Nun doch dauerhaft: Die Bundeswehr beendet ihre Ost-Rotation. |
Wenn sich niemand mehr an nichts hält, dann muss sich auch niemand mehr an nichts halten. Solche Gelegenheiten darf verantwortlich handelnde Politik nie verstreichen lassen: Es gilt viel mehr, sie zu erkennen und zu nutzen. Helmut Kohl, der sich 1989 plötzlich und weitgehend unvorbereitet in eine Lage versetzt sah, das stets eher theoretisch postulierte Gebot, Deutschlands Einheit wiederherzustellen, zögerte nicht, sich in den Mantel der Geschichte zu zwängen. Jeder Kompromiss, den er eingehen musste, um zum Ziel zu kommen, war die Sache wert. Der deutsche Kanzler überzeugte sogar den amerikanischen Präsidenten davon, einer Regelung zuzustimmen, nach der die Nato auch nach dem Rückzug der Russen von ihrer vorgelagerten Westflanke niemals dauerhaft Truppen jenseits der ehemaligen deutsche-deutschen Grenze stationieren würden.
Niemals dauerhaft
Das Versprechen geriet schon zum Eiertanz, als nahezu sämtliche frühere Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes Nato-Mitglieder wurden. Naturgemäß waren nun überall Nato-Truppen dauerhaft stationiert, selbst direkt an der russischen Grenze. Eine solche Stationierung im eigenen Land, von dieser Interpretation konnte das westliche Verteidigungsbündnis Moskau lange überzeugen, sei aber damals, als der 2+4-Vertrag geschlossen wurde, gar nicht gemeint gewesen. Wie ja auch das Versprechen, dass die Nato sich niemals nach Osten ausdehnen werden, nicht gemeint habe, dass sie nicht weiter ostwärts gelegene Staaten als Mitglied aufnehmen könne, die sich, ein Blick auf die Karte verrät es, dadurch kein bisschen ausdehnen.
Wie weit sich Worte dehnen und Sätze wirklich interpretieren lassen, bewiesen dann die ersten Reaktionen auf die russische Einvernahme der Krim. Das Militärbündnis streckte die Arme aus. Und nach Jahren intensiver Untersuchung entpuppte sich das Wörtchen "dauerhaft" in den Verträgen mit Russland, dort eigentlich hineingeschrieben als betonter Hinderungsgrund für jede Art von Expansion, als versteckte Einladung für ein Vorrücken nach Osten: Die Nato stationierte Truppen. Widersprach dem Vorwurf, es handele sich um eine verbotene dauerhafte Präsenz, aber deutlich, indem sie die einzelnen Einheiten aller paar Monate ablöste. Buchstabengenau vertragsgerecht. Ein gerissener Kniff wie aus dem Lehrbuch für Windeladvokaten.
Vertrauensbildende Maßnahme
Die Rotation wurde in Moskau zweifelsfrei als vertrauensbildende Maßnahme verstanden. Am Roten Platz wurde über Gorbatschow geflucht, der sich hatte dermaßen übertölpeln lassen: Nicht nur, dass er darauf verzichtet hatte, sich die künftige Blockfreiheit der alten Sowjetvasallen in Osteuropa schriftlich geben zu lassen. Nein, er hatte mit dem "dauerhaft" auch noch die Tür für eine ständige Anwesenheit von Nato-Truppen direkt vor Russlands Haustür geöffnet, gegen die sich nicht einmal etwas sagen ließ, weil gegen keine Vereinbarung verstieß.
Dazu machte Russland den ersten Schritt, indem es die Ukraine überfiel. Aber damit schafft es nun auch die Gelegenheit, den ganzen alten Vertragsquatsch über Bord zu werfen, der das deutsche Heer bisher daran hinderte, seine Stiefel selbstbewusst wie früher auf fremde Scholle zu setzen. Wie einst Helmut Kohl hat Verteidigungsminister Boris Pistorius die Chance erkannt, die sich in einer vielleicht einmaligen Gelegenheit auftut: Wladimir Putin ist durch andere Sorgen abgelenkt, die Linke als Sachwalter russischer Interessen delegitimiert und die deutsche Friedensbewegung mausetot. Die Nato-Partner aber lechzen nach deutscher Schützenhilfe.
Ausdrücklich dauerhaft
Pistorius verkündete also "überraschend die dauerhafte Verlegung von 4.000 Bundeswehrsoldaten nach Litauen". Ein Marschbefehl für "eine robuste Brigade" (Pistorius), der alle semantischen Tricks ignoriert, um die "Ostflanke der Nato" zu "stärken". Ausdrücklich zitiert der Sozialdemokrat in der Ankündigung den Begriff "dauerhaft", um die geplante Stationierung zu beschreiben: Statt 800 Soldaten, die rotierend anreisen, um nach drei Monaten einer neuen Abordnung Platz zu machen, werden bis 2026 fünfmal so viele Präsenz zeigen. Die Nachkriegszeit endet damit, an einem Sommertag, 82 Jahre und 96 Stunden nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion.
Lieber ppq, jedem historisch einigermaßen gebildeten Bürger sollte es keine Überraschung sein, dass sich Staaten nach ein paar Jahren nicht mehr an einmal geschlossene Verträge halten. So what? Die gesamte Weltgeschichte zwischen Nationen besteht im Endeffekt nur daraus, Verträge zu schließen und diese, wenn sich die Machtverhältnisse ändern, wieder aufzukündigen, bzw. zu anderen Bedingungen neu auszuhandeln. Gerne auch durch kriegerische Handlungen, bzw. Erpressung.
AntwortenLöschenEs gibt nun einmal kein großes Weltgericht, dass untreue Vertragspartner zur Rechenschaft ziehen kann. Ultima Ratio bei Vertragsverletzungen ist nur ein Krieg. Verträge sind daher immer nur Momentaufnahmen. Es wird begonnen diese zu unterlaufen, umzudeuten und neu zu interpretieren, wenn noch nicht einmal die Tinte der Unterschriften trocken ist. Business als usual. Auch hat Herr Putin überhaupt kein Problem damit, schwächeren Kontrahenten handfest neue Regeln zu präsentieren. Die westlichen Nationen machen dies inzwischen, wenn möglich, gerne etwas subtiler. Was aber im Endeffekt aber auf das Selbe herauskommt.
Wenn man nur die Anzahl der geschlossenen Friedensabkommen, seit Einführung der Schrift zusammenzählt, müssten wir in einem Paradies leben in dem Krieg seit Jahrtausenden nicht mehr stattfindet. Pustekuchen. Alle Verträge können und werden täglich neu ausgehandelt.
Seit Anbeginn der Zeit zeigt der Starke dem Schwachen wo der Hammer hängt. Mal härter, mal sanfter. Das ist ein Naturgesetz, dass wohl eine ewige Gültigkeit besitzen dürfte. Alle Versuche dies wegzudeuteln scheitern mit regelmäßiger Sicherheit.
Deutschland ist hierfür ein hervorragendes Beispiel. Statt zu versuchen einen möglichst großen Hammer in Händen zu halten, damit das Spiel nach unseren Regeln und zu unserem Nutzen verläuft, denken große Teile hier, dass uns irgendwelches beschriebenes Papier vor allem Unbill der Welt beschützt. Wir sind gerade dabei auf die harte Tour zu lernen, dass das wieder einmal nicht funktionieren wird.
Auch hat Herr Putin überhaupt kein Problem damit, schwächeren Kontrahenten handfest ...
AntwortenLöschenWäre mir das Neueste! Wann und wo denn? Den sauberen Herren Sackarschwilly etwa?
@jodel: natürlich. aber man muss es den jüngeren immer mal vor augen halten
AntwortenLöschenausgemacht scheint ja zu sein, dass sich nicht eine stimme dagegen erhebt
"Den sauberen Herren Sackarschwilly etwa?"
AntwortenLöschenSaakaschwili ist eine schillernde Figur. In vielerlei Hinsicht.
Er wurde von den Georgiern verstoßen, als er zum Tyran mutierte. Und ja, ohne US-Hilfe wäre er wohl nie an die Macht gekommen.
Wahr ist aber auch, er hat es tatsächlich geschafft, Tiflis von einem kriminellen und korrupten Dreckloch innerhalb kurzer Zeit zu einer zwar ärmlichen, letztlich doch ganz normalen Großstadt zu machen. Das muss einer erst mal hinkriegen.
Ich weiß, da war 2008 noch was. Aber das ist eine andere Geschichte.
Maria-Bernhardine 27. Juni 2023 at 17:20
AntwortenLöschen@ Goldfischteich 27. Juni 2023 at 16:16
Stephan Kramer – Ist das nicht
der Karriere-Konvertit?
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_J._Kramer
Jetzt glaubt er unantastbar zu sein.
Wegen Deutschlands 12-j. Schande,
auf die Opferseite gekrochen? So kann
man es auch machen, wenn man sich
von histor. Schuld abseilen möchte!
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Historische Schuld? Historische Schuld?
Wurde die Kröte von ihrem Messpfaffen zu heftig rangenommen??? Wie blöd kann man sein???
>Tiflis von einem kriminellen und korrupten Dreckloch innerhalb kurzer Zeit
AntwortenLöschenVermutlich hat er da auch eine Autobahn hingebaut.
Scherz beiseite: Die alle waren teils ganz gut im Aufräumen, sind aber mitunter über's Ziel hinausgeschossen.
Im Übrigen empfinde ich es aufgrund der Verbrechen der Nazis ...
AntwortenLöschen@ Julius Rabenstein: Hättest Du hier das Maul gehalten, wärst Du ein Philosoph geblieben.
Die abgehackten Kinderhände in Belgien, oder was? Sender Geilwitz? Ich bitte!
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Aber noch einmal zum Thema zurück: WO hätte Putin "Schwächere" unprovoziert, grundlos, aus Bosheit, angekackt?
@Anonym
AntwortenLöschenHier geht hier gar nicht darum, ob Herr Putin einen Grund hatte für sein vorgehen oder ob er provoziert wurde oder ob er von Bosheit befallen ist oder nicht. Das mag alles so sein, wie sie denken oder auch nicht. Wer kann das aus unserer kleinen Perspektive schon endgültig entscheiden. Das ist hier aber gar nicht das Thema.
Es geht darum, dass er es getan hat, weil er es konnte. Wäre er nicht der Stärkere gewesen bzw. hätte sich als der Stärkere gefühlt, hätte er die Füße stillhalten müssen.
Provokation hin oder her, grundlos oder mit Grund, es sind am Schluss immer die Stärkeren die den Schwächeren den Marsch blasen.
AntwortenLöschenRecht seltsame Ansicht.
https://sezession.de/67657/dreissig-jahre-giftige-zuckerwatte
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