Dienstag, 26. Juli 2022

Mediendynamik: Peak Krieg

Der russische Krieg gegen die Ukraine war lange medial bedeutsam, rückte aber zuletzt deutlich in den Hintergrund.

Er kam hereingebraust mit der Kraft eine pandemischen Lage von nationaler Bedeutung, anfangs Gegenstand von ARD-"Brennpunkten" und endlosen Gesprächrunden, Deutschland kannte kein anderes Thema mehr. Selbst das Corona-Virus war nach jenem Februar-Tag, an dem Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen in Marsch gesetzt hatte, mit einem Schlag verschwunden wie ein Gespenst. Die Börsen brachen ein, die Preise stiegen, die Bundesregierung rang um ihre Solidaritätsstrategie, die gut aussehen, das Land aber in nichts verwickeln sollte.

Peak Krieg

Der Peak Krieg, er war in jenen späten Februartagen bereits erreicht, auch wenn es damals schien als ob der Überlebenskampf der Ukraine gegen das frühere russische Brudervolk ähnlich prägend für die kommenden Monate und Jahre werden würde wie es zuvor die Finanzkrise, die Klimaerwärmung und zuletzt die Pandemie gewesen war. 

Stattdessen aber, sagt der Medienforscher Hans Achtelbuscher, zeige sich schon nach nicht viel mehr als 16 Wochen ein sogenanntes Ermüdungsschema, das die Medienforschung aus früheren Großphänomenbereichen kennt. In einem komplexen System von Nachrichtenüberlagerung, Nachrichtenverdünnung und redundanter Verstärkung verblasse der Neuigkeitswert auch schrecklichster Geschehnisse gemäß dem zweiten Gesetz der Mediendynamik immer insofern und so schnell, dass aufregende Ereignisse nicht gleichzeitig stattfinden, sondern wohlgeordnet hintereinander, beschreibt der Phänomenologe, Entropist und Medienwissenschaftler vom  An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung. 

Immer am schlimmsten

Der Ukraine-Krieg, kurz nach der Pandemie ein weiteres "schlimmstes Ereignis seit dem Zweiten Weltkrieg", mache da keine Ausnahme. Anerkennend äußert sich Achtelbuscher dazu, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine immerhin einen sogenannten Emp-Wert von 16 erreicht habe. "Das ist beinahe doppelt so viel wie die nationale Krise um die kruden Thesen des ehemaligen Bundesbankers Thilo Sarrazin vor elf Jahren erreichte." Der völkerrechtwidrige Angriff liege damit auch weit vor der Finanzkrise, der großen Missbrauchsdiskussion, der Aschewolke über Island, den Vorwürfen gegen Kachelmann und der Debatte um die privaten Kredite des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. "Aber wir müssen anerkennen, dass das Thema nun medial ausgespielt ist", formuliert der Experte, "emotional ist da nichts mehr greifbar."

Dafür sorgten auch die Gasangst, die Furcht vor einem kalten Winter und die neuerdings medial zentralen Horrorgeschichten über die galoppierende Geldentwertung, die drohende schwere Wirtschaftskrise, Arbeitsplatz- und Wohlstandsverluste bis hin zur Pleite ganzer Industriebranchen und Bevölkerungsschichten. "Das ist es jetzt, was den Menschen wichtig ist", analysiert Hans Achtelbuscher die Datenlage, "der Krieg im Donbass stellt sich nun doch als recht fern heraus, der Wirtschaftskrieg dagegen erreicht jetzt schon die eigene Brieftasche."

Plötzliche Emotionalität

Die Emotionalität, mit der das über Jahre weitgehend vermiedene Thema des Wertverfalls der Gemeinschaftswährung Euro und der an den Börsenkursen ablesbaren Vermögensinflation durch die unablässig laufenden Geldpressen der EZB plötzlich gespielt wird, überrascht selbst den erfahrenen Beobachter  der propagandistischen Bemühungen vor allem der Berliner Bundesworthülsenfabrik (BWHF), die Wirklichkeit hinter einem Schleier aus Bedeutungswolken zu verbergen. 

