Samstag, 24. Dezember 2022

Kein Weltfrieden: Wenn das Wünschen nichts mehr hilft

Ach, zwei Wünsche wünscht' ich immer,
Leider immer noch vergebens.
Und doch sind's die innig-frommsten,
Schönsten meines ganzen Lebens.

Daß ich alle, alle Menschen
Könnt' mit gleicher Lieb' umfassen
und daß ein'ge ich von ihnen
Morgen dürfte hängen lassen.

(Adolf Glassbrenner) 

Als Adolf Glasbrenner auf dem Höhepunkt seiner Dichtkraft zur Feder griff, um ein Wunschpoem zu schreiben, das nicht nur in der Weihnachtszeit Bestand hat, ging es ihm um die ganz großen Dinge. Lieben und Hassen, Frieden und Krieg, Leben und Tod, darunter machte es der Mann nicht, dessen erfolgreichstes Werk "Neuer Reineke Fuchs" nach seinem Erscheinen umgehend verboten worden war. Was hätten auch Wünsche unterhalb dieser Ebene für einen Sinn? Wie könnte einer etwas genießen, ohne Liebe, ohne das zufriedene Gefühl, den Hass, der ihm im Magen brennt und in die Nächte kostet, gestillt zu haben? 

Von Haus aus Humorist

Glasbrenner, von Haus aus Humorist, mit Berufsverbot belegt und in der Zeit dazwischen unter anderem Herausgeber des "Berliner Don Quixote - ein Unterhaltungsblatt für gebildete Stände", war ehrlich zu sich selbst und ehrlich anderen gegenüber. Wenn schon wünschen, dann etwas Wichtiges, wenn schon schenken, dann etwas von Belang.

Lebte der Dichter, der vor 222 Jahre geboren wurde, heute noch, sähe er sich allerdings mit einer Welt konfrontiert, in der der Hase anders läuft. Einerseits gibt kaum jemand noch zu, was er sich am sehnlichsten wünschen würde, wenn er wüsste, dass es in Erfüllung geht. Andererseits ist der Wunschhorizont zusammengeschrumpelt auf die Größe einer Haselnuss. Nicht mehr Liebe und ein Ende des Hasses durch die Beseitigung seines Ursprungs stehen ganz oben auf den Wunschzetteln der Nation. Sondern Gutscheine, Kosmetik, Parfüm, Geld, Bekleidung und Smartphones. 

Kantersieg des Konsumismus

Unter dem Baum am Heiligen Abend soll bei den meisten Menschen liegen, was sich ohnehin schon in Schränken, Regalen und Schuppen stapelt. Mehr von dem, was schon da ist. Der Weihnachtsmann als Rückwärtiger Dienst, der für Nachschub an Dingen sorgt, die bereits vorhanden sind. 

Nichts unterscheidet die erste Kriegsweihnacht, die zugleich die erste Stille Zeit in der amtlichen Gasmangellage (Warnstufe 2 seit August) ist, von ihren Vorgängern. Der Weltfrieden, ein Ende der Klimakatastrophe, die internationale Solidarität der Völker, Glück, Gesundheit, einen möglichst warmen Winter und eine sinkende Inflation, sie spielen einer Statista-Umfrage zufolge keine Rolle in der Wunschwelt der Bürgerinnen und Bürger. Was sie sich ersehnen, zeigt ein Land im Zustand beinahe vollendeter Zufriedenheit: Es kann nicht mehr gut werden müssen, nur noch besser, es braucht nicht große Dinge, nur ein paar kleine.

Weltfrieden ist kein Wunsch mehr

Selbstverständlich verbietet sich Adolf Glasbrenners Offenheit beim Wunsch danach, "daß ein'ge ich von ihnen Morgen dürfte hängen lassen" könnte. Frei herausgesprochen, gülten diese Zeilen im aufgeklärten Abendland der Neuzeit als Hassbotschaft, selbst Glasbrenners Versicherung, das alles sei Satire, mithin Kunst und dadurch straffrei, würden den Autor nicht vollumfänglich schützen. Dass aber die Angst vor dem falschen Wunsch so weit reicht, Menschen in Massen davon zu überzeugen, nur ganz kleine Wünsche zu haben oder aber ihre großen sicherheitshalber nicht zu äußern, wirft einen dunklen Schatten auf den Rest des Lichterglanzes früherer Jahre. 

Wenn das Wünschen nicht mehr hilft, ist das schrecklich, wird das Wünschen selbst aber aufgegeben, verliert der Mensch ein Stückchen seiner Menschlichkeit. Tiere, Pflanzen, Steine, sie alle können nicht wünschen, nicht der moderne Konsumist will es nicht mehr. Was sich nicht kaufen lässt, ist kein Geschenk, was nicht in Papier gewickelt werden kann, hat unter dem Weihnachtsbaum nichts zu suchen.

2 Kommentare:

  1. Weltfrieden ist so 80er Jahre, aber dass sich keiner die Rettung vor dem Klimatod wünscht, kann man nur als Versagen der Propaganda ansehen.

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  2. Der lachende MannDezember 24, 2022

    Chapeau, würde der Penseur sagen.

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