46. und letzter Treffer einer vermurksten Saison: Tom Zimmerschied erzielt die Führung gegen Wiesbaden. |
Vom erlösenden Tag der Befreiung in Würzburg noch einmal zurück ins Wohnzimmer, ein letztes Kapitel schreiben für ein Buch, das in Zukunft eher wenig gelesen werden wird. Finaler Auftritt des Halleschen FC 2022 im Leuna-Chemie-Stadion gegen Wehen-Wiesbaden, den treuesten Begleiter des HFC in den zurückliegenden zehn wechselhaften Jahren in der Dritten Liga. Niemand erwartet mehr irgendetwas, niemand hofft auf mehr als einen würdigen Abschied. Mehr als 7.000 sind gekommen, um ihn mitzuerleben. Deutlich mehr als zuletzt in den Spielen, in denen es um alles ging.
Das letzte Aufgebot in Rot
Das letzte Aufgebot in Rot, es hat sich sichtlich etwas vorgenommen. Wegen Sperren und Verletzungen erneut kräftig umgemodelt, geht der HFC mit zwei Spielern zum Anstoß, die vor der Begegnung verabschiedet wurde. Marcel Titsch-Rivero, einst als Hoffnungsträger gekommen, konnte seine Fähigkeiten nur im letzten halben Jahr seiner Zeit im Klub andeuten. Janek Sternberg war immer bemüht und verlässlich, aber nicht der ersehnte Unterschiedsspieler. Später werden mit Julian Derstroff, Niklas Kastenhofer, Joscha Wosz und Fynn Otto weitere Aktive eingewechselt, über die sich so oder so ganz Ähnliches sagen ließe: Mal hüh, mal hott, aber der Abschiedsschmerz ist erträglich, auch wenn mit Kastenhofer und dem von RB ausgeliehenen Wosz zwei der insgesamt nur vier Hallenser im Aufgebot den Aufräumarbeiten von Sportdirektor Ralf Minge und Trainer Andrè Meyer zum Opfer fallen.
Aber so wie bisher geht es ja nicht weiter, das zeigt auch das bemühte Saisonfinale gegen eine Wiesbadener Elf, die inzwischen weit weg ist von der Spitzenmannschaft, die sie einmal war. In der 11. Minute trifft Tom Zimmerschied zur Führung für die Gastgeber, aber ein Feuerwerk ist es nicht, das Meyers Truppe abbrennt. Die Fehler sind dieselben wie seit Monaten schon, der Ertrag aller Bemühungen um Pressing, Ballkontrolle und schnelles Offensivspiel bleibt bescheiden. Wer eine Diagnose des Vermögens dieses Aufgebotes stellen würde, käme in der Nähe derjenigen heraus, die im zweiten Ligajahr fällig war: So wird das nichts.
Ausbleibende Wunder
Aber zum Glück ist es zu Ende. Gerade rechtzeititg, denn in der 34. Minute schießt Wiesbaden den Ausgleich. Ohne den in Würzburg herausgequetschen Sieg stünde jetzt nur noch ein um acht und 16 Treffer besseres Torverhältnis gegenüber Verl und Viktoria Berlin zwischen Halle und dem Abstieg. Und die Hoffnung, dass nicht beide Konkurrenten auf der Ziellinie gleichzeitig Wunder wirken werden.
Es geht entspannt dem Ende zu, gelockerter Stimmung und gelösten Gemütes. Der HFC will in der zweiten Halbzeit nur mehr nicht verlieren, Wiesbaden flirtet ein wenig mehr mit einem möglichen Sieg zum Abschied von einer auch für die Hessen enttäuschenden Spielzeit. 1:1 aber ist zuletzt das Standardresultat von Meyers Mannschaft gewesen, seit dem 1:1 in Havelse wurde in sechs Spielen zwar fünfmal nicht gewonnen, aber auch nie verloren.
Längste Erfolgsserie
Diese neue Stabilität - es ist die längste Erfolgsserien, die der Hallesche FC in der Saison 2021/2022 geschrieben hat - sorgt für die nötige Selbstsicherheit im Umgang mit den nun doch deutliche spielfreudigeren Gästen. Je weiter sich der Zeiger dreht, umso deutlicher wird die Partie zu einem Spiegelbild der gesamten Saison: Der Torwart, diesmal wieder der genesene Sven Müller, rettet den Punkt. Die eigenen Offensivaktionen werden erst zwingend, als Schiedsrichter Patrick Schwengers schon die Pfeife im Mund hat.
