Donnerstag, 9. Juni 2022

Sondervermögen: Am Anfang war das Wort


Es gibt keinen Grund, keinen Zwang und keinerlei Veranlassung für ein freie, regierungsunabhängige Presse in einem freien Land, sich an Sprachregelungen und von Regierungsvertretern vorgegebene Formulierungen zu halten. Entgegen allem, was Zweifler, Kritiker und Querdenker behaupten, dürfen Dinge im Deutschland der Gegenwart immer noch weitestgehend als das benannt werden, was sie sind.  

Subtile Knechtschaft

Worthülsen prägen das Leben der Menschen in freiheitlichen Gesellschaften auf deutliche subtilere Art als in Diktaturen. Knechtet der selbsternannte Machthaber sein Volk mit der Verordnung fester, unverrückbarer Sprachregelungen, muss die Demokratie Institutionen wie die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) und eine bunte, vielfältige Medienlandschaft nutzen, um beunruhigende Erscheinungen von allgemeinem Interesse in einen Zuckermantel zu backen, damit sie leichter verdaulich werden. 

Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke! Die drei Parolen, die George Orwell seine imaginäre ozeanische Staatspartei am Ministerium für Wahrheit hat anschlagen lassen, finden ihre Erfüllung 38 Jahre nach dem Gedankenexperiment von Orwells "1984", in dem die Bevölkerung unterdrückt und die Gedankenpolizei mit harter Hand regiert, in einer Realität, deren Neusprache zwar von den Parteien eingeführt, aber erst von freien, unabhängigen und kritischen Medien zur Amtssprache erklärt werden.

Obszöne Sinnleere

Waren politische Signalbegriffe wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt" in ihrer fast schon obzönen Sinnleere noch recht deutlich erkennbar als karnevalistische Krisenkampfstoffe aus der Verbalwerkstatt einer Administration, der die echte Munition längst ausgegangen ist, markiert der aktuelle Leerbegriff "Sondervermögen" eine neue Dimension der Trennschärfe zwischen Inhalt und Formlosigkeit.

Bei einem "Sondervermögen" handelt es sich weder um etwas Besonderes noch um ein Vermögen, sondern genau genommen um sehr gewöhnliche Schulden - eine Kreditaufnahme gegen ein Zins- und Rückzahlungsversprechen, vergleichbar wenn nicht von den Konditionen, so doch vom Prinzip her mit einem überzogenen Girokonto, mit dem Menschen leben, die mit ihrem Einkommen nicht auskommen und nicht ausreichend Rücklagen haben, auftretende Finanzlücken auszufüllen.

Bemühen um Eindruck

Das Bemühen der Ampel-Koalition geht nun aber dahin, den Eindruck zu vermeiden, man ignoriere nicht nur wie bisher Maastricht-Kriterien und EU-Verschuldungsgrenzen, sondern auch noch die erst vor wenigen Jahren mit viel Tratra und Jubelgeschrei für jetzt und alle Zeiten verordnete "Schuldenbremse". Man möchte das tun, weil man es muss. Will es aber nicht zugeben.

An der BWHF, als Nachfolgebetrieb des VEB Geschwätz aus der DDR und dessen Vorgänger Reichsamt für Worte und Benennungen (RWB - Forschungsbehörde AO) schon jahrzehntelang auf die Serienproduktion von zusammengesetzten Substantiven zur Vernebelung unschöner Tatsachen spezialisiert, war es dann, das schädliche Substantiv "Schulden" durch einem sogenannten Palliativ zu ersetzen, einen Begriff mit würdevollen Klang und bemäntelnder Wirkung, der die öffentliche Aufmerksamkeit einschläfert.

Auf komplizierte Konstruktionsprozesse kommt es dabei nicht an. "Sondervermögen" ist stumpf, dumm und durchschaubar, selbst für eine Eilarbeit aus der Bundesworthülsenfabrik ein Blindgänger, dem selbst das Quäntchen Raffinesse abgeht, das Leerworte wie "Energiewende", "Rettungsschirm" oder "Zeitenwende" noch als würdige Erben von RWB-Klassikern wie "Eintopf" und "Blitzmädel" und DDR-Parolen wie "Planerfüllung", "Haushaltstag" und "Sättigungsbeilage" auswies.  

Ausflug ins magische Denken

Abgeleitet aus dem magischen Denken, das eine reflektierende Unterscheidung zwischen Einzelnem und Allgemeinem nicht kennt, fusioniert das schon im Dritten Reich für "Sonderkommando" und "Sondereinsatz" genutzte Wort aus dem Mittelhochdeutschen (sundern, althochdeutsch suntarōn = trennen, unterscheiden) mit "Vermögen", einem Substantiv zweifacher Bedeutung: "Vermögen" steht einerseits für Guthaben, andererseits aber auch für  die Befähigung, etwas tun zu können.