Da wird nun aber angeknüpft an Urängste gerade der Deutschen, denen es nach der Hyperinflation der 20er Jahre besonders wichtig ist, auf eine stabile Währung zurückgreifen zu können." Ihren festen Glauben an die Versprechen der Bundes- und Europa-Politiker, dass der Euro eine solche Währung sei, hätten viele immer noch nicht verloren. "Deshalb gieren sie förmlich nach jedem Hinweis, dass die derzeitige Situation nur vorübergehend sei und der Staat und die EU mit Hilfs- und Rettungspaketen bald alles wieder ins Lot bringen würden."

It's the economy, stupid, sagt der Amerikaner, trotzdem, sagt der Deutsche, ehe er sich neuen Ängsten und Befürchtungen zuwendet. So schlimm, wie es zu kommen droht, wird es nicht kommen, aber womöglich viel schlimmer. Also ist es sehr gut, wenn Medien dafür sorgen, dass der Mensch auf andere Gedanken kommt. "Dass es in dieser Woche zeitweise so heiß war, hat da sehr beim Wirtschaften geholfen", hat Hans Achtelbuscher beobachtet. Während im Juni bei gleichen Temperaturen eine intensive Diskussion um Schwerewaffen, härtere Sanktionen und künstlerischen Antisemitismus im Gewand der staatlich finanzierten Kunstfreiheit abgehalten wurde, bleibe angesichts der neuen Verdichtung der Hinweise auf einen nahenden kalten Winter nur die Sommerhitze als Ausweichbetrieb.

Sommerhitze im Ausweichbetrieb

Immer mehr Menschen vermeiden dem "Reuters Institute Digital News Report 2022" zufolge beunruhigende und aufregende Nachrichten über Corona, den Ukraine-Krieg oder die drohende Wirtschaftskrise. „Die Themen, die Journalisten für die wichtigsten halten - politische Krisen, internationale Konflikte oder Pandemien - scheinen genau diejenigen zu sein, die auf manche Menschen abstoßend wirken“, erklärte der Studienautor Nic Newman. Um sich die Urlaubsstimmung nicht verderben zu lassen, gerade mit Blick auf einen anstehenden Winterohnegas, genössen die Deutschen lieber die letzten schmalen Strahlen einer Krisenberichterstattung ohne Belang, ergänzt Hans Achtelbuscher. "Ihr Blick gleicht dem auf ein anziehendes Gewitter", sagt er, "man ist ein wenig aufgeregt, aber auch gespannt, wie übel es genau werden wird."

Der Professor für entropische Ermüdung in Industriestaten (Entropic fatigue studies in industrial states) hält es für ausgemachten Blödsinn, die scheinbare Achtlosigkeit zu kritisieren, mit der die Medien den Ukraine-Krieg bereits nach weniger als vier Monaten in die zweite Reihe der Bedeutungshitparade geschoben haben. "Nach allem, was wir aus der Forschung wissen", sagt der Wissenschaftler, "macht es keinen Unterschied, ob nicht mehr gesendet wird oder die Empfänger einfach nicht mehr empfangen."

2 Kommentare:

  1. Faeser und Heil, beide SPD, haben in der größten Existenzkrise der BRD-Bürger offensichtlich nix wichtigeres zu tun, als eine Sightseeingtour durch die oft vom eigenen Nazimilitär zerbombte Ukraine. Dann folgt das übliche Betroffenheitsgestammel und das Versprechen, jetzt militärisch und später beim Aufbau zu helfen.

    Was haben ein deutscher Minister für Arbeit und Soziales und eine deutsche Innenministerin im Ausland zu suchen? Die verschenken mal wieder unser Steuergeld, dass für die Armen hier dringend gebraucht würde.

    Schon wieder muss man rufen: "Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten!"

    Doch der Mehrheitspöbel in seiner grenzenlosen Dummheit wird sie garantiert wiederwählen, denn noch reicht das Ersparte bei vielen dickbauchigen Westwerteverteidigern zur Deckung der Preisexplosionen.

    Nur die wirklich Armen wird es in Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit stürzen.

    Wen kümmert's?

    Wo grob gehobelt wird, da fallen nun mal viele Späne.

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  2. OT Fefe zitiert einen Leser:
    Sie [Annalena] hat mich gefragt, ob ich damit meine, die Sanktionen müssten beendet werden. Meine Antwort: Na klar!
    ...
    Mit einer ramponierten Wirtschaft wird keine Energiewende möglich sein.


    Genau, wen interessiert die Ukraine, wenn dort im Jahre 2150 nur noch eine Sandwüste ist.

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