Familie Schreiber auf der heimischen Couch: Seit Wochen arbeiten Carolin (l.), ihr Mann und die drei Kinder erfolgreich an einer natürlichen Anpassung an die Kälte. |
Das mit den Eisbären sei am schwersten gewesen, sagt Carolin Schreiber. Am Anfang waren sie alle ganz begeistert, sagt sie, aber der Spaß ließ nach, als wir ihnen sagen mussten, dass die Eisbären erst kommen, wenn wir sie im Zoo besuchen gehen. Eine heiße Schokolade habe sie den beiden Jungs und ihrer kleinen Schwester dafür aber gebracht, zum Trost. "Expeditionsnahrung nennen wir das", sagt Schreiber stolz.
Eine Expedition als Abenteuer
Es es ja auch eine Expedition, an der die 32-Jährige, ihr Mann Rolf und die drei Kinder - 3, 6 und 8 - seit nunmehr vier Wochen teilnehmen. Ausgangspunkt sei der Sparappell der Bundesregierung gewesen, erinnert sich Carolin Schreiber, ein propere junge Frau mit blondem langen offenen Haar im Luisa-Neubauer-Stil, unverstellt und natürlich, mit breiten Hüften und einem tiefen Lachen. Man habe am Abendbrotstisch oft diskutiert in jenen Tagen der Gasspardiskussion, als es in jeder Fernsehsendung um Füllstände und kommende Entlastungspakete ging. "Wir wollten natürlich auch etwas beitragen und unsere Jungs sind ja schon so groß, dass sie schnell entschlossen waren, nicht tatenlos an der Seite zu stehen."
Schreibers, sie städtische Angestellte in einem kleinen Ort im ländlichen Franken, er Versorgungsdirektor bei den örtlichen Windwerken, schmieden eines Abends, als die Geschwister bereits im Bett sind, einen verwegenen Plan. "Die Idee war, mit den Kindern eine virtuelle Expeditionsreise in die Arktis zu machen", erklärt Caroline Schreiber. Dazu würde die Heizung daheim im Einfamilienhaus einfach aus bleiben, man würde sich entsprechend wärmer anziehen, nicht mehr so oft duschen oder eventuell sogar gar nicht. Und das Abendprogramm bestünde aus Filmen wie "Ice Age", dem Vorlesen des Buches "Nanuk, der Eskimo" und Fridjof Nansens "In Nacht und Eis - Die Polarexpedition 1893 - 1896".
Jubel bei den Kleinen
Die Kinder hätten gejubelt, wobei die kleine Sandra wohl gar nicht so richtig verstanden habe, was auf sie zukommen würde. "Wir haben gesagt, das wird ein Abenteuer, so richtig mit Gefahr und Bewährungsproben." Den neuen Hausregeln bei Schreibens stimmten alle zu: Heizung aus, dafür aber die Genehmigung, nachts unter der Bettdecke mit der Taschenlampe zu lesen. "Es ist bisher nur Kai, der die Buchstaben kennt, aber die anderen beiden schauen Bilderbücher an."Die dicken Skisachen wurden aus dem Keller und als neue Hausanzüge verteilt. "Bei bei dem Großen mussten wir allerdings neu kaufen, er wächst ja so schnell." Für den Kleinen, das Nesthäkchen Lars, reichten die abgelegten Sachen des großen Bruders vom Südtirolurlaub vor zwei Jahren. "Da hatten wir echt Glück."
Ausflug ins Ungewisse
Das Abenteuer der Schreibers begann langsam und beinahe unmerklich. Der Oktober war klimawandelbedingt wie immer viel zu warm. Die Arktis, die sich die Familie in die Stube hatten holen wollen, sie wollte einfach nicht kommen. "Manchmal habe ich in meiner Skiunterwäsche sogar geschwitzt", gibt Caroline Schreiber zu. Dabei sei sie eigentlich eine "Frostbeule", die ganz schnell ins Zittern gerate. Allerdings klagten die drei Kinder schon bei 16 Grad im Garten vor der Tür gelegentlich über laufende Nasen und kalte Finger. "Erst dachten wir, dass es die Seuche ist", sagt Caroline Schreiber, "aber letztendlich stellte es bei einem Arztbesuch als ganz normale Anpassungsreaktion an das Leben als Polarforscher heraus."
Profiteure der Anpassung
Seit es nun deutlich kühler geworden ist, ziehen alle fünf Familienmitglieder große Vorteile aus der allmählichen Anpassung an eine veränderte Umgebung. Niemand friere mehr so schnell wie früher, als bei 18 Grad im Wohnzimmer oft schon Protestgeschrei der Kleinen nach mehr Wärme erschollen sei. Man friere dafür zwar deutlich öfter, weil "12 Grad im Bad wirklich eine echte Herausforderung sind", wie Caroline Schreiber zugibt. Allein die Toilettenbrille komme ihr dann vor vereist, schmunzelt sie.
Aber dass Frieren an sich sei von einer ganz anderen Qualität, die Kälte, "Mitte November war es wirklich schlimm", werde als weitaus angenehmer empfunden als früher und als sinnvoller sowieso. "Wir kennen es ja nun nicht mehr anders", räumt Caroline Schreiber mit dem Vorurteil auf, dass dauerhafte zu kühle Wohnungen nach und nach auf das Gemüt schlagen. Getrieben von einer tiefen inneren Überzeugung aller Expeditionsmitglieder, dass der lange Marsch durch die weiße Wüste des Winters erst begonnen habe und viel davon abhänge, dass jetzt niemand aufgebe, mache man es sich schön, soweit das gehe. "Mein sagt immer, im Mittelalter haben die Menschen auch so gelebt, nicht nur einen Winter lang, sondern immer."
Kleine Prämien fürs Durchhalten
Ein Argument, das Caroline Schreiber und die drei Kinder letztlich überzeugte. Die positiven Eindrücke des Anpassungsexperiment überwögen. Man belohne sich selbst oft mit kleinen Prämien, ein Stück Schokolade, ein Extraschal. "Und wir kuscheln sehr oft", sagt Caroline Schreiber über die gemütlichen Stunden der gesamten Familie unter den beiden großen Flauschdecken auf der Liegelandschaft im Wohnzimmer. Das kalte Leder der Couch sei mit einem Schafsfell abgedeckt worden, ein kleiner Teelichtofen schaffe zudem die Illusion von Wärme. "Mir wird schon heiß, wenn da hingucke."
Insgesamt schaue sie positiv in die Zukunft. "Die Kinder halten sich hervorragend, für sie ist das wirklich ein großes Abenteuerspiel." Noch 100 bis 120 Tage, rechnet Schreiber, dann sei das Schlimmste überstanden, hoffentlich ohne bleibende Schäden etwa durch Schimmelpilz in der Wohnung. "Obwohl wir es so kalt haben, dass der gar nicht wachsen kann", wie ihr ein Raumhygieniker versichert hat. Eine Sorge aber habe sie: "Wenn es dann warm wird, wie ertragen wir die Hitze im nächsten Klimasommer?"