinnert, weshalb sie eigentlich verfolgt worden waren?
Geheimflotte unter Verdacht
Nach den hoffnungsvollen Nachrichten zuletzt, die eine russische Geheimflotte unter Tatverdacht gestellt hatte, seien nun "Daten der Radio- und Navigationsausrüstung der Andromeda mit Satelliten- und Mobiltelefonen und Gmail-Konten der Täter zusammengefügt" worden, irgendwie auch "kombiniert mit an Bord zurückgebliebenen DNA-Proben mindestens eines ukrainischen Soldaten". der Gentest zeigt, dass die "Andromeda" die Orte umrundete, an denen später die Explosionen stattfanden – "ein Beweis, der die Ermittler in der Überzeugung bestärkte, dass das Freizeitboot maßgeblich an der Zerstörung der Pipeline im letzten Jahr beteiligt war".
Die beruhigende Spur zur Geisterflotte, sie ist für den Moment eiskalt. Deutsche Ermittler sagten dem WSJ, dass sie auch untersuchen, warum die Yacht mit Hilfe eines Reisebüros mit Sitz in Warschau gemietet wurde, das offenbar Teil eines Netzwerks ukrainischer Scheinfirmen mit mutmaßlichen Verbindungen zum ukrainischen Geheimdienst ist. Herausgefunden haben sie dabei, dass ein weißer Transporter, der von Überwachungskameras und Augenzeugen in einem deutschen Hafen gesichtet wurde, polnische Nummernschilder trug. Er sei "zur Versorgung der Schiffsbesatzung eingesetzt" worden. Dennoch wurde die polnische Regierung über die neuen Erkenntnisse zu den Bewegungen und der Besatzung der Andromeda im Dunkeln gelassen - eine ungewöhnliche Situation für zwei EU-Mitgliedstaaten, die zumindest in Fernsehkrimis plakativ gemeinsame Ermittlergruppen einsetzt, die grenzüberschreitend operieren.
Unterwegs nach Polen
Freilich nur in Mordfällen und bei Autodiebstählen. Nachdem die Nachrichten über die Fahrt der "Andromeda" nach Polen bekannt geworden war, hätten die polnischen Behörden Deutschland aufgefordert, Doch erst Mitte Mai, fünf Monate nachdem Berlin die Andromeda identifiziert hatte - nach einem Hinweis eines sogenannten "westlichen Geheimdienstes", der offenbar besser informiert war als die deutschen Dienste - trafen sich beide Seiten zu einem Arbeitstreffen, wie es ein Beamter des polnischen Justizministeriums nannte.
Alle tappen im Nebel oder sie tun so. Bis zum Februar, als die US-Reporterlegende Seymor Hersh den Fall aus dem Tiefschlaf geweckt hatte, galt das Rätsel um die Anschläge als abgeheftet und beerdigt. Niemand fragte sich mehr, wieso die umfangreichen Vorbereitungen für einen solchen Anschlag mitten in einem am engmaschigsten überwachten Meeresgebiet der Welt von niemandem beobachtet worden waren. Hershs Behauptungen, die USA steckten hinter der Sabotageaktion, erforderten dann aber doch sichtbare Bemühungen, den Verschwörern nachzusteigen.
Jetzt erst, so das Wall Street Journal, gelangten die Tipps eines Informanten, der für ein "kleines europäisches Land" (WSJ) in der Ukraine spioniert, zu den Ermittlern. Beamte in diesem europäischen Land hätten sich damals schon gefragt, "warum größere Mächte mit umfangreichen Überwachungsfähigkeiten und -personal in der Ukraine nicht selbst Wind von der Verschwörung" bekommen hätten. Oder hatten sie? Und wollten sie nur nicht haben?
Keine Beweise für polnische Beteiligung
Klar ist, dass bei diesen Ermittlungen mehr schiefzugehen droht als eine erfolgreiche Täterjagd an Nutzen zu bringen verspricht. So lange man nicht weiß, wer es war, kann man nicht wissen, ob man es wissen will. Seit sieben Monaten sind die Behörden in Deutschland, Russlands, Schweden und Dänemark offiziell, die Polens, der USA und zahlreicher anderer westlicher Verbündeter zumindest informell dabei, zu suchen, was sie womöglich gar nicht finden wollen.
Niemand weiß mehr, was er wusste
Lange schon haben alle B eteiligten umgedacht. Niemand weiß mehr, was er wusste, als man Nordstream für wichtig hielt, um Europa unabhängiger von den USA zu machen. Als Trump das kritisierte, bekam er harsche Widerworte zu hören, auch von den Grünen. Die Öko-Partei, deren Vizekanzler Joschka Fischer einst gemeinsam mit dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Basis für die deutsche Abhängigkeit von Russland gelegt hatte, war immer entschlossen, den klimafreundlichen
Umbau der deutschen Wirtschaft mit Hilfe von russischem Gas zu
bewerkstelligen. Bis sie sich eines Morgens umentschieden hatte. Energieversorgung,
bisher ein belächeltes Thema von preppernden Stammtischrunden, ist seitdem eine Frage der nationalen Sicherheit: Bürgerinitiativen und
Rotmilane, Menschenrechtler und Pazifisten, sie alle müssen zurücktreten
von der Bahnsteigkante, an der der neue Ökotrain zur Friedensfahrt
aufbricht.
