Montag, 25. April 2022

BFC Dynamo München: Triumph der Langeweile

Traurige Freude in schwarzen Trikots: Wie immer ist der FC Bayern München Deutscher Fußballmeister.

Die Farbe der Sieger-Shirts passte zur Feier, die nicht stattfand. Als der FC Bayern München am Wochenende zum zehnten Mal hintereinander deutscher Fußballmeister wurde, erinnerten die traurigen Triumphszenen danach eher an eine Beerdigung als an die überschäumende Freude, die für gewöhnlich in solchen außergewöhnlichen und seltenen Augenblicken zutage tritt.  

Doch für die Münchner Fußballer ist der Titel eben weder das eine noch das andere: Wer zehnmal in Folge Meister wird, der singt noch ein bisschen, der jubelt auch pflichtschuldigst, spielt trotz der hohen Preise demonstrativ mit Lebensmitteln und er fühlt sich zweifellos in seinem Selbstbild bestätigt, eben besser zu sein als alle anderen. In die Freude aber mischt sich auch Erleichterung, es wieder - im Hinterkopf: noch einmal - geschafft zu haben. Sich nicht selbst enttäuschen zu müssen. Dem Druck standgehalten zu haben, es wieder zu schaffen. 

Routine und Rituale

Alles ist nur noch Routine, ein Ritual ohne Euphorie. Serienmeister zu sein, heißt es immer blieben zu müssen, es gibt irgendwann kein Kann mehr, sondern nur noch ein Muss. Eine lähmende Situation nicht nur für die Angestellten des zum Siegen verfluchten ewigen Spitzenreiters, sondern auch für dessen gesamte Gegnerschaft. Die spielt immer um Platz 2, nur der nimmermüden Marketingmaschine des Berufsfußballs und seiner zahllosen Sendeanstalten ist zu verdanken, dass sich das langweilige Kräftemessen um die Goldene Ananas überhaupt noch irgendjemand anschaut.

Deutsche Grundschüler heute lernen schon unter derdem zweiten Kanzler*in, sie erleben die dritte Koalitionsfarbmischung in Berlin und sogar schon den dritten EU-Kommissionspräsidierenden. Apple hat acht Generationen seines iPhone herausgebracht, Tesla wurde vom belächelten Konstrukteur des Model S zum wertvollsten Automobilkonzern der Welt, Putin vom Garanten der deutschen Energieversorgung zum expansionslüsternen Kriegsherren und Angela Merkel von der angebeteten Frau, die alles vom Ende denkt, zu einer persona non grata, die falsch gemacht hat, was sich falsch machen ließ. 

Es kam eine Pandemie über die Welt, die SPD geriet unter Verdacht, mit dem Russen zu paktieren, ein US-Präsident, der mehr Rüstung forderte, wurde zum Hassprediger erklärt und der, der ihn im Kampg gegen rechts mutig so bezeichnet hatte, zum sinistren Moskauer Spinnennetzweber. Beim Fußball aber ist alles, wie es immer war. Bayern Meister, Bayern Meister, Bayern wieder Meister. Gegen die Bewegungen in der deutschen Fußballwelt wirkt selbst die Kontinentalverschiebung agil. Der Bayern-Dynamo treibt sich selbst an, ein perpetuum mobile, das zumindest nationale Titel sammelt, als habe er ein Abo abgeschlossen.

Wiederholung der Geschichte

In der deutschen Geschichte ist der Fall eines ewigen Meisters allerdings nicht beispiellos. Zwischen  1978 bis 1988 gelang es dem Berliner Fußballklub Dynamo, einem von der Sportvereinigung der für die innere Sicherheit der DDR zuständigen Organe unterhaltenen Verein, zehn Meisterschaften in Folge zu erringen. Den mächtigen Kräften hinter dem Klub waren dazu alle Mittel recht. Es wurde betrogen, gelogen, an allen Fäden gezogen, geschoben und mit Spielern gehandelt, bis - auf dem Höhepunkt Mitte der 80er Jahre - keine andere Mannschaft auch nur einen Stich sah gegen den Schiebermeister.

Nur international riss der BFC Dynamo nichts. In den großen Klubwettbewerben reichte es immer nur zu einem Kurzauftritt, dann flog die Macht von der Spree geschlagen nach Hause. Der FC Bayern München hat nun das Kunststück geschafft, die bis dahin einmalige Serie einzustellen: Von 2012 bis 2022 ließ der Klub aus München keine andere Mannschaft an sich vorbei. Die Meisterschaft zu gewinnen, ist heute für FC Bayern genau so Tagesgeschäft, wie es das für den BFC Dynamo war.