Sein Pfiff ist erlösend, bedeutet er doch das Ende eines seit der Auswärtspleite von Havelse andauernden Phase der Frustration, der Enttäuschung und Abstiegsangst. 15.19 Uhr ist es vorüber, endlich, und das Ende gut. Aufatmen an der Saale und auch schon ein winziger Hauch von Vorfreude auf das, was kommen könnte und sollte, ist auch schon zu spüren. Es ist wieder wie im letzten Jahr, mehr als ein blaues Auge bei den Männern im roten Dress, die mit einem Plakat "Danke für alles" eine Ehrenrunde drehen.
Ein Rückblick auf das, was vor zehn Jahren war, folgt unten - eine Erinnerung an die PPQ-Serie "Vor dem Aufstieg" aus den Jahren 2011 und 2012.
Die letzten Augenblicke sind die schlimmsten. Neun Monate gewartet, neun Monate gehofft und gebangt, gekämpft und gebibbert. Sieben davon in Lauerstellung, die Spitze im Blick, aber zugleich in unerreichbarer Ferne. Dann dieser 17. März 2012, der Tag, an dem sich alles ändert. Der Hallesche FC besiegt zu Hause im früheren Kurt-Wabbel-Stadion die Reserve des Hamburger SV. Ein 2:0 ohne Glanz und doch der Wendepunkt einer Saison, in die die Elf von Trainer Sven Köhler mit dem Ziel gestartet ist, möglichst lange in Sichtweite der Favoriten RB Leipzig und Holstein Kiel zu bleiben.
Nach dem Sieg gegen Hamburg ist mehr möglich, viel mehr. PPQ startet die Echtzeit-Doku "Vor dem Aufstieg". Denn klar, hier ist nicht nur was drin, was keiner ahnte. Vielmehr ist die Saison "nach der Papierform so gut wie gelaufen", heißt es im ersten Teil hochanalytisch.
Vor dem Aufstieg
So gut wie" muss an diesem letzten Spieltag in einem Finalmatch gegen die Brausefußballer aus Leipzig nur noch ausgespielt werden. Ein Sieg, und der HFC, der vor 20 Jahren sein letzten Bundesligaspiel absolvierte, wäre zurück in einer Profiliga. Aber was heißt nur. Eine Stunde vor dem Anpfiff ist die Nervosität im seit Wochen ausverkauften Wabbel, das nach einem Totalumbau "Erdgas-Arena" heißt, mit Händen zu greifen. Früh wie nie sind die Traversen gefüllt, rot-weiß wie nie ist das Fanvolk angerückt, die wiederentdeckte alte Liebe nach vorn zu peitschen.
Vergeblich versuchen die aus Sachsen angereisten 1500 Leipziger in ihrer Gästeecke, sich Gehör zu verschaffen: Kaum heben sie die Stimme, tost von den Tribünen ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert oder ein "Scheiß-Red-Bull". Helfen kann nur die Stadion-Tontechnik, die die Lautsprecherregler hochschiebt.
Kanitz auf der Bank
Helfen kann aber auch die Truppe von Sven Köhler, der seiner Stammformation vertraut, Kapitän Kanitz allerdings auf die Bank gesetzt hat, um mit Stamm-Innenverteidiger Steven Ruprecht einen kopfballstarken Mann mehr hinten stehen zu haben. Die Rot-Weißen starten wie die Feuerwehr, keiner im Erdgas-Sportpark denkt noch daran, Kraft daran zu verschwenden, gegen das österreichische Fußballprojekt anzusingen. Kaum sind die an jeden Zuschauer verteilten "Kämpfen und Siegen"-Plakate unter den Sitzen verschwunden, tönt es nur noch "Chemie Halle - Chemie Halle".
Aber RB findet auch auf dem Platz nicht statt. Nach einer schönen Stafette über Eismann und Texeira kann Lindenhahn schon in der 3. Minute das 1:0 machen, allerdings schießt er drüber. Besser zielt Eismann selbst, der zwei Minuten später mit einer langen Flanke die Querlatte trifft. Hartmann ist der nächste, sein Kopfball geht aber auch bloß über das Tor.