Ganz verschütt gegangen ist dabei das Wissen darum, dass es keineswegs nur Schröder, Steinmeier und Merkel waren, die Anfang der 2000er Jahre die Weichen auf eine deutsch-russisches Versorgungspartnerschaft stellten. Die Älteren erinnern sich: Nach Joschka Fischer war es der grüner Umweltministerkollege Jürgen Trittin, der den Weg bereitete zum Ausbau der deutschen Abhängigkeit von russischen "Fossilen" (Ricarda Lang). SPD-Kanzler Gerhard Schröder war es zwar, der die Vereinbarungen zum Bau der Pipeline Nord Stream I gemeinsamm mit Wladimir Putin unterzeichnet und damit die Partnerschaft zwischen Gazprom, E.ON Ruhrgas und Wintershall angeschoben hatte.
Marginale grüne Bedenken
Doch die damaligen grünen Bedenken waren marginal, nie grundsätzlich. Sie galten bei Nord Stream I der Bedrohung des maritimen Umfeldes, bei Nord Stream II schürten grüne Funktionäre die Furcht, die USA seien "gegen jede Pipeline aus Russland oder der Sowjetunion", damit Europas Gas "teurer werde", weil das "der amerikanischen Industrie zugute, aber auch dem möglichen Export von US-Flüssiggas" (Jürgen Trittin). Jede zusätzliche Pipeline mache das teure amerikanische Flüssiggas weniger wettbewerbsfähig, aber klimafreundlich sei es nicht. "Der CO₂-Abdruck, den es hinterlässt, ist weit größer als beim Pipeline-Gas", urteilte Jürgen Trittin.
Als
die Grünen im Wahlkampf ihre Pläne für ein "Marktdesign, das die
Rahmenbedingungen für ein klimaneutrales Energiesystem richtig setzt"
vorstellten, ruhte das zentral auf neuen Gaskraftwerken, weil die wegen
des angestrebten Kohleausstieges "aktuell zwingend notwendig" seien. 30
bis 40 solcher Kraftwerke sollten gebaut werden, alle für irgendwann
später "bereits Wasserstoff-ready geplant" (Grüne) - nach Verfahren
allerdings, die sich derzeit noch in der Erprobung befinden und keinerlei Chance haben, in den kommenden drei, vier Jahren massenhaft großtechnisch umgesetzt zu werden.
Jeder sucht für sich allein, denn keiner traut niemandem. Gegenüber dem Wall Street Journal wollte sich Sprecherin des deutschen Generalbundesanwalts, der die Ermittlungen leitet, nicht dazu äußern, ob die Ermittlungen auf Polen ausgeweitet wurden oder ob die polnischen Behörden um Hilfe gebeten wurden. Immerhin bestätigten ungenannte deutsche Beamte, dass sie keine Beweise dafür hätten, dass die polnische Regierung an der Verschwörung beteiligt gewesen sei.
Oder waren es die Dänen? Die bis über die Ladegrenze mit militärischem Sprengstoff beladene Einmast-Schaluppe segelte schließlich von der dänischen Insel Christianso nach Süden in polnische Gewässer, nachdem die Besatzung ihre Sprengladungen an der Nord Stream 1-Pipeline angebracht hatte. Es sei unklar, ob die Yacht die polnische Küste erreichte oder sich in polnischen Gewässern mit einem anderen Schiff traf, ehe sie zurück nach Norden segelte, um Nord Stream 2 zu verminen.
Keiner traut niemandem
Dass das geschehen könnte, davor war die CIA durch einen befreundeten europäischen Dienst bereits Monate zuvor gewarnt worden. Die Amerikaner gaben den Hinweis auf eine kleine Gruppe von Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte weiter, auch an Deutschland. Doch wie das so ist: Die Amerikaner selbst überwachten den mutmaßlichen Tatort nicht. Und die Deutschen kamen nach Monaten, in denen nichts passierte, zum Schluss, dass der Hinweis eine fake news aus Russland oder aber die Bedrohung nun wohl doch vorüber sei.
Dann knallte es doch noch. Und ausgerechnet die Amerikaner weckten Zweifel daran, dass Putin seinen eigenen Goldesel ermordet haben könnte. Zum Glück hatten die Terroristen die "Andromeda" ungewaschen zurückgegeben, samt Spuren von Sprengstoff, DNA, Fingerabdrücken und Personalausweisen. Seitdem lenken die Umfeld eines fast perfekten Verbrechens ein wenig unbeholfen wirkenden Hinweise auf ein polnisches Reisebüro, einen ukrainischen Soldaten mit einem Sohn in Ostdeutschland und "Verbindungen zu den ukrainischen Streitkräften" (WSJ) elegant ab von der Spur zum russischen SS-750 und seinem Mini-U-Boot.
Zugegeben, bis vor kurzem hab ich die Dienste für minderbemittelt gehalten. Aber wenn man sieht, was die schon alles rausgefunden haben, da kriegts man mit der Angst zu tun.
AntwortenLöschenWas passiert, wenn die bei uswertung der Satellitenfotos rauskriegen, dass ich schon mal an der Ostsee Urlaub gemacht habe?
bis vor kurzem hab ich die Dienste für minderbemittelt gehalten ...
AntwortenLöschenEcht? Was den Inlandsgeheimdienst betrifft, so mag das sogar stimmen. Eher Millowitsch als Kafka. Das Außengelände aber - die sind wohl verkommen bis ins Mark, aber nicht blöd. Die wissen, wer Herrchen und wer Hundchen ist.