Zementierte Verhältnisse

Und wieder ist die Zementierung der Verhältnisse, das Festgebackene und Tiefgefrorene, ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände. So wenig der nationale Erfolg sich auf die internationale Ebene betragen ließ - nur einmal und nur in der Pandemie-Ausnahmesaison 2019/2020 gelang es nach 2013 noch, den stets als Ziel ausgegebenen Titel in der Champions League zu gewinnen, so wenig lässt sich die Tristesse des ewigen Bayern-Triumphes von der gesellschaftlichen Tristesse der Merkel-Jahre trennen. 

Alles war, wie es ist, und es sollte und würde für immer so bleiben. Selbstverständlich drückte die Kanzlerin aus Hamburg dem größten Klub der Republik die Daumen. Und selbstverständlich nahm ihr dieses populistische Manöver niemand übel. Alle waren ja selbst bemüht, die Bayern gut zu finden. Das garantierte schließlich, selbst auf der Gewinnerseite zu stehen.

Alle wollen Gewinner sein

Immerhin ein Unterschied zum Berliner FC Dynamo, dem in seinen großen Tagen der Hass aller Menschen entgegenschlug, die in ihm ein Symbol für die Unerträglichkeit der DDR sahen, beschränkt sich die Ablehnung heute auf sanfte Popsongs und neidischen Respekt für die ausgestellte Arroganz der Bayern, die den BFC-Rekord von Mitte der 80er-Jahre mit 36 Spieltage ohne Niederlage schon zwischen 2012 und 2014 mit 56 Spielen ohne Pleite eingestellt hatten. Diesmal gibt es auch keine Gerüchte um Spielmanipulationen des Rekordmeisters, allenfalls Hinweise auf den geheimnisvollen "Bayern-Dusel", ein Phänomen, das nie vollständig aufgeklärt, aber statistisch nachgewiesen werden konnte. 

Erst müsste dieses "unverdiente Glück" schwinden, um die "versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu zwingen", wie es Karl Marx analysiert hat. Verdankte der BFC Dynamo seine sportlichen Erfolge einer akribischen Jugendarbeit in Zeiten, als es die eigentlich noch nicht gab, ruhen die seines Nachfolgers als Rekordmeister auf einem System des foot drain: Die Mehrzahl der Leistungsträger des Meisterschafts-Jahrzehnts kamen nicht aus aus der eigenen Jugend der FC Bayern München Aktiengesellschaft, sondern von Einkäufen bei der Bundesliga-Konkurrenz und Vereinen auf der ganzen Welt.

Auch das ist Deutschland, wie es geworden ist: Mit russischer Energie, amerikanischem Internet, italienischer Küche, französischen Fußballern und chinesischen Fernsehgeräten.

7 Kommentare:

  1. An der Öde sind die anderen genauso schuld. Man kann Bayern nicht vorwerfen, dass die anderen zu blöd dazu sind, das zu machen, was die Bayern machen.
    Uninteressant ist es aber so oder so (Fußball allgemein, abgesehen von den Spielberichten auf PPQ).

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  2. eine diagnose ist aber kein vorwurf, oder?

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  3. Nur für den Fall, dass irgendjemand mal irgendwann einen Vorwurf machen wollte.
    Man hörte von Stammtischen gelegentlich den Ruf 'scheiß Bayern' durchs Etablissement schallen.

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  4. nivht sehr gewählt ausgedrückt, aber ja, ich würde sagen, das ist noch erlaubt

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  5. Carl GustafApril 26, 2022

    "Diesmal gibt es auch keine Gerüchte um Spielmanipulationen des Rekordmeisters, allenfalls Hinweise auf den geheimnisvollen "Bayern-Dusel", ein Phänomen, das nie vollständig aufgeklärt, aber statistisch nachgewiesen werden konnte. "

    Und ob es Gerüchte um Spielmanipulationen zu Gunsten des Rekordmeisters gibt. Allenfalls erfolgen diese heute subtiler: https://www.eurosport.de/fussball/bundesliga/2021-2022/elfmeter-szene-bei-bayern-munchen-borussia-dortmund-var-chef-jochen-drees-raumt-fehler-ein_sto8900601/story.shtml

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  6. worüber gibt es keine gerüchte. die damals aber waren, was heute eine facebookwahrheit ist: für jeden sichtbar

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  7. Ex-Referee Gräfe mit scharfer DFB-Kritik

    »Schiedsrichterei strukturell und personell vor die Wand gefahren«

    Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe kritisiert die Häufung von Fehlentscheidungen der Unparteiischen in der Bundesliga –und hat im DFB einen Schuldigen ausgemacht. Er fordert personelle Konsequenzen.
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    Was? Nur einer?

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