Wer mit Zahlen lügen muss, um sein Publikum vor der Realität zu schützen, der hat einige grundsätzliche Regeln zu beachten. Beim Umgang mit Zahlen ist es beispielsweise wichtig, sie in jedem Fall dem jeweiligen Zweck entsprechend verbal auf- oder abzuwerten. So bestehen sogar Tausende Demonstrationen immer aus einzelnen Demonstranten, die nicht zwingend zusammengerechnet werden müssen. Dazu gibt es bisher keine Rechtsvorschrift in Deutschland. Deshalb bietet es sich in solchen Fällen an, von "Dutzenden" Demonstranten zu sprechen, allenfalls aber von "Hunderten" - Menschenmengen mit Tausenden und sogar Zehntausenden Teilnehmer bestehen immer aus Hundertergruppen, die Information ist als nach den Vorgaben der modernen Grafikkosmetik vollkommen korrekt.
Meinungsbildung mit arithmetischen Mitteln
Korrekt ist es aber auch, im Fall von bürgerlich-engagierten "Gegenprotesten" (DPA) kleine Teilnehmergruppen verbal zu stärken, indem sie als "immer mehr" und "vielerorts" aufgewertet werden. Teilnehmerzahlen sind hier auch dann als "Hunderte" anzugeben, wenn da und dort nur drei oder sieben besorgte Bürger'innen an Aufzügen gegen Corona-Spaziergänger teilgenommen haben. Der gute Zweck rechtfertigt die arithmetischen Mittel.
Ernstgenommen werden diese Vorgaben, vom Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin bereits vor Jahren in einem Schulungspapier für ehrenamtliche Meinungsfreiheitsschutz-Kontrolleure in privaten und öffentlich-rechtlichen Redaktionen herausgegeben, im Augenblick gerade bei der Berichtserstattung über den "Freedom Convoy" mutmaßlich rechtsextremer Lkw-Fahrender in Kanada. Dort hatten sogenannte "Trucker" am 22. Januar begonnen, trotz der hohen Spritpreise in einem Konvoy quer durchs Land zu fahren, um gegen die notwendigen Impf- und Quarantänemaßnahmen der kanadischen Regierung zu protestieren.
Ein Sicherheitskordon aus Schweigen
Über beinahe eine Woche gelang es, den rollenden Protest mit einem Sicherheitskordon aus Schweigen zu umgeben. Während sich die Berichte in Übersee überschlugen, existierte der Trucker-Protest in Deutschland erst ab dem Moment, als sich die Lkw-Schlange der kanadischen Hauptstadt Ottawa näherte. Und wie es in den Meinungsbildungsseminaren des BBAA vorgeschlagen wird, hatte sich die Menge der teilnehmenden Truck auf dem langen Weg über den atlantischen Ozean beträchtlich verringert: Aus 1.000 bis 20.000 Fahrzeugen, die die Polizei in Ottawa eben noch gezählt hatte, wurden "hunderte Trucker" nicht nur beim früheren Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", sondern von "Welt" bis "Tagesschau" und "Berliner Zeitung".
Für einen Konvoy, der am 26. Januar bereits eine Länge von mehr als 70 Kilometern gehabt haben soll, sind "hunderte Trucker", die ja allenfalls hunderte Trucks fahren könnten, recht bescheiden. Ein typischer US-Truck, wie er auch in Kanada gefahren wird, ist zwar stolze 23 Meter lang. Doch selbst einspurig und mit großem Sicherheitsabstand gefahren werden wenigstens tausend oder zweitausend Trucks benötigt, um eine Kolonne von einer Länge zu bilden, die "sicherlich den aktuellen Weltrekord für die längste LKW-Parade übertrifft, die im November 2020 in Kairo stattfand und 480 Fahrzeuge über sieben Kilometern Meilen umfasste", wie kanadische Faktenchecker ermittelt haben.
Wenn etwa 500 Lkw eine Schlange von etwa sieben Kilometern bilden, dann müssten für 70 Kilometer Länge zirka 5.000 hintereinander fahren - oder, wie es die "Tagesschau" ausgedrückt hat, "Hunderte Trucker", die nur eben sehr wahrscheinlich in Tausenden Trucks sitzen.