Montag, 9. Januar 2023

Guter Krawall, schlechter Krawall: Berlin, Borna, Lützerath und Connewitz

Junge Menschen wie die Klimaaktivistin Luisa Neubauer finden ihre Selbstverwirklichung wie die Berliner "Jungs" häufig in der Konfrontation mit dem Staat.
Berlin, Berlin, wir schauen nach Berlin! Die erste Woche des neuen Jahres hatte im Zeichen der Hauptstadt gestanden, die einmal mehr allgemeingültige Signale auszusenden versuchte. Randale, Krawalle, betrieben von zumeist zwar deutschen Tätern, die sich jedoch hatten unterstützen lassen von zugereisten Nochnichtsolangehierlebenden, eine Allianz, die die deutsche Öffentlichkeit trotz all ihrer Weltoffenheit als Einmischung in die inneren Angelegenheiten auffasst.  

Eingeschossen auf einen Täter

Schnell schossen sich die großen Medienhäuser in Westdeutschland auf ein Täterprofil ein: Die Ausschreitungen hätten einen "migrantischen Hintergrund" analysierte die "Zeit", der MDR sah es als erwiesen an, "dass viele Migranten beteiligt waren" und der "Spiegel" gab der Bundesinnenministerin eine Plattform, von der aus sie ihre krude These vertreten durfte, dass Deutschland ein "großes Problem" (Faeser) mit "gewaltbereiten Integrationsverweigerern" habe.

Mochten vernünftige Stimmen auch engagiert vor "Pauschalverdächtigungen" (Taz) warnen und Medienberichte zu den "tatsächlichen Ursachen oder Lösungen"  fordern - der Ton war gesetzt. Die Presse, das sei diesmal keine Verschwörungstheorie, enthüllte der "Volksverpetzer", manipuliere die Öffentlichkeit "systematisch", dabei hätten "die ganze Rhetorik, die ganzen Narrative, ziemlich wenig mit der Realität zu tun haben". Die tritt nun erst langsam zutage, im Grunde ist der Zeitablauf derselbe wie vor sechs Jahren nach den "Vorfällen" (DPA) in der Kölner Silvesternacht. Einem erschrockenen Schweigen folgt aufgeregtes Gegacker, die Politik reagiert mit Strafverschärfungsankündigungen, der Einberufung von Arbeitskreisen und dem Hinweis, dass die Gesamtsachlage dringend weiterer Aufklärung bedürfe. 

Entropie des Themas

Die Entropie des Themas hat derweil bereits begonnen: Wie ein Fleischgericht, das nicht mehr gekühlt wird, beginnt es erst zu schnuppern, dann zu riechen. Aus anfänglicher Relativierung wird eine umfassende Einordnung der erschütternden Ereignisse in die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Barrikaden gegen die Polizei, Übergriffe auf Feuerwehrleute und Raketenschüsse auf Notfallsanitäter, sie erscheinen verglichen mit Weltkriegen, erstürmten Parlamenten und "Sieg-heil"-Rufen in Sachsen mit einem Male wie "ein Fake, Desinformation und wahrheitswidriges Narrativ".

Die berühmte Kuh, die Politiker auch in Zeiten der unaufhaltsamen Erderhitzung stets vom "Eis" holen müssen, sie ist zurück im Stall. Ging es eben noch um die Verwahrlosung einer ganzen Generation von urbanen Antänzern, die "hundert Bewerbungen schreiben" (Sawsan Chebli), aber aus rassistischen Gründen auch in hundert Jahren noch keinen Anstellung in der deutschen Raketenwirtschaft bekommen werden, rücken nun Tatsachen in den Bildmittelpunkt, die die anfängliche Aufregung global einordnen. Nicht mehr 145 festgenommene Randalierer mit 18 Nationalitäten waren es, sondern nur vielleicht nur 38, alle davon überwiegend auch "mehrheitlich deutsch" (Tagesspiegel). Kein Grund, nicht lieber wieder über ein allgemeines Böllerverbot zu diskutieren, statt weiter rassistische Hetze gegen "Jungs"(Chebli) zuzulassen, die Teil der Mehrheitsgesellschaft sind.

