Mittwoch, 24. November 2021

Von Staatsmännchen und Staatsversagen: Die Hassprediger

Dem neuen Kanzler schlägt schon vor Amtsantritt Misstrauen entgegen: Nichts geht schnell genug und ist ausreichend weitreichend.

Noch ist er nicht einmal im Amt, der Klima- und Rentenkanzler, da bekommt es Olaf Scholz schon von allen Seiten. Er sei ein "Staatsmännchen" stellte das über verschachtelte Beteiligungen teilstaatliche Newsportal T-Online fest. Die "Süddeutsche Zeitung", ein Privatunternehmen, das nur über vertraglich festgezurrte Vereinbarungen mit dem Gemeinsinnfunk liiert ist, sieht ein "Politikversagen von nationaler Tragweite". Und der RND, ein Redaktionsbüro der SPD, das im politischen Berlin zuweilen als "Reichsnachrichtendienst geschmäht wird, zitiert Umweltverbände, die jetzt schon bitter enttäuscht sind über das Verstummen der neuen Koalition bei wichtigen Fragen wie der schnelleren Erhöhung der CO2-Steuern, dem beschleunigten Energieausstieg und dem Verbot von Nordstream 2.  

Chaostage an der Medienfront

Chaostage in einer Republik des Übergangs. Die alte Koalition mag nicht mehr entscheiden, die neue will noch nicht, man pokert darum, wer schuld sein soll, und hofft auf Besserung, wenn irgendwas. Schlechter ist es ja auch von ganz allein geworden und der Blick nach Indien zeigt: Das geht auch andersherum. Bei Deutschlands Medien aber, bisher die treuesten Truppen der Merkel-Demokratie,  brennt plötzlich eine sehr, sehr kurze Zündschnur. Nicht nur Jens Spahn, lange Zeit der beliebteste Bundesgesundheitsminister, hat schlagartig alles Vertrauen verspielt, das Magazine wie der "Spiegel" in ihn setzten, seit er in der gerade erst anrollenden ersten Welle der Corona-Pandemie vorhersagte, dass "wir in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen". 

Die Neuen treten gleich so an, misstrauisch beäugt, mit Ratschlägen versorgt und mit Forderungen eingedeckt. Skepsis schlägt ihren bisher unbekannten Plänen zum Gesellschaftsumbau entgegen. Nichts wird reichen, um die himmelhohen Erwartungen einer Medienlandschaft zu befrieden, die sich über Jahre selbst suggeriert hat, dass die wirkliche Welt aus Knete besteht, aus der Minister, Staatenlenker und internationale Konferenzen ihre Willen formen können. Alles ist danach möglich, zumindest aus Sicht der Schreibmaschinengewehrkommandos in den Großraumredaktionsstuben: Energieversorgung muss nur als Suchtkrankheit behandelt werden, schnell weg von allem, kalter Entzug, dazu die Preise kräftig raus und überall ein I in die Mitte, fertig.

November des Zorns

So einfach, so klar und so unerreichbar. Das "Politikversagen von nationaler Tragweite", das die Regierungskritik eigentlich traditionell vermeidende Süddeutsche Zeitung in diesen Tagen in Berlin ausmacht, zeugt von einer Enttäuschung darüber, dass Scholz es wohl doch nicht wagen wird, eine Ökodiktatur mit Tempolimit, Mindestrente für alle, Bundesheizrichtwert und komplettem Energieausstieg bis nächste Woche Mittwoch auszurufen. 

Es droht nach einem "November des Zorns" (SZ) darüber, dass kaum etwas aus den Hinterzimmern der Koalitionsverhandlungen nach außen drang, ein Dezember der Abrechnung mit dem, was schließlich auf den Tisch gelegt werden wird. Keine Klimarettung in diesem Jahr. Kein CO2-Preis von 100 Euro. Keine Elektrifizierung der 39 Prozent Bundesbahnstrecke, die trotz aller Anstrengungen aller Bundesregierungen seit 1949 bis heute nur mit Diesel und Kohle befahren werden kann. Kein einheitliches Ladekabel, kein Zuckersiegel, kein veganer Suppendonnerstag als Einstieg in den Ausstieg aus der Fleischära.

