Gebaut auf den Knochen von Hevellern und Hermunduren: Über ihre Verbrechen reden die Sachsen nicht gern.
Es geht ums Ganze, es geht um ein Erinnerungskonzept zur Besiedelung des Gebietes an der oberen Mittelelbe, in der südlichen Lausitz und im Erzgebirge durch die späteren Sachsen und den damit verbundenen Landraub von der Bandkeramikern. Elisabeth Schmeling ist eine Weiße deutsche Literatur- und
Kulturwissenschaftlerin und transkulturelle Trainerin für
Intersektionalität, Diversität-Inklusion, Rassismus- und Machtkritik
sowie für kritische Weißseinsreflexion in Wissenschaft, Gesellschaft,
Kultur, Kunst, Sport und Politik.
Seit Monaten arbeitet sie an der Aufklärung der bis heute weitgehend im Nebel der Geschichte verschwunden Vorgänge, die bei der Germanisierung vor nicht ganz 1000 Jahren dafür sorgten, dass sich ein plötzlich in den Weiten des heutigen Mitteldeutschland auftauchendes Volk einerseits den Namen spätantiken Volkes aneignete, andererseits aber die Ländereien der bereits im Osten des heutigen Deutschlands lebenden Einheimischen.
Verschränkung der Diaspora
Schmelings Arbeitsschwerpunkte liegen in den Verschränkungen von Diaspora, Beitrittsängsten und Translokalität, bei der Performativität von Anpassungskultur (Spatiality and Coloniality of Memories, Postkoloniales Erinnern) sowie in postkommunistischen Erziehungstraumata, Feminist Future Studies und Critical Race sowie Whiteness Studies, als Teil der feministischen Bewegung in Deutschland ist sie auch international aktiv und Mitfrau* bei der losen Facebook-Gruppe Frauen* bei Facebook. Bereits 2018 führte Schmeling mit der wissenschaftlichen Fachgruppe "Diverse Things" einen internationalen konsultativen Workshop zum Thema "Stammbaumforschung im Bundestag" zum Erfolg. Damals konnte sie nachweisen konnte, wie großen Wert das Hohe Haus in seiner Außendarstellung auf Herkunft, Wurzeln und Abstammung legt.
Die Wurzeln des deutschen Rassismus und speziell der sächsischen Fremdenfeindlichkeit zu finden, sei aber eine ganz andere Nummer, sagt die Forscherin, die in den ebenerdigen Räumen des Projekts Saxones (griechisch: Σάξονες) zum Gespräch empfängt. Hier, in dessen Zimmerfluchten, an deren Wänden mehrere der typischen Hiebmesser des sächsischen Ur-Stammes, dem Sax, hängen, forscht Schmeling unverdrossen, um am Beispiel der Sachsen modellhaft zu zeigen, wie eine räuberische Völkerschaft aus innerem Schuldbewusstsein beginnt, sich selbst als postkoloniales Opferkollektiv zu inszenieren.
PPQ: Frau Schmehling, wir befinden uns in einem historischen Gebäude hier in der Köngsstraße in Riesa, mitten in Sachsen. In einem Regal liegen ausgetauschte Straßenschilder kolonialen Bezeichnungen, daneben Zettel mit Vorschlägen, wie diese Straßen künftig gerecht und nachhaltig heißen könnten. Sagen Sie, was soll das?
Schmehling: Noch stehen die Namen nur auf Papier, das sind es nicht die endgültigen Schilder. Aber Straßenumbenennungen sind ein probates Mittel, mit der Vergangenheit aufzuräumen, ohne sie zu vergessen. Wir sind beauftragt worden, die eigentümliche Angewohnheit der Sachsen zu untersuchen, einerseits Opfer sein zu wollen, andererseits aber wie Täter aufzutreten. Daraus soll ein Erinnerungskonzept erarbeitet werden, das zeigt, wie der Kolonialismus der ersten Sachsen bis heute nachwirkt, als Schuldbewusstsein und Schuldumkehr.
PPQ: Das müssen Sie näher erklären.
Schmehling: Nun, überall versuchen Menschen, ihre Kolonialvergangenheit aufzuarbeiten. Inwieweit das auf eine ernstgemeinte Auseinandersetzung hinausläuft, werden wir in den nächsten Jahren sehen.
Hier bei uns läuft es gut, wir konnten bereits nachweisen, dass die sogenannte Landname, die die keineswegs von den Ur-Sachsen abstammenden oder mit den Ur-Sachsen verwandten Neu-Sachsen vor etwa 900 Jahren hier begannen, getrieben war von wirtschaftliche Interessen. Man kam mit Feuer und Schwert, vertrieb die Urbevölkerung und eignete sich an, was sie zurücklassen musste. Wir nicht schnell genug lief, wurde unterjocht und später im Kollektiv absorbiert. Das war weder Spaß noch Heldentat, sondern blanker Kolonialismus, äußert grausam.
