Im Subventionswettlauf mit den USA und Asien hängt die EU nicht nur zeitlich hinterher. Aber kein Grund, sich nicht lauthals zu feiern. |
Es dauerte diesmal tatsächlich nicht einmal zwei Jahre, bis ein erstes ermutigendes Zwischenergebnis vorlag, für das EU sich gebührend feiern lassen könnte. Am 15. September 2021 hatte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen ihre wegweisende Rede zur schrecklichen Abhängigkeit der EU-Europäer von den asiatischen und amerikanischen Chipfabriken gehalten. Und angekündigt, dass die Wertegemeinschaft hier schnell Abhilfe schaffen werden. Der Chips Act war geboten, beinahe jedenfalls. Nach einem Jahr und 215 Tagen - knapp mehr als eine doppelte menschliche Schwangerschaft - liegt nun das Ergebnis vor: Mit "Milliarden Euro" (Tagesschau) macht sich die EU auf, ihr Reich unabhängiger von Asien machen.
Die nächste EU-Armee
Ein Fest für alle Freunde einer Gemeinschaft, die zu immer mehr Gemeinschaft findet. Ein Tiefschlag für Skeptiker, denen jeder hoffnungsvolle Aufbruch der 27 verbliebenen Mitgliedsstaaten zu mehr Gemeinsamkeit als weiterer Schritt auf dem falschen Weg in die falsche Richtung scheint. Nach versuchter Gesundheitsunion und EU-Armee, europäischer Migrationslösung und einheitlicher Impfstoffbestellung eine weitere Landmarke hin zur eigenen Staatlichkeit, die endlich dazu führen würde, dass die höchsten Repräsentanten der Union auswärts nicht mehr am Katzentisch Platz nehmen müssen.
Jede einzelne der 83 Wochen bis hierher, wo nur noch das Europaparlament und die Mitgliedsstaaten dem Vorhaben zustimmen müssen, "was allerdings als Formsache gilt" (Tagesschau), jede einzelne 13968 Stunden, der 838080 Minuten, der 50284800 Sekunden war das Warten wert. Denn was die EU plant, ist nichts weniger als ein Chips-Wumms: 3,3 Milliarden Euro für den Aufbau einer europäischen Halbleiterindustrie kommen direkt von der EU, 39 Milliarden dürfen die Mitgliedsländer und die Unternehmen den Plänen zufolge drauflegen.
Wer genau was, weiß man nicht, nur die 3,3 Milliarden der EU stehen fest. Das Geld der Firmen ist eigentlich Geld, das die sowieso investieren, wenn sie investieren. Hier wird es einfach mitgezählt, weil die Zahl dann höher aussieht als sie wirklich ist: Bei einer 30 Prozent Förderung, wie sie die Bundesregierung ursprünglich bei Intel geplant hatte, schrumpfte der ganze "Chips Act" auf ein Viertel Bundeswehr-Zeitenwendeschulden ("Sondervermögen"). Es war dann wohl selbst von der Leyen peinlich, mit 28 Milliarden in den Halbleiter-Weltkrieg zu ziehen.
Milliardchen gegen Milliarden
Ein atemberaubendes Milliardenpaket also, mit dem die Gemeinschaft den europäischen Anteil am Weltmarkt für Chips bis 2030 auf zwanzig Prozent zu verdoppeln will. Es wird ein Wettlauf, das ist schon sicher. Und der Ausgang ist es auch. Allein in den kommenden beiden Jahren wollen Chipkonzerne wie TSMC, Intel und Samsung in den USA über 122 Milliarden US-Dollar in neue Werke investieren, hat das "Handelsblatt" zusammengerechnet.
Beflügelt werden diese Pläne vom "Chips Act for American manufacturing", einem von der Biden-Regierung beschlossenen Subventionsprogramm für die Halbleiter-Branche mit einem Volumen von 52 Milliarden US-Dollar. In Taiwan, derzeit die Weltfabrik für Halbleiterchips, will TMSC 101,56 Milliarden in neue Fertigungslinien stecken. China plant ein staatliches Investitionsprogramm in Höhe von 143 Milliarden US-Dollar, um nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten.