Es droht eine Spaltung der Mediengesellschaft. Die einen jetzt schon finden, es hätte viel schlimmer kommen können. Die anderen aber vertreten die Sichtweise, es sei alles eben längst noch nicht schlimm genug. "Diese Leute rauben den Vernünftigen die Freiheit", hat Hilmar Klute gerade in der Süddeutschen Zeitung kommentiert, bezogen auf ein völlig anderes Thema, bei dem die noch nicht vereidigten kommenden Ministerinnen und Minister allerdings auch vom ersten Tag in einem kalten Gegenwind stehen werden.

Alles, was sich die deutschen Medien an eklatanten Distanz-Fehlern, an generöser Nachsicht mit Verantwortungsträgern, an stillschweigender Solidarität mit der Regierung und an verantwortungslosem Mitmachen über all die Merkel-Jahre selbst ankreiden müssten, es scheint in einem von Selbsthass getriebenen Ausbruch an Spätschuldzuschreibung zu enden. Das ehedem als Parole von Rechtspopulisten, Hetzern, Hassern und Zweifeln bekannte "Staatsversagen" hat es in die Mitte der Mediengesellschaft geschafft, Kritik an bewährten Strukturen wird nicht nur behauptet, sondern auch mit großem Selbstbewusstsein weit verbreitet und selbst Provinzblätter gefallen sich nun in der Pose des mutigen Rufers in der Wüste: "Staatskrise"!

Alles war richtig, um sich dann mit dem anstehenden Personalwechsel in falsch zu verwandeln. Mag der neue Kanzler Olaf Scholz vor seiner Vereidigung auch mit derselben Unsichtbarkeit agieren wie seine Vorgängerin, die mit der Ankunft des Virus in Italien aus der Öffentlichkeit verschwand, so hilft ihm das doch wenig. Mit der FDP an seiner Seite hat der Sozialdemokrat beste Chancen, zum Hauptfeind der ungeduldigen Fortschrittsfraktion in den Redaktionen zu werden, für die jede Regierungsform unterhalb einer Thunberg-Diktatur zu viel Laissez-faire-Regime und Klimaverharmlosung bedeutet. Und die Grünen, mit denen Olaf Scholz ja auch noch regieren muss, geben den Extremen auf der anderen Seite Futter für fortgesetzte Empörung. Zu viel Regulierung. Zu wenig. Zu langsam. Zu eilig.

Noch ist der Punkt nicht erreicht, an dem ihm die Leitmedien sich erinnern, dass Olaf Scholz bereits einer früheren Bundesregierung angehört hat.  Doch wenn ihm erst alte Sprüche vorgehalten werden, um ihn haftbar zu machen für die "viel zu niedrige Impfquote" (SZ), die zu hohen Inzidenzen, die trotz deutlich weniger akuter Fälle als im Januar höhere Belegung der geschrumpften Anzahl an Intensivbetten in den Krankenhäusern und den ausbleibenden Ruck beim Klimawandel, wird Scholz Bescheid wissen. So wie seine Vorgängerin mit den Medien regierte, die ihr stets gewogen waren, wäre er gezwungen, gegen sie zu herrschen.

4 Kommentare:

  1. https://www.nw.de/nachrichten/nachrichten/23133075_Viele-Fehler-in-der-Pandemie-Corona-wird-zur-Staatskrise.html

    Carsten Heil:
    Der Eindruck von Staatsversagen hat sich überall durchgefressen.
    Hört hört! Richtig.

    Aber was steht da über dem Artikel?
    Mit einer beizeiten eingeführten Impfpflicht hätte die Regierung Führungsstärke bewiesen, meint unser Autor.

    Ohne Zweifel hätte sie das, aber mit keiner Führerstärke der Welt hätte man die Solidaritätsimpfung zu einer wirksamen Impfung machen können.

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  2. Hase, Du bleibst hier....November 24, 2021

    Die Schimpfdurchbrüche unserer gewählten Volksvertreter gegen einen Teil des Volkes, sind nicht mehr zu ertragen. Ich wünsche mir zu Weihnachten ein Scharfschützengewehr und ein spezielles Einzeltraining bei Bernd und Sepp.

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  3. Der Speziallehrgang "mit der Straßenbahn an die Front" ( Gesellschaft für Sport und Technik , Ortsgruppe ORWO Wolfen ) ist leider bis 2036 ausgebucht .

    Tipp : in der Tschechei gibt es geeignete Trainingszentren für ambitionierte WertsportgrupplerInnen .

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  4. Jedes Volk bekommt ...

    Interessante Sichtweise. Auf Neudeutsch victim blaming.

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