Mittwoch, 11. Januar 2023

Wegen EU-Eiltempo: Intel und die Europa-Geschwindigkeit

Vorerst ein Wolkenkuckucksheim für High-Tech-Träumer: Weil der Chips Act nicht vorankommt, baut Intel erstmal kein neues Werk.

E
s waren große Feiern für eine große Investition, am Ende eines langen Weges und geheimer Verhandlungen über Monate. Im März 2022 verkündete Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff die frohe Botschaft: Der US-Großkonzern Intel werde eine riesige Chipfabrik in Magdeburg bauen, eine High-Tech-Stadt im ostdeutschen Niemandsland, Milliardeninvestitionen für Tausende neuer Arbeitsplätze, zukunftssicher und bald ein Magnet für weitere Investoren, die zuliefern, versorgen und logistisch behilflich sein würden.  

Ein spezieller Intel Act

Ein Happy End für Strippenzieherei hinter den Kulissen, an der nicht nur Santa Clara in Kalifornien und Magdeburg, sondern auch Berlin und Brüssel beteiligt gewesen waren. Zufällig kam das grüne Licht der Amerikaner sechs Monate nach der Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Abhängigkeit EU-Europas von ausländischen Halbleiterlieferanten mit einem gewaltigen Förderprogramm ein Ende setzen zu wollen. Und vier Wochen, bevor die EU-Kommission den Plan in ein Gesetzesvorhaben goß, das sie in der Sprache der knapp acht Millionen nach dem Brexit in der Gemeinschaft verbliebenen englischen Muttersprachler den "European Chips Act" taufte. Andersherum hätte es ja auch ausgesehen, als sei der Chips Act eine Art Intel Act.

Der er hätte sein sollen, denn der US-Konzern ist bisher einziger und größter Profiteur der geplanten neuen Fördermaschine. Besser gesagt: Er wäre es geworden, würden die Amerikaner nicht schon ein Jahr später wirken als seien sie dabei, die Geduld zu verlieren. Was anfangs wie eine Dauerfeier aussah, der Bauplatz wurde gekauft, die Genehmigungsverfahren liefen an, Deutschlands Archäologen schoben Sonderschichten, um vor den ersten Hallenbauern und Pflasterlegern noch aus der Erde zu holen, was an Erbe früherer Germanenstämme sonst für immer vergraben bleiben würde. 

Ende der Abhängigkeit

Bald schon können die Bagger anrollen und Bauarbeiter aus aller Herren Länder riesige Reinsträume aus dem Boden stampfen. Jeder Stein ein Schrittchen zur Verwirklichung von von der Leyens großes Vision der  "NextGenerationEU". Vorbei die Zeit, in der die EU hat nur einen Weltmarktanteil von  zehn Prozent bei der Herstellung von Mikrochips hat und "in hohem Maße von Lieferanten aus Drittländern abhängig" (von der Leyen) war. Bald würde dieser Anteil auf 20 Prozent steigen und die Gemeinschaft hätte dann natürlich sogar "eine führende Rolle bei Entwurf und Herstellung der nächsten Generation von Mikrochips mit Knotengrößen von zwei Nanometern und darunter" (EU-Kommission) inne.

So war der große Plan. Doch wo ein Fingernagel um einen Nanometer pro Sekunde wächst, wächst in einem EU-Gesetzgebungsverfahren zuweilen lange gar nichts. In Brüssel ahnten sie es früh, aus Erfahrung klug, denn schon der erste Zeitstrahl zur "Stärkung des EU-Halbleiter-Ökosystems" zeigte eine X-Achse ohne Jahreszahlen. Das garantiert, dass der Vollzug stets im Zeitplan bleibt, ganz egal, wie lange alles dauert. Die Kommission hat augenscheinlich aus der peinlichen Pleite mit der legendären "Lissabon-Strategie" gelernt, die im Jahr 2000 verabschiedet worden war, um die EU bis 2010 "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen. 

Viele Stufen ohne Ende

Ein EU-Eiltempo rast gemessen slow dahin, wie es im Brüssel-Englisch heißen würde. Unter französischem Vorsitz wurde der Chips Act im Frühling 2022 ins Leben gerufen, um dann unter tschechischem Vorsitz verfeinert zu werden. Der EU-Rat änderte die Definition, was eigentlich ein hochmodernes Halbleiterbauelement ist. Im November 2022 stimmten dann auch namenlose "EU-Diplomaten" (heise.de) dem offiziell "Regulation establishing a framework of measures for strengthening Europe's semiconductor ecosystem (Chips Act)" genannten "Interinstitutional File: 2022/0032 (COD)" zu. Nun muss nur noch. Das Parlament. Der Trialog. Änderungswünsche.

Greifbare Ergebnisse gibt es nicht, nicht einmal einen Zeitplan existiert, wann es sie geben könnte. Intel hat nun die Nerven verloren. So lange der Chips Act nicht beschlossen ist, kann Berlin die versprochene Förderung nicht garantieren. Angesichts zuletzt deutlich gestiegener Baukosten, des Beginns einer  neuen Phase im Schweinezyklus der Halböleiterbranche  und der angespannten Geschäftslage beim früheren Technologieführer rechnen sich die ursprünglich angekündigten zwei oder sogar drei neuen Werke aber nur, wenn der Steuerzahler ein Drittel der Investitionssumme von vorerst 17 Milliarden Euro übernimmt. Nicht vielleicht, sondern "rechtssicher", wie ein Firmensprecher formuliert.

Kein Geld ohne Brüssel

Ohne beschlossenen Chips Act ein Unding und so greifen die Amerikaner zur Bagger-Diplomatie. Man werde mit dem Bau der Anlage nicht beginnen, ehe nicht feststehe, dass die staatlichen Fördergelder flössen wie versprochen, plus einen Schnaps mehr, weil ja nun alles so teuer geworden ist. Die Bundesregierung hat die zugesagten 6,8 Milliarden Euro zwar daraufhin noch einmal zugesagt. Ob sie zahlen kann, wird allerdings in Brüssel bestimmt, irgendwann, wenn alle europäischen Gremien gesprochen, diskutiert und nach weiteren Verhandlungen um Sonderwünsche, Entschädigungen und eigene Investitionsvisionen zugesagt haben.

Vor einem Jahr noch hatte Ursula von der Leyen ihren Chips Act dafür gelobt, die Intel-Ansiedlung überhaupt möglich gemacht zu haben. Zum halben Abgang des Großinvestors jetzt ließ sich weder die Kommissionspräsidentin noch einer der zuständigen Kommissare vernehmen.

5 Kommentare:

  1. In der EU wird der Fortschritt einfach beschlossen. Vielleicht kann Ursula den Chips Act mit einem Chips Act Beschleunigungsact auf den Weg bringen.

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  2. macht Bernd auch so . Ford Schritt einfach anordnen und gut ist

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  3. seit das gute-wetter-gesetz solche einen erfolg hatte, halte es nicht mehr für ausgeschlossen, dass das so kommen wird

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  4. Zielsicher soll das Werk auch in der Börde gebaut werden. Die einzige Gegend in Deutschland mit Schwarzerde, der fruchtbarste Ackerboden. Nördlich von Magdeburg ist die Altmark. Dort ist es eher sandig. Solche Überlegungen kommen aber klugen und weitsichtigen Politikern nie in den Sinn.

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  5. setzt cem özdemir die deutschland-diät durch, braucht es doch viel weniger acker

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