Während ringsum zu Unmut aufgepeitscht wird, haben die Deutschen verstanden, dass es nicht anders geht. |
Generalstreik in Frankreich, Aufstand in Großbritannien, Polen murrt und selbst in den USA und China ist nicht alles Gold, was glänzt. Angesichts dieser traurigen Weltlage war es keine Überraschung, dass Deutschland bei der diesjährigen Wahl zum am besten regierbaren Land ("Best Governable Country", BGC) weit vorn landen würden. Traditionell gelten nordamerikanische Staaten, aber auch EU-Mitglieder ohnehin als favorisiert für den Titel, den das BGC-Council im finnischen Tampere bereits seit 2007 vergibt. Zweimal gelang es auch Australien und Neuseeland, aufs Treppchen zu klettern. In den vergangenen Pandemiejahren aber waren es dann doch immer wieder EU-Staaten, die dank der Unterstützung durch EU mit umfassenden Maßnahmen für gesundheitliche Sicherheit sorgen und wirksam Massenproteste vermeiden konnte.
Unvorstellbare Proteste
Viele Konkurrenten aus den letzten Jahren schieden diesmal automatisch aus. Erst streiken in Großbritannien nur die Lokführer, später kamen die Postboten dazu, in Frankreich marschierte ein hunderttausendköpfiger Mob aus Arbeitsverweigerern gegen eine notwendige Rentenreform. Selbst Gewerkschaften riefen zum Streik auf und peitschten damit die Stimmung hoch. Wie eine Idylle wirkt dagegen das Nachbarland Deutschland: Die Regierung hier fürchtete zuletzt im Frühherbst "erhebliche Störungen" der öffentlichen Ordnung und "Volksaufstände" (Annalena Baerbock). Mit Hilfe einer breitangelegten Medienkampagne und der Verkündung von Entlastungspaketen gelang es dann aber relativ rasch, die entzündliche Lage zu beruhigen.
Rädelsführer wurden isoliert, Stillhalteprämien für stoische Akzeptanz von allem ausgezahlt. Schon nach Weihnachten hatte sich die brodelnde Atmosphäre in der stillen Zeit angemessen in eine bundesweite Duldungsstarre verwandelt. Die liegt im deutschen Nationalcharakter begründet: Wo Franzosen auf die Barrikaden gehen, weil sie nicht mehr bis zum 62., sondern bis zum 64. Lebensjahr auf ihre Rente warten sollen, ist der deutsche Nachbar hochzufrieden mit der Aussicht, sich bis 67 auf die Baustelle oder ins Büro schleppen zu müssen. So lange die Iren dasselbe Schicksal erleiden, scheint das der Bevölkerung nur angemessen angesichts einer deutschen Geschichte, die voller Verbrechen ist.
Aufgepeitschter Unmut
Die Wahl zum Best Governable Country war da nur logisch. Kein anderes Volk ist auch nach zwei Jahren mit pandemiebedingten Einschränkungen und ausgesetzten unveräußerlichen Grundrechten, die sich im Nachhinein zum Teil als unnötig herausstellten, so handzahm unterwegs. Anweisungen werden von einer Mehrheit klaglos ausgeführt, gern legt sich der Bürger nicht nur ins Zeug, sondern selbst an die Kandare. Würde die Regierung wollen, könnte sie das Rentenalter morgen auch auf 70 oder 100 Jahre hochsetzen, die entsprechenden Begründungen der unbedingten Notwendigkeit der Maßnahme fände Leitartiklern, Kommentätern und kurz vor dem Wechsel in bedeutende Ministerien stehende Edelfedern begeisterte Verbreiter.
Dafür nun also das Lob der BGC-Jury, einhellig und ohne Gegenstimmen. Die Preisverleihung fand in diesem Jahr wieder im feierlichen Rahmen einer festlichen Abendveranstaltung beim Kongress "Guter Staat, Starker Staat" statt. Langjährige Sponsoren des gesellschaftlichen Ereignissen waren schweren Zeiten an Bord geblieben oder aber sogar neu zum Unterstützerpool gestoßen. Rund 453 Gäste feierten ausgiebig, nachdem BGC-Präsident Oliver Bähler mit einer Grundsatzrede zum Thema "Die führende Rolle der Digitalisierung bei der Durchsetzung der Demokratie" für Szenenapplaus gesorgt hatte. Die Festrede und zugleich Laudatio hielt der bekannte Medienphilosoph Hans Achtelbuscher, dessen Thesen zur notwendigen Gründung einer EU-weiten Verkündungspresse ungeteilte Aufmerksamkeit erhielt.
Neid auf den deutschen Weg
Aus dem Beauftragtenpool der Bundesregierung waren mehrere Vertreter erschienen, die auch am anschließenden Podiumsgespräch zum Thema "Wertbasierte Rentensysteme und warum Aktien Reichen überlassen bleiben müssen" teilnahmen. Daraus entwickelte sich im Verlauf des abschließenden Festballs mit dem Galaorchester der Bühnen Simmerstadt ein lebhafter wirtschaftspolitischer Dialog über die geplanten klimapolitischen Perspektiven bis zum Jahr 2090. Für einige Stunden zumindest rückten die größten Streiks seit Jahrzehnten, die Frankreich und Brexit-Britannien gleichermaßen erschüttern, in den Hintergrund. Regierungsvertreter aus beiden Ländern zollten dem sogenannten deutschen Weg dafür uneingeschränkten Respekt. "Good governance", hieß es zweifellos möglich, wenn Staat, Sozialpartner und Medienarbeiter an einem Strang ziehen.
Der Gehenkte hängt solang am Strang bis er reißt.
AntwortenLöschenGehenkte lassen sich leicht regieren.
AntwortenLöschenManchmal rebellier(t)en sie auch - siehe vorletzter Band der sogenannten Mahagony-Reihe von B.Traven.
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