Donnerstag, 10. März 2022

EU-Suchmaschinenzensur: Im Krieg gegen die Meinungsfreiheit

Um Arglose nicht zu verführen, hat die EU nun alle Suchmaschinenanbieter angewiesen, sämtliche Suchergebnisse zu Feindsendern zu löschen.

Wer Rias hört ist geistesgestört", reimten Walter Ulbrichts Propagandisten im kalten Meinungskrieg der 60er Jahre und schickten die friedensbewegte Jugend aus, auf den Dächern Antennen abzusägen, die in die falsche Richtung zeigten. Der Westen schlug mit dem Vorwurf zurück, der "Rotfunk" aus der Sowjetzone sei die Fünfte Kolonne im Äther, die die Demokratie sturmreif senden solle für entmenschte Invasionstruppen, die zur Abschaffung von Freiheit, Frieden und Wohlstand kämen.  

Misstrauen gegen Mündigkeit

Aber den Empfang der Feindsender zu stören, die eigenen Bürger davon abzuhalten, sich selbst ein Bild davon zu machen, wie plump und dämlich die aus dem Osten gesendeten Botschaften waren, darauf kam niemand im freien Westen, der in der Gewissheit lebte, dass es gerade seine Stärke sei, auch noch die perfideste Gegenrede aus fake news, Hass und Lügen auszuhalten, weil es die Freiheit sei, sich selbst über abseitigste Ansichten ungehindert informieren zu können, die den Unterschied mache zwischen einer Diktatur, die ihren Untertanen Informationen erst nach Freigabe durch die Herrschenden zuteilt, und einer freiheitlichen Gesellschaft, die ihren mündigen Bürgern zutraut, selbst unterscheiden zu können zwischen der Wahrheit und dem "Schwarzem Kanal".

Obwohl der Westen siegte, wuchsen die Zweifel daran, ob das wohl so richtig ist, mit jeder Generation an lupenreinen Demokraten, die in Berlin und Brüssel auf Sessel kletterten, die Macht bedeuten. Immer mehr und immer öfter war von der Wehrlosigkeit der Bevölkerung angesichts fremdländisch verursachter Desinformationskampagnen die Rede. Wahlen wurde von Facebook-Werbung und von Twitter-Bots entschieden, die ganze große Maschine der Gemeinschaft der - damals noch - 440 Millionen EUropäer widmete sich dem Abwehrkampf Kleingeldangriffe. Die besonders anfälligen Deutschen avancierten schon vor Jahren zu den Löschweltmeistern im Internet: Die "Meinungsfreiheit kennt Schranken", verfügte die damalige Kanzlerin in Ergänzung des Grundgesetzes. Nicht alles dürfe gesagt, meinte sie, aber auch nicht alles gehört und gesehen werden.

Schutz vor Informationsschmutz

Seitdem geht es um Schutz, den Schutz der Wertegemeinschaft vor dem Informationsschmutz, der von außen kommt. Anfangs noch vorsichtig tastend konnte die europäische Verbotsoffensive gegen Feindsender aller Art mit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine Fahrt aufnehmen. Die EU selbst, nach Maßgabe aller zugrundeliegenden Verträge für die Zulassung von Medien allenfalls so viel Zuständig wie für die Beleuchtung der Rückseite des Mondes, griff tief in die Trickkiste und untersagte die Verbreitung der Russensender RT und Sputnik in der gesamten Republik.

Dieses zweite Sputnik-Verbot, diesmal nicht nur in Ostdeutschland, sondern in ganz EUropa, stellte sich bald aber als nicht ausreichend herausstellte. Feinde unserer Ordnung handelten unter der Hand mit Tipps zum Schwarzhören, Zweifler, Hetzer und Moskautreue wichen auf VPN-Anbieter aus. Es wurde schnell höchste Zeit, dass die EU-Kommission in der Feindsenderfrage neue, schärfere Antworten fand, um die "Waffen im Manipulationsökosystem des Kremls" (Joseph Borrell) unschädlich zu machen. So eine Gelegenheit, als Gesetzgeber in einer Angelegenheit aufzutreten, die einen eigentlich nichts angeht und die dort, wo sie entschieden werden müsste, aufgrund von unveräußerlichen Verfassungsrechten nicht entschieden werden könnte, lässt sich eine Institution wie die EU nie entgehen.

