Bescheuert und irre: Aufstand im Elfenbeinturm

Nikolas Blome ist ein unbestechlicher Verteidiger der richtigen Regierungspolitik. Sigmar Gabriel Wort "Pack" gehört nicht zu seinem Wortschatz, auch wenn er das spürbar bedauert.

Er ist eine strahlend weiße Flocke vom besten Schaum der alten, untergegangenen Bundesrepublik, ein Hans Dampf in alle publizistischen Gassen, bei Bild aufgestiegen, zum "Spiegel" gescheitert, nun beim Auslandssender RTL Chef eines "Politikressort" (Der Spiegel) und - "well, what can a poor boy do, except to sing for a rock and roll band" - in seiner raren Freizeitkolumnist bei eben jenem ehemaligen Nachrichtenmagazin. Nikolaus Blome, als Fernsehdarsteller neben seinem Kollegen Jakob Augstein zuweilen beinahe vernünftig wirkend, treibt nun aber auch die Sorge vor jenem "Wutwinter" um, die im politischen Berlin längst größer ist als die vor Gasmangel, Blackout und Putins Atombombe.  

Blome verliert die Geduld

Was wäre, wenn die wirklich die Geduld verlieren? Diese "Frager" (Blome), die man "früher Pöbel genannt" (Blome) und zweifellos kurzerhand niederkartätscht hätte? Was tun, wenn "ein vornehmlich ostdeutsches Milieu" (Blome) "mobil" macht und man selbst, mit verschränkten Armen vor der fieberverglasten Fensterfront in seinem Elfenbeinturm an der Alster, der Spree oder dem Rhein stehend und der flinken Sekretärin gerade aktuelle Lageeinschätzungen in den fleißigen Füllerfinger diktierend, fürchtet, dass die "Politik kuschen will" (Blome)?

Es reicht. Ist man denn mit dieser Einheitsrepublik in die höchsten Kreise der Entscheidungsträger*innen gespült worden, um das hinzunehmen? Handwerker, die meinen, offene Briefe schreiben zu dürfen wie früher, die den Kanzler selbst mit "schnarrender Stimme" ansprechen und die ausbleibende Antwort geschätztermaßen als Beweis dafür nehmen, dass der "intersektionale Feminist" (Scholz über Scholz) da vorn auf der Bühne "ein arroganter Politiker-Sack (aus dem Westen)" (Blome) ist.

Grenzschützer Blome

Für Nikolaus Blome war nun eine Grenze erreicht. Demonstranten in Neuruppin, womöglich bald Bürgerproteste gegen die steigenden Preise, Undankbarkeit auf den Straßen, Menschen, die sich weder überglücklich schätzen, das Neun-Euro-Ticket genutzt zu haben dürfen noch bereit zu sein scheinen, den Tankrabatt und die anstehende 300-Euro-Almosen-Zahlung im September als großzügiges Geschenk der Herrschaft anzuerkennen, eingedenk dessen es sich geziemt, auf die Knie zu fallen wie Robert Habeck vor dem katarischen Blutprinzen. "Bescheuert", schreibt er, die sind doch bescheuert!

Das ist nicht mehr Blomes Welt. "Zum dritten Mal in sieben Jahren stellt sich die Frage, wie man diese Menschen erreicht, die alle menschliche Mäßigung fahren lassen", überlegt der erfahrende Empfänger von "Hinweisen, dass es stets dieselben sind, die da am lautesten krakeelen". Diese "Pappenheimer", nennt sie der Bildungsbürger Blome und spielt damit an auf ganz besonders treue Gefolgsleute des Herzogs von Wallenstein an, die trotz Landesverrates zu ihrem Herren standen.

Wo ist die Treue der Pappenheimer?

Friedrich Schiller machte diese Pappenheimer mit seinem Drama "Wallensteins Tod" berühmt, Nikolaus Blome macht sie nun madig. Leider, leider stehen sie heute nicht so treu zu Kanzler, Ampel und demokratischer Presse. Stattdessen haben sie allesamt "mit einem schiedlich-friedlichen Gemeinwesen, Toleranz, Mehrheitsfindung oder sonstigen Gepflogenheiten einer bürgerlich-zivilen Gesellschaft absolut nichts am Aluhut". 