Kampf ums Amt

Die um ihr Amt kämpfende Berliner Oberbürgermeisterin Franziska Giffey schaltete am schnellsten um. Eben noch "am Ende der Geduld" angesichts der "widerlichen Art und Weise" (Giffey), wie sich der Jahreswechsel auf den Straßen der Hauptstadt abspielte, schaltete die frühere Trägerin eines geschenkten Doktortitels schon Stunden später auf Verteidigung. "Wenn in einer fast Vier-Millionen-Metropole 145 Chaoten Mist bauen, kann man nicht daraus folgern, dass alle anderen Einwohner hier auch Chaoten sind", ließ die frühere Ministerin wissen, die im Zuge der Enttarnung ihrer Doktorarbeit als Plagiat hatte in die Landespolitik gehen müssen. 

Borna in Sachsen, 19.000 Einwohner, 200 sogenannte "Krakeeler", ist viel mehr schwarzes Herz der Finsternis als die weitgehend erneuerbare Hauptstadt. Auch Dessau, einst Produktionsstätte des Mordgiftes Zyklon-B und heute immerhin Sitz des Umweltbundesamtes, zeigte bei einer Demonstration keine Woche nach den Ausschreitungen von Berlin, dass der Respekt vor der Staatsmacht nicht nur bei einer wachsenden Zahl von Reichsbürgern beständig schwindet, sondern auch dort erodiert, wo letztinstanzliche Urteile rechtsstaatlicher Gerichte auch nach 18 Jahren weiterhin geleugnet werden, um Vater Staat und seine Institutionen gezielt zu delegitimieren. 

Der Schoß ist fruchtbar noch

Der Schoß ist fruchtbar, aus dem das kriecht, er lebt von der Ablehnung demokratisch getroffener Kompromisse, von ultimativen Forderungen und offener Hetze gegenüber der Polizei, gegenüber gewählten Politikern und demokratischen Regierungen. Nicht wie in Berlin drei Dutzend, sondern Tausende kommen da zusammen, getarnt als "Spaziergänger", aber mit Steinen in den Jackentaschen, die aus mangelndem "Respekt" (Die Zeit) auf Polizeibeamte geworfen werden. Fremdes Eigentum wird hier so wenig anerkannt wie die Regularien der demokratischen Willensbildung. Man meint vielmehr, über dem Gesetz zu stehen, weil man selbst seine Unterhaltung in der Konfrontation mit der verhassten Staatsmacht findet. Und man wird davon auch von großen und selbst von staatsnahen Medien bestärkt.

Dieses Sichausprobieren, das Sichmessen mit einer Übermacht in Uniform, es wird den oft aus  gutbürgerlichen und wohlhabenden westdeutschen Bionadeadelsfamilien stammenden Aktivisten ebenso selbstverständlich zugestanden wie es den Berliner "Jungs" vorgeworfen wurde. Was in Lützerath, Dessau oder dem traditionell zu Silvester von einer Schlacht zwischen fortschrittlichen Kräften und der Polizei geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz als wichtiger Akt der Emanzipation gilt, ist in Neukölln Sittenverfall und "Chaos" (Bild) - kaum jemals wurde deutlicher, wie rassistisch Mediendeutschland wirklich denkt, wie vorurteilsbeladen Diskussionen im politischen Berlin geführt werden und wie gut es ist, wenn sie nach der üblichen Zeit von etwa vier bis sieben Tagen von einem neuen Thema abgelöst werden.

1 Kommentar:

  1. OT
    „Ungeimpfte“ müssen wahre Zauberkünstler sein: Sie sollen eine Krankheit, die sie gar nicht haben, an Leute übertragen können, die dagegen immunisiert wurden.

    @ Fragolin: Schapoh! Tuscheh!

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