Das zweite deutsche Sputnik-Verbot

Auf die frischen Verbote für die Freiheit folgten denn nun auch nur wenige Tage später umfassende Anweisungen an die großen Internetanbieter, denen mit einer "weit gefassten Auslegung" (EU) der Begriffe "Ausstrahlung" und "Betreiber" das europäische Ziel nahegebracht wird, sich dem Ziel zu verpflichten "der Tatsache entgegenzuwirken, dass RT und Sputnik bisher Tatsachen schwerwiegend verzerrt und manipuliert und wiederholt und konsequent europäische politische Parteien ins Visier genommen haben, insbesondere während der Wahlperioden sowie die Zivilgesellschaft, Asylsuchende, russische ethnische Minderheiten, geschlechtsspezifische Minderheiten und das Funktionieren demokratischer Institutionen in der Union und ihren Mitgliedstaaten" (EU).

Ein gewundene Sätze von großer Schöpfungshöhe, der auf den Kern der Informationsfreiheit zielt, ohne das wie eine Fahne vor sich herzutragen. Die Absicht aber, die die EU mit ihren Schreiben an Suchmaschinenbetreiber, Anbieter von sozialen Netzwerken und anderen Verbreitungsplattformen verbindet, ist mit etwas Mühe entschlüsselbar: Weil die Russische Föderation sich "an kontinuierlichen und konzertierten Propagandaaktionen beteiligt" habe, "die auf die Zivilgesellschaft in der Union und den Nachbarländern abzielten und Tatsachen schwerwiegend verzerrten und manipulierten", folge zwingend, dass "soziale Medien verhindern müssen, dass Nutzer Inhalte von RT und Sputnik ausstrahlen, dass "Beiträge von Einzelpersonen, die Inhalte von RT und Sputnik reproduzieren, nicht veröffentlicht" und "falls veröffentlicht, gelöscht werden". 

Grundrechte nur kurz suspendiert

Eine Abstufung danach, wie ein Nutzer sich mit Inhalten der Russensender auseinandersetzt - ob er sie nur wiedergibt, kritisch reflektiert oder satirisch enttarnt - wird nicht gezogen. Natürlich gebe es "eine Trennlinie zwischen Inhalten von RT und Sputnik, die von einer Einzelperson wiedergegeben werden, und Inhalten des Verfassers des Beitrags auf der anderen Seite", räumt das Schreiben der EU-Kommission an die Betreiber ein. Doch "zugegebenermaßen dürfte diese Grenze in der Praxis in bestimmten Fällen schwer zu ziehen sein". So dass ihre Beachtung angesichts der derzeitigen Situation als nebensächlich bewertet wird. 

Diese Entscheidung, die nicht nur deutsche Verfassungsrechte ignoriert, sondern auch vollständig von der in der EU geltenden E-Commerce-Richtlinie abzuweicht, die eine Vollüberwachung von Netzinhalten ausdrücklich verbietet, sei "eine bewusste Entscheidung und aufgrund der Situation und ihres vorübergehenden Charakters gerechtfertigt", entschuldigt die EU ihren Vorstoß in ein rechtliches Niemandsland, in dem wie in Putins Russland reine Willkür herrscht.

Meinungsfreiheit unter Vorbehalt

Wer soweit geht, der kann auch noch weiter. Weil sie nun gerade mal dabei war, die Meinungsfreiheit unter den Vorbehalt "bewusster Entscheidungen vorübergehenden Charakters" (EU) zu stellen, hat die EU auch für Suchdienste im Internet gleich noch das Kriegsrecht verhängt. Das sieht "ein sehr weites und umfassendes Verbot" nicht nur der Ausstrahlung von RT und Sputnik vor, sondern verpflichtet  Suchmaschinen wie Google oder Bing erstmals auch dazu, rückwirkend bereits gewonnene Suchergebnisse zu filtern. Die EU beauflagt damit alle Betreiber, Fundstellen und Links zu Inhalten aus der Vergangenheit, die durch die "methodische und automatische" Indizierung gewonnen worden seien, zu löschen. Denn anderenfalls "würden Suchmaschinen wie Google den Zugang der Öffentlichkeit zu den Inhalten von RT und Sputnik erleichtern oder zu einem solchen Zugang beitragen".