PPQ: Trotzdem sind die Sachsen stolz darauf und ihre Taten werden weitgehend totgeschwiegen. Mir sind auch keine zivilgesellschaftlichen Organisationen im Freistaat bekannt, die die Untaten anprangern. Ihnen?
Schmehling: Nein, so etwas gibt es hier wohl nicht. Der moderne Sachse, sofern man vom modernen Sachsen sprechen darf, leidet eher individuell unter der Schuld seiner Vorfahren. Das ist ein bisschen vom DDR-Erbe geprägt, wo ja alles kollektiv durchlebt werden sollte. Dafür, dass diese Auseinandersetzung zumindest in den Köpfen stattfindet, spricht aber die von uns beobachtet Schuldumkehr: Der Sachse ist unglaublich empfindlich, er schreit, wenn er Unrecht wittert. Aber weniger aus Angst, sondern um von seiner eigenen Verantwortung für die Vorgänge damals abzulenken.
PPQ: Was ist denn aber seinerzeit eigentlich genau passiert`?
Schmehling: Wir wissen es nicht, aber wir wissen ja, dass Kolonialismus mit Rassismus einhergeht. Wenn wir also die Struktur der Landname verstehen wollen, der die Hermunduren zum Opfer fielen, müssen wir uns neben der Auseinandersetzung zwischen dem Cheruskerbund und dem Markomannenbund unter König Marbod auch mit den gesellschaftlichen Strukturen damals auseinandersetzen. Man hielt es weitgehend für normal, dass der Stärkere sich durchsetzt, mit dem Schwert. Es gab keine Uno, keine EU, keine Nato. So dass der Unterlegene das Feld räumen oder sich ohne weitere Hilfen durch die Mehrheitsgesellschaft integrieren musste.
PPQ: Das ist damals passiert? Aber was hat das mit heute zu tun?
Schmehling: Die Zustände in Sachsen damals, das im Grunde nicht Sachsen hieß, sondern erst durch die Besiedlung durch den Völkerstamm, der sich "Sachsen" nannte, zu Sachsen wurde, erinnern schon sehr an heutige Verhältnisse. Es gab dort eine Urbevölkerung, die anfangs ganz unbefangen mit der Zuwanderung um ging, sie hatten Platz und freuten sich über Fachkräfte, die da neu ins Land kamen. Zu beachten ist: Es waren eine durchweg weiße Gesellschaften, die da aufeinandertrafen. Der weiße Mensch, vor allem der weiße Mann, stand ganz oben, etwas anderes gab es nicht. Man unterschied notgedrungen nach der Sprache, was als kulturlos und unzivilisiert galt, wer wen ausbeuten oder vergewaltigen durfte. Dadurch war der Versklavungshandel möglich, der die Menschen entwurzelt hat. Die schon länger in der Gegend lebenden wurden zu Marginalisierten, sie waren Diener, Gesinde, Accessoires, nicht Teil der Gesellschaft. Nicht einmal einzelne Namen sind heute noch überliefert, so mächtig hat die Kultur der vermeintlichen Sachsen alles überdeckt.
PPQ: Das sind Verluste an Kultur, Verluste an Diversität, die bis heute nachhallen?
Schmehling: Zweifellos. Bis heute wird der Umstand, dass die Hermunduren einfach aus der Geschichte verschwanden, einfach hingenommen. Hermundurisches Erbe, hermundurisches Wissen und hermundurischer Besitz sind nicht als Teil der deutschen Gesellschaft, der deutschen Geschichte anerkannt, sondern als etwas, das man im Museum anschaut. Aber dass es Bestandteil ist, diese Morde und Vertreibungen, an denen nicht nur die Sachsen, sondern wohl auch die Thüringer ihren Anteil haben, das muss man vermitteln. Das ist wichtig für alle, die hier geboren werden, aufwachsen und Teil dieser Gesellschaft sind. Da ist eine Verantwortung, die weiterwirkt.
PPQ: Wie stark wirkt das nach?
Schmehling: Es gibt Historiker, die argumentieren, dass das alles viel zu lange her ist, um heute noch spürbar zu sein. Das kann ich nachvollziehen, aber das Argument reflektiert eine Position, die Säuberungen und Vertreibungen für normal hält, wenn sie nur recht lange in der Vergangenheit liegen. Das ist nicht m eine Position. Fakt ist, dass der Sachsen-Begriff eine Selbstbezeichnung ist, die anderen weggenommen wurde. Und dass Sachsen wie auch Thüringen Landstriche sind, die ursprünglich nicht von den Stämmen besiedelt waren, deren Nachfahren heute dort wohnen und sich als Urbevölkerung empfinden. Es gibt weiterhin Menschen, die hier leben, die sich in dem Wort Sachsen nicht wiederfinden. Oder die es als menschenverachtend empfinden. Das haben wir ernst zu nehmen. Wenn Geschichtsschreibung fehlerhaft ist, dann muss sie korrigiert und repariert werden, wenn sie Lücken hat, dann gilt es, die zu füllen. Nur das kann unsere Gesellschaft reparieren.
