Kaum war das Neun-Euro-Ticket überaus erfolgreich gestartet, meldeten sich die üblichen Nörgler*innen und Feinde des ÖPNV. Das großzügige staatliche Geschenk sei ein "Ticket ins Chaos" (Spiegel), Bahngäste dankten für "nichts" (Der Westen), nur mit einer "Teilräumung" von Zügen habe ein komplettes Debakel verhindert werden können. Obwohl es nur auf wenigen Bahnhöfen zur echten Kalkutta-Szenen gekommen war und "trotz Chaos, vollen Zügen und fehlendem Nutzen" (Südkurier) weiterhin wenig dafür spricht, mit Billigfahrscheinen zusätzlichen klimaschädlichen Fernverkehr etwa nach Sylt zu provozieren, stand die mediale Abwehrfront der liberalen Entlastungsidee wie ein Mann und Verteidiger, die ungeschminkt über ihre eigenen Erfahrungen mit den umfassenden Entlastungshilfen berichteten, auf verlorenem Posten.
Widerstand im Land
Draußen im Lande aber formiert sich nun Widerstand, nicht nur bei den Kommunen, die dauerhaft am Billigticket für Busse, Straßenbahnen und Nahverkehrszüge festhalten wollen. Perspektivisch müsse ein bundesweit gültiges, einheitliches und vergünstigtes Ticket für alle her, die es nicht weit haben, bezahlen aber müsse dafür der Staat, nicht die Bürgerinnen und Bürger, bei denen das Gute-Laune-Ticket zur Überbrückung der Kriegsschwermut vom Start weg so gut angekommen sei, dass es Reisende von völlig überfüllten Zügen berichteten, Menschen massenhaft keinen Sitzplatz fanden und Pfingstausflügler ihre Elektroräder teils nicht mitnehmen durften.
Voll ist nicht gleich voll, Gedränge nicht identisch mit Gedränge. Viele Szenen aus deutschen Zügen, die am langen Pfingstwochenende um die Welt gingen, erinnerten zwar fatal an die Zusammenkünfte von Querdenkern, Regierungskritikern und Maßnahmezweiflern, die Abstandsgebote und freiwilligen Maskenzwang stur ignorierten. Doch die von ÖPNV-Nutzenden in Luckau, Dahme/Mark und Heideblick gestartete Initiative "Wir haben Platz" verlangt von der Bundesregierung, die Bereitschaft von Bundesländern und Kommunen zur Beibehaltung des Neun-Euro-Billigtickets als Fördermaßnahme zur Stärkung des touristischen Freizeitverkehrs beizubehalten.
Kommt jetzt auch die Lausitzpflicht?
Im Gegensatz zu Wirten und Beherbergungsbetrieben auf Sylt, für das Bundesregierung mit dem Start des Neun-Euro-Sommers quasi eine Besuchspflicht für jeden solidarischen Unterstützer eines gefragten ÖPNV erlassen hatte, sei im Naturpark Lausitzer Landrücken, in dem die Gemeinden liegen, bisher keine Belebung der Touristenströme zu erkennen. Mit einer Demo unter dem Motto "Wir haben Platz", die bereits am Pfingstsonntag mit - nach Veranstalterangaben - 157 Teilnehmenden und Teilnehmern durch die Bergbaufolgelandschaft Schlabendorf-Seese gezogen war, forderten die Menschen ein Neun-Euro-Pflicht landesweit und Fahrverbote für Privat-Pkw.
Auf Plakaten waren Slogans wie "Wir haben Platz!" und "Keine Angst vor keinem Abstand" zu lesen. Ein kleines Mädchen hielt die Forderung "Lasst die Leute rein" in die Höhe, eine ältere Frau zeigte ein selbstgemaltes Plakat mit der Aufschrift "Mitfahren für alle, immer" und eine aus Berlin angereiste solidarische Gruppe der autonomen Linksverteidiger (ALV) rief mehrfach im Chor "Kein Stehplatz ist illegal". In kurzen Ansprachen verwehrten sich die Initiatoren gegen die Instrumentalisierung der bundesweit großen Zustimmung zu den verkehrsfördernden Maßnahmen der Bundesregierung durch Neun-Euro-Leugner und umstrittene Internet-Portale. Gefordert wurde eine bundesweite Pflicht zum Besuch der Lausitz in diesem Neun-Euro-Sommer, adäquat zur allgemeinen Abstecherpflicht nach Westerland.
Abstand zwischen Neun-Euro-Anhängenden
Die nach der SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Basismaßnahmenverordnung der Landesregierung in Potsdam aktuell geltenden Abstandsregeln wurden nach ersten Beobachtungen während des Aufzuges der Neun-Euro-Anhängenden zunächst größtenteils eingehalten. Nachdem sich der Demo-Zug fast zwei Stunden nach Beginn der Veranstaltung in Bewegung gesetzt hatte, wies die Polizei allerdings die Teilnehmer per Lautsprecher darauf hin, die Abstandsregeln einzuhalten, vor allem an der Spitze des Zuges. Hier war es zeitweise ähnlich eng wie bei der An- und Anreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Bussen und Bahnen.
Jedem Tierchen sein Plaisirchen.
AntwortenLöschenWenn eine Menge Menschen ihr höchstes Sozialglück darin sehen, dicht gedrängt wie glitschige Ölsardinen in einer engen Konservenbüchse vom überfüllten A zum überfüllten B zu reisen, dann gönne ich denen ihre Nähe, ihr Gemeinsam.
Meine Sache ist das Herdentriebkuscheln mit wildfremden Parfümierten und Naturduftenden nicht so sehr, und darum benutze ich für meine Vergnügungsfahrten lieber mein Auto. Außerdem tanke ich immer nur für 50 Euro und trickse die Verteuerung somit aus. Und fürs heimische Kaff habe ich noch einen energieunabhängigen und somit klimarettenden alten Drahtesel ohne modernen E-Schnickschnack, der schnell kaputt gehen könnte und dann teuer repariert werden muss, falls man in diesem Jahr noch einen Termin bekommt. Dann lieber rustikal: gelegentlich etwas Ölung, und ab geht die Post.
Warum in die Ferne schweifen, wenn die Gute liegt so nah? Auch Nachbarinnen haben schöne Töchter oder sind selber leckere Filetstücke auf dem Gebrauchtfleischmarkt.
Und falls dennoch alle Stränge reißen, können wir uns immer noch aufhängen. Wir haben mehr als genug Platz am kollektiven Suizid-Galgen.