Montag, 29. November 2021

Koalitionsvertrag: Auf Wolke 7 der Wirkungsmacht

Es sind die kleinen Details, die den Koalitionsvertrag der Jamaika-Parteien so interessant machen.

Drei Parteien, neun Hauptverhandler, 956 Mal "wir" 189 Mal "wollen", 69 Mal "wir wollen" und 35 Mal "wir setzen" - eine erste Analyse der Vereinbarung der drei Parteien der künftig regierenden Ampelkoalition zeigt deutlich den Willen zum Neuanfang: Statt "Muss" zeigt "Wollen" den Willen der ersten deutschen Respektsregierung zum einem Bruch mit überkommenen Traditionen, die Politik als Mittel zur Durchsetzung inhaltlicher Vorhaben begriff, die in erster Linie zum Machterhalt dienten.  

Ampel ohne alten Zopf

Rot-Grün-Gelb verabschiedet sich mit dem ersten Dreier-Koalitionsvertrag auf Bundesebene von diesem alten Zopf.  "Die Ampel steht", verkündete ein sichtlich zufriedener Olaf Scholz bei der Vorstellung der Pläne vor Medienvertretern, die dem Zauber des ausgerufenen Neuanfangs unmittelbar und kollektiv verfielen. Rund um das zentrale Versprechen, dass aus Deutschland in Kürze ein Land werden soll, " das schlichtweg funktioniert", wie der scheidende grüne Parteivorsitzende Robert Habeck zusammenfasste, hat Jamaika ein tightes Geflecht aus wirkmächtigen Adjektiven, Konjunktionen, Präpositionen und Substantiven gestrickt. 

Die Liste der am häufigsten gebrauchten Begriffe im 178-seitigen Grundlagenvertrag über das künftige klimaneutrale Deutschland liest sich wie ein Duden: "Und", "wir", "der" "werden", "von", "mit", "schaffen", aber auch "Deutschland", "europäischen", "erneuerbaren", "Weg" und "Ziel" füllen da den Raum zwischen kernigen Worten wie "Energien", "streben", Dialog", "moderner Staat" und "Umsetzung". 

Unterhalb der Sachebene

Hier, unterhalb der ungeliebten sachlichen Ebene der konkreten Vorhaben und der detaillierten Beschreibung von Wegen dorthin herrschen die in der Vergangenheit früherer Regierungen meist vollkommen ignorierten Präpositionen mit ihrer fast unendlichen Geschmeidigkeit. "Mit", eine Dreierkombination vom Rang 7 mit der Häufigkeitsklasse 2, taucht in der Geburtsurkunde von Jamaika 212 Mal auf - eine Seiteninzidenz von nahezu 1,2, die sogar weit über der von "wollen" und "werden" liegt, den zwei vielleicht zentralsten Formelbeschwörungen des farbenprächtigsten Regierungsbündnisses, das Deutschland jemals hatte, zumindest seit dem Ende des letzten Krieges.

In der Kürze liegt hier die Würze. "Wir" mit 93 Erwähnungen, "durch" mit 89, "zum" (55) und "das" (53) zeigen vielleicht schon die sachliche Handschrift des Olaf Scholz: Nur nicht zu viele Buchstaben verschwenden, knapp, aber knackig auf den Punkt, denn damit lässt sich am schnellsten Platz gewinnen für mitreißende Formulierungen wie "wir wollen eine" (8 Mal), "der erneuerbaren Energien" (8),  "den Weg bringen" (7), "wir werden den" (7) und "unser Ziel ist" (5).

Drei Buchstaben oder drei Worte

Die Liebe zu Begriffen aus drei Buchstaben oder Formulierungen aus drei Worten, die eine PPQ-li-Analyse mit Hilfe künstlicher Intelligenz zutage förderte, ist nicht zu übersehen. Im Kleinen findet sich hier der Dreiklang aus Du, ich und er beziehungsweise wir, ihr und sie wieder, für den Scholz, Habeck und Lindner vom ersten Vorgespräch über die Bildung eines Dreierbündnisses standen. Der Koalitionsvertrag bietet einen Dreiklang aus Corona-Krise, Klimapolitik und dem Rest des Lebens, der als "die Modernisierung" bezeichnet und global mit sehr, sehr wichtig umschrieben wird. 

Die sehr an Zahlen interessierten Verhandler haben alles, was sie erreichen wollen, in Zahlen betoniert:  Klimaneutralität bis 2045,  CO2-Preis nie mehr unter 60 Euro. Mindestrentenniveau bei 48 Prozent des Durchschnittslohns bleiben, Rentenbeitrag nicht über soundso, zwei Prozent für Wind und Sonne, drei für Nato und anderes, digital doppelt so schnell, Bildung doppelt so gut (200 Prozent), Verbrenner auf Null, EEG-Umlage zu hundert Prozent aus Steuermitteln. 62 Mal kommt das Wort "Deutschland"  in der Grundsatzvereinbarung vor, 40 Mal ist von "europäischen" die Rede, 27 Mal geht es um das "unternehmen", 16 mal um "Entwicklung" und viel mal um jenen mystischen "modernen Staat", der im November 2005 seinen letzten großen Auftritt auf der politischen Bühne hatte, als Angela Merkel seinen Aufbau mit ihrem Einzug ins Kanzleramt zu einem ihrer wichtigsten politischen Ziele ausgerief.

2 Kommentare:

  1. Extremismus kommt in dem Foto des Papiers wohl gar nicht vor? Dazu ist es ein viel zu kleines Problem, als das es gesamtgesellschaftliche Bedeutung hätte.

    Das hatte ich gestern zur halben Seite Extremismus aus dem Papier der Ampler extrahiert.

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  2. Oha. Das, was ich schon immer gesagt habe. Pyromanen begleiten.
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    „Wir ermöglichen die Durchführung eines einjährigen Pilotprojekts zum sicheren Einsatz von Pyrotechnik beziehungsweise kalter Pyrotechnik bei Fußballspielen.“ So steht‘s im druckfrischen Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot.

    https://www.bild.de/regional/berlin/berlin-regional-politik-und-wirtschaft/knaller-aus-koalitionsvertrag-berlin-will-pyrotechnik-in-fussballstadien-erlaube-78402726.bild.html

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