PPQ: Was ist denn kaputt?
Schmehling: Die Sachsen wie auch ihre Nachbarn in Thüringen leiden doch bis heute unter den verdrängten Schuldkomplexen aus der damaligen Zeit. Wir haben das bei Pegida gesehen, bei Corona und bei den Wahlen, wir sehen es bei den Wahlumfragen und in den Parlamenten. Die Täter versuchen, sich als Opfer zu inszenieren, um ihre Opfer, also die ihrer Vorfahren, vergessen zu machen. Wir aber müssen schauen, was in der Geschichte wirklich geschehen ist, wer welche Menschen diskriminiert, ermordet und vertrieben, wessen Frauen geraubt und welche Kinder in eine fremde Kultur gepresst wurden. Nur dann können wir eine Praxis entwickeln, das wieder gutzumachen.
PPQ: Das ist Ihr Ziel, die deutsche Gesellschaft zu reparieren?
Schmehling: Ja, wir müssen schauen, wo es Missstände gibt, die es wir unseren Kindern und Enkelkindern so nicht übergeben können. Wir haben hier als erste Generation, die viele Dinge richtig erkennen und beschreiben kann, eine Verantwortung. Wir müssen uns mit dem fürchterlichen Erbe in unserer Gesellschaft auseinandersetzen, damit unsere Kinder und Kindeskinder von der Gnade der späten Geburt profitieren können. Es gibt in ganz Sachsen bis heute kein einziges Denkmal, das an die Leiden der früher hier Lebenden erinnert, kein Mahnmal für die Hermunduren, kein Denkmal, das an die Zerstörung der Kultur der Heveller erinnert. Wir sehen diese Menschen einfach nicht als Teil der deutschen Geschichte. Aber diese Geschichte hat es gegeben.
Prima, jetzt fühle ich mich ganz schlecht!
AntwortenLöschenwildcard 1. März 2023 at 13:15
AntwortenLöschen@ T.Acheles 1. März 2023 at 12:05
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Bei reiner Stromerzeugung durch Fossil haben Sie, aber Heute wird meist mit Kraft/Wärmekopplung gearbeitet. Die Nutzung der Abwärme zum Heizen erhöht den Wirkungsgrat.
Wehe! Und nicht nur wehe, sondern auch ach!
wildcard disputiert wie ein Mensch mit viel Rückrad.
AntwortenLöschenWarum gibt es von Frau Schmehling kein Bild? Von Frau Prantl gab es immer eins. 😵💫
AntwortenLöschenAußerdem haben die Sachsen die echten Sachsen in Norddeutschland zu Niedersachsen degradiert. Sie stehen kurz davor, sich selbst zu Obersachen zu ernennen!
AntwortenLöschen@ Anmerkung: Tack ska du ha.
AntwortenLöschenWas Ananas, nicht nur der verblichene K.R.Röhl, auch der quicklebendige Klonovsky schüttet das Kind mit dem Bade aus. Nur, weil es mit dem Bolschewikenzeug (typische Charaktere unter typischen Umständen) nun nicht das Echte war, muss ich doch nicht gleich dem reaktionären Dreck die Rosette lecken. Zur Anschauung und Belustigung mag dieses ja angehen. Unter den Aristokraten lobe ich mir immerhin neben Loriot Friedrich August III. von Sachsen, der denn auch schon mal in Dräsdn mit Handwerkern gezecht und eine Karte gebogen hätte.
>> Warum gibt es von Frau Schmehling kein Bild? Von Frau Prantl gab es immer eins. 😵💫
AntwortenLöschenhttps://www.gwi-boell.de/de/person/peggy-piesche
Als die Sachsen noch Norddeutsche waren haben sie ja auch Britannien erobert und später mit den Normannen geteilt, dem Wikingerpack.
AntwortenLöschenAlso doppelte und dreifache Schuld. Waren da nicht noch finanzielle Forderungen offen ? Und hatte nicht irgendein Sachsenkönig Schottland symbolisch an seine Heimat verschenkt ? Ich bitte das Mal zu prüfen. Danke
Die Hermunduren, mein edler Stamm, der auf der Seite von Julian Apostata gegen Franken und Alamannen, für Religionsfreiheit gekämpft hatte, war sich mit den Sachsen überhaupt nicht grün.
AntwortenLöschenUnterlag auch unter Irminfred III. einer Dreierkoalition aus Franken, Sachsen und Sorben.