Eine Zeitenwende, denn aus diesen Anweisungen folgt, "dass Anbieter von Internet-Suchdiensten sicherstellen müssen, dass alle Links zu den Internetseiten von RT und Sputnik und alle Inhalte von RT und Sputnik, einschließlich kurzer Textbeschreibungen und visueller Elemente" (EU) nicht mehr "in den Suchergebnissen erscheinen, die an Benutzer in der EU geliefert werden". Erstmals wird das Internet umfassend und vollkommen offen in einem Maß zensiert, das sogar in die Vergangenheit zurückgreift und Suchergebnisse löscht, die noch vor wenigen Tagen weder als strafbar noch auch als "unrechtmäßig" im Sinne der schwammigen Nicht-Definition der Informationsfreiheitsbekämpfer  bezeichnet worden waren.

Eine stille Blockade

Eine "Blockade" (Die Zeit), die dennoch nicht einmal einen Aufschrei bei denen auslöst, die bei nächster Gelegenheit aus der Geschichte gelöscht werden könnten. Bislang hat die epochale Sperrungsanweisung der EU an die Suchmaschinenbetreiber, dieser offene und schamlos auf alle Werte und Grundrechte spuckende Bruch mit allen freiheitlichen Traditionen des Westens, für keine einzige deutschen Medienhaus Nachrichtenwert.

9 Kommentare:

  1. 1. Treffer

    Französische Regulierungsbehörde fordert Sperrung von fünf Porno-Webseiten
    -----
    Ist das damit gemeint? Deswegen nutzen sie wohl dieses verschwurbelte Bürokratendeutsch.

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  2. Von der russischen Pleite in der Selbstdarstellung zu lesen, sollte ja eigentlich ganz amüsant sein. Im Übrigen sind die Genossen aus dem VEB Geschwätz wohl mehr damit beschäftigt, den Nuland-Rubio-Austausch über Biowaffenlabore in der Ukraine zu ignorieren. Und dann fragt man sich, was ist schlimmer, die Existenz oder die Blödheit, den Kram nicht rechtzeitig im Herbst beseitigt zu haben...

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  3. Volltext des Schreibens der EU in der Lumen-Database.

    https://lumendatabase.org/notices/26927483

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  4. Medien dürfen 'objektiv und vollständig' darüber berichten, dass Sputnik und RT etwas gemeldet haben, aber nicht so, dass die verhängte Informationssperre damit umgangen wird.
    Man wird wohl an jeden Bericht, der Bezug auf Sputnik und RT hat, einen Exorzismus anhängen müssen, damit der böse Russengeist nicht Besitz vom dummen Konsumentenpöbel ergreift.

    Where a media outlet other than Russia Today and Sputnik reports about the current Regulation
    and it consequences, it may inter alia provide the content and in that regard it may refer to pieces
    of news by RT and Sputnik, in order to illustrate the type of information given by the two
    Russian media outlets concerned with a view to informing their readers/viewers objectively and
    completely.

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  5. Ich kann mich noch gut an das erste Sputnik Verbot erinnern. Da haben wir damals in der Schorre eine Runde Kola Wodka drauf getrunken und gelacht, die Kommunisten verbieten eine Russenzeitung. 2 Jahre später war die DDR Geschichte. Mal sehen wie lange es diesmal dauert.

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  6. An "Die Anmerkung":
    Vielleicht ist der Satz schon bekannt:
    "Pornografie ist der Kanarienvogel in den Kohlenzechen der freien Meinungsäußerung".

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  7. "dieser offene und schamlos auf alle Werte und Grundrechte spuckende Bruch mit allen freiheitlichen Traditionen des Westens"

    Fing der Bruch nicht schon damit an, Kommunisten die Arbeit als Rollkutscher zu verbieten und Nationalen, Schaffner zu sein?

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  8. @Gernot

    >> "Pornografie ist der Kanarienvogel ..."

    Nein, kannte ich nicht, desterwegen kupfer ich das gleich mal auf meinen Blog, weil er gut ist und selbstverfreilich stimmt.

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  9. Russischer Priester feiert die Schließung von PornHub in Russland 😄

    https://t.me/neuesausrussland/2474

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