Die EU hält mit der ihr eigenen Bescheidenheit dagegen, in einem zähen Prozess bis zu einer zum Ziel stolpernden Entscheidung, die verspricht, so viel Geld zu mobilisieren, dass 15 Prozent der Gesamtsumme schon von der Intel-Mega-Fab in Deutschland geschluckt werden. Falls der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass die Bundesregierung im Poker mit dem US-Unternehmen nicht noch nachgibt und die Fördersumme wie gefordert auf zehn Milliarden erhöht.
Ein ganzes Viertel für Intel
Passiert das, wäre schon fast ein Viertel weg, noch ehe sich nach EU-Parlament und EU-Rat auch die übrigen Institutionen auf den genauen Inhalt des European Chips Act geeinigt und das Papier über "those tiny chips" (von der Leyen) beschlossen haben, um "to link together our world-class research, design and testing
capacities" und "to coordinate EU and national investment along the
value chain" (von der Leyen). So kann man es auch sagen: Das Einkaufen von Fabriken aus Taiwan und den USA heißt nun "Verbinden unserer von Forschungs-, Gestaltungs- und Testkapazitäten". Die Milliarden überreden nicht außereuropäische Großkonzerne monetär, doch auch in Europa mal eine Fabrik zu bauen. Nein, es handelt sich um die "Koordination der EU- und nationalen Investments entlang der Wertkette".
Wo es an Geld fehlt, auch nur eine relative Chance zu erkaufen, den EU-Anteil an der Halbleiterherstellung wenigstens ein wenig zu erhöhen, was angesichts der ungleich höheren Investitionen anderenorts schon ein Lottogewinn wäre, ist wenigstens reichlich Fantasie da, das kommende Debakel verbal zu schmücken wie ein Pfingsochsen. Von "Europas Booster" ist die Rede, die drei schmalen EU-Milliarden verwandeln sich im Handumdrehen in ehrfurchtgebietende 43 Milliarden, die einfach nur "frei gemacht" werden, wie der MDR freihändig erfindet.
Lockmittel lässt auch noch ergrünen
Keinesfalls aber dürfen sie durch Vergleiche mit dem, was andere investieren, madig gemacht werden. Das "Lockmittel" (Winfuture) wird nun nicht nur die EU zur Halbleiter-Großmacht machen, sondern ganz neben auch die Produktionsverfahren grüner. Nicht irgendwelche Arbeitsplätze wird es schaffen, sondern gut bezahlte, die "technische Expertise" wird überdies ausgebaut und "die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten verringert" werden. Bei alldem bleibt noch genug übrig, um ein neues EU-System einzurichten, das "Lieferengpässe vorhersehen" und wie von Zauberhand "gegensteuern" (DPA) wird.
Vermutlich wird das am Ende das einzige sein, wozu es überhaupt reicht: Eine EU-Chipsbehörde, als Referenz an die sechs Millionen noch in der Gemeinschaft lebenden englischen Muttersprachler wie immer stylish und EU-modern vielleicht "Chips delivery bottleneck avoidance authority" (CDBAA) genannt.
Das ganze schöne Geld für die Chipsförderung können wir uns getrost einsparen und in schöne neue Behörden und Beamtenstellen investieren.
AntwortenLöschenSollten wir wirklich einen Konzern bestechen können, hier ein von uns bezahltes Fabriklein hinzustellen, werden wir im Krisenfall garantiert nicht diejenigen sein, die die dort hergestellten Chips dann auch bekommen werden.
Wenn es mal wieder hart auf hart kommen sollte, werden wir die letzten sein, die irgendwelche Ausfuhrbeschränkungen erlassen werden. Wir werden also die Trottel sein, die anderen eine Fabrik geschenkt haben, dann aber keine Chips bekommen werden, weil irgendwer auf der Welt mehr dafür auf den Tresen legen wird. Und selbst wenn wir die Chips in der EU halten können sollten, werden diese garantiert zuerst nach Frankreich geliefert. Die sind bei Dingen wie ihrem wirtschaftlichen Überleben immer etwas robuster aufgestellt als wir.
Nicht dass die WHO oder unsere internationalen Freundesnationen noch böse auf uns sind. Das kann hier niemand wollen.
Wir schaffen es ja nicht einmal in Zeiten ohne Existenzbedrohende Krise genügend Hustensaft aufzutreiben. Aber bei Computerchips während einer Krise wird das dann klappen.
Ja genau!