Dank der breiten medialen Unterstützung vermag der Staat das: Es gelingt ihm, neue Schulden, die weit über die grundgesetzliche vorgegebene Schuldengrenze hinaus aufgenommen werden, nicht als zusätzlich eingegangene Zahlungsverpflichtungen auszugeben, sondern (sic) als vorhandenes Guthaben, entstanden durch einen Sprechakt wie das neue Geschlecht eines Pferdes, das keine Rassen, aber viel mehr als nur zwei Geschlechter kennt. Eben noch fehlt es, das Geld für die große Zeitenwende. Und schon ist es da wie vom Himmel gefallen, satte drei Prozent aller Verbindlichkeiten, die Deutschland in den vergangenen 74 Jahren angehäuft hat

100 von 3.200 funkelnden Milliarden

100 funkelnagelneue von 3.200 Milliarden, deren Aggregatzustand allen verfügbaren Medienberichten zufolge dem von Quecksilber am nächsten kommt: Obwohl er es nicht verdient oder auch nur eingenommen hat, hat der Finanzminister dieses sein neues Vermögen flüssig, ohne es jemandem zu schulden. Es ist da, aber es fehlt keinem anderen, es kann und wird ausgegeben werden, ohne erwirtschaftet oder geliehen worden zu sein. Es ist im Wortsinne "besonders", weil es Vermögen ist, ohne Vermögen zu sein, und dennoch keine Schuld, die abzutragen oder zu verbüßen sein wird.

Mit 4,8 Millionen Mal ist der Begriff "Sondervermögen" seit seiner Freigabe durch die BWHF vor drei Wochen im Internet verwendet worden, der Vorgänger "Staatschulden" kam im selben Zeitraum nur noch auf knapp eine Million Erwähnungen. Im Kampf gegen die Bedeutung der Realität für die Wirklichkeit ist das ein Etappensieg, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

3 Kommentare:

  1. Im Jahr 2021 betrugen die Militärausgaben Deutschlands rund 56 Milliarden US-Dollar (statista). Ca. 50Mrd Euro.

    100 Milliarden klingt erstmal viel, ist aber nur etwa das, was die in zwei Jahren offiziell verbrennen, um die Bundeswehr untauglich zu halten. Was plötzlich für ein Wunder durch zwei extra Jahresbudgets passieren soll, weiß keiner von denen. Im Moment haben sie bloß für 100Mrd ein paar Schlagzeilen gekauft, und mehr als das wird es auch nicht werden.

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  2. Mal unabhängig davon, dass das deutsche Besserwisser-Volk sich bei dem Begriff 'Sondervermögen' an Zaubervorstellungen erinnert fühlt, in denen wie aus dem Nichts etwas ins Rampenlicht geholt wird, was dann gleich danach auch wieder verschwindet, wird der bisher unfähige Bürokraten-Wasserkopf im Bundeswehr-Beschaffungsamt es sicher problemlos hinbekommen, auch diese Zusatzmilliarden in unbrauchbaren Metallschrott zu verwandeln. Diesbezüglich ist auf solche Fachkräfte nämlich Verlass.

    Was jeden Monat für ihr Dauerversagen auf ihren Konten landet, das werden sie jedoch akkurat verwalten. Doch damit sind sie in dieser Gesellschaft in guter Gesellschaft, denn beim eigenen Einkommen sind sie hokuspokus alle geniale Rechenkünstler.

    Auch 1000 Mrd. werden dieses marodierende Land samt Dummbürgerarmee nicht mehr retten, denn der Russe wird sich hüten, sich unser psychisch grenzenloses Multikulti- und weibische Schwuchtelkultur aufzuhalsen. Der wird hier höchstens ein Naturschutzgebiet errichten, indem er die schmutzige Schädlingsplage atomisiert.

    Was wir dringend brauchten, wäre also Sonderbrägen, doch sowas kann keine Hampelkollision aus ihrem Narren-Zylinder zaubern. Wir werden es ohne aber garantiert schaffen, zum dritten Mal Amok zu laufen und geschlachtet zu werden, wie es die Rolle von stupidem Schlachtvieh ist. Danach - sofern es dieses Mal noch ein danach gibt - werden sie wieder heilige Schwüre gen Himmel schicken, und etwa 70 Jahre später grüßt dann wieder das Murmeltier.

    Intelligentes Leben im Universum? Auf der Erde jedenfalls ist das schwer zu finden, denn die ganze Affenbande schreit: "Wer hat die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss geklaut?" Und Jane greift nach Tarzans Liane. Ein Vorfall, dem wir den berühmten Dschungelkönig-Ruf verdanken. Und am Anfang all dessen war das Wort. Aber welches?

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  3. schlagzeilen kaufen reicht doch aber in regel völlig aus. ist das thema durch, ist das thema durch. das letzte war doch dieses, wie hieß es? concordia? columbia? corona?

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