Zeit, das einmal laut auszusprechen", schreibt die Edelfeder im stillen Kämmerlein. Er jedenfalls, Nikolaus Blome, 58 jahre alt, Schüler der nach dem früheren SS-Kriegsberichtserstatter Henri Nannen benannten Propagandaschule, Doppelverdiener und energischer Verteidiger des früheren Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg gegen kleinliche Kritik, sei "nicht bereit, mir von einer letztlich recht kleinen Gruppe diktieren zu lassen, in welchen gesamtgesellschaftlichen Modus wir zu schalten haben".

Den Kurs bestimmt nicht die Querfront

Den bestimmen immer noch er und Seinesgleichen, nicht eine Querfront aus dem Erzgebirge, nicht schnarrende sprechende Provokateure in Neuruppin und keine Linkspartei, die meint, das Recht zu haben, zu Protesten gegen den Bundeskanzler aufzurufen, nur weil sie, sachlich gesagt, "im Westen ums Überleben und im Osten um das Erbe der SED" kämpfe. Selbstverständlich sei es immer noch erlaubt, "in vielerlei Hinsicht gänzlich anderer Meinung sein als Olaf Scholz" und "legitim und mehr als angebracht" könne es auch sein, "die Angst vor Armut auf die Straßen zu bringen". Aber! Nicht gestattet sind "die infame Umkehr von Ursache und Wirkung, von Täter und Opfer, von Putin und Selenskyj, die Mär von der deutschen Mehrheitsdiktatur oder der Fernsteuerung aus Washington".

Klare Kante. "Schämt euch!", ruft Nikolaus Blome aus dem klimatisierten Elfenbeinturm. Schluss mit den Warnungen vor einem "Wutwinter, radikalen Extremisten und eskalierenden Protesten", Schluss mit der Aufmerksamkeit  für eine "radikalisierte Minderheit aus Rechtsextremisten, sogenannten Delegitimierern, Reichsbürgern und Verschwörungsgläubigen". Notfalls müssten die Polizei, der Verfassungsschutz oder die Strafverfolgungsbehörden eben ihre Arbeit machen. "Und gut ist."

Nennenswerte Entlastungen

Eine Bundesregierung jedenfalls hat Besseres zu tun als sich um die Ängste, Sorgen und Nöte einer Bevölkerung zu kümmern, in der "knapp 80 Prozent bei den Entlastungen nicht mehr durchblicken" und "gut 60 Prozent" sich zu der Aussage versteigen, "dass sie noch gar nicht entlastet worden" seien. Obwohl es doch nicht nur rasant steigende Preise bei Lebensmitteln, Treibstoffen, Strom, Gas, auf dem Bau, bei den Steuern und bei allen Arten von Gütern gibt. Sondern auch richtig "nennenswerte Entlastungen bei Strom, Kindern, beim Autofahren und bei der Nutzung von Bussen und Bahnen", wie Nikolaus Blome lobt. 

Nikolaus Blomes Fazit ist traurig: Bei den vorgenommenen großzügigen Entlastungen, die Vater staat fast sieben Prozent seiner Steuermehreinnahmen durch die Inflation gekostet haben, fehlen großen Mehrheiten bislang noch die Einsicht, das Verständnis und das Vertrauen, dass weniger oft mehr ist und Kommunikation der entscheidende Punkt. Es kommt nicht immer aufs Geld an, sondern auf das Gefühl, es zu haben. Den "Irren" (Blome) wird man das durch "keine Transferleistung" (Blome) nahebringen können, "sie wollen eine andere Welt". Aber, zitiert Nikolaus Blome abschließend Robert Habeck, den beliebtesten Politiker der Republik: "Die kriegst du nicht, Alter", denn von nun an bleibt es, wie es ist.