Darko Horvat, Aufstiegstorwart. |
In der achten Minute geht der HFC in Führung. Nicht hier in Halle, aber in Wolfsburg, wo Aufstiegskonkurrent Kiel gegen die VfL-Reserve in Rückstand gerät. Wie ein Lauffeuer ist die Nachricht im Stadion herum. Stand jetzt spielt da unten ein Aufsteiger - und er trägt Rot-weiß. Und wie das so ist, an Tagen wie diesem, wird es noch besser. Der HFC erhöht den Vorsprung auf Kiel: In Wolfsburg fällt das 2:0.
Tränen in den Augen
Halle hat die Chancen, Wolfsburg schießt die Tore. Wieder geht ein Raunen durchs Rund, wieder liegen sich Wildfremde in den Armen. 3:0 in Niedersachsen. Kiel müsste jetzt vier Tore schießen, um Halle noch abzufangen.
Ein Bruch im Spiel
Es sind jetzt die Rasenkasper in royal bleu, die die Pace machen. Halle schwimmt gelegentlich, bis auf einen Abseitstreffer von Frahn und einen Kopfball, der die hallesche Torlinie geometrisch korrekt einmal von links bis rüber nach rechts entlangkullert, wird der zweitbeste Sturm der Liga nie richtig gefährlich.
Triumphgesänge unterm Stadiondach
Das muss es sein und das ist es auch. Dass zwei HFC-Treffer wegen abseits nicht gegeben werden, wird später Wissen sein, das niemand mehr weiß. Ohne Hast, aber mit der laut Reichsbahn-Vorschrift "dem Bahnbetrieb innewohnenden Raschheit" absolviert der HFC die letzte Viertelstunde in der Regionalliga. Vier lange Jahre gehen mit dem Pfiff von Schiedsrichter Felix Zwayer zu Ende, vier Jahre, in denen der Klub aus der Saalestadt nach Platz 2 im ersten Aufstiegsjahr Platz und Platz 5 belegte, ehe er der klaren Tendenz zum Trotz das Kunststück schaffte, als Zwerg mit Mini-Kader und Arme-Leute-Etat unter den Riesen Kiel und Leipzig hindurchzugehen und am letzten Spieltag ganz oben zu stehen. Grauhaarige Männer haben Tränen in den Augen, ewige Pessimisten reiben sie sich. Die Spieler reißen die Arme hoch, das Stadion ist ein einziges "Jaaaaaaaaaaaahhhhhhh!!!!!!"
Bierduschen und Platzsturm
HFC-Torwart Darko Horvat, der - an Tagen wie diesen ist das so - heute auch noch Geburtstag hat, flieht den Trubel. Oben auf die Tribüne liegt der Mann, der in den letzten neun Monaten weniger Tore kassierte als sonst irgendein deutscher Berufskeeper, seiner Frau Sandra in den Armen. Sie reden nicht. Sie schauen sich nur an.
Die letzten Augenblicke dieser nervenaufreibenden neun Monate sind die stillsten. Und die schönsten sind sie auch.
Ostfussball.com gratuliert: Es hat geholfen
Zur PPQ-Doku des gesamten Aufstiegsrennens:
Vor dem Aufstieg: (VdA) XV
Vor dem Aufstieg: (VdA) XIV
Vor dem Aufstieg: (VdA) XIII
Vor dem Aufstieg: (VdA) XII
Vor dem Aufstieg: (VdA) XI
Vor dem Aufstieg: (VdA) X
Vor dem Aufstieg (VdA) IX
Vor dem Aufstieg (VdA) VIII
Vor dem Aufstieg (VdA) VII
Vor dem Aufstieg (VdA) VI
Vor dem Aufstieg (VdA) V
Vor dem Aufstieg (VdA) IV
Vor dem Aufstieg (VdA) III
Vor dem Aufstieg (VdA) II
Vor dem Aufstieg (VdA) I
Kürzer kann nur BILD.
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1:1-REMIS ZUM ABSCHLUSS
Elf Profis verlassen HFC
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Wer nimmt die denn?