Montag, 15. Mai 2023

Arm und nicht mal sexy: Im Reich der Mitte

Das kleinste Bundesland ist nicht nur arm, arbeitslos und ostdeutscher als der Rest der alten Republik, sondern auch zufriedener mit der SPD.

Wahlen im Armenhaus der Republik, einer Stadt, die ein Land imitiert und damit sowohl innen- wie außenpolitisch große Erfolge feiert. Die kleine Hansestadt Bremen und ihre Exklave Bremerhaven verwandeln sich aller vier Jahre in ein reguläres Bundesland, auf das alle schauen, weil es Landtagswahlen abhält. Nach eigenen und eigentümlichen Riten, wie sie nirgendwo anders mehr gepflegt werden: Die 680.000 Einwohner dürfen immer noch aller vier Jahre an die Wahlurne treten, während im Zuge der besseren Handhabbarkeit der Bevölkerung überall sonst auf eine - vorerst - fünfjährige Legislaturperiode umgestellt wurde.  

Wasserstandsmeldung von der Weser

So bedeutungslos die Wahlentscheidung von 0,8 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung auch sein mag, so wichtiger scheint sie in Zeiten allgemeiner Ungewissheit darüber, wie gut Deutschland nun wirklich durch Pandemie und Winter gekommen ist, wie kräftig der Wunsch ausfällt, alles für das Klima zu tun, Und mit wie viel Abscheu wie viele Menschen versuchen, auf die immer weiter wachsende rechte Gefahr durch verstärkte Aufmerksamkeit im Alltag zu reagieren. 

Bremen gilt als der Schandfleck unter den alten Bundesländern, ein Stück Ostdeutschland, beinahe ausschließlich von Westdeutschen besiedelt. Selbst ohne jahrzehntelanges Sozialismusexperiment ist es im Norden gelungen, eine bereits quasi gemeinwirtschaftliche Gesellschaft herbeizuregieren. Bremer besitzen noch weniger Immobilien als Sachsen, sie leben häufiger als alle anderen ausschließlich von Sozialleistungen und sie trotz aller Aufklärungsbemühungen und Steuererhöhungen rauchen störrisch weiter wie die Schlote Nachbarn drüben im weitgehend verlassenen Mecklenburg. 

Negativrekorde reihenweise

Dass die frühere Hauptstadt der reichen Pfeffersäcke seit Jahrzehnten von rekordhoher Arbeitslosigkeit geplagt wird, macht sie zu einer sozialdemokratischen Hochburg. In der "traumhaften Industriehafen-Kulisse" , bevölkert  von einem "Heer von Abgehängten & Vollfrustrierten", räumte die deutsche Sozialdemokratie in der Vergangenheit meist mehr oder weniger sicher ab. Selbst 1933 holte die SPD hier noch 30 Prozent - ein Ergebnis, das sie nun nach dem einmaligen Ausrutscher von 2019, als die CDU irrtümlich stärkste Partei wurde, zwar nicht ganz erreichen konnte. Aber immerhin so fast, dass sich Bürgermeister Andreas Bovenschulte wird aussuchen können, mit wem er weiterregieren will. Zur Wahl stehen die bisherigen Partner Linkspartei und Grüne, aber auch die CDU, die einen mehr oder weniger gerupft, die andere ohne die erhofften Gewinne.

Ein Muster, auf das Olaf Scholz in Berlin zufrieden betrachten wird. Die ruhige Hand, geerbt von Schröder und Merkel, scheint den richtigen Kurs zu steuern: Die grüne Konkurrenz, vor wenigen Wochen noch kurz vor der Neuauflage eines internen Kanzlerduells zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck, scheint mit ihren Heizungsplänen, Klimaverboten und Vorstellungen vom beschleunigten Umbau des Landes zur Ausstiegsrepublik nun doch die rote Linie selbst bei denen überschritten zu haben, die guten Willen und festen Glauben waren. Die aus dem Osten importierte Linke hält gerade so, getragen von einer verstockten Stammwählerschaft. Und die CDU kann dank der Rechtsabweichler, Demokratieunterwanderer und Querleugner, die in Bremen "Bürger in Wut" heißen, keinen Schwung aufnehmen. 

"Politik braucht Format"

Wie Bovenschulte, der mangels inhaltlicher Angebote Plakate klebte, auf denen "Politik braucht Format" oder "Unser Bürgermeister" stand, regiert auch Olaf Scholz unangefochten aus der Mitte der Ängste heraus. In Bremen waren sie sich einig, dass alle anderen wohl noch schlimmer wären. Draußen im Land sind sie sicher, dass es sowieso keiner besser machen würde. Zwar hat Scholz bis heute keines seiner Wahlplakatversprechen gehalten, doch neben den eben noch bewunderten Hütchenspielern von den Grünen wirkt die Langweiligkeit des intersektionalen Feministen wie eine wohlüberlegte Absage an die hektische, aber konzept- und ziellose Betriebsamkeit der Lang, Habeck und Baerbock.

Fehlender Wohlstand, prekäre Lebensverhältnisse, niedrige Einkommen und Mieten, die zuletzt 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt lagen, sind kein Hinderungsgrund für viele Menschen, nicht denen weiter zu vertrauen, die all das über Jahrzehnte herbeiregiert haben. Seit dem von den Militärbehörden eingesetzten parteilosen Erich Vagts, der vom Sommer 1945 bis zum Herbst 1946 an der Spitze der Bremer Stadtregierung stand, haben auf dem Stuhl des Bürgermeister immer nur Sozialdemokraten gesessen. Die Bilanz nach 77 Jahren nimmt ihnen niemand übel: Bremen hat nun mal die schlechtesten Schulen, die meisten Arbeitslosen, die höchsten Schulden, das größte Haushaltsdefizit und die höchsten Personalausgaben aller 16 Bundesländer. Aber was ringsherum noch nicht ist, kann dort noch werden. Und der Kanzler in Berlin darf dennoch Hoffnung haben, die nächste Bundestagswahl im Amt zu überstehen.

5 Kommentare:

  1. WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt sagt, was die Bremen-Wahl für Deutschland bedeutet
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    Die haben fertig. Natürlich ist die Wahl in Bremen für die ganze Welt von Bedeutung.

    Für Deutschland bleibt da nur ein völlig bedeutungsloser Fliegenschiß übrig.

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  2. bremen ist für deutschland, was deutschland für die welt ist. ein einziges signal

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  3. OT

    Auch du Klonovsky?

    Auch ich, schrieb der bürgerliche Mediende im Brustton der Überzeugung.
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    Wenn ich von Klimaschwindel spreche, meine ich nicht die Behauptung, dass der Mensch inzwischen seinen Anteil zum ewigen Wandel des Klimas beisteuert – da er Bestandteil des Systems ist, wird er es auch beeinflussen ...

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  4. "Bürger in Wut" - wie putzig. Cives in ira.
    Adam von Bremen: Wodan id est furor. (In Swiedisch: Oden, det är raseri)

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  5. Im übrigen bin ich der Meinung (Cato der Ältere), dass Vahrenholt ein Aaschloch ist.

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