Freitag, 12. August 2022

Galoppierende Geldentwertung: Wie die Bürger den Eindruck bekommen sollen, entlastet zu werden

Auch der letzte Vorstoß, das versprochene "Klimageld" auszuzahlen, blieb eine vielbesprochene große Geste.

Das erste und bisher einzige Entlastungspaket kam lange, lange vor der großen Preisexplosion. Im Februar beschloss die Bundesregierung, zur Befriedung der Stimmung im Lande mehrere symbolische Maßnahmen einzuleiten: Für den Herbst wurde den Menschen eine Energiepauschale in Höhe von 300 schmalen Talern versprochen. Die Wartezeit bis dahin würden ein Tankrabatt und ein "9-Euro-Ticket" verkürzen, das dazu einlud, mal ohne ziel durch die Landschaft zu fahren, einfach, weil es geht.

Sechs Monate Gerede

Sechs Monate lang vermittelte die Politik den Eindruck, damit "schnell und entschlossen" (Christian Lindner, Mai 2022) geholfen zu haben. Die Medien schienen fasziniert zu sein von Hilfen, die bei Rentnern und Studenten gar nicht und bei vielen Steuerpflichtigen irgendwann, aber nur zur Hälfte ankommen würden. Fleißig halfen sie, ein Bild zu vermitteln, nach dem die Politik Bürgerinnen und Bürger wegen der steigenden Energiepreise unterstützen wolle und das auch ganz bald tun werde. Dass nur eben noch nicht ganz sicher sei, welche Entlastungen am besten geeignet wären, den breiten Volksmassen inklusive der armen Armen am wirksamsten unter die müden Arme zu greifen.

Woche für Woche geschah nichts, außer dass die Einnahmen von Bund und Ländern aus der Umsatzsteuer durch die insgesamt explodierenden Preise in Dimensionen stiegen, die kein Steuerschätzer jemals für möglich gehalten hätte. Allein im Juli schossen die Übergewinne des Finanzministers um fast 30 Prozent in die Höhe. Fast die Hälfte der Mehreinnahmen entfiel dabei auf die Steuern vom Umsatz, verursacht durch die steigenden Energiepreise und Lebenshaltungskosten.

25 Milliarden für den Finanzminister

Die so verdienten 25 Milliarden Euro hat die Bundesregierung natürlich behalten. Man habe ja schon "eine Reihe von Entlastungen auf den Weg gebracht: steuerliche und unterstützende soziale Maßnahmen", ließ die Ampel die gemeinsinnorientierte "Tagesschau"  verkünden, ohne dass Einzelheiten genannt worden wären. Da die Preise etwa für Gas aber weiter steigen würden, plane die Ampelkoalition selbstverständlich noch "weitere Maßnahmen", so kabelt nun ein Dietrich Karl Mäurer aus dem ARD-Hauptstadtstudio.

Diesmal im Geschenkregal:  Die verfassungsrechtlich ohnehin unumgängliche Abmilderung er kalten Progression, wird als besondere Entlastungsleistung verkauft, obwohl weil das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierungen schon vor Jahren gezwungen hat, den Grundfreibetrag entsprechend der tatsächlichen Teuerungsrate anzupassen. Die milde Gabe des Finanzministers ist kein Kann, sondern ein Muss. Die laute Diskussion um die Ankündigung, zu tun, wozu es keine Alternative gibt, vermittelt allerdings den bei Scholz, Lindner und Habeck willkommenen Eindruck, dass man sich das großherzig zu etwas ganz Bedeutendem durchgerungen habe.

Solidarische Rechner in den Redaktionen

Und nicht nur die Opposition, die eine Gelegenheit sieht, ihre jeweilige Klientel auf die Palme zu treiben, sei es auch um den Preis einer weiter wachsenden Spaltung der Gesellschaft, bestätigt den gewünschten Effekt noch. Auch die Medien machen eifrig mit. Hier zu viel und dort zu wenig, da zu stark und dort zu schwach - die Fantasie der Rechner in den Redaktionen kennt keine Grenzen. Selbst halbwegs seriöse Blätter finden solidarische Formulierungen wie "Lindner will der kalten Progression entgegen wirken" und "Lindner will Steuerentlastung über 10 Milliarden".

Bei den "weiteren Entlastungsmaßnahmen", die in "nächster Zukunft" kommen sollen werden könnten, ist noch nichts beschlossen. Außer, dass es diesmal wieder nicht für alle reichen wird. Wer nicht "bedürftig" ist, also ohnehin in finanzieller Betreuung durch den fürsorglichen Vater Staat,  bekommt nichts. Er darf aber "You'll never walk alone" mit seinen Reihenhausnachbarn singen, tanzend um dier Ghettotonne (200 Lizter, 99 Euro, hier bestellen, kein Affiliate-Link). 

Heizkosten obendrauf

Wer Wohngeld bezieht, bekommt die Heizkosten obendrauf, wer Hartz-IV erhält, sowieso. die Oma, die noch im eigenen Häuschen lebt, soll diesmal nicht schon wieder vergessen werden, auch Studenten können mit Unterstützung rechnen, wenn das Geld reicht. Im Januar, wenn die CO2-Abgabe um die nächsten zehn Euro teurer wird, wird dann auch "Hartz-VI" in "Bürgergeld" umbenannt, ein Almosen, das zum Startzeitpunkt möglicherweise dann hoffentlich auch den korrekten Namen "BürgerInnengeld" (Vorwärts) tragen wird. 

Eine "substanzielle Entlastung derjenigen, die am wenigsten haben", wie Scholz es nennt. Ein Spiel mit den Hoffnungen aller, irgendwo in ein Förderkästchen rutschen zu dürfen. Ab Oktober kommt die Gasumlage, deren Höhe am Montag bei einem feierlichen Festakt in Berlin enthüllt werden soll. Ab November folgt dann die Mitteilung der neuen Erdgas- und Strompreise, auf die mit neuen Entlastungen der Haushalte reagiert werden muss. Kommt ein Nachfolger für das beliebte 9-Euro-Ticket? Diesmal vielleicht als Neun-Euro-Brikett? Oder ein Bundesrabatt auf Daunenwäsche und Skianzüge? Es gibt zahlreiche Vorschläge, doch Bund- und Länder sind sich wie immer noch uneins über die Finanzierung, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler direkt oder über Bürgschaften mit ihren künftigen Erwerbseinkommen schultern müssten.

5 Kommentare:

  1. Carl GustafAugust 12, 2022

    Ich glaube, dass in Wirklichkeit das alles umfassende Motiv der Machteliten ein Hass auf die Reichen ist (https://www.nzz.ch/feuilleton/der-hass-auf-reiche-koennte-die-staaten-teuer-zu-stehen-kommen-ld.1495073). Geschürt wird das Motiv aus einem Gefühl der Ohnmacht, trotz Zugehörigkeit zur Machtelite dann doch nicht wirklich dazuzugehören.
    Die täglichen Verrenkungen, die die Politikmachenden dabei anstellen, sind teilweise schon äußerst sensationell, haben mit Politik im eigentlichen Sinne aber nicht mehr viel zu tun.

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  2. Politik im eigentlichen Sinne ...

    Nichts für ungut, aber - was wäre das ???

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  3. Ne Assitonne bei Amazon, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich dachte eigentlich,das mich nichts mehr überrascht.

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  4. wenn jemand das mitbekommt, müssen sie die rausnehmen. und wegen kultureller aneignung sowieso

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