Eben noch war Afrika traurig. "Selbst die Fahnen hängen schlaff in der Sonne vor dem gleißend weißen State House", reportiert Kai Clement aus Kenia. "Dann fährt Olaf Scholz vor, Präsident William Ruto begrüßt ihn mit militärischen Ehren." Ein Quantensprung für den Kontinent, aber auch ein Hoffnungszeichen für die vielen Daheimgebliebenen. Denn Kai Clement von der ARD, der Deutschlandfunk, das ZDF und sämtliche Nachrichtenagenturen haben in Ostafrika ganz unverhofft einen "Klimachampion" (ZDF) gefunden.
Die Erfindung eines Champions
Kenia, 56 Millionen Einwohner, bekannt für Menschenrechtsverstöße, Kinderprostitution und die systematische Verfolgung von Homosexuellen auf der Grundlage anachronistischer Gesetze, flimmert als afrikanisches Energiewunder über die deutschen Bildschirme: Das Land gewinne "bereits 90 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien", versichert Kai Clement nach Recherchen vor Ort. Das Land nutze "besonders viele Erneuerbare Energien", assistiert das ZDF und erklärt "wie das Land das macht und wieso Deutschland viel von ihm lernen kann." Besonders jetzt, wo Ruto, der Verfolger der Homosexuellen, dem "Klimaklub" des Kanzlers beigetreten ist, der er seinen "good brother" nennt.
Auch die neue deutsche Kenia-Begeisterung wird natürlich nur kurz sein, keine Sekunde länger als das brennende Interesse für den Niger währte, als Annalena Baerbock dort Wasser trug, oder die Empathie für den brasilianischen Regenwald, als Robert Habeck und Cem Özdemir dort die letzten noch erlaubten Indianer besuchten. Im Falle des "Vorreiters der Energiewende" (Merkur) aber hat die Differenz zwischen Fabel und Wirklichkeit ein Ausmaß erreicht, das selbst für öffentlich-rechtliche Verhältnisse epochal ist.
Frei erfundene Zahlen
Kai Clements "90 Prozent Erneuerbare" sind vollkommen frei erfunden, im "Vorreiter-Land", das "ab 2030 allen Strom aus erneuerbaren Energien beziehen" will, (DPA) herrscht nicht nur Energiemangel, es haben je nach Quelle auch nur 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung überhaupt einen Stromanschluss - im ländlichen Raum sind es gar nur sieben Prozent. Selbst im verstädterten County Nairobi rund um die Hauptstadt gibt es heute noch einen Anteil von mehr als einem Zehntel der Bevölkerung, der nicht ans Stromnetz angeschlossen ist. Inspirierend: Kenias CO2-Ausstoßkurve.
Die Elektroenergie aller anderen stammt zudem nach Angaben des US Office of Public Affairs (CIA) bis zu zehn Prozent aus fossilen Quellen, im Falle Kenia Diesel- und Gaskraftwerke. Kaum mehr liefern Wind und Sonne. Der Löwenanteil des erneuerbaren Stroms stammt aus der in Deutschland verpönten Geothermie und aus Wasserkraftwerken, deren Verfügbarkeit als Lieferanten durch die "großflächige Abholzung der Wäldern" jedoch so dauerhaft infrage steht, dass Kenia seit Jahren nach geeigneten Standorten für Kernkraftwerke sucht und gleichzeitig plant, Kohlekraftwerke zu bauen.
Ein inspirierendes Märchen
Richtig voran kommt das Land dabei nicht. Seit Jahrzehnten schon steigen die CO2-Emissionen Kenias beängstigend an, zuletzt sank der Anteil der Erneuerbaren am Strommix zudem ab. Im Augenblick leidet der "inspirierende Klimachampion" (Olaf Scholz), den Deutschland zuletzt mit 110 Millionen Euro auf "seinem Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie" (KfW) unterstützte, unter häufigen Stromausfällen, hohen Preisen und der Verzögerung des Netzausbaus durch den staatlichen Monopolisten Kenya Power. Der gößte Teil der Primärenergieversorgung der Kenianer stammt so auch heute noch aus der Verbrennung von Holzkohle und Feuerholz, selbst in der national bedeutsamen Tee-Industrie. Die dabei genutzte Biomasse werde oft "in Form des Raubbaus und weitgehend ohne Nutzungsplan aus den wenigen verbliebenen Wäldern sowie den Savannen extrahiert", heißt es in einer umfassenden Analyse.
Nach Zahlen der nationalen Energieagentur ERC wurden noch im Jahr 2015 rund 300.000 Tonnen Leuchtpetroleum importiert, das beinahe ausschließlich für die Nutzung in ineffizienten Laternen eingesetzt wurde.in leuchtendes Beispiel dafür, wie viel Realität sich durch Fantasie ersetzen lässt, wenn störende Details ausgespart werden.
Fabelhafte 90 Prozent
Kai Clement hätte sich natürlich zwei Minuten Zeit nehmen können, um die fabelhaften "90 Prozent" wenigstens mit den offiziellen Angaben der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) abzugleichen, deren optimistischste Angabe auf 70 Prozent kommt. 70 Prozent, die aber offenbar so wenig wie die 90 Prozent aus den Fernsehnachrichten Einfluss auf den Strompreis in Kenia haben: Der liegt mit 16 Cent pro Kilowattstunde zwar - wie überall in der Welt - um Größenordnungen unter dem deutschen Weltrekordpreis. Liegt aber deutlich höher als der Strompreis in Marokko, das sich zu mehr als 80 Prozent fossil versorgt. Gemessen am Durchschnittseinkommen ist Strom in Kenia doppelt so teuer wie in Deutschland.
Störende Fakten, die anzuführen Scholzens Hoffnung, künftig von Kenia grünen Wasserstoff zu beziehen, allzuleicht als Illusion enttarnen würden. Derzeit verfügen in ganz Ostafrika insgesamt noch weit weniger private Haushalte über einen Stromanschluss als sonst irgendwo in Afrika. Bis 2030 - dem Jahr, in dem die frühere britische Kolonie mit einem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt auf Augenhöhe mit Venezuela und Nicaragua komplett erneuerbar versorgt werden soll - wird der inländische Strombedarf
allein durch den Anschluss neuer Verbraucher um etwa 250 Prozent steigen. In nur sieben Jahren muss die installierte Leistung damit mindestens verdoppelt werden, um den Eigenbedarf zu decken, der derzeit in Mangellagen schon nur noch durch den Bezug von Strom aus einem "umstrittenen" neuen "Megastaudamm" im kriegsverhehrten Nachbarland Äthiopien befriedigt werden kann.
tagesspiegel.de/
AntwortenLöschenDeutschland hofft auf grünen Wasserstoff aus Kenia
veröffentlicht am 03.05.2023
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Nein, da genügt die Überschrift voll und ganz.
Sieben Prozent der Haushalte am Stromnetz? Das klingt doch nach einem Ziel für die Ampel, aber bitte ohne den fatalen Import von fossilen Energieträgern.
Vergessen Sie bei Ihren Berechnung nicht, dass (nach Tagesschau-Informationen) bald jeder einzelne Kenianer einen Fernseher besitzen könnte, der Unmengen an Strom erzeugt? :D
AntwortenLöschenLaut NDR (Reichslehrsender Nordmark) regnet es in Kenia zu wenig, weil "wir" in Saus und